Aktenzeichen L 9 EG 16/16
SGB X § 44, § 48
BEEG § 1 Abs. 8, § 2c Abs. 1 S. 2
Leitsatz
Verfahrensgang
S 49 EG 44/15 2016-04-08 Urt SGMUENCHEN SG München
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 8. April 2016 abgeändert und der Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 11. Dezember 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. März 2015 verurteilt, den Bescheid vom 3. April 2014 abzuändern und der Klägerin für die Zeit bis einschließlich 31. Dezember 2014 höheres Elterngeld unter Berücksichtigung der im August 2014 erhaltenen Nachzahlung von Arbeitsentgelt für die Monate September bis November 2013 zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen zu vier Fünftel.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die Klägerin hat mit ihrer Berufung zwar nicht vollen, jedoch zu einem großen Teil Erfolg.
Die Berufung ist zulässig. Überwiegend ist sie auch begründet. Das Sozialgericht hat die Klage insofern zu Unrecht abgewiesen, als höhere Leistungen für die Zeit bis einschließlich 31.12.2014 in Streit gestanden haben; im Übrigen ist die Klageabweisung zu Recht erfolgt.
Der Rechtsstreit betrifft ein von der Klägerin eingeleitetes Verfahren zur Änderung der ursprünglichen Leistungsbewilligung. Streitgegenstand ist der die gewünschte Änderung ablehnende Bescheid vom 11.12.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.03.2015. Da der Bewilligungsbescheid vom 03.04.2014 nicht nur vorläufig ausgesprochen war, steht hier nicht der Erlass einer endgültigen nach vorläufiger Entscheidung inmitten. Im Hinblick auf die Höhe des Elterngelds nach Eintritt der relevanten tatsächlichen Änderung ist der Streitgegenstand nicht auf einzelne Berechnungselemente beschränkt. Vielmehr prüft der Senat innerhalb der Grenzen des klägerischen Antrags unter allen tatsächlichen und rechtlichen Facetten, inwieweit der Klägerin höhere Leistungen zustehen. Andererseits berücksichtigt der Senat auch solche Aspekte, die das von der Klägerin begehrte Optimum auf anderem Weg wieder reduzieren.
Der Klägerin stehen höhere Elterngeldleistungen zu, soweit die Leistungen dem Jahr 2014 zuzuordnen sind, nicht aber für Zeiträume im Jahr 2015. Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin, rückwirkend höhere Leistungen zuerkannt zu erhalten, ist § 48 SGB X; der Beklagte hat zu Unrecht § 44 SGB X als Ausgangsnorm herangezogen (vgl. zum vergleichbaren Abgrenzungsproblem beim Arbeitslosengeld BSG, Urteil vom 21.03.1996 – 11 RAr 101/94).
Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Dauerverwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Hierin spiegelt sich die Abgrenzung zu § 44 SGB X wider. Während § 44 SGB X die Fälle der anfänglichen Rechtswidrigkeit erfasst, betrifft § 48 SGB X Dauerverwaltungsakte, die bei ihrem Erlass rechtmäßig waren und deren Unvereinbarkeit mit dem Gesetz erst nachträglich aufgrund einer Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen eingetreten ist. Der Bewilligungsbescheid vom 03.04.2014 ist nicht im Sinn von § 44 SGB X von Anfang an rechtswidrig gewesen. Denn zum Zeitpunkt seines Erlasses war nicht absehbar, dass später eine Nachzahlung von Arbeitsentgelt für den Bemessungszeitraum erfolgen würde.
Die Klägerin macht hier vielmehr eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen nach Erlass der Bewilligungsentscheidung geltend, so dass § 48 SGB X grundsätzlich einschlägig ist. Ohne Zweifel handelt es sich bei der Bewilligung von Elterngeld für zwölf Monate um einen Dauerverwaltungsakt.
Eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen im Sinn von § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X vermag der Senat nur insoweit festzustellen, als Leistungen für den Zeitraum 07.02. bis 31.12.2014 betroffen sind, nicht dagegen für die Zeit danach.
Dabei erfüllt die Klägerin die Voraussetzungen dem Grunde nach durchgängig. Sie hatte während des gesamten Bezugszeitraums ihren Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, lebte mit M. in einem Haushalt, betreute und erzog sie selbst und übte entsprechend ihrer Ankündigung im Elterngeldantrag während des Bezugszeitraums keine Erwerbstätigkeit aus. Ein ordnungsgemäßer Antrag lag vor. Der Ausschlusstatbestand des § 1 Abs. 8 BEEG ist nicht erfüllt, weil das zu versteuernde Einkommen beider Elternteile zusammen im letzten abgeschlossenen Veranlagungszeitraum vor der Geburt deutlich unter 500.000 EUR blieb.
Im Hinblick auf die Höhe des elterngeldrechtlich zu berücksichtigenden Arbeitsentgelts hat die Klägerin insoweit Unrecht, als sie behauptet, mit der Nachzahlung im August 2014 sei der Bezug von Arbeitslosengeld quasi rückabgewickelt worden. Von 27.09. bis 15.12.2013 bezog die Klägerin die steuerfreie Sozialleistung Arbeitslosengeld und dabei blieb es auch; das Arbeitslosengeld zählt nicht zum Bemessungseinkommen (vgl. BSG, Urteil vom 17.02.2011 – B 10 EG 21/09 R). Mit der Leistung von Arbeitslosengeld war der entsprechende arbeitsrechtliche Anspruch der Klägerin auf Arbeitsentgelt gegen ihre Arbeitgeberin kraft Gesetzes auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangen (§ 115 Abs. 1 SGB X). Insoweit hatte die Klägerin den Anspruch auf Arbeitsentgelt unwiederbringlich verloren. Angesichts dessen fand die von ihr so titulierte „Rückabwicklung“ nicht statt. Der Insolvenzverwalter befriedigte vielmehr den auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangenen Anspruch auf Arbeitsentgelt. Dabei handelte es sich um eine Erfüllung, die ausschließlich das Rechtsverhältnis zwischen der Arbeitgeberin und der Bundesagentur betraf. Bemessungsrelevant ist von vornherein nur der Teil des nachgezahlten Arbeitsentgelts, der als „Differenzlohn“ an die Klägerin ausgezahlt wurde. Demgemäß darf der in der Verdienstabrechnung 08/2014 genannte Betrag von 8.953,33 EUR keinesfalls als Basis für die Elterngeldberechnung herangezogen werden. Der maßgebliche Bruttobetrag ist vielmehr abzüglich des gezahlten Arbeitslosengelds zu bestimmen.
Dagegen ist für die Phase des von der Bundesagentur für Arbeit mitgeteilten Bezugs von Insolvenzgeld (01.07. bis 26.09.2013) das Arbeitsentgelt voll als Bemessungseinkommen zu behandeln. Denn die Klägerin hat währenddessen ihre Bezüge über eine Vorfinanzierung im Sinn von § 170 Abs. 4 des Dritten Buchs Sozialgesetzbuch weitererhalten; diese wurden ganz normal versteuert. Insolvenzgeld, das als solches nicht bemessungsrelevant ist (vgl. BSG, Urteil vom 21.02.2013 – B 10 EG 12/12 R), hat nicht sie selbst bezogen, sondern die vorfinanzierende Bank.
Die angesprochene Unterscheidung des Senats zwischen der Phase bis 31.12.2014 einerseits und der ab 01.01.2015 andererseits beruht darauf, dass sich zum 01.01.2015 – also während des vom 07.02.2014 bis 06.02.2015 dauernden Bezugszeitraums – das Elterngeldrecht signifikant geändert hat. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsänderung vermag sich die Nachzahlung im Hinblick auf die Zeit ab 01.01.2015 nicht mehr auf die Höhe des Elterngelds auszuwirken. Zum 01.01.2015 ist mit dem Elterngeld-Plus-Gesetz eine Rechtsänderung erfolgt, die gerade auch den hier einschlägigen § 2c Abs. 1 Satz 2 BEEG erfasst. Für die Phase 07.02 bis 31.12.2014 ist noch folgende Fassung von § 2c Abs. 1 Satz 2 BEEG einschlägig: Nicht berücksichtigt werden Einnahmen, die im Lohnsteuerabzugsverfahren als sonstige Bezüge behandelt werden.
Für die Phase 01.01. bis 06.02.2015 gilt dagegen diese: Nicht berücksichtigt werden Einnahmen, die im Lohnsteuerabzugsverfahren nach lohnsteuerrechtlichen Vorgaben als sonstige Bezüge zu behandeln sind.
Dass auf den vorliegenden Fall überhaupt zwei unterschiedliche Fassungen von § 2c Abs. 1 Satz 2 BEEG zur Anwendung kommen, ergibt sich aus der übergangsrechtlichen Vorschrift des § 27 Abs. 1 Satz 2 und 3 BEEG. Satz 2 normiert den Grundsatz, dass das neue Recht in Bezug auf die §§ 2 bis 22 BEEG (für § 1 BEEG trifft § 27 Abs. 1 Satz 1 BEEG eine besondere Regelung) erst für die Kinder Anwendung findet, die ab 01.07.2015 geboren worden sind. Für die im Februar 2014 geborene M. bedeutet das, dass grundsätzlich das bis 31.12.2014 geltende Recht für den gesamten Leistungszeitraum einschlägig ist. Satz 3 trifft jedoch speziell für § 2c Abs. 1 Satz 2 BEEG eine Sonderregelung. Danach gilt Satz 2 für jene Vorschrift nicht. Das führt dazu, dass der neue § 2c Abs. 1 Satz 2 BEEG nicht nur wie die übrigen Regelungen der § 2 bis 22 BEEG bei Kindern Anwendung findet, die nach dem 01.07.2015 geboren worden sind. Andererseits wird der vorliegende Leistungsfall nicht deswegen dem neuen Recht zur Gänze entzogen, weil M. noch vor dessen Inkrafttreten geboren wurde. Mangels einer § 27 Abs. 1 Satz 1 BEEG entsprechenden Regelung darf nicht davon ausgegangen werden, der neue § 2c Abs. 1 Satz 2 BEEG solle nur für nach dem 31.12.2014 geborene Kinder Wirkung entfalten. Vielmehr bleibt es bei der Grundregel des intertemporalen Rechts, dass neues Recht mit seinem Inkrafttreten auch auf bereits laufende, aber noch nicht abgeschlossene Sachverhalte anwendbar ist. Das wirkt sich für den vorliegenden Fall dahin aus, dass die ab 01.01.2015 erbrachten Leistungen nach dem neuen § 2c Abs. 1 Satz 2 BEEG zu beurteilen sind, die bis zum 31.12.2014 nach dem alten (vgl. dazu Senatsurteile vom 23.11.2017 – L 9 EG 10/16 und L 9 EG 27/16).
1. Phase 01.01. bis 06.02.2015 Für die Leistungsphase 01.01. bis 06.02.2015 muss die Nachzahlung als sonstige Bezüge im Sinn von § 2c Abs. 1 Satz 2 BEEG behandelt werden. Daher darf sie nicht bei der Bemessung des Elterngelds berücksichtigt werden mit der weiteren Folge, dass es an einer nachträglichen wesentlichen Änderung der Tatsachenlage im Sinn von § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X fehlt.
Lohnsteuerrechtlich hat der Insolvenzverwalter die Nachzahlung zweifellos zutreffend als sonstige Bezüge deklariert und versteuert. Insoweit gilt es zu beachten, dass mit der Neuregelung von § 2c Abs. 1 Satz 2 BEEG eine grundlegend veränderte BSG-Rechtsprechung gegenüber dem rechtlichen Status vorher einhergeht (BSG, Urteile vom 14.12.2017 – B 10 EG 4/17 R und B 10 EG 7/17 R; vgl. zur Interpretation der neuen BSG-Rechtsprechung Senatsurteil vom 08.03.2018 – L 9 EG 66/15).
Wesentlich an dieser neuen Rechtsprechung ist, dass die Abgrenzung der sonstigen Bezüge vom laufenden Arbeitslohn sich einzig und allein nach dem Lohnsteuerrecht richtet. Jegliche elterngeldrechtlichen Modifikationen im Rahmen dieser Abgrenzung sind ausgeschlossen. Das bedeutet aber, dass auch der Zufluss des Einkommens ausschließlich steuerrechtlich zu beurteilen ist. Maßgeblich ist demnach nicht ein wie auch immer geartetes elterngeldrechtliches Zuflussprinzip (wie es die BSG-Rechtsprechung früher vertreten hatte), sondern das einkommensteuerrechtliche, also ein strenges Zuflussprinzip. Der Streit, ob im Elterngeldrecht für Einkommen aus nichtselbständiger Tätigkeit immer noch das modifizierte oder mittlerweile ein strenges Zuflussprinzip gilt, ist im Hinblick auf Nachzahlungen bedeutungslos geworden, soweit es um Leistungszeiträume ab 01.01.2015 geht. Im vorliegenden Fall darf angesichts dessen nicht fingiert werden, die Nachzahlung sei in den jeweiligen Monaten zugeflossen, in denen das Arbeitsentgelt fällig war (September, Oktober und November 2013). Vielmehr erfolgte der – allein maßgebliche – Zufluss im lohnsteuerrechtlichen Sinn erst im August 2014.
2. Phase 07.02. bis 31.12.2014 Im Unterschied dazu hat man für die erste Leistungsphase (07.02. bis 31.12.2014) von laufendem Arbeitslohn auszugehen mit der Folge, dass die Nachzahlung bemessungsrelevant ist und deswegen eine nachträgliche wesentliche Änderung der Tatsachenlage im Sinn von § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X vorliegt. Denn auf der Grundlage des bis zum 31.12.2014 geltenden § 2c Abs. 1 Satz 2 BEEG in Verbindung mit der älteren BSG-Rechtsprechung ist der Zufluss der Nachzahlung im vorliegenden Fall abweichend von der lohnsteuerrechtlichen Zuflusstheorie zu bestimmen.
Aus den BSG-Urteilen vom 14.12.2017 – B 10 EG 4/17 R und B 10 EG 7/17 R geht hervor, dass die neue Rechtsprechung untrennbar mit der Änderung von § 2c Abs. 1 Satz 2 BEEG zum 01.01.2015 verknüpft ist (vgl. nur Urteil vom 14.12.2017 – B 10 EG 7/17 R, Rn. 25 a.E.: „Unter der neuen Gesetzesfassung …“). Das lässt die bis dato herrschende Rechtsprechung nicht als von Anfang an falsch, sondern quasi durch nachträglichen Eintritt veränderter rechtlicher Rahmenbedingungen hinfällig erscheinen (vgl. dazu Senatsurteil vom 08.03.2018 – L 9 EG 66/15). Die neue BSG-Rechtsprechung betrifft also nur die Rechtslage ab 01.01.2015. Das gilt nicht nur im Hinblick auf die vom BSG herangezogenen materiell-rechtlichen Abgrenzungskriterien einschließlich der alleinigen Maßgeblichkeit der steuerrechtlichen Verhältnisse. Auch die weitere Facette der neuen BSG-Rechtsprechung, die Proklamierung einer Bindungswirkung der nicht angefochtenen Lohnsteueranmeldung, hat das BSG gerade wegen der zum 01.01.2015 stattgehabten Rechtsänderung eingeführt; daher braucht sich die Klägerin hinsichtlich des Leistungszeitraums 07.02. bis 31.12.2014 nicht daran festhalten zu lassen, dass sie eventuell eine Lohnsteueranmeldung des Insolvenzverwalters nicht angefochten und so hat bestandskräftig werden lassen.
Vor der neuen BSG-Rechtsprechung vom 14.12.2017 relativierte das BSG in Bezug auf die Abgrenzung der sonstigen Bezüge vom laufenden Arbeitslohn die alleinige Maßgeblichkeit der lohnsteuerrechtlich zutreffenden Behandlung oder gar der tatsächlichen (möglicherweise falschen) Handhabung durch den jeweiligen Arbeitgeber erheblich. Insbesondere in den Urteilen vom 26.03.2014 – B 10 EG 7/13 R und B 10 EG 14/13 R plädierte es für eine spezifisch elterngeldrechtliche Betrachtungsweise. Einnahmen seien nur insoweit von der Elterngeldberechnung ausgeschlossen, als die steuerrechtlich motivierte Differenzierung auch mit Blick auf den Zweck des Elterngelds sachlich gerechtfertigt sei. Dabei hatte das BSG herausgearbeitet, dass Sinn und Zweck des Elterngelds nur erfüllt werden könnten, wenn die vor der Geburt prägenden Einkünfte herangezogen würden. Die steuerrechtliche Verwaltungspraxis/Behandlung sei nur dort tauglich, wo sie Leistungen ausschließe, die nur einmalig oder ausnahmsweise gezahlt würden. Noch im Urteil vom 29.06.2017 – B 10 EG 5/16 R bestätigte das BSG im Wesentlichen diese Linie. Es bezeichnete die Änderung der Rechtslage durch das Elterngeld-Plus-Gesetz sogar als positive Anknüpfung (das BSG verwandte das Verb „folgen“) an den „normativen Ansatz“ der bisherigen BSG-Rechtsprechung und wies diesbezüglich gerade auf die am 26.03.2014 ergangenen Entscheidungen hin.
Zusammenfassend verlangte das BSG, dass das aus dem Lohnsteuerrecht gewonnene Ergebnis einem spezifisch elterngeldrechtlichen Abgleich unterzogen wurde, in dessen Rahmen unmittelbar das „Prägen der wirtschaftlichen Verhältnisse“ zu prüfen war. Wie oben ausgeführt, hat das BSG in seinen Urteilen vom 14.12.2017 seine bisherige Rechtsprechung für das vor dem 01.01.2015 geltende Recht nicht angetastet. Angesichts dessen wendet der Senat diese ältere Judikatur auch auf den vorliegenden Fall an. Das heißt, dass für die Abgrenzung der sonstigen Bezüge zum laufenden Arbeitslohn gerade keine Letztverbindlichkeit der steuerrechtlichen Verhältnisse besteht, sondern es auf einen spezifisch elterngeldrechtlichen Zuflussbegriff ankommt.
Unabhängig davon vertrat das BSG für Nachzahlungen von Arbeitsentgelt in nahezu ständiger Rechtsprechung zur bis 31.12.2010 geltenden Rechtslage die Ansicht, die so genannte Drei-Wochen-Regelung des Lohnsteuerrechts (gemeint ist R 39b.2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 8 Satz 2 der Lohnsteuer-Richtlinien) greife nicht für die Abgrenzung der sonstigen Bezüge und des laufenden Arbeitslohns im Rahmen der elterngeldrechtlichen Leistungsbemessung (Urteile vom 03.12.2009 – B 10 EG 3/09 R, vom 30.09.2010 – B 10 EG 19/09 R, vom 18.08.2011 – B 10 EG 5/11 R sowie vom 20.05.2014 – B 10 EG 11/13 R). Dies begründete das BSG damit, für Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit gelte im Elterngeldrecht das modifizierte Zuflussprinzip. Das modifizierte Zuflussprinzip bewirke, dass der Zufluss in dem Monat anzunehmen sei, in dem das – verspätet ausgezahlte – Arbeitsentgelt eigentlich geschuldet gewesen sei. Bei Geltung des modifizierten Zuflussprinzips fehle schon bei formaler Betrachtung jeglicher Ansatzpunkt für die Anwendung der Drei-Wochen-Regelung des R 39b2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 8 Satz 2 der Lohnsteuer-Richtlinien.
Der Senat erachtet das modifizierte Zuflussprinzip auch unter dem bis 31.12.2014 geltenden Elterngeldrecht als einschlägig. In seinen Urteilen vom 23.11.2017 – L 9 EG 10/16 und L 9 EG 27/16 hat er ausführlich begründet, warum die ab 18.09.2012 geltenden Fassung von § 2 Abs. 1 Satz 2 und 3 BEEG das modifizierte nicht durch ein strenges Zuflussprinzip zu ersetzen vermochte. Daran hält er gegen die mittlerweile wohl überwiegende Meinung fest. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die entsprechenden Passagen aus der Begründung beider Urteile vom 23.11.2017 verwiesen.
Des Weiteren erscheint es vorzugswürdig, den Umstand, dass die Nachzahlung lange nach Ablauf des Bemessungszeitraums und auch einige Monate nach der Bewilligungsentscheidung vom 03.04.2014 zugeflossen war, nicht als Ausschlussgrund für Berücksichtigung bei der Elterngeldbemessung zu behandeln. In den oben genannten Senatsurteilen vom 23.11.2017 war die jeweilige Nachzahlung anders als hier noch innerhalb des Bemessungszeitraums erfolgt, was deren elterngeldrechtliche Berücksichtigung geradezu als Gebot der Gerechtigkeit hat erscheinen lassen. Hier dagegen drängt sich die Berücksichtigung nicht in annähernd gleicher Weise auf. Trotzdem sieht sich der Senat rechtlich gehindert, in das Elterngeldrecht eine Zäsur dergestalt hineinzuinterpretieren, materiell-rechtlich sei nur derjenige Einkommenszufluss relevant, der innerhalb des Bemessungszeitraums oder wenigstens bis zum Erlass der Bewilligungsentscheidung erfolgt sei:
* Die Rechtsprechung des BSG hat einen solchen Ansatz bis dato nicht aufgegriffen. Im Gegenteil: Im Fall B 10 EG 19/09 R (Urteil vom 30.09.2010) hegte das BSG keinerlei Bedenken, dass der Bemessungszeitraum sich von Dezember 2005 bis November 2006 erstreckt hatte, die Nachzahlung aber erst im Februar 2008 geleistet worden war. Auch im Fall B 10 EG 5/11 R (Urteil vom 18.08.2011) lag der Zahlungszeitpunkt außerhalb des Bemessungszeitraums, wenn auch weniger deutlich als im Fall B 10 EG 19/09 R.
* Würde der Senat einen Rechtssatz bejahen, wonach nur solche Nachzahlungen relevant sein könnten, die innerhalb des Bemessungszeitraums oder wenigstens bis zur Entscheidung über den Elterngeldantrag zugeflossen seien, würde er eine materiell-rechtliche zeitliche Grenze konstituieren. Das aber müsste dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben. Denn es würde sich hierbei um einen wesentlichen Aspekt handeln, der angesichts des verfassungsrechtlichen Rechtsstaats- und Demokratieprinzips nicht der richterlichen Rechtsfortbildung überlassen bleiben dürfte. Das gilt umso mehr, als mit § 44 Abs. 4 SGB X beziehungsweise § 48 Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit § 44 Abs. 4 SGB X durchaus eine ausdrückliche gesetzliche Regelung zu der Frage existiert, nach welcher Zeit – nämlich nach vier Jahren – keine rückwirkenden Änderungen mehr möglich sein sollen. § 48 Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit § 44 Abs. 4 SGB X ist auch im vorliegenden Fall einschlägig und bringt unmissverständlich zum Ausdruck, dass die hier gegebene Verzögerung bei der Auszahlung noch nicht so erheblich ist, dass eine rückwirkende Änderung ausgeschlossen sein soll. Angesichts der existierenden gesetzlichen Regelung kann nicht im Wege freihändiger, an Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten orientierter richterlicher Auslegung eine materiell-rechtliche Zäsur geschaffen werden.
* Überdies legt eine Parallelbetrachtung zu § 151 SGB III dieses Ergebnis nahe. Lange Jahre hatte das BSG dort für die Ermittlung des Bemessungsentgelts eine strenge Zuflusstheorie vertreten. Mit Urteil vom 28.06.1995 – 7 RAr 102/94 gab es die strenge Zuflusstheorie zugunsten einer kombinierten Anspruchs- und Zuflusstheorie – so hat es selbst seine neue Handhabung bezeichnet – auf. Auch nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis zugeflossenes Arbeitsentgelt sei zu berücksichtigen, soweit es sich um eine nachträgliche Vertragserfüllung handle. Zwingend ist der Schluss vom Arbeitslosengeldrecht auf das Elterngeldrecht indes nicht. Denn das BSG hat seine Rechtsprechungsänderung im Jahr 1995 mit einem gebotenen Gleichlauf von beitragsrechtlicher und leistungsrechtlicher Handhabung begründet. Da es sich beim Elterngeld um eine steuerfinanzierte Sozialleistung handelt, stellt sich die Ausgangslage grundlegend anders dar. Dennoch wertet der Senat die Handhabung beim Arbeitslosengeld als Argument zu Gunsten der Klägerin.
Gemessen an all diesen rechtlichen Vorgaben muss im vorliegenden Fall der Umstand, dass das Arbeitsentgelt für die Monate September bis November 2013 verspätet ausgezahlt worden war, unmaßgeblich sein. Denn aufgrund des modifizierten Zuflussprinzips wird fingiert, der Zufluss sei tatsächlich zeitnah in den jeweiligen Fälligkeitsmonaten erfolgt und nicht erst im August 2014. In weiterer Konsequenz verliert die Nachzahlung aufgrund der Fiktion des Zuflusses im Fälligkeitsmonat ihre Sonderstellung, die eine Einstufung als sonstige Bezüge und damit verbunden die Außerachtlassung bei der Ermittlung des vorgeburtlichen Einkommens rechtfertigen könnte. Damit fällt die Nachzahlung, soweit sie nach dem bis zum 31.12.2014 geltenden Recht zu beurteilen ist, nicht unter § 2c Abs. 1 Satz 2 BEEG; sie zählt vielmehr zum Bemessungseinkommen und ist leistungswirksam.
Ansonsten vermag der Senat keine Fehler des Beklagten bei der Leistungsberechnung zu erkennen.
Zusammenfassend besteht die wesentliche Änderung im Sinn von § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X darin, dass für den Bemessungsmonat September 2013 453,33 EUR brutto abzüglich des auf September entfallenden Arbeitslosengelds und für die Bemessungsmonate Oktober und November 2013 jeweils 3.400 EUR brutto abzüglich des auf diese beiden Monate entfallenden Arbeitslosengelds zusätzlich an Bemessungsentgelt angefallen sind.
Die Abänderung des Bescheids vom 03.04.2014 greift nicht nur, wie es § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X regelt, für die Zukunft, sondern mit Rückwirkung für den gesamten Bezugszeitraum bis 31.12.2014. Denn nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X soll der Dauerverwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit, wie hier, die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt. Der Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse ist nicht erst auf August 2014 zu terminieren, als die Nachzahlung erfolgte, sondern wegen der Fiktion des zeitnahen Zuflusses auf die jeweiligen Monate der Fälligkeit September, Oktober und November 2013.
Dass § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X die rückwirkende Aufhebung nicht verbindlich, sondern als Soll-Rechtsfolge im Sinn eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses anordnet, stellt für den Senat kein Hindernis dar, den Beklagten zur Leistung (und nicht nur zur Neubescheidung) zu verurteilen. Denn die Behörde hat insoweit keine Ermessensentscheidung getroffen, sondern einen atypischen Fall, dessen Vorliegen erst den Weg zur Ermessensausübung ebnen würde, verneint. Das Vorliegen eines atypischen Falls ist aber voll gerichtlich nachprüfbar. Auch der Senat sieht hier keinen atypischen Fall, so dass es zur rückwirkenden Aufhebung keine Alternative gibt.
Die Vier-Jahres-Frist des § 48 Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit § 44 Abs. 4 SGB X steht einer Aufhebung von Beginn des Leistungszeitraums an, das heißt ab 07.02.2014, nicht entgegen. Nach § 48 Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit § 44 Abs. 4 Satz 3 SGB X ist für den Fristbeginn der Tag maßgebend, an dem die Aufhebung beantragt wurde, hier also der 08.12.2014.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes. Der Anteil des Obsiegens der Klägerin spiegelt sich in der Kostenquote wider.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Für Leistungszeiträume ab 2015 folgt der Senat voll der neuen BSG-Rechtsprechung, wonach elterngeldrechtliche Modifikationen des lohnsteuerrechtlichen Ergebnisses ausgeschlossen sind. Insoweit wird der Senat deshalb bei der Behandlung von Nachzahlungen in Zukunft regelmäßig zum gleichen Ergebnis kommen wie der Beklagte. Dabei spielt es keinerlei Rolle mehr, ob der Senat für das Elterngeldrecht ein modifiziertes oder strenges Zuflussprinzip vertritt. Denn nach der neuen BSG-Rechtsprechung ist gerade kein elterngeldrechtlicher, sondern allein der steuerrechtliche Zuflussbegriff maßgebend. Diskrepanzen zum Beklagten können, wie im vorliegenden Fall, nur noch für Leistungszeiträume vor 2015 auftreten. Diesbezüglich besteht aber keine Divergenz zur BSG-Rechtsprechung, weil der mit den Urteilen vom 14.12.2017 neu beschrittene Weg nicht für Fälle maßgebend ist, die unter das alte, vor 01.01.2015 geltende Recht fallen. Es fehlt aber auch an einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache. Denn für Nachzahlungsfälle wie den hier vorliegenden verkörpert das Problem des elterngeldrechtlichen Zuflussprinzips einen Anachronismus; es handelt sich um ein „auslaufendes Problem“. Gleiches gilt für die Frage, ob eine materiell-rechtliche zeitliche Grenze für die Berücksichtigung von Nachzahlungen existiert. Unter diesen Umständen vermag der Senat keine klärungsbedürftige Rechtsfrage zu erkennen.