Sozialrecht

Heranziehung zu  Kostenbeitrag

Aktenzeichen  M 18 K 17.5881

Datum:
9.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 24150
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VIII § 34, § 41, § 91, § 93 Abs. 1 S. 3, § 94 Abs. 1 S. 1
SHR § 82 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
I.
Die Zulässigkeitsvoraussetzungen liegen vor. Insbesondere wurde die Klage fristgerecht erhoben. Nach § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist die Anfechtungsklage innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheides zu erheben. Vorliegend wurde der Klägerin der Widerspruchsbescheid vom 14. November 2017 laut Postzustellungsurkunde am 15. November 2017 zugestellt. Die Monatsfrist begann daher gemäß § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1 BGB am 16. November 2017 zu laufen und endete gemäß § 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des 15. Dezember 2017. Der auf dem Klageschriftsatz aufgedruckte gerichtliche Eingangsstempel weist zwar das Datum 18. Dezember 2017 auf, ist aber wohl unrichtig. Ein Abgleich des von der Klägerin vorgelegten postalischen Einlieferungsbelegs mit der Einschreiben-Sendungsnummer auf dem Briefkuvert der Klageschrift und der entsprechenden Sendungsverfolgung ergibt eindeutig, dass die Klage entgegen dem Eingangsstempel bereits am 14. Dezember 2017 bei Gericht eingegangen ist. Die Klagefrist war daher gewahrt.
II.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 6. Juni 2017 in Gestalt des Teilabhilfebescheids vom 21. September 2017 und des Widerspruchsbescheides vom 14. November 2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist für die vorliegende Anfechtungsklage der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, hier also der Zeitpunkt der Entscheidung der Widerspruchsbehörde (vgl. BayVGH, B. v. 9.8.2012 – 12 C 12.1627 – juris Rn. 3; VG Würzburg U. v. 28.2.2019 – W 3 K 17.1340 – juris Rn. 29).
Rechtsgrundlage für die Erhebung eines Kostenbeitrags für die dem Sohn der Klägerin gewährten Hilfe für junge Volljährige in Form der vollstationären Unterbringung in einer Einrichtung des betreuten Wohnens ist § 91 Abs. 1 Nr. 8 i.V.m. Nr. 5 Buchst. b SGB VIII.
Als Elternteil ist die Klägerin gemäß § 92 Abs. 1 Nr. 5 SGB VIII kostenbeitragspflichtig.
1. Die dem Kostenbeitrag zugrundeliegende Jugendhilfemaßnahme für den Sohn der Klägerin war rechtmäßig.
Auch wenn die Rechtmäßigkeit der Hilfe nicht explizit Tatbestandsvoraussetzung für die Erhebung eines Kostenbeitrags ist, ist sie nach h. M. zumindest in den Fällen, in denen für den Kostenpflichtigen kein Primärrechtsschutz zu erlangen ist, er sich also nicht gegen die den Kostenbeitrag auslösende Maßnahme wenden kann, inzidenter zu überprüfen (vgl. NdsOVG, B. v. 27.8.2018 – 10 LA 7/18; OVG NW, B. v. 28.8.2014 – 12 A 1034/16; VG Augsburg, U. v. 20.12.2019 – Au 3 K 17.855 – Rn. 27, jeweils juris).
Vorliegend wurde J. vom 25. April 2017 bis 28. März 2018 gemäß § 41 i.V.m. § 34 SGB VIII Hilfe für junge Volljährige in Form von Unterbringung in einer betreuten Wohnform – zunächst in der Jugendpension des W. e.V., danach im Sozialpädagogischen Jugendhaus N. – gewährt. Da J. zu diesem Zeitpunkt bereits volljährig und die Klägerin dementsprechend nicht am Hilfeprozess beteiligt war – der Bewilligungsbescheid wurde ihr auch nicht zugestellt oder auf andere Weise bekanntgegeben -, stand dieser kein Rechtsschutz gegen die gewährte Jugendhilfemaßnahme zu, so dass die Rechtmäßigkeit im vorliegenden Verfahren zu überprüfen war.
Gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII soll einem jungen Volljährigen Hilfe für die Persönlichkeitsentwicklung und zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung gewährt werden, wenn und solange die Hilfe aufgrund der individuellen Situation des jungen Menschen notwendig ist. Nach § 41 Abs. 2 SGB VIII gelten für die Ausgestaltung der Hilfe § 27 Abs. 3 und 4 sowie die §§ 28 bis 30, 33 bis 36, 39 und 40 SGB VIII entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Personensorgeberechtigten, des Kindes oder des Jugendlichen der junge Volljährige tritt.
Der vom Gesetzgeber bewusst weit formulierte § 41 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII setzt grundsätzlich voraus, dass Defizite im Hinblick auf die Entwicklung des jungen Volljährigen hin zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit gegeben sind und es an der im Regelfall mit Erreichen des Volljährigkeitsalters gegebenen Selbstständigkeit in verschiedentlichen Lebensbereichen mangelt (vgl. von Koppenfels-Spies in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 2. Aufl., § 41 Rn. 9 f.). Die Hilfe für junge Volljährige knüpft an diese Defizite an und soll eine erkennbare Verbesserung der Persönlichkeitsentwicklung und Fähigkeit zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung erwarten lassen. Dass innerhalb eines bestimmten Zeitraums eine komplette Verselbstständig abzusehen ist, ist hingegen nicht vorauszusetzen (BVerwG, U.v. 23.9.1999 – 5 C 26.98 – juris Rn. 9f.).
Grundsätzlich unterliegt die Entscheidung über die Erforderlichkeit und Geeignetheit einer bestimmten Hilfemaßnahme nach ständiger verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung einem kooperativen, sozialpädagogischen Entscheidungsprozess unter Mitwirkung des betroffenen Hilfeempfängers und der Fachkräfte des Jugendamtes, welche nicht den Anspruch objektiver Richtigkeit erhebt, sondern nur eine angemessene Lösung zur Bewältigung der festgestellten Belastungssituation enthalten muss, die fachlich vertretbar und nachvollziehbar sein muss. Die verwaltungsgerichtliche Überprüfung hat sich in diesem Fall darauf zu beschränken, ob allgemeingültige fachliche Maßstäbe beachtet wurden, keine sachfremden Erwägungen eingeflossen und die Leistungsadressaten in umfassender Weise beteiligt worden sind. Die Entscheidung über die Geeignetheit und Notwendigkeit einer bestimmten Hilfemaßnahme ist damit gerichtlich nur auf ihre Vertretbarkeit hin überprüfbar (BayVGH, B.v. 21.2.2013 – 12 CE 12.2136 – juris Rn. 29 m.w.N.).
Vorliegend sind keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass der Beklagte seinen Beurteilungsspielraum in Hinblick auf die Geeignetheit und Notwendigkeit der gewährten Hilfemaßnahme überschritten hätte. Die Entscheidung erscheint vielmehr nach fachlichen Maßstäben vertretbar. Ohne Zweifel befand sich der Sohn der Klägerin vor Beginn der Jugendhilfemaßnahme in einer prekären Situation. Er war ohne eigene Wohnung und von Obdachlosigkeit bedroht, die Schule hatte er abgebrochen und ging keiner Arbeit nach, zu seiner Familie hatte er keinen oder nur sporadischen Kontakt. Zudem bat er das Jugendamt des Beklagten selbst um Hilfe und zeigte nach Angaben des Beklagten – zumindest anfangs – den erkennbaren Willen, am Erfolg der Jugendhilfemaßnahme mitzuarbeiten. Die Entscheidung des Beklagten, dem Sohn der Klägerin in dieser Situation nochmal „eine Chance zu geben“ und einen Neuanfang zu ermöglichen, ist daher, auch angesichts der dokumentierten massiven psychischen Probleme von J., nicht zu beanstanden.
An dieser Einschätzung ändert auch die Tatsache nichts, dass J. im Teenageralter bereits zwei Jugendhilfemaßnahmen abgebrochen hat. Wie bereits ausgeführt, muss eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass die Persönlichkeitsentwicklung des jungen Volljährigen und dessen Fähigkeit zur eigenverantwortlichen Lebensführung gefördert werden können und sich diese innerhalb eines gewissen Zeitraums spürbar verbessern. Lediglich wenn überhaupt keine Erfolgsaussicht besteht, nicht einmal Teilerfolge zu erwarten sind und die Persönlichkeitsentwicklung erkennbar stagniert, scheidet ein Leistungsanspruch nach § 41 SGB VIII von vornherein aus (vgl. BVerwG v. 23.09.1999 – 5 C 26/98 – juris; von Koppenfels-Spies in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 2. Aufl., § 41 Rn. 12). Von diesen Prämissen war hier, zumindest zunächst, nicht auszugehen, hatte sich J. doch mit – nach Angaben des Beklagten – glaubhaftem Wunsch nach Hilfe selbst an den Beklagten gewendet und zu Anfang auch alle Termine verlässlich eingehalten. Auch das Beginnen einer Ausbildung war zunächst als positives Signal zu werten. Als J. schließlich die Ausbildung abbrach und weder für die Jugendhilfeeinrichtung noch für den Beklagten erreichbar war, wurde die Hilfemaßnahme vom Beklagten sofort eingestellt. Beurteilungsfehler des Beklagten sind dabei vom Gericht nicht zu erkennen.
Auch die – von der Klägerin als zu hoch beanstandeten – Kosten der Jugendhilfemaßnahme erscheinen angemessen. Die zunächst für die Jugendpension ca. 4.900 EUR, für das Sozialpädagogische Jugendhaus ca. 5.600 EUR im Monat betragenden Kosten beruhen jeweils auf in Entgeltvereinbarungen nach § 78b SGB VIII festgelegten Tagessätzen und umfassen pädagogische und psychologische Versorgung, Unterkunft, Verpflegung und diverse Sonderposten. Angesichts der generellen Kostenintensität von Jugendhilfemaßnahmen und der umfassenden Versorgung und Betreuung, welche den in betreuten Wohnformen untergebrachten jungen Menschen zuteilwird, bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte dafür, dass die monatlichen Kosten zu hoch angesetzt worden sind.
Die Gewährung der Jugendhilfemaßnahme im genannten Zeitraum stellt sich daher insgesamt als rechtmäßig dar.
2. Die Klägerin ist auch zu Recht zu den Kosten herangezogen worden.
Zwar sieht § 94 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII vor, dass Eltern nachrangig zu den jungen Menschen herangezogen werden sollen. Die Heranziehung zu einem Kostenbeitrag kann jedoch grundsätzlich bis zur Höhe der tatsächlichen Kosten durchgesetzt werden. Soweit der junge Mensch die angefallenen Kosten also nicht selbst in vollem Umfang tragen kann, wird der in der Rangfolge nachfolgende Beitragspflichtige herangezogen bis insgesamt die tatsächlichen Aufwendungen des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe gedeckt sind (vgl. Schindler in Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 8. Aufl. 2019, § 94 Rn. 7).
Hier beliefen sich die Kosten für die Unterbringung von J. im betreuten Wohnen zunächst auf ca. 4.900 EUR und ab November 2017 auf ca. 5.600 EUR monatlich. In Ansehung der Kostenbeitragsverpflichtung des jungen Volljährigen nach §§ 92 Abs. 1 Nr. 2, 91 Abs. 1 Nr. 8 i.V.m. Nr. 5b), 93 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII wurde das von der Bundesagentur für Arbeit an J. zu zahlende Ausbildungsgeld von ca. 111 EUR monatlich ab 21. August 2017 direkt an den Beklagten abgeführt. Da damit die hohen monatlichen Kosten für die Jugendhilfemaßnahme bei weitem nicht gedeckt werden konnten, war auf die Klägerin (und separat hierzu auch auf den Kindsvater) zurückzugreifen. Eine Anrechnung des Ausbildungsgeldes auf den Kostenbeitrag der Klägerin – wie von der Klägerin gefordert – erfolgt nach oben beschriebener Systematik der Vorschriften zum Kostenbeitrag hingegen nicht.
Irrelevant ist in diesem Zusammenhang auch der Einwand der Klägerin, dass die Kosten für die Anschaffung neuer Möbel nicht zu ihren Lasten gehen dürften. Selbst wenn man die Kosten in Höhe von 566,98 EUR, die das Sozialpädagogische Jugendhaus N. dem Beklagten mit der Dezember-Abrechnung in Rechnung gestellt hat, aus den Kosten der Jugendhilfemaßnahme für diesen Monat herausrechnen würde, verblieben für den Monat Dezember 2017 Kosten in Höhe von 5.653,84 EUR. Die Höhe des von der Klägerin zu zahlenden Kostenbeitrag würde sich daher auch unter Berücksichtigung ihres Einwands nicht verringern.
3. Der Kostenbeitrag wurde zu Recht ab 12. Mai 2017 gefordert.
Nach § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII kann ein Kostenbeitrag bei Eltern, Ehegatten und Lebenspartnern erst ab dem Zeitpunkt erhoben werden, ab welchem dem Pflichtigen die Gewährung der Leistung mitgeteilt und er über die Folgen für seine Unterhaltspflicht gegenüber dem jungen Menschen aufgeklärt wurde. Bei dieser Informations- und Aufklärungspflicht handelt es sich um eine Tatbestandsvoraussetzung für die Erhebung des Kostenbeitrags; erst wenn der Jugendhilfeträger dieser Pflicht genügt hat, kann ein solcher erhoben werden (vgl. BayVGH, B. v. 17.7.2018 – 12 C 15.2631 – juris Rn. 6). Zweck dieser Regelung ist primär, dem Kostenbeitragspflichtigen die Möglichkeit zur Vermögensdisposition im Hinblick auf die drohende Beitragspflicht zu eröffnen und ihn vor doppelter Inanspruchnahme durch gleichzeitige Zahlung von Unterhalt und Kostenbeitrag zu schützen (vgl. BVerwG, U.v. 11.10.2012 – 5 C 22/11 – juris Rn. 12; BT-Drs. 15/3676, S. 41).
Vorliegend hat der Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 5. Mai 2017 darüber informiert, dass ihrem Sohn J. Jugendhilfe gemäß §§ 41 i.V.m. 34 SGB VIII in Form von Heimerziehung gewährt werde und die Klägerin zu den hierdurch entstehenden Aufwendungen einen Kostenbeitrag zu leisten habe. Des Weiteren wies der Beklagte die Klägerin darauf hin, dass ihre Unterhaltspflicht für die Dauer der Jugendhilfemaßnahme in dem Umfang entfalle, in welchem der junge Mensch diese Hilfe erhalte. Der Aufklärungs- und Informationspflicht des § 92 Abs. 3 SGB VIII wurde damit ausreichend Rechnung getragen.
Das Schreiben des Beklagten vom 5. Mai 2017 wurde nachweislich am 8. Mai 2017 als einfacher Brief zur Post gegeben und gilt gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X am dritten Tag nach Aufgabe zur Post, hier am 11. Mai 2017, als der Klägerin zugestellt. Eine Kostenbeitragsverpflichtung der Kläger konnte sich – den obigen Ausführungen entsprechend – daher erst ab dem 12. Mai 2017 ergeben.
Der ursprüngliche Kostenbeitragsbescheid vom 6. Juni 2020 wurde vom Beklagten daher richtigerweise mit Teilabhilfebescheid vom 21. September 2017 dahingehend korrigiert, dass ein Kostenbeitrag erst ab dem 12. Mai 2017 erhoben werden sollte.
4. Des Weiteren ist die vom Beklagten vorgenommene Berechnung der Höhe des Kostenbeitrags in Höhe von 289 EUR im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Nach § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII sind die Kostenbeitragspflichtigen aus ihrem Einkommen in angemessenem Umfang zu den Kosten heranzuziehen. Die Berechnung des Einkommens richtet sich dabei nach § 93 SGB VIII. So legt § 93 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII zunächst fest, welche Einnahmen bei der Ermittlung des Kostenbeitrags als Einkommen anzusehen sind. Von diesem sind die in Abs. 2 der Vorschrift genannten Beträge abzusetzen. Das so ermittelte Nettoeinkommen ist schließlich gemäß § 93 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII um weitere individuelle Belastungen zu bereinigen, was nach § 93 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII in der Regel durch eine Kürzung des errechneten Betrags um pauschal 25% erfolgt. Maßgeblich ist dabei gemäß § 93 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII stets das durchschnittliche Monatseinkommen, das die kostenbeitragspflichtige Person in dem Kalenderjahr erzielt hat, welches dem jeweiligen Kalenderjahr der Leistung oder Maßnahme vorangeht. Der genaue Umfang der Heranziehung bemisst sich sodann nach § 94 Abs. 5 SGB VIII entsprechend der Verordnung zur Festsetzung der Kostenbeiträge für Leistungen und vorläufige Maßnahmen in der Kinder- und Jugendhilfe (Kostenbeitragsverordnung – KostenbeitragsV). Dabei richtet sich die Höhe des Kostenbeitrags nach der Einordnung in eine der Einkommensgruppen in Spalte 1 der Anlage der KostenbeitragsV. Zuletzt ist anhand einer unterhaltsrechtlichen Vergleichsberechnung zu prüfen, ob der Kostenbeitrag gemäß § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII angemessen ist. Dies ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, U.v. 19.8.2010 – 5 C 10/09 – BVerwGE 137, 357) dann der Fall, wenn dem erwerbstätigen Beitragspflichtigen zumindest der so genannte unterhaltsrechtliche Selbstbehalt belassen wird.
Entgegen der Auffassung des Beklagten sind die von der Klägerin nachgewiesenen Kosten für eine Berufsunfähigkeitsversicherung nach § 93 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII bei der Berechnung und die Kosten für zwei Lebensversicherungen nach § 93 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII bei der Bereinigung des Einkommens zu berücksichtigen. Auf die Höhe des zu zahlenden Kostenbeitrags zeitigt dies jedoch keine Auswirkungen.
Nach § 93 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII sind Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen zur Absicherung der Risiken Alter, Krankheit, Pflegebedürftigkeit und Arbeitslosigkeit von dem nach Abs. 1 berechneten Einkommen abzusetzen. Die Regelung ist hinsichtlich der Aufzählung der versicherten Risiken und der dementsprechend abzugsfähigen Versicherungsleistungen abschließend. Versicherungen, die andere Risiken absichern bzw. anderen Zwecken dienen, werden daher nach § 93 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII nicht berücksichtigt (vgl. NdsOVG, B v. 2.8.2012 – 4 LA 113.11 – juris Rn. 15). Eine Berücksichtigung setzt des Weiteren bei freiwilligen Versicherungen voraus, dass sie einem vorausplanenden Bürger, der kein überzogenes Sicherheitsbedürfnis hat, ratsam erscheinen (vgl. Loos in Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 93 Rn. 21).
Nach diesen Maßstäben sind die Kosten für die Berufsunfähigkeitsversicherung gemäß § 93 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII von dem Einkommen der Klägerin abzusetzen. Versichertes Risiko bei der Berufsunfähigkeitsversicherung ist der Wegfall der Berufsfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen (Risiko: Krankheit, Arbeitslosigkeit) und wird damit von der Vorschrift umfasst (so auch VG Augsburg, U. v. 24.7.2007 – Az. Au 3 K 07.00037 – juris Rn. 26). Auch ist nicht zu erkennen, dass der Abschluss einer solchen Versicherung einem überzogenen Sicherheitsbedürfnis entsprechen würde; die Berufsunfähigkeitsversicherung ist vielmehr eine Standard-Versicherung, die auch bei Nicht-Risikoberufen sinnvoll erscheint.
Demnach war der Jahresbeitrag in Höhe von 465,36 EUR (= 12 x 38,78 EUR) vom Nettoerwerbseinkommen der Klägerin (s. Punkt 1.3 Kostenbeitragsberechnung) in Abzug zu bringen. Das Gesamteinkommen der Klägerin im Jahr 2016 (Punkt 1.5 Kostenbeitragsberechnung) belief sich folglich auf 29.745,36 EUR.
Das von den Lebensversicherungen der Klägerin abgesicherte Risiko „Tod“ ist hingegen von der Aufzählung des § 93 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII nicht umfasst. Aus Sicht des Gerichts sind diese jedoch als außergewöhnliche Belastungen im Rahmen der Einkommensbereinigung nach § 93 Abs. 3 SGB VIII zu berücksichtigen.
Gemäß § 93 Abs. 3 SGB VIII sind von dem berechneten Einkommen Belastungen der kostenbeitragspflichtigen Person abzuziehen. Hierbei wird ein Pauschalbetrag von 25% des Einkommens angesetzt, sofern nicht höhere Belastungen nachgewiesen sind.
Gemäß § 93 Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 SGB VIII kommen als berücksichtigungsfähige Belastungen insbesondere Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen in Betracht. Angesichts des durchschnittlichen Einkommens der Klägerin und des generell niedrigen Rentenniveaus erscheint ein Abzug der Kosten für die beiden Lebensversicherungen der Klägerin insbesondere zum Zwecke der Altersvorsorge grundsätzlich gerechtfertigt.
Letztlich kann dies jedoch vorliegend dahinstehen, da selbst bei Berücksichtigung der monatlichen Kosten in Höhe von 33,33 EUR (Jahresbetrag: 399,96 EUR) zuzüglich der anderen von der Klägerin nachgewiesenen Belastungen in Höhe von 4.391,19 EUR (s. Punkt 2.3 Kostenbeitragsberechnung) der Pauschalbetrag von 25% des Nettoeinkommens nicht überstiegen wird.
Der Pauschalbetrag von 25% beläuft sich unter Berücksichtigung des Abzugs der Berufsunfähigkeitsversicherung auf 7.436,34 EUR. Da die Summe der nachgewiesenen Belastungen auch einschließlich der Lebensversicherungen (4.391,19 EUR + 399,96 EUR = 4.791,15 EUR) diesen insgesamt nicht übersteigt, war zugunsten der Klägerin der Pauschalbertrag anzusetzen.
Somit errechnet sich ein durchschnittliches Monatseinkommen von 1.859,09 EUR, welches zur Eingruppierung der Klägerin in Einkommensgruppe 7 der Kostenbeitragstabelle der Anlage zur KostenbeitragsV führt. Da die Klägerin jedoch im gleichen Rang (§ 1609 Nr. 1 BGB) auch gegenüber ihrem minderjährigen Sohn Ja. zum Unterhalt verpflichtet war und auch mit diesem in einem gemeinsamen Haushalt lebte, ist gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 der KostenbeitragsV eine Herabstufung um eine Stufe in die Kostenbeitragsstufe 6 – wie auch im streitgegenständlichen Bescheid – vorzunehmen. Der Kostenbeitrag beträgt daher 289 EUR.
Die Belastungen für den anderen Sohn der Klägerin, Ja., in Form von Schulgeld und Fahrtkosten (Punkt 2.2.3 Kostenbeitragsberechnung), wurden vom Beklagten zurecht nur zur Hälfte angesetzt.
Nach § 93 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII ist das durchschnittliche Monatseinkommen des Kostenbeitragspflichtigen im Kalenderjahr vor der Leistung oder der Maßnahme zugrunde zu legen. Dies führt dazu, dass damit einhergehend auch nur die Belastungen des Vorjahres berücksichtigt werden können. Die Änderung in den Einkommensverhältnissen der Klägerin betreffend den Wegfall des Kindesunterhalts und des Schulgelds sowie die geänderten MVV-Kosten trat vorliegend erst ab September 2017 ein und konnte demnach für den Kostenbeitragsbescheid für das Jahr 2017 nicht berücksichtigt werden. Eine Berücksichtigung im Rahmen der Kostenbeitragsberechnung im Jahr 2018 kommt zwar grundsätzlich in Betracht, konnte jedoch im vorliegenden Fall nicht erfolgen, da die Klägerin auf die Aufforderung des Beklagten zur Selbstauskunft vom 10. April 2018 keine Nachweise für das Jahr 2017 einreichte.
Der Kostenbeitrag in Höhe von 289 EUR ist auch angemessen, § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII.
Gemäß der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Heranziehung zu einem jugendhilferechtlichen Kostenbeitrag nur dann im Sinne von § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII angemessen, wenn dem (erwerbstätigen) Beitragspflichtigen zumindest der sog. unterhaltsrechtliche Selbstbehalt belassen wird. Für die Konkretisierung der Zumutbarkeitsgrenze auch der kostenbeitragsrechtlichen Leistungsfähigkeit ist es jedenfalls verfassungsrechtlich statthaft – sofern nicht Besonderheiten des Einzelfalles eine Abweichung bedingen -, auf die in den unterhaltsrechtlichen Leitlinien festgelegten (an der sog. Düsseldorfer Tabelle orientierten) und grundsätzlich (etwas) über dem Sozialhilfebedarf liegenden Selbstbehaltsätze abzustellen (BVerwG, U.v. 19.8.2010 – 5 C 10/09 – juris Rn. 16, 22).
Dementsprechend können vorliegend die von den Familiensenaten der süddeutschen Oberlandesgerichte verwendeten Leitlinien (Süddeutsche Leitlinien – SüdL -, Stand 2016), als Orientierung herangezogen werden (vgl. BVerwG, a.a.O., Rn. 24 ff.).
Die Klägerin hat geltend gemacht, dass ihr Selbstbehalt anzupassen sei, da sich ihre Kosten für Unterkunft und Heizung auf monatlich 912 EUR beliefen, in dem von den „unterhaltlichen Leitlinien des OLG München“ (damit gemeint wohl die SüdL) vorgesehenen Selbstbehalt jedoch diesbezüglich nur 450 EUR enthalten seien.
Gemäß 21.3.1 SüdL beträgt der zu verbleibende Selbstbehalt gegenüber J. als volljährigem Kind 1.300 EUR. In diesem Betrag sind Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 450 EUR enthalten.
Auch besteht grundsätzlich gemäß 21.5.2 SüdL die Möglichkeit, den Selbstbehalt zu erhöhen, wenn konkret eine erhebliche und nach den Umständen nicht vermeidbare Überschreitung der in den einzelnen Selbstbehalten enthaltenen angeführten Wohnkosten dargelegt wird.
Wird die Wohnung allerdings von mehreren Personen genutzt, ist der Wohnkostenanteil des Pflichtigen festzustellen. Bei Erwachsenen geschieht die Aufteilung in der Regel nach Köpfen. Kinder sind vorab mit einem Anteil von 20% ihres Anspruchs auf Barunterhalt zu berücksichtigen.
Im streitgegenständlichen Zeitraum bewohnte die Klägerin ihre Wohnung gemeinsam mit ihrer volljährigen Tochter, die bereits einer bezahlten Beschäftigung nachging und für die keine Unterhaltspflicht mehr bestand, und dem minderjährigen Sohn Ja. Teilt man die 912 EUR Mietkosten für die von der Klägerin und ihren zwei Kindern bewohnte Wohnung nach Köpfen auf und zieht vorab 20% eines (fiktiven) Barunterhaltsanspruch von Ja. gegen die Klägerin ab, entfallen auf die Klägerin sogar weniger als 450 EUR Mietkosten. Eine Erhöhung des Selbstbehalts nach 21.5.2 SüdL war vorliegend also nicht vorzunehmen.
5. Obige Ausführungen gelten für das Jahr 2017 und das Jahr 2018 gleichermaßen.
Im streitgegenständlichen Bescheid des Beklagten vom 6. Juni 2017 wird eine Kostenbeitragsverpflichtung der Klägerin „für die Dauer der gewährten Hilfe“ ausgesprochen und auf die jährlich erfolgende Überprüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse bei länger laufenden Leistungen hingewiesen. Die Kostenbeitragsverpflichtung ist vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe jährlich zu überprüfen, da für die Berechnung der Beitragshöhe gemäß § 93 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII jeweils das durchschnittliche Monatseinkommen maßgeblich ist, welches die kostenbeitragspflichtige Person in dem vorangegangenen Kalenderjahr erzielt hat. Jedoch erscheint eine vorläufige Fortgeltung des ursprünglichen Bescheids bis zur erfolgten Neuberechnung sachgerecht. Diese „zukunftsoffene“ Geltung des Bescheids ist grundsätzlich nicht zu beanstanden (vgl. Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 7. Auflage 2018, § 92 Rn. 9; VGH BW, B.v. 8.4.2019 – 12 S 1899/18 – juris Rn. 22), zumindest solange eine regelmäßige Überprüfung der Einkommensverhältnisse tatsächlich erfolgt. Vorliegend hat der Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 10. April 2018 aufgefordert, entsprechende Einkommensnachweise des Jahres 2017 zum Zwecke der Überprüfung des Kostenbeitrags vorzulegen, was die Klägerin zunächst unter Verweis auf das laufende Klageverfahren ablehnte. Die für das Jahr 2018 dementsprechend bisher lediglich vorläufig festgesetzten Kostenbeiträge sind daher ebenfalls nicht zu beanstanden.
Der Bescheid der Beklagten stellt sich somit als rechtmäßig dar, so dass die Klage abzuweisen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 1 VwGO gerichtskostenfrei.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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