Sozialrecht

Höhe der Regelaltersrente – Vertriebenenausweis

Aktenzeichen  L 19 R 153/13

Datum:
15.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 144355
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB I § 56 Abs. 1 Nr. 1
SGB VI § 149 Abs. 5, § 256 b Abs. 1 S. 1, § 300 Abs. 1
SGG § 73 Abs. 2 S. 2 Nr. 2, Abs. 6 S. 3

 

Leitsatz

Über die Anrechnung und Bewertung der im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten wird erst bei Feststellung einer Leistung entschieden (§ 149 Abs. 5 Satz 3 SGB VI).

Verfahrensgang

S 18 R 4095/05 2012-11-28 Urt SGNUERNBERG SG Nürnberg

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 28.11.2012 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 14.03.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.11.2002 abgewiesen.
II. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 28.11.2012 wird zurückgewiesen.
III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden (§§ 143, 144, 151 SGG). Ebenso ist die selbständige Anschlussberufung der Beklagten zulässig.
Eine Unterbrechung des Verfahrens ist durch den Tod der Versicherten entgegen der Auffassung der Beklagten nicht eingetreten. Insoweit ist auch eine Aussetzung des Verfahrens bis zur Fortsetzung durch den Rechtsnachfolger nicht notwendig:
Der Kläger hat die Versicherte im Verfahren nach § 73 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 iVm Abs. 6 S. 3 SGG vertreten. Eine Unterbrechung durch den Tod der Partei tritt nur dann ein, wenn diese keinen Prozessbevollmächtigten hat. Im sozialgerichtlichen Verfahren und im Verfahren vor dem Landessozialgericht kann aber ein volljähriger Familienangehöriger Prozessbevollmächtigter sein.
Der Kläger ist – wie aus dem Erbschein des Amtsgerichts S-Stadt eindeutig hervorgeht – zwar nicht Erbe der Versicherten im Sinne der §§ 1922 ff. Bürgerliches Gesetzbuch geworden. Er ist aber als Sonderrechtsnachfolger nach § 56 Abs. 1 Nr. 1 SGB I anzusehen. § 56 Abs. 1 SGB I sieht vor, dass fällige Ansprüche auf laufende Geldleistungen beim Tod des Versicherten dem Ehegatten zustehen, wenn dieser mit dem Berechtigten zur Zeit seines Todes in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hat oder von ihm wesentlich unterhalten worden ist. Da hier die erstmalige Bewilligung der Regelaltersrente mit Bescheid vom 14.03.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.11.2002 streitgegenständlich ist und der Kläger eine höhere Regelaltersrente ab Beginn dieser Rente am 01.05.1996 bis zum Tod der Versicherten am 31.01.2012 geltend macht, geht es um im Zeitpunkt des Todes der Versicherten gegebenenfalls zustehende, fällige Ansprüche auf laufende Geldleistungen. Es ist deshalb ausreichend, dass der Kläger als Sonderrechtsnachfolger nach § 56 Abs. 1 Nr. 1 SGB I die Fortführung des Rechtsstreits gegenüber dem Sozialgericht erklärt hat.
Die Berufung der Beklagten ist begründet. Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Unrecht zur Berücksichtigung höherer Entgelte entsprechend dem Vormerkungsbescheid vom 15.10.1982 für die angefochtenen Zeiträume verurteilt. Das Sozialgericht hat in seinem Urteil vom 28.11.2012 selbst zutreffend darauf hingewiesen, dass ein Vormerkungsbescheid über rentenrechtlich relevante Zeiten im Sinne des § 149 Abs. 5 SGB VI eine Bindungswirkung hinsichtlich des Umfang und der rentenrechtlichen Qualität der zurückgelegten Zeiten entfaltet. Hierzu gehört grundsätzlich auch die Entgelthöhe. Gemäß § 149 Abs. 5 S. 3 SGB VI wird aber über die Anrechnung und Bewertung der im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten erst bei Feststellung einer Leistung entschieden.
Das Sozialgericht hat bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt, dass die Beklagte im streitgegenständlichen Bescheid vom 14.03.2002 ausdrücklich die Bescheide vom 03.08.1981, 15.10.1982 und 15.12.1982 aufgehoben hat, soweit diese nicht mehr dem geltenden Recht entsprechen, nachdem die Vorschriften über rentenrechtliche Zeiten zum Teil aufgehoben bzw. abgeändert worden sind. Insbesondere sei die Bewertung der Zeiten neu geregelt worden. Die Aufhebung dieser Bescheide erfolgte nach § 149 Abs. 5 S. 2 SGB VI. Der streitgegenständliche Bescheid vom 14.03.2002, aus dem sich die Aufhebung dieser Bescheide eindeutig ergibt, hat dem Sozialgericht offensichtlich im Wortlaut nicht vorgelegen.
Die Beklagte hat in ihrer Berufungsbegründung zutreffend auf die ab 01.01.1992 geltende geänderte Regelung des § 256b Abs. 1 S. 1, 2. Hs. SGB VI hingewiesen, wonach nicht mehr volle Monate und entsprechend das volle Entgelt für diese Zeit zu berücksichtigen ist, sondern für jeden Teilzeitraum nur noch der entsprechende Anteil zugrunde zu legen ist.
Eine entsprechende Regelung findet sich in § 26 FRG, wonach dann, wenn Beitrags- und Beschäftigungszeiten nur für einen Teil eines Kalenderjahres zu berücksichtigen wären, bei Anwendung des § 22 Abs. 1 FRG die Entgeltpunkte nur anteilsmäßig zu berücksichtigen sind. Sämtliche Zeiten, die das Sozialgericht beanstandet hat, sind Zeiten, in denen nicht volle Monate belegt waren, sondern nur Zeitabschnitte, so dass das Entgelt entsprechend zu kürzen war.
Zudem hat die Beklagte zutreffend darauf hingewiesen, dass diese Änderungen bereits in den Vormerkungsbescheiden vom 16.08.1995 und 17.07.1997 korrigiert und die bis dahin bestehenden Vormerkungsbescheide abgeändert wurden.
Da es sich bei der – hier streitigen – Festsetzung der Regelaltersrente um die erstmalige Festsetzung dieser Altersrente handelt, ist gemäß § 300 Abs. 1 SGB VI auch das im Zeitpunkt der Entstehung des Leistungsanspruchs geltende Recht anzuwenden. Ein Fall des § 300 Abs. 3 SGB VI liegt gerade nicht vor, da hier nicht die Neufeststellung der zuvor bezogenen Erwerbsunfähigkeitsrente erfolgt ist. Ein entsprechend daraus resultierender Vertrauensschutz der Versicherten auf Übernahme der Entgelte aus der Erwerbsunfähigkeitsrente besteht deshalb nicht. Auch ein Vertrauensschutz der Versicherten über § 88 SGB VI ist nicht möglich, weil die Rechtsänderung bereits noch während des Bezugs der Erwerbsunfähigkeitsrente mit dem Bescheid vom 24.03.1992 umgesetzt wurde, ohne dass dies zu nachteiligen Änderungen beim laufenden Bezug der Erwerbsunfähigkeitsrente der Versicherten führte. Die Umsetzung des ab dem 01.01.1992 geltenden Rechts der Rentenberechnung unter Zugrundelegung von Entgeltpunkten (64 ff. SGB VI) ist bei der Neufeststellung der Altersrente unter Aufhebung entgegenstehender Vormerkungsbescheide, die auch ausdrücklich genannt wurden, rechtlich deshalb nicht zu beanstanden.
Die weiteren vom Kläger gewünschten und vom Sozialgericht abgelehnten Korrekturen rentenrechtlicher Zeiten sind nicht zu beanstanden. Entsprechende Nachweise dieser Zeiten sind von der Versicherten nicht erbracht worden. Insoweit wird von einer Begründung der Entscheidung nach § 153 Abs. 2 SGG abgesehen und auf die Entscheidungsgründe des Sozialgerichts Nürnberg in seinem Urteil vom 28.11.2012 verwiesen.
Die Berufung des Klägers ist nicht begründet.
Wie oben bereits ausgeführt, hat das Sozialgericht die weiteren vom Kläger angefochtenen Zeiten zutreffend nicht anerkannt, soweit sich diese auf den Altersrentenbescheid, der hier streitgegenständlich ist, bezogen haben. Im Hinblick auf die Fremdrentenzeiten der Versicherten ist zwischen glaubhaft gemachten und nachgewiesenen Zeiten im Sinne des § 22 Abs. 3 FRG zu differenzieren. Ein Nachweis der streitigen Zeiten ist nicht erfolgt und kann durch eine eidesstattliche Versicherung des Versicherten selbst nicht ersetzt werden. Unwesentlich ist auch, ob bei Bekannten der Versicherten eine andere Bewertung von Zeiten vorgenommen worden sein könnte, die sich gegebenenfalls aus Besonderheiten in deren Versicherungsverlauf ergeben könnte.
Soweit der Kläger eine Abänderung der Festsetzungen und der Berechnung der Höhe der Erwerbsunfähigkeitsrente möchte und auf § 44 SGB X hinweist, ist dies hier nicht streitgegenständlich. Es kann dahingestellt bleiben, ob ein solcher Antrag nach § 44 SGB X überhaupt dem Sonderrechtsnachfolger nach § 56 Abs. 1 SGB I zustehen könnte (so etwa Wagner, in: juris PK SGB I, § 56 Rdnr 32), jedenfalls hat die Beklagte bislang nicht über einen Antrag nach § 44 SGB X entschieden. Eine solche Entscheidung würde nach § 96 SGG auch nicht zum Gegenstand dieses Rechtsstreits.
Nach alledem war auf die Berufung der Beklagten hin das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 28.11.2012 aufzuheben, soweit darin eine Verurteilung der Beklagten erfolgt ist und die Klage gegen den Bescheid vom 14.03.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.11.2002 abzuweisen. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 28.11.2012 war zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn 1 und 2 zuzulassen, liegen nicht vor.

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