Aktenzeichen M 18 K 17.5442
SGB X § 44
SGB VIII § 33
Leitsatz
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens des Klägers in der mündlichen Verhandlung über die Sache verhandeln und entscheiden, da dieser ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden waren (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die nach § 88 VwGO auszulegende Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
Nachdem der Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht erschienen ist, war der unbestimmte Antrag des Klägers nach § 88 VwGO auszulegen.
Grundsätzlich ist das Gericht gemäß § 88 VwGO an die vom Kläger gestellten Anträge nicht gebunden. Es muss das Klagebegehren – das wirkliche Rechtsschutzziel – von Amts wegen, ggf. unter Rückgriff auf die Interessenlage, ermitteln (BVerwG, U.v. 1.9.2016 – 4 C 4/15 – NVwZ-RR 2017, 187 Rn. 9). Das Klagebegehren ergibt sich aus dem gesamten Vortrag des Klägers, insbesondere aus der Klagebegründung sowie aus etwa beigefügten Bescheiden (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 88 Rn. 8).
Gegenstand des Klagebegehrens ist nach entsprechender sachgerechter Auslegung des Klageantrags zum einen die Aufhebung des Kostenbeitragsbescheids des Beklagten vom 29. Juni 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Oktober 2017, zum anderen die Aufhebung der Kostenbeitragsbescheide des Beklagten für die Jahre 2013, 2014 und 2015 sowie die Rückerstattung von in den Jahren 2013, 2014, 2015 und 2016 gezahlten Beiträgen an den Beklagten.
Dass der Kläger die Aufhebung des Kostenbeitragsbescheids des Beklagten vom 29. Juni 2017 begehrt, ergibt sich aus der Zusammenschau der in den vorgelegten Behördenakten des Beklagten befindlichen Schreiben des Klägers, mit welchen sich der Kläger gegen genannten Bescheid und die diesbezügliche Kostenbeitragsverpflichtung für das Jahr 2017 wandte. Zudem legte der Kläger seiner Klageschrift die Kostenberechnung aus dem Bescheid des Beklagten vom 29. Juni 2017 bei.
Des Weiteren bat der Kläger in seinem Schriftsatz vom 8. April 2020 um „Rückerstattung sämtlicher Kostenbeiträge.“ Da der Kläger seit 1. Juni 2013 Zahlungen an den Beklagten leistet, ist das Gericht im Zusammenhang mit der Anfechtung des Kostenbeitragsbescheids vom 29. Juni 2017 davon ausgegangen, dass mit diesem Antrag die Aufhebung sämtlicher anderer ausschließlich vom Beklagten erlassener Kostenbeitragsbescheide und die Rückerstattung aller geleisteten Beträge seit diesem Zeitraum gewollt ist.
Sofern der Kläger in seiner Klageschrift vom 14. November 2017 die Beitragsberechnung des Jugendamtes … erwähnt, war dabei mangels Vorlage entsprechender Unterlagen und angesichts des übrigen Klagevortrags, welcher sich allein auf die Geschehnisse mit dem Beklagten bezieht, nicht von einem eigenständigen Klageantrag gegen einen weiteren Beklagten auszugehen.
Die so verstandene Klage ist unbegründet und war daher abzuweisen. Sowohl der Kostenbeitragsbescheid des Beklagten vom 29. Juni 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Oktober 2017 (1.) als auch die bereits bestandskräftigen Kostenbeitragsbescheide für die Jahre 2013 bis 2015 (2.) sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Kläger hat auch im Ergebnis keinen Anspruch auf Rückzahlung von geleistete Beiträgen (3.).
1. Der Kostenbeitragsbescheid des Beklagten vom 29. Juni 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Oktober 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Der Beklagte hat mit dem angefochtenen Leistungsbescheid rechtmäßig für das Jahr 2017 und vorläufig auch für das Jahr 2018 einen Kostenbeitrag in Höhe von 259 EUR monatlich erhoben. Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist für die vorliegende Anfechtungsklage der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, hier also der Zeitpunkt der Entscheidung der Widerspruchsbehörde (vgl. BayVGH, B. v. 9.8.2012 – 12 C 12.1627 – juris Rn. 3; VG Würzburg U. v. 28.2.2019 – W 3 K 17.1340 – juris Rn. 29).
Rechtsgrundlage für die Erhebung eines Kostenbeitrags für die dem Sohn des Klägers gewährte Jugendhilfemaßnahme ist § 91 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a i.V.m. § 33 SGB VIII. Danach werden bei der Gewährung von vollstationären Leistungen – wie hier bei der Unterbringung eines Kindes in Vollzeitpflege – Kostenbeiträge erhoben.
Als Elternteil ist der Kläger gemäß § 92 Abs. 1 Nr. 5 SGB VIII kostenbeitragspflichtig.
An der Rechtmäßigkeit der zu Grunde liegenden Maßnahme bestehen keine Zweifel und wurden durch den Kläger auch nicht geltend gemacht.
Auch wenn die Rechtmäßigkeit der Hilfe nicht explizit Tatbestandsvoraussetzung für die Erhebung eines Kostenbeitrags ist, ist sie nach h. M. zumindest in den Fällen, in denen für den Kostenpflichtigen kein Primärrechtsschutz zu erlangen ist, er sich also nicht gegen die den Kostenbeitrag auslösende Maßnahme wenden kann, inzidenter zu überprüfen (vgl. NdsOVG, B. v. 27.8.2018 – 10 LA 7/18; OVG NW, B. v. 28.8.2014 – 12 A 1034/16; VG Augsburg, U. v. 20.12.2019 – Au 3 K 17.855 – Rn. 27, jeweils juris). Da der Kläger zu keinem Zeitpunkt das Sorgerecht für A. inne hatte, konnte er die Hilfe auch nicht auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen lassen. Nachdem jedoch die Kindsmutter nicht in der Lage war, für A. zu sorgen und der Kläger sich für seinen Sohn nicht verantwortlich fühlte, musste A. zwangsläufig fremd untergebracht werden.
Nach § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII kann ein Kostenbeitrag bei Eltern, Ehegatten und Lebenspartnern erst ab dem Zeitpunkt erhoben werden, ab welchem dem Pflichtigen die Gewährung der Leistung mitgeteilt und er über die Folgen für seine Unterhaltspflicht gegenüber dem jungen Menschen aufgeklärt wurde. Vorliegend hat der Beklagte den Kläger bereits mit Schreiben vom 21. Mai 2013 darüber informiert, dass seinem Sohn A. Jugendhilfe gemäß § 33 SGB VIII gewährt werde und der Kläger gemäß § 92 Abs. 1 Nr. 5 SGB VIII zu den hierdurch entstehenden Aufwendungen einen Kostenbeitrag zu leisten habe. Des Weiteren wies der Beklagte den Kläger darauf hin, dass seine privatrechtliche Unterhaltspflicht gegenüber seinem Sohn, soweit der Unterhalt des jungen Menschen im Rahmen der Jugendhilfe gesichert werde, für die Dauer der Jugendhilfemaßnahme entfalle.
Der Aufklärungs- und Informationspflicht des § 92 Abs. 3 SGB VIII wurde damit ausreichend Rechnung getragen.
Des Weiteren ist die vom Beklagten gem. §§ 93, 94 SGB VIII i.V.m. der Kostenbeitragsverordnung (KostenbeitragsV) vorgenommene Berechnung der Höhe des Kostenbeitrags nicht zu beanstanden.
Nach § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII sind die Kostenbeitragspflichtigen aus ihrem Einkommen in angemessenem Umfang zu den Kosten heranzuziehen. Die Berechnung des Einkommens richtet sich dabei nach § 93 SGB VIII. So legt § 93 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII zunächst fest, welche Einnahmen bei der Ermittlung des Kostenbeitrags als Einkommen anzusehen sind. Von diesem sind die in Abs. 2 der Vorschrift genannten Beträge abzusetzen. Das so ermittelte Nettoeinkommen ist schließlich gemäß § 93 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII um weitere individuelle Belastungen zu bereinigen, was nach § 93 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII in der Regel durch eine Kürzung des errechneten Betrags um pauschal 25% erfolgt. Maßgeblich ist dabei gemäß § 93 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII stets das durchschnittliche Monatseinkommen, das die kostenbeitragspflichtige Person in dem Kalenderjahr erzielt hat, welches dem jeweiligen Kalenderjahr der Leistung oder Maßnahme vorangeht. Sodann bemisst sich der Umfang der Heranziehung nach § 94 Abs. 5 SGB VIII entsprechend der KostenbeitragsV. Zuletzt ist anhand einer unterhaltsrechtlichen Vergleichsberechnung zu prüfen, ob der Kostenbeitrag gemäß § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII angemessen ist. Dies ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, U.v. 19.8.2010 – 5 C 10/09 – BVerwGE 137, 357) dann der Fall, wenn dem erwerbstätigen Beitragspflichtigen zumindest der so genannte unterhaltsrechtliche Selbstbehalt belassen wird.
Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Beklagte das Einkommen des Klägers zutreffend ermittelt. Bei der Berechnung wurden die nachgewiesenen Belastungen des Klägers einkommensmindernd berücksichtigt.
Nach § 93 Abs. 3 Satz 5 SGB VIII ist es Sache des Kostenschuldners, seine Belastungen nachzuweisen. Vorliegend hat der Beklagte alle Einwendungen des Klägers im Verwaltungsverfahren berücksichtigt und in die Berechnung des Kostenbeitrags einfließen lassen. Weitere Nachweise, die zu einer höheren Belastung des Klägers führen würden, hat dieser nicht vorgebracht. Zu der Berechnung im Einzelnen wird auf die Ausführungen und Erläuterungen im Widerspruchsbescheid Bezug genommen, denen das Gericht folgt und insoweit von einer Darstellung in den Entscheidungsgründen absieht (§ 117 Abs. 5 VwGO).
Das Vorbringen des Klägers im Anschreiben vom 8. April 2020, „dass die Tabelle bereits 2014 auf 0 in der 1. Zeile nachreguliert“ worden sei, ist möglicherweise dahin zu deuten, dass sich der Kläger auf die Anlage zur Kostenbeitragsverordnung in der Fassung vom 5. Dezember 2013 bezieht, die für die Einkommensgruppe 1, also für Einkommen bis 1.100,99 EUR, einen Kostenbeitrag von 0 EUR vorsieht. Da der Kläger jedoch im Jahr 2016 über ein durchschnittliches bereinigtes Nettoeinkommen von 1.582,42 EUR verfügte (s. Ziff. 2.6. der Kostenbeitragsberechnung im Bescheid des Beklagten vom 29. Juni 2017), folgte zurecht eine Einstufung in die Einkommensgruppe 5 der Kostenbeitragsverordnung, nach welcher ein Beitrag in Höhe von 259 EUR monatlich anfällt.
Nach der vom Beklagten zutreffend angestellten unterhaltsrechtlichen Vergleichsberechnung verblieb dem Kläger des Weiteren auch nach Abzug der Kostenbeitragsverpflichtung ein angemessener Selbstbehalt. Auch insoweit wird auf die Ausführungen und Erläuterungen im Widerspruchsbescheid verwiesen.
Der Kostenbeitrag bedeutet für den Kläger auch keine besondere Härte im Sinne von § 92 Abs. 5 Satz 1 SGB VIII. Danach soll im Einzelfall ganz oder teilweise von der Heranziehung zu einem Kostenbeitrag u.a. dann abgesehen werden, wenn sich aus der Heranziehung eine besondere Härte ergeben würde.
Für die Annahme einer besonderen Härte ist jedoch nicht ausreichend, dass die Heranziehung zu einem Kostenbeitrag den Betroffenen finanziell belastet. Der Begriff setzt vielmehr voraus, dass eine atypische Situation des Kostenschuldners nicht ausreichend im Rahmen der Ermittlung des Kostenbeitrags Berücksichtigung finden kann und seine Erhebung gegen die Leitvorstellungen der § 91 ff. SGB VIII verstößt (vgl. OVG SH – U. v. 23.10.2018 – 3 LB 30/15 – juris Rn. 57).
Die vom Kläger mehrfach vorgebrachte und vom Beklagten angeblich nicht berücksichtigte Verbraucherinsolvenz ist an dieser Stelle schon deshalb irrelevant, da diese nach Angaben des Klägers im Februar 2015 abgeschlossen wurde. Auswirkungen auf den streitgegenständlichen Zeitraum ab dem 1. Januar 2016 sind nicht erkennbar.
Auch der vom Kläger angeführte Beschluss des Amtsgerichts … – Familiengericht – aus dem Jahr 2010 vermag keine andere Beurteilung zu rechtfertigen. Wie der Beklagte dem Kläger in seinem Schreiben vom 21. Mai 2013 zutreffend erläutert hat, ersetzt der kinder- und jugendhilferechtliche Kostenbeitrag die privatrechtliche Unterhaltspflicht soweit, als der Unterhalt des Kindes im Rahmen der Jugendhilfegewährung sichergestellt wird. Wird bei stationären Leistungen, wie im vorliegend Fall durch die Unterbringung von A. bei einer Pflegefamilie, der Bedarf des Kindes vollständig gedeckt, entfällt dessen Unterhaltsberechtigung, § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII (vgl. Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 8. Aufl. 2019, Rn. 33). Die unterhaltspflichtige Person wird ihrer materiellen Verantwortung gegenüber dem Kind allerdings nicht enthoben, sondern durch die Erhebung eines Kostenbeitrags in die Pflicht genommen (vgl. Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 10 Rn 28). An die Stelle der Unterhaltszahlungen tritt sodann die Pflicht des Elternteils zur Zahlung des Kostenbeitrags. Der Kläger als Kostenbeitragsschuldner ist mit dieser öffentlich-rechtlichen Verpflichtung finanziell in etwa gleich belastet wie mit der bürgerlich-rechtlichen Unterhaltspflicht – für das Jahr 2017 ergibt sich sogar durchschnittlich eine geringere Belastung (Unterhaltsverpflichtung nach Düsseldorfer Tabelle: 264 EUR; Kostenbeitragsverpflichtung: 259 EUR).
Im Übrigen ist in diesem Zusammenhang anzumerken, dass die Kostenbeteiligung im Rahmen der Jugendhilfe nicht, wie der Kläger vorträgt, dazu dient, „die Gier der Behörde“ zu befriedigen, sondern dazu, dem eigenen Kind gewährte staatliche Jugendhilfeleistungen – meist ohnehin nur bruchteilsmäßig – zu refinanzieren. Nach Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes sind die Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und nicht zuletzt auch die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Kommen Eltern dieser Pflicht nicht nach und springt der Staat wie vorliegend für diese ein, entspricht es der Billigkeit, diese wenigstens im Wege monetärer Leistungen an der Verantwortung für ihr Kind zu beteiligen.
Der Bescheid vom 29. Juni 2017 gilt auch für das Jahr 2018 vorläufig weiter. Zwar ist die Kostenbeitragsverpflichtung vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe jährlich zu überprüfen, da für die Berechnung der Beitragshöhe gemäß § 93 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII jeweils das durchschnittliche Monatseinkommen maßgeblich ist, welches die kostenbeitragspflichtige Person in dem vorangegangenen Kalenderjahr erzielt hat. Angesichts der Vorläufigkeit der Erhebung, des ausdrücklichen Hinweises hierauf im Kostenbeitragsbescheid und der Möglichkeit des Klägers, jederzeit durch Vorlage seiner Einkommensnachweise eine etwaige Korrektur des Beitrags zu seinen Gunsten herbeizuführen, ist eine Weitergeltung des Bescheids im vorliegenden Fall jedoch nicht zu beanstanden. Da der Kläger bisher für das Jahr 2017 trotz ausdrücklicher Aufforderung des Beklagten mittels Schreiben vom 31. Januar und 15. März 2018 keine Belege beigebracht hat, ist daher für den Zeitraum Januar bis Dezember 2018 ebenfalls von einer Kostenbeitragsverpflichtung in Höhe von 259 EUR monatlich auszugehen.
Ausgehend von einer Zahlungsverpflichtung in Höhe von 3.108 EUR für das Jahr 2017 beläuft sich der Zahlungsrückstand des Klägers abzüglich geleisteter Zahlungen in Höhe von 1.155 EUR sodann auf 1.953 EUR. Für das Jahr 2018 steht eine Zahlungsverpflichtung des Klägers von ebenfalls 3.108 EUR geleisteten Beträge in Höhe von 4 x 1 EUR gegenüber. Der Gesamtrückstand des Klägers beträgt damit 5.057 EUR.
2. Die Kostenbeitragsbescheide des Beklagten vom 25. Juni 2013, vom 20. Februar 2014 und vom 6. Mai 2015 sind ebenfalls rechtmäßig und verletzten den Kläger nicht in seinen Rechten. Eine Aufhebung der bestandskräftigen Bescheide scheidet damit aus.
Die genannten Bescheide sind bereits bestandskräftig. Die insoweit maßgebliche Rechtsmittelfrist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO von einem Monat seit Bekanntgabe des jeweiligen Verwaltungsaktes war zum Zeitpunkt der Klageerhebung seit langem abgelaufen. Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Aufhebung der Bescheide kann damit allein § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X darstellen. Danach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.
Vorliegend sind keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass die Erhebung der Kostenbeiträge in den Jahren 2013 bis 2015 rechtswidrig war. Wie den den Bescheiden jeweils beigefügten Berechnungen zu entnehmen ist, sind insbesondere die erfolgten Gehaltspfändungen im Rahmen der Einkommensermittlung berücksichtigt und das Einkommen des Klägers dementsprechend niedriger angesetzt worden. Andere Belastungen hat der Kläger entgegen seiner in § 93 Abs. 3 Satz 5 SGB VIII statuierten Obliegenheit nicht nachgewiesen. Auch von den für das Jahr 2016 nachgewiesenen Belastungen für Riesterrente, Gewerkschaftsbeiträge etc. ist nicht selbstverständlich auf eine bereits in den Vorjahren bestehende Belastung zu schließen. Solche sind vom Kostenschuldner für jedes Jahr konkret nachzuweisen.
Im Übrigen weist das Gericht darauf hin, dass – unabhängig vom Nachweis der Belastungen – gemäß § 93 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII ein Pauschalabzug in Höhe von 25 Prozent des nach Abs. 1 und 2 berechneten Einkommens erfolgt ist (vgl. jeweils Ziff. 2.1 der den Bescheiden beigefügten Berechnung). Üblicherweise anfallenden Belastungen, die in der Regel jedermann betreffen, wurde damit bereits in ausreichendem Maße Rechnung getragen.
Auch ist hinsichtlich der bestandskräftigen Beitragsbescheide nicht von einer besonderen Härte für den Kläger im Sinne von § 92 Abs. 5 Satz 1 SGB VIII auszugehen, aufgrund derer von der Erhebung eines Kostenbeitrags hätte abgesehen werden müssen.
Die vom Kläger vorgetragene Privatinsolvenz stellt – ganz abgesehen davon, dass der Kläger diesbezüglich keinerlei Nachweise erbracht hat – an sich keine besondere Härte dar (vgl. VG Würzburg, U. v. 28.2.2019 – W 3 K 17.1340 – juris Rn. 36). Wie bereits ausgeführt, hat § 92 Abs. 5 Satz 1 SGB VIII atypische Fallkonstellationen im Blick, welche im Rahmen der Ermittlung des Kostenbeitrags nicht ausreichend Berücksichtigung finden können. Die (möglicherweise im Rahmen eines Insolvenzverfahrens erfolgten) Gehaltspfändungen, wie sie aus den Gehaltsabrechnungen des Klägers in den Jahren 2013 bis 2015 hervorgehen, wurden, wie bereits erläutert, vom Beklagten bei der Berechnung des Einkommens in voller Höhe mindernd berücksichtigt. Auch erlaubt § 93 Abs. 3 Satz 4 Nr. 3 SGB VIII explizit den Abzug von Schuldverpflichtungen. Von einer atypischen Situation, die mit den Wertungen des Gesetzgebers im Rahmen der Kostenbeitragserhebung nach §§ 91 ff. SGB VIII nicht vereinbar wäre, kann vorliegend daher nicht die Rede sein.
Soweit der Kläger des Weiteren mit Schriftsatz vom 8. April 2020 vorträgt, dass sich von seinem Bruttoeinkommen in Höhe von 3.300 EUR jeder Cent, der über das Existenzminimum hinausging, bereits in der Staatskasse befunden hätte, und es eine Kostenbeitragsberechnung der Jugendhilfe bis 2015 nicht hätte geben dürfen, kann das Gericht dem nicht folgen. Dass die Heranziehung zum Kostenbeitrag das verfassungsrechtlich garantierte Existenzminimum des Klägers gefährdet hätte, ist nicht ersichtlich und angesichts der erfolgten unterhaltsrechtlichen Vergleichsberechnung, die gerade dafür sorgen soll, dass dem Kostenschuldner ein angemessener Selbstbehalt verbleibt, auch fernliegend.
3. Ein durchsetzbarer Anspruch des Klägers auf Rückerstattung von seit Juni 2013 an den Beklagten gezahlten Kostenbeiträgen besteht nicht.
Da eine Aufhebung der bestandskräftigen Kostenbeitragsbescheide für die Jahre 2013 bis 2015 nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X, wie unter 2. ausgeführt, nicht in Betracht kommt, scheidet auch eine Rückerstattung der auf deren Grundlage gezahlten Beiträge in den Jahren 2013, 2014 und 2015 aus. Die bestandskräftigen Kostenbeitragsbescheide bilden den Rechtsgrund für das „Behaltendürfen“ des geleisteten Geldbetrags.
Was die im Jahr 2016 vom Kläger an den Beklagten geleisteten Beträge in Höhe von 2.2520 EUR angeht, ist festzustellen, dass dem Kläger diesbezüglich grundsätzlich ein Rückerstattungsanspruch zusteht, dieser jedoch hinsichtlich des unter 1. dargestellten Gegenanspruchs des Beklagten nicht durchsetzbar ist.
§ 92 Abs. 2 SGB VIII sieht explizit vor, dass die Heranziehung von Elternteilen zu den Kosten stationärer Jugendhilfemaßnahmen durch Erhebung eines Kostenbeitrags erfolgt, der durch Leistungsbescheid festgesetzt wird. Der Beklagte hat für das Beitragsjahr 2016 weder die Einkommensverhältnisse des Klägers überprüft, noch einen entsprechenden Kostenbeitrag erlassen. Auf eine etwaige Weitergeltung des Kostenbeitragsbescheids vom 6. Mai 2015 kann sich der Beklagte entgegen seiner im Aktenvermerk vom 22. Januar 2016 zum Ausdruck kommenden Auffassung nicht berufen, da der Kostenbeitrag gemäß dem Bescheidstenor ausschließlich für den Zeitraum 1. Januar 2015 bis 31. Dezember 2015 festgesetzt wurde. Dass dieser auch für das Jahr 2016 als vorläufiger Bescheid weitergelten sollte, ist diesem hingegen nicht zu entnehmen.
Dem Kläger steht daher grundsätzlich, da die im Jahr 2016 geleisteten Zahlungen somit einer verwaltungsverfahrensrechtlichen Grundlage in Gestalt eines Leistungsbescheids entbehren, ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch zu.
Der gewohnheitsrechtlich anerkannte öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch setzt eine rechtsgrundlose Vermögensverschiebung in entsprechender Anwendung von §§ 812 ff. BGB voraus. Funktion des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs ist es, eine dem materiellen Recht nicht entsprechende Vermögensverschiebung zu korrigieren (vgl. BVerwG, B.v. 16.11.2007 – 9 B 36/07 – NVwZ 2008, 212). Diese Voraussetzungen des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs sind hier erfüllt. Mangels Festsetzung eines Kostenbeitrags durch Leistungsbescheid hat der Beklagte die vom Kläger gezahlten Beiträge in Höhe von insgesamt 2.520 EUR insoweit ohne Rechtsgrund erhalten.
Auch ein rückwirkender Erlass eines Kostenbeitragsbescheids für das Jahr 2016 wäre nicht mehr möglich. Denn gemäß Art. 71 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AGBGB erlöschen auf Geldzahlungen gerichtete öffentlich-rechtliche Ansprüche des Freistaats Bayern in drei Jahren. Diese Regelung ist auf Kostenbeitragsforderungen entsprechend anwendbar (vgl. BayVGH, B.v. 28.7.2014 -12 ZB 13.1886 – juris Rn. 20; B.v. 5.12.2011 – 12 ZB 11.1341 – juris Rn. 7; VG Würzburg, U.v. 17.1.2019 – W 3 K 18.646 – juris Rn. 28). Die Frist beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Berechtigte von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Verpflichteten Kenntnis erlangt, jedoch nicht vor dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist, Art. 71 Abs. 1 Satz 2 AGBGB. Der – grundsätzlich auch für das Jahr 2016 wohl bestehende – Anspruch des Beklagten auf Kostenbeitragszahlungen ist damit mit Ablauf des Jahres 2019 erloschen.
Der Kläger muss sich jedoch bei der Geltendmachung seines Rückzahlungsanspruchs den Einwand unzulässiger Rechtsausübung („dolo agit“) entgegenhalten lassen. Dieser findet seine Berechtigung im Grundsatz von Treu und Glauben, der zu den allgemeinen Grundsätzen auch des Verwaltungsrechts gehört (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.3.2014 – 4 C 11.13 – juris Rn. 29, 31 m.w.N). Danach kann die Ausübung eines Rechts unzulässig sein, wenn der Berechtigte etwas fordert, das sogleich wieder zurück zu gewähren ist (vgl. NdsOVG, B. v. 16.12.2014 – 13 LA 143/14 – juris Rn. 13).
Vorliegend steht dem Beklagten, wie unter 1. ausgeführt, ein Zahlungsanspruch gegen den Kläger in Höhe von 5.057 EUR hinsichtlich der in den Jahren 2017 und 2018 rückständigen Kostenbeitragsforderungen zu. Der Rückzahlungsanspruch des Klägers in Höhe von 2.520 EUR würde von diesem Gegenanspruch vollumfänglich konsumiert werden. Eine Erstattung von gezahlten Beiträgen bei gleichzeitiger Verweigerung des Klägers, für bereits fällige, noch ausstehende Beiträge aufzukommen, ist daher abzulehnen.
Die Klage war daher vollumfänglich abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 188 Satz 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.