Aktenzeichen L 11 AS 191/18 B PKH
Leitsatz
Nach Erhebung einer Untätigkeitsklage und Erlass des vom Kläger begehrten Bescheides ist dieser auf die Möglichkeit zur Klageänderung hinzuweisen und das Widerspruchsverfahren nachzuholen. Der Vermerk der Aufgabe zur Post gemäß § 37 Abs. 2 SGB X muss im Regelfall von der Poststelle angebracht werden. (Rn. 13 und 15)
Verfahrensgang
S 15 AS 56/16 2017-12-27 Bes SGWUERZBURG SG Würzburg
Tenor
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 27.12.2017 – S 15 AS 56/16 – wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Streitig ist zuletzt im Rahmen einer Anfechtungs- und Leistungsklage der Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II -Alg II-) gemäß dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) nach Versagung für die Zeit vom 01.11.2015 bis 30.06.2016.
Mit Bescheid vom 18.07.2016 – laut Vermerk der Sachbearbeiterin des Beklagten abgesandt am 18.07.2016 – versagte der Beklagte das zuletzt ab 01.11.2015 vom Kläger begehrte Alg II mangels Mitwirkung. Ein an den Beklagten gerichteter Widerspruch hiergegen findet sich nicht in den Akten des Beklagten. Ab 01.07.2016 erhielt der Kläger Alg II aufgrund anderweitiger Bescheide des Beklagten.
Bereits am 16.02.2016 hatte der Kläger Untätigkeitsklage zum Sozialgericht Würzburg (SG) wegen der Nichtverbescheidung seines Antrages auf Alg II ab 01.11.2015 gestellt. Zudem hat er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) begehrt. Mit Schreiben vom 28.07.2016 und 03.08.2016 hat das SG den vom Beklagten übersandten Bescheid vom 18.07.2016 an den Kläger weitergeleitet und mit Schreiben vom 29.08.2016 beim Kläger angefragt, ob er die Untätigkeitsklage nunmehr für erledigt erkläre. Mit Schreiben vom 02.09.2016 – eingegangen beim SG am 05.09.2016 – hat der Kläger allein unter Bezugnahme auf das gerichtliche Schreiben vom 29.08.2016 „aufgrund fehlerhafter Angaben in diesem Beschluss (Angaben des Jobcenters) Widerspruch“ eingelegt und gleichzeitig den Verfasser des Ablehnungsschreibens als befangen abgelehnt.
Den Antrag auf Bewilligung von PKH hat das SG mit Beschluss vom 11.01.2017 abgelehnt. Die Beschwerde hiergegen ist ohne Erfolg geblieben (Beschluss des Senates vom 21.02.2017 – L 11 AS 59/17 B PKH -: mangels bislang erfolgter Umstellung der Untätigkeitsklage unter Berücksichtigung des Bescheides vom 18.07.2016; anschließend: BSG, Beschluss vom 14.03.2017 – B 4 AS 56/17 S-).
Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 07.07.2017 die Untätigkeitsklage in eine Anfechtungs- und Leistungsklage gegen den Bescheid vom 18.07.2016 umgestellt und erneut die Bewilligung von PKH begehrt. Er habe den Bescheid vom 18.07.2016 vom Gericht mit Schreiben vom 03.08.2016 übersandt bekommen und dagegen mit Schreiben vom 02.09.2016 Widerspruch eingelegt.
Das SG hat mit Beschluss vom 27.12.2017 diesen Antrag abgelehnt. Es fehle an einer hinreichenden Erfolgsaussicht. Für eine Umstellung der Untätigkeitsklage im Wege der Klageänderung in eine Anfechtungs- und Leistungsklage fehle es an der Durchführung eines Vorverfahrens. Dieses Vorverfahren könne auch nicht nachgeholt werden. Der Bescheid vom 18.07.2016 sei mit einfachem Brief vom Beklagten bekanntgegeben worden.
Gemäß § 37 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) gelte er am 21.07.2016 als bekanntgegeben. Bis zum 22.08.2016 (Montag) sei aber kein Widerspruch eingelegt worden. Im Übrigen sei der Bescheid mit gerichtlichem Schreiben vom 28.07.2016 nochmals übersandt worden, so dass auch ein Widerspruch mit Schreiben vom 02.09.2016 verfristet sei. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 67 Sozialgerichtsgesetz (SGG) seien nicht ersichtlich.
Dagegen hat der Kläger Beschwerde zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) erhoben. Er habe den Bescheid vom 18.07.2016 ausschließlich über das SG mit Schreiben vom 03.08.2016 erhalten und mit Schreiben vom 02.09.2016 Widerspruch eingelegt.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde (§§ 172, 173 SGG) ist nicht begründet.
Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Aus verfassungsrechtlichen Gründen dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht überspannt werden. Es reicht für die Prüfung der Erfolgsaussicht aus, dass der Erfolg eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat (vgl. BSG, Urteil vom 17.02.1998 – B 13 RJ 83/97 R – SozR 3-1500 § 62 Nr. 19). Diese gewisse Wahrscheinlichkeit ist in aller Regel dann anzunehmen, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Beteiligten aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorgelegten Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht die Möglichkeit des Obsiegens des PKHBeantragenden ebenso wahrscheinlich ist wie sein Unterliegen (vgl. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. § 73a Rn.7ff.). Schwierige, bislang ungeklärte Rechts- und Tatfragen sind nicht im PKHVerfahren zu entscheiden, sondern müssen auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung zugeführt werden können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.07.1993 – 1 BvR 1523/92 – NJW 1994, 241f). PKH muss jedoch nicht schon dann gewährt werden, wenn die entscheidungserhebliche Rechtsfrage zwar noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ihre Beantwortung aber im Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung oder die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen nicht in dem genannten Sinne als „schwierig“ erscheint (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.03.1990 – 2 BvR 94/88 (Rn. 29) – BVerfGE 81, 347ff). Ist dies dagegen nicht der Fall und steht eine höchstrichterliche Klärung noch aus, so ist es mit dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit nicht zu vereinbaren, der unbemittelten Partei wegen der fehlenden Erfolgsaussichten ihres Begehrens PKH vorzuenthalten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.02.2008 – 1 BvR 1807/07 – NJW 2008, 1060ff).
Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist vorliegend nicht gegeben. Diese fehlt für die erhobene Leistungsklage bereits deswegen, weil gegen einen Versagungsbescheid lediglich eine Anfechtungsklage als zutreffende Klageart in Betracht kommt.
Sie fehlt aber auch hinsichtlich der nunmehr erhobenen Anfechtungsklage. Zwar ist eine Klageänderung in eine Anfechtungsklage vorliegend als sachdienlich im Sinne des § 99 SGG anzusehen – eine Zustimmung des Beklagten ist daher nicht erforderlich -, und dem Kläger ist Gelegenheit zu geben, das Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 18.07.2016 nachzuholen (vgl. dazu der vom SG zitierte Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl., § 88 Rn. 10b, § 78 Rn. 3a u. 8a). Dabei hat das SG nicht zu prüfen, ob der Widerspruch rechtzeitig eingelegt worden ist oder von der Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, denn diese Prüfung steht im Rahmen des Widerspruchsverfahrens allein dem Beklagten zu, der auch die Möglichkeit hat, über einen verfristeten Widerspruch sachlich zu entscheiden (vgl. Schmidt a.a.O., § 84 Rn. 7).
Jedoch hat der Kläger bislang tatsächlich keinen Widerspruch eingelegt. Das Schreiben vom 02.09.2016 bezieht sich allein auf die gerichtliche Anfrage vom 29.08.2016 zu einer Erledigterklärung der Untätigkeitsklage, mit der sich der Kläger nicht einverstanden erklärt hat. Dies geht eindeutig aus der Betreffzeile des Schreibens vom 02.09.2016 hervor. In diesem Schreiben hat der Kläger auch den Vorsitzenden des SG als befangen abgelehnt. Der Schriftsatz vom 02.09.2016 ist daher nicht als Widerspruch gegen den Bescheid vom 18.07.2016 anzusehen. Er ist auch nicht an den Beklagten gerichtet. In der Klageänderung mit Schreiben vom 07.07.2017 ist auch keine eigenständige Widerspruchseinlegung zu sehen, denn darin wird lediglich ausgeführt, mit Schreiben vom 02.09.2016 sei bereits Widerspruch erhoben worden.
Unabhängig hiervon bestehen aber auch keine hinreichenden Erfolgsaussichten, soweit eine Erhebung des Widerspruches mit Schreiben vom 02.09.2016 als erfolgt und als fristgemäß angesehen würde. Dies ergäbe sich – die Einlegung eines Widerspruches mit Schreiben vom 02.09.2016 unterstellt – daraus, dass die Anwendung des § 37 Abs. 2 SGB X vorliegend auf die Bekanntgabe des Bescheides vom 18.07.2016 durch den Beklagten nicht anzuwenden wäre, denn der Vermerk der Aufgabe zur Post ist dort von der Sachbearbeiterin, nicht aber von der Poststelle des Beklagten angebracht worden. Da die Sachbearbeiterin aber üblicherweise den Bescheid nicht der Post übergeben haben dürfte, ist ihr Vermerk ohne Bedeutung. Vielmehr ist hier auf einen Vermerk der Poststelle des Beklagten abzustellen (vgl. zum Ganzen: Engelmann in: von Wulffen, SGB X, 7. Aufl., § 37 Rn. 12). Somit wäre dann ggfs. von einer Bekanntgabe des Bescheides vom 18.07.2016 nach Angabe des Klägers erst mit gerichtlichem Schreiben vom 03.08.2016 auszugehen. Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist aber – dies alles unterstellt – dennoch zu verneinen, weil an der Rechtmäßigkeit des Versagungsbescheides zurzeit keine Zweifel bestehen. Konkrete Gründe für eine Rechtswidrigkeit dieses Bescheides werden vom Kläger auch nicht vorgetragen. Der Beklagte hat Unterlagen vom Kläger zur Bearbeitung des Antrages benötigt und von diesem unter Hinweis auf die Folgen der Nichterfüllung der Mitwirkungspflicht angefordert. Mit Bescheid vom 18.07.2016 hat der Beklagte erklärt, sein Ermessen ausgeübt zu haben, und die Leistungen ab 01.11.2015 (zuletzt bis 30.06.2016) versagt (vgl. dazu auch: Beschluss des Senates vom 07.03.2018 – L 11 AS 15/18 B ER -).
Nach alledem bestand keine hinreichende Erfolgsaussicht mangels Erhebung des Widerspruches bzw. aufgrund der materiellen Rechtslage.
Dieser Bescheid ergeht kostenfrei und ist unanfechtbar (§ 177 SGG).