Aktenzeichen S 9 U 195/14
Leitsatz
1. Ein Anspruch auf Verletztenrente kommt nur dann in Betracht, wenn infolge des angeschuldigten Unfallereignisses Gesundheitsschäden verblieben sind, die dem Unfallereignis mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zugerechnet werden können. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage gegen den Bescheid vom 02.04.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.05.2014 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Kläger hat anlässlich des Arbeitsunfalls vom 27.01.2014 keinen Anspruch Leistungen aufgrund einer unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit über den 23.02.2014 hinaus sowie auf Gewährung einer Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 v. H., da unfallbedingte Gesundheitsstörungen über den genannten Zeitpunkt hinaus nicht verblieben sind.
Die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge eines Arbeitsunfalls und gegebenenfalls die Entschädigung durch Zahlung von Verletztengeld, Behandlungskosten oder Verletztenrente setzt voraus, dass die Gesundheitsstörung Folge eines Versicherungsfalles, hier also des Ereignisses vom 27.01.2014, ist (§§ 7, 8 SGB VII). Das Unfallereignis muss wesentliche Bedingung für die Entstehung bzw. Verschlimmerung des Gesundheitsschaden gewesen sein und gegenüber sonstigen schädigungsfremden Faktoren wie z.B. einer Vorerkrankung von überragender Bedeutung oder zumindest annähernd gleichwertiger Bedeutung sein (Theorie der wesentlichen Bedingung, ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BSGE 3,277). Eine naturwissenschaftliche Ursache, die nicht als wesentlich anzusehen und damit keine Ursache im Sinne der Theorie der wesentlichen Bedingung ist, kann als Gelegenheitsursache bezeichnet werden.
Die anspruchsbegründenden Tatsachen, d.h. neben dem Arbeitsunfall auch die unfallbedingte Gesundheitsstörung, müssen mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein. Bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. BSG, Urteil vom 30.04.1985 – 2 RU 43/84). Für den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und dem Gesundheitsschaden (haftungsbegründende Kausalität) sowie Folgeschäden (haftungsausfüllende Kausalität) ist demgegenüber hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreichend. Dies liegt dann vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden. Die bloße Möglichkeit eines Zusammenhanges genügt jedoch nicht.
Unter Anwendung dieser Grundsätze geht die Kammer zweifelsfrei davon aus, dass der Kläger im Januar 2014 keine Gesundheitsstörungen erlitten hat, die bleibende Schäden hervorgerufen haben. Nach der unfallnah umfänglich und fundiert durchgeführten Diagnostik hat der Kläger sich bei dem Unfall im Jahr 2014 lediglich Prellungen bzw. eine Zerrung zugezogen, die nach wenigen Wochen ohne Folgen ausgeheilt sind. Ein kausaler Zusammenhang mit den anhaltenden Beschwerden des Klägers ist nicht zu begründen. Die Beklagte hat zu Recht einen Anspruch auf Rente bzw. eine Leistungspflicht über den 23.02.2014 hinaus abgelehnt. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird diesbezüglich abgesehen, da die Kammer die Klage aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist (§ 136 Abs. 3 SGG).
Ergänzend ist lediglich anzumerken, dass das Ergebnis der Beweisaufnahme im gerichtlichen Verfahren eine andere Entscheidung nicht rechtfertigt. Die Kammer stützt sich hierbei auf die schlüssigen und aufgrund der vorliegenden Beweisunterlagen nachvollziehbaren Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen Dr. K. und Dr. R.
Der Kläger ist unstrittig am 27.01.2014 in einen Verkehrsunfall verwickelt worden, in deren Rahmen er beim Linksabbiegen mit einem ihn überholenden Fahrzeug kollidierte. Er hat als Gesundheitserstschaden ausschließlich Prellungen im Bereich beider Kniegelenke und des linken Ellenbogens, sowie eine Schädelprellung erlitten, die folgenlos ausgeheilt sind. Außerdem zog es sich eine Distorsion (Zerrung) der HWS Grad I nach Erdmann bzw. nach Quebec Task Force zu (vgl. zur Einteilung in Schweregraden: Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., S. 462 ff.).
Eine höhergradige HWS-Distorsion oder ein sonstiger gravierender Gesundheitserstschaden konnte trotz zahlreicher Begutachtung nie objektiviert werden und kann daher nicht festgestellt werden. Dies steht in Einklang mit den vorliegenden medizinischen Befunden. Denn bei der Untersuchung kurz nach dem Unfall im Kreiskrankenhaus V. bestanden zwar ein Druckschmerz und Bewegungsschmerzen im Nacken sowie ein leichter Schwindel und leichte Kopfschmerzen. Die neurologische Überwachung blieb jedoch unauffällig. Eine Bewusstlosigkeit hatte nicht vorgelegen. Hirnbedingte (zentralnervöse) Ausfälle in Form neurologischer und geistiger Störungen sowie psychoorganische Symptome als etwaige Zeichen einer Hirnbeteiligung sind weder im Akteninhalt dokumentiert, noch wurden sie von dem Kläger angegeben. Nach den vorliegenden Untersuchungsbefunden ist lediglich von einer leichtgradigen unfallbedingten HWS-Distorsion auszugehen. Denn ein Hinweis auf eine knöcherne Verletzung oder Verletzungen der ligamentären Strukturen (Muskeln, Bänder, Kapselbandapparat), die über bloße Zerrungen bzw. Dehnungen hinausgehen, hat sich in den radiologischen Befunden in den Wochen und Monaten nach dem Unfall nicht ergeben. Der anfängliche Verdacht einer HWS-3 Fraktur konnte durch die computertomographische Untersuchung am Unfalltag ausgeräumt werden. Auch im MRT-Befund vom 11.02.2014 kamen im Bereich der Halswirbelsäule keine frischen traumatischen morphologischen Schäden bei mäßigen degenerativen Veränderungen zur Darstellung. Damit kann eine schwerergradige Verletzung der Halswirbelsäule Grad 3 nach Erdmann ausgeschlossen werden (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., S. 464 f.).
Ausgehend von diesem Gesundheitserstschaden ergibt sich aus der unfallversicherungsrechtlichen Begutachtungsliteratur, dass mit überdauernden Unfallfolgen nicht gerechnet werden kann (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., S. 464 f.).
Weitere, bislang nicht genannte Unfallfolgen liegen nicht vor.
Traumatische Kopfschmerzen nach einer Schädelprellung bzw. HWS-Distorsion sind zwar nicht ungewöhnlich, treten aber grundsätzlich nur vorübergehend auf. Zu anhaltenden Kopfschmerzen kann es nur bei Schädel-Hirnverletzung mit Gewebeschäden kommen, die bei dem Kläger jedoch nicht belegt ist. Grundlegende Anknüpfungstatsachen einer intracerebraler Verletzung, z. B. eine dezidierte Prellmarke am Schädel, eine sonstige relevante äußere Verletzung oder eine klinischneurologische Symptomatik in diesem Sinn, hat ausweislich der unfallnah vorliegenden Befunde in dokumentationswürdiger Weise nicht bestanden. Bei Kopfschmerzen handelt es sich im Übrigen um eine sehr häufige Erkrankung, bei der zudem wiederum sehr häufig, u. a. Depressionen bestehen.
Ähnlich verhält es sich mit der Schwindelsymptomatik. Soweit eine solche weiterhin besteht, muss sie einer unfallunabhängigen Genese zugeordnet werden. Ein wesentlicher unfallbedingter Anteil kann nicht angenommen werden, da weder eine periphere vestibuläre Störung noch eine zentrale Schwindelursache belegt sind.
Bezüglich der Kopfschmerzen, der Schwindelsymptomatik sowie der von der Schulter/Nacken-Region ausstrahlenden Schmerzen ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass bei dem Kläger degenerative, unfallunabhängige Veränderungen im Bereich der HWS vorliegen, die ebenfalls entsprechende Beschwerden verursachen können.
Den Ausführungen von Dr. B. in ihrem Gutachten nach § 109 SGG vom 30.11.2015 wird nicht gefolgt. Dr. B. bejahte bezüglich der Kopfschmerz- und Schwindelproblematik einen Unfallzusammenhang und attestierte insbesondere eine unfallbedingte Verschlimmerung der Folgen des Unfalls aus dem Jahr 2010 sowie ein chronisches Schmerzsyndrom. Hierbei lässt sie jedoch jegliche Auseinandersetzung mit den Grundsätzen der gesetzlichen Unfallversicherung vermissen. Die in der gesetzlichen Unfallversicherung geltende Theorie der wesentlichen Bedingung beruht zwar, ebenso wie die im Zivilrecht geltende Adäquanztheorie, auf der naturwissenschaftlichphilosophischen Bedingungstheorie (conditiosinequanon) als Ausgangsbasis. Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlichphilosophischen Ursachen für einen Erfolg für die praktische Rechtsanwendung ist aber in einer 2. Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zu gerechnet wird und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006 – B 2 U 1/05 R). Allein aus dem rein zeitlichen Aufeinanderfolgen der HWS-Distorsion bzw. Schädelprellung und der später auftretenden Gesundheitsstörungen sowie der mangelnden Feststellung konkurrierender Ursachen kann nicht gefolgert werden, dass die anhaltenden Beschwerden des Klägers wesentlich durch den Unfall verursacht wurden. Der Stand der medizinischen wissenschaftlichen Erkenntnis zeigt vielmehr, dass leichtgradige Distorsionen der Halswirbelsäule, wie im vorliegenden Fall, folgenlos ausheilen (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., S. 472). Ebenso verhält es sich mit der Schädelprellung. Die Bewertung von Dr. B. kann in Übereinstimmung mit den Ausführungen von Dr. K. auch deshalb nicht überzeugen, da sie in dem sehr ausführlichen Gutachten Beschwerden und Befunde miteinander verwechselt bzw. Beschwerden zu Befunden umfunktioniert und den von ihr angenommenen Unfallzusammenhang nicht plausibel begründet. Dadurch wird der gesamte Aussagewert erheblich geschmälert. Das Gutachten von Dr. W. vom 06.02.2016, das im Rahmen der zivilgerichtlichen Auseinandersetzung erstellt worden war, kann in diesem Zusammenhang zu keiner anderen Bewertung führen. Dr. W. bejaht unter Verweis auf das Gutachten von Dr. B. ebenfalls einen Unfallzusammenhang; allerdings begründet er dies lediglich mit dem zeitlichen Zusammenhang, was – wie bereits ausgeführt – für die Anerkennung eines Kausalzusammenhangs im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung nicht ausreicht.
Im Ergebnis steht zur Überzeugung des Gerichts zweifelsfrei fest, dass es anlässlich des angeschuldigten Ereignisses zu einer linksseitigen Schädelprellung, Prellungen beider Kniegelenke sowie des linken Ellenbogens, als auch zu einer leichten Distorsion der Halswirbelsäule bei vorbestehendem HWS-Syndrom gekommen ist, die in einem Zeitraum von vier Wochen folgenlos ausgeheilt sind. Eine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit hat zu keinem Zeitpunkt vorgelegen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 Sozialgerichtsgesetz.