Sozialrecht

Kein Anspruch auf Anerkennung eines Arbeitsunfalles aufgrund eines Verkehrsunfalles auf dem Weg zum Tanken

Aktenzeichen  S 4 U 33/14

Datum:
8.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VII SGB VII § 8 Abs. 2 Nr. 1
SGB X SGB X § 45

 

Leitsatz

Das Tanken während einer versicherten Fahrt kann ausnahmsweise versichert sein, wenn die dringende Notwendigkeit des Tankens für den Versicherten nicht vorhersehbar und nicht vermeidbar war. Kann mit der Tankfüllung die Arbeitsstätte aber noch erreicht werden, besteht kein Versicherungsschutz. (Rn. 33 – 34) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

L 2 U 458/15 2017-03-08 Urt LSGBAYERN LSG München

Tenor

I. Die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 9. Oktober 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Januar 2014 und des Bescheids nach § 45 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch vom 26. August 2015 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Klage ist zulässig, sie ist jedoch unbegründet. Der Bescheid vom 26.08.2015, der nach § 45 SGB X den Bescheid vom 09.10.2013 zurücknimmt, ist nach § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des laufenden Klageverfahrens geworden. Die Beklagte hat zu Recht mit Bescheid vom 26.08.2015 den Bescheid vom 09.10.2013, in welchem sie einen Arbeitsunfall anerkannt hat, nach § 45 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) für die Zukunft zurückgenommen. Die Beklagte hat richtigerweise ausgeführt, dass der Verkehrsunfall vom 11.10.2012 keinen Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung darstellt.
Das Gericht folgt der Begründung des streitgegenständlichen Verwaltungsaktes der Beklagten vom 26.08.2015 und macht von der Möglichkeit Gebrauch, nach § 136 Abs. 3 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abzusehen.
Lediglich ergänzend führt das Gericht aus:
1.) Rücknahme des den Unfall als Arbeitsunfall anerkennenden Bescheids Die Rücknahme des begünstigenden Verwaltungsaktes vom 09.10.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.10.2012 nach § 45 SGB X war rechtmäßig.
Nach § 45 SGB X bedarf es für die rechtmäßige Rücknahme eines Verwaltungsakts, der begünstigend und (anfänglich) rechtswidrig ist. Wenn diese Grundvoraussetzungen vorliegen, kann ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben werden, wenn der Begünstigte nicht auf den Bestand vertraut hat oder sein Vertrauen nicht schutzwürdig ist. Für einen Dauerverwaltungsakte gilt zudem, dass dieser nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden kann.
Diese Tatbestandsvoraussetzungen sind nach der vollen Überzeugung des Gerichts alle gegeben.
a) Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes Insbesondere ist der Verwaltungsakt rechtswidrig, weil er den Verkehrsunfall fälschlich als Arbeitsunfall (Wegeunfall) anerkennt. Denn versicherte Tätigkeit ist nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit.
Im vorliegenden Fall war der Weg der Klägerin in dem Zeitpunkt, als sie anhielt und ihren Blinker setzte, um zur Tankstelle abzubiegen, nicht (mehr) versichert. Denn sie handelte dabei mit privater Handlungstendenz. Es fehlt somit an dem inneren Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Zurücklegen des Weges.
Der erforderliche innere Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Zurücklegen des Weges besteht, wenn die Fortbewegung den Zweck hat, den Ort der Tätigkeit zu erreichen. Dabei müssen objektive Umstände die auf die versicherte Tätigkeit gerichtete Handlungstendenz stützen (BSG, 18. 1. 2011, B 2 U 9/10 R, BSGE 107, S. 197 ff., 199; Bundessozialgericht – BSG -, 02.12.2008, B 2 U 26/06 R, BSGE 102, S. 111 ff., 116 m.). Die Beweislast dafür, dass die Voraussetzungen eines versicherten Weges vorgelegen haben, trägt der Versicherte (ständige Rechtsprechung, z.B. BSG, Urteil vom 02.12.2008 – B 2 U 26/06 R -, BSGE 102, 111 – 121, SozR 4-2700 § 8 Nr. 29, SozR 4-2200 § 550 Nr. 2). Unversichert sind z.B. Wegeunterbrechungen, also das Einschieben persönlicher für die Wegzurücklegung nicht erforderlicher Handlungen. Sie sind nur versichert, wenn die Handlungen „im Vorübergehen“ erledigt werden können oder wenn der Weg sonst unmöglich fortgesetzt werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 12.05.2009 – B 2 U 11/08 R -, SozR 4-2700 § 8 Nr. 34). Bei eingeschobenen Vorbereitungshandlungen auf Wegen zum Ort der versicherten Tätigkeit ist der Betroffene nur dann versichert, wenn die Handlung zur Aufnahme oder Durchführung der versicherten Tätigkeit erforderlich ist, die Vorbereitungshandlung gerade auf diesem Weg vorzunehmen ist und deshalb der erforderliche enge sachliche Zusammenhang mit der eigentlichen versicherten Tätigkeit besteht (vgl. BSG, Urteil vom 02.12.2008, B 2 U 17/07 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 28 Rz. 27 m., vgl. auch Keller in: Hauck/Noftz, SGB, 05/15, § 8 SGB VII, Rn. 26 a). Eine Unterbrechung beginnt mit jedem Verhalten, mit dem der Versicherte nach außen erkennbar seine Handlungstendenz, das versicherte Ziel zu erreichen, zugunsten eigenwirtschaftlicher Zwecke aufgibt (vgl. BSG, Urteil vom 02.12.2008 – B 2 U 26/06 R -, BSGE 102, 111 – 121, SozR 4-2700 § 8 Nr. 29, SozR 4-2200 § 550 Nr. 2; BSG, Urteil vom 19.03.1991 – 2 RU 45/90 -, SozR 3-2200 § 548 Nr. 8). Zu betrachten ist immer der konkrete Weg, also der Streckenabschnitt. Wird dieser aus dienstlichen und gleichzeitig privaten Gründen zurückgelegt, ist entscheidend, was im Vordergrund steht. Nur bei überwiegender dienstlicher Handlungstendenz ist der Weg versichert (vgl. BSG, Urteil vom 12.05.2009 – B 2 U 12/08 R -, SozR 4-2700 § 8 Nr. 33; BSG, Urteil vom 09.11.2010 – B 2 U 14/10 R -, SozR 4-2700 § 8 Nr. 39; Keller in: Hauck/Noftz, SGB VII K § 8 Rn. 225 mit Verweis auf Rn. 24 – 25 a).
Das Tanken ist nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich eine privatwirtschaftliche Tätigkeit. Sie ist nur in Ausnahmefällen versichert, nämlich wenn die dringende Notwendigkeit des Tankens für den Versicherten nicht vorhersehbar und nicht vermeidbar war. Denn grundsätzlich obliegt es jedem Versicherten, bei der Fahrt mit dem privaten Pkw vorab für eine ausreichende Tankfüllung für den Arbeitsweg zu sorgen.
Vorliegend hatte die Klägerin dazu angesetzt, von ihrem dienstlich veranlassten Arbeitsweg abzufahren und zur Tankstelle zu fahren. Das Tanken ist in diesem Fall nach der Überzeugung des Gerichts eine rein privatwirtschaftliche Tätigkeit. Zwar hat die Klägerin vorgetragen, dass es für sie völlig überraschend kam, dass im Tank nur noch so wenig Treibstoff war und dass sie nur noch einen Fahr Weg von 10 km hätte zurücklegen können. Doch selbst wenn man dies als wahr unterstellte, hätte die Klägerin jedenfalls ihren Weg noch fortgesetzt und ihre Arbeitsstelle in nur ca. 1 km Entfernung problemlos erreichen können. Das Tanken als Vorbereitungshandlung war also nicht zwingend gerade auf diesem Weg vorzunehmen, denn die Klägerin hätte zum einen noch am Abend zuvor tanken können oder aber in einer Arbeitspause des Unfalltages oder auf dem Rückweg.
b) Zeitliche Grenzen für die Rücknahme Nach § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Der streitgegenständliche Bescheid ist vom 09.10.2013, der Bescheid nach § 45 SGB X vom 26.08.2015 – damit liegen zwischen beiden Verwaltungsakten weniger als zwei Jahre.
2.) Höhe der vorläufigen Verletztenrente Mit dem Wegfall der Anerkennung des Arbeitsunfalls entfällt auch jeglicher Anspruch auf Entschädigungsleistungen für die Zukunft – wie im Bescheid vom 26.08.2015 dargestellt. Lediglich klarstellend weist das Gericht deshalb darauf hin, dass der Verkehrsunfall nach der Überzeugung des Gerichts unter Würdigung der vorliegenden medizinischen Unterlagen, insbesondere des Gutachtens von Dr. E., nicht zu gesundheitlichen Einschränkungen geführt hat, die eine MdE von mehr als 20 v.H. bedingt hätten. Das Vorliegen von psychischen Gesundheitsstörungen, die auf den Unfall zurückzuführen sind, ist bisher nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nachgewiesen. Beachtlich ist hierbei, dass die Klägerin diese auch erst am 27.02.2015, also etwa 1 1/2 Jahre nach dem Unfall und erst nach Erwähnung durch Dr. F. im Klageverfahren erstmals geltend gemacht hat. Dem Klagebegehren der Leistung einer vorläufigen Verletztenrente nach einer MdE von 40 v.H. hätte das Gericht insofern auch unter Berücksichtigung der vorliegenden medizinischen Unterlagen nicht stattgeben können.
Nach alledem konnte die Klage keinen Erfolg haben. Die Klage war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 183, § 193 SGG.

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