Aktenzeichen M 12 K 16.5632
Leitsatz
1 Aus dem Umstand, dass der Verpflichtete mit der Verpflichtungserklärung einem inneren Gebot zur Hilfeleistung folgt, sie also in einer als Zwangslage empfundenen Situation abgibt, folgt nicht, dass die Entgegennahme durch die Ausländerbehörde sittenwidrig oder mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar wäre. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein atypischer Fall, bei dem die Heranziehung zu einer unzumutbaren Belastung des Verpflichteten führt, liegt nicht vor, wenn der Aufenthalt des nachgezogenen Ausländers auf rein privaten Gründen beruht und der Verpflichtete Kenntnis von der Behinderung und Betreuungsbedürftigkeit seines nachgezogenen Familienmitglieds hatte. (Rn. 37 – 39) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Rückforderungsbescheid vom 30. November 2016 in der Gestalt, wie er sie in der mündlichen Verhandlung gefunden hat, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
Der Beklagte durfte den Kläger aus seiner Verpflichtungserklärung vom 10. Februar 2015 in Anspruch nehmen.
Gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG hat, wer sich der Ausländerbehörde oder einer Auslandsvertretung gegenüber verpflichtet hat, die Kosten für den Lebensunterhalt eines Ausländers zu tragen, für einen Zeitraum von fünf Jahren sämtliche öffentlichen Mittel zu erstatten, die für den Lebensunterhalt des Ausländers einschließlich der Versorgung mit Wohnraum sowie der Versorgung im Krankheitsfalle und bei Pflegebedürftigkeit aufgewendet werden, auch soweit die Aufwendungen auf einem gesetzlichen Anspruch des Ausländers beruhen. Gemäß § 68 Abs. 2 Satz 3 AufenthG steht der Erstattungsanspruch der öffentlichen Stelle zu, die die öffentlichen Mittel aufgewendet hat. Zur Begründung des Anspruchs ist demnach eine entsprechende einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung erforderlich (BVerwG, U.v. vom 24.11.1998 – 1 C 33/97- juris).
Vorliegend hat sich der Kläger am 10. Februar 2015 sich der Kläger gegenüber der Ausländerbehörde der Landeshauptstadt München schriftlich verpflichtet, für seinen Bruder F… nach § 68 AufenthG die Kosten für den Lebensunterhalt zu tragen. Somit entspricht die Erklärung dadems Schriftformerfordernis des § 68 Abs. 2 Satz 1 AufenthG; insbesondere verwendete die Landeshauptstadt München das vorgeschriebene bundeseinheitliche Formular (vgl. Nr. 68.2.1.1.1 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz – AVwV). Auch Inhalt und Reichweite der eingegangenen Verpflichtung sind eindeutig bestimmt. Sie sollte ab dem Tag der voraussichtlichen Einreise am 15. März 2015 bis zur Beendigung des Aufenthalts oder bis zur Erteilung eines Aufenthaltstitels zu einem anderen Zweck gelten.
Die Verpflichtungserklärung des Klägers ist auch wirksam. Aus dem Umstand, dass der Verpflichtende mit der Verpflichtungserklärung einem inneren Gebot zur Hilfeleistung (etwa aufgrund familiärer Verbindung) folgt, sie also in einer als Zwangslage empfundenen Situation abgibt, folgt nicht, dass ihre Entgegennahme durch die Ausländerbehörde sittenwidrig (vgl. Art. 44 Abs. 2 Nr. 6 VwVfG i. V. m. § 138 BGB) oder mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar ist (vgl. BayVGH, B.v. 22.2.2009 – 19 C 07.2884 – juris). Bei der Voraussetzung des gesicherten Unterhalts geht es nicht um die Koppelung einer staatlichen Vergünstigung an eine Gegenleistung (vgl. § 56 VwVfG), sondern darum, dass eine begünstigende Entscheidung nur bei Vorliegen ihrer gesetzlichen Voraussetzungen getroffen werden kann. Trägt der an einer positiven Entscheidung Interessierte nicht das in seiner Macht Stehende dazu bei, die Voraussetzungen des andernfalls nicht erfüllten Begünstigungstatbestandes zu schaffen, nötigt die Rechtslage die Behörde dazu, die Begünstigung zu versagen. Einen entsprechenden Hinweis zu geben, ist ihre Pflicht und hat mit der Ausnutzung einer Machtstellung nichts zu tun (BVerwG, U.v. 24.11.1998 – 1 C 33-97 – juris).
Dem Beklagten entstanden aufgrund der Eingliederungshilfe für die Betreuung des Bruders des Klägers F… in der Einrichtung Förderstätte …, …, … Aufwendungen der Sozialhilfe in Höhe von 36.922,46 Euro. Die Höhe der Leistungen wurde vom Kläger nicht beanstandet und es sind auch keine Fehler ersichtlich.
Die Verpflichtungserklärung gemäß § 68 AufenthG erfasst auch die Kosten der Eingliederungshilfe (vgl. BayVGH, B.v. 22.2.2009 – 19 C 07.2884 – a.a.o.). Soweit der Kläger einwendet, nicht darüber belehrt worden zu sein, dass die Eingliederungshilfe von der Verpflichtungserklärung umfasst ist, verfängt dieses Argument nicht, da in der Verpflichtungserklärung ausdrücklich Leistungen nach dem SGB XII genannt werden. Die Eingliederungshilfe wird in §§ 53 ff. SGB XII geregelt.
Gründe, die den Kläger berechtigen würden, sich nachträglich durch einseitige Erklärung von der übernommenen Verpflichtung zu lösen, sind nicht ersichtlich. Hierzu eignen sich nur die Fälle eines vom Erklärungsinhalt abweichenden Willens, deren Berücksichtigung der Empfänger der Verpflichtung billigerweise nicht ablehnen kann (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl. 2006, Rn. 1 ff. zu § 119; zu einzelnen Fallgruppen vgl. Funke-Kaiser in GK-AufenthG Rn. 28 zu § 68). Solche Umstände sind weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Dem Kläger ist die Behinderung seiner Bruders bekannt gewesen, als er sich hinsichtlich der Kosten seines Lebensunterhaltes für haftbar erklärt hat. Soweit die besondere Betreuung und Förderung im Rahmen der Eingliederungshilfe nicht das ohnehin eigentliche Ziel des Nachzugs gewesen ist, musste dem Kläger jedenfalls bewusst sein, dass sein Bruder angesichts seiner Behinderung zu dem Personenkreis gehört, der im Bundesgebiet regelmäßig eine solche Betreuung und Förderung erfährt. Zudem hatte sich der Kläger ausweislich einer E-Mail vom 20. Juli 2017 vor der Einreise seines Bruders am … März 2015 im November und Dezember 2014 bereits bei den …Werkstätten … zu einem Platz im Förderbereich für seinen Bruder erkundigt. Eine falsche Vorstellung über die Tragweite der Erklärung (sog. Motivirrtum) begründet kein sachliches Anfechtungsrecht (VGH Baden-Württemberg U.v. 26.3.1997 – 1 S 1143/96 – juris).
Der angefochtene Bescheid ist auch nicht ermessensfehlerhaft.
Aufgrund der wirksamen Verpflichtungserklärung ist der Verpflichtete im Regelfall zur Erstattung heranzuziehen. Ein Regelfall wird vorliegen, wenn die Voraussetzungen der Aufenthaltserlaubnis einschließlich der finanziellen Belastbarkeit des Verpflichteten im Verwaltungsverfahren voll und individuell geprüft worden sind und nichts dafür spricht, dass die Heranziehung zu einer unzumutbaren Belastung des Verpflichteten führen könnte. Hingegen hat die erstattungsberechtigte Stelle bei atypischen Gegebenheiten im Wege des Ermessens zu entscheiden, in welchem Umfang der Anspruch geltend gemacht wird und welche Zahlungserleichterungen dem Verpflichteten etwa eingeräumt werden. Wann in diesem Sinne ein Ausnahmefall vorliegt, ist anhand einer wertenden Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls zu entscheiden und unterliegt voller gerichtlicher Nachprüfung (BVerwG, U.v. 24.11.1998 – 1 C 33/97, juris). Ein atypischer Fall liegt grundsätzlich nicht vor, wenn der Aufenthalt des Ausländers auf rein privaten Gründen beruht. Gleichwohl ist wegen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf die individuelle Leistungsfähigkeit des Verpflichteten Rücksicht zu nehmen und im Ermessenswege zu entscheiden, in welchem Umfang der Erstattungsanspruch geltend gemacht wird, damit er nicht zu einer unzumutbaren Belastung führt. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebietet aber nicht, dass diejenigen, die sich mit ihrer Erklärung gemäß § 68 AufenthG einem hohen finanziellen Risiko ausgesetzt haben, vollständig von einer Erstattungspflicht freigestellt bleiben.
Der Beklagte hat dem Kläger im Ermessenswege eine Ratenzahlung von monatlich 500,- Euro gewährt.
Diese Ermessensentscheidung hält einer gerichtlichen Überprüfung auch unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Stand. Der Klägers ist aus rein privaten Gründen und in Kenntnis der Behinderung des Bruders eine Verpflichtung mit hohem finanziellen Risiko eingegangen, das nicht einfach auf die Allgemeinheit abgewälzt werden darf. Er und seine Familie dürfen durch die Erstattungsforderung nicht in Existenznot geraten; das ist aber nicht der Fall, wenn ihnen der notwendige Lebensunterhalt einschließlich individueller Sonderbedarfe verbleibt. Eine unzumutbare Härte liegt darin auch nicht für den behinderten Bruder des Klägers, denn seinem Interesse auf Familiennachzug kam die Verpflichtungserklärung gerade zugute.
Im Ergebnis ist die Höhe des Erstattungsbetrages von 500,- Euro monatlich nicht zu beanstanden.
Der Bedarf des Klägers setzt sich aus den Kosten der Unterkunft, den Kosten für die Krankenversicherung sowie dem Regel- und Mehrbedarf der Bedarfsgemeinschaft zusammen. Die Kosten der Unterkunft betragen inkl. Hausgeld 1042,71 Euro. Weiter kann als Regelbedarf der Bedarfsgemeinschaft nach den ab 1.1.2018 geltenden Regelbedarfsstufen 2 x 374,- Euro als Regelbedarfsstufe 2 für 2 Erwachsene angesetzt werden. Weiter ergeben sich Kosten für die Krankenversicherung in Höhe von 174,04 Euro. Zusätzlich ergibt sich nach § 30 Abs. 4 SGB XII für den behinderten Bruder des Klägers ein Mehrbedarf in Höhe von 130, 90 Euro, so dass insgesamt ein Bedarf von 878,90 Euro besteht. Das Einkommen kann mit monatlich 4.246,57 Euro netto angesetzt werden. Unter Berücksichtigung einer monatlichen Rate von 500,- Euro steht dem Kläger monatlich somit deutlich mehr als sein Bedarf zur Verfügung, zumal der Kläger in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, ein 13. und 14. Monatsgehalt zu beziehen. Die sonstigen vom Kläger angegebenen Kosten können keine Berücksichtigung finden, da diese gemäß § 27a SGB XII aus dem Regelbedarf finanziert werden müssen. Selbst wenn man diese Kosten in Höhe von 488,85 Euro im Rahmen des Bedarfs berücksichtigt, übersteigt das Einkommen des Klägers seinen Bedarf. Die freiwilligen Zuwendungen an die Eltern des Klägers müssen außer Betracht gelassen werden, da diese vorliegend freiwillig erfolgten und völlig unklar bleibt, ob und inwieweit der Kläger verpflichtet ist, seinen Eltern Unterhalt zu leisten.
Ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz liegt nicht vor. Besondere Umstände sind nicht ersichtlich. Allein ein hohes finanzielles Risiko reicht nicht aus. Auch befand sich der Kläger als Verpflichteter nicht in einer Lage, in der von vornherein erkennbar war, dass er die bei Verwandten typischen Naturalleistungen und eine Haftung nach § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nicht zu erfüllen vermochte (BVerwG, U.v. 24.11.1998 – 1 C 33/97 – a.a.O.). Vielmehr gaben der Kläger und seine Geschwister im Rahmen des Visumsantrags des Bruders F… vom … Dezember 2014 an, zeitlich flexibel genug zu sein und sich die Zeit zwischen einander gut einzuteilen, so dass immer einer von ihnen den stark geistig behinderten Bruder betreuen könne.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m §§ 708 ff. ZPO.