Aktenzeichen S 13 U 133/15
Leitsatz
1. Sturz aus innerer Ursache beim Einladen von Sperrmüll.
2. Für die Prüfung der Unfallkausalität ist nur dann Raum, wenn, abgesehen von der versicherten Tätigkeit, eine Konkurrenzursache etwa in Form einer inneren Ursache für einen Sturz mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen ist. Nur wenn mit Vollbeweis erwiesen ist, dass auch eine innere Ursache vorgelegen hat, stellt sich in einem zweiten Schritt die Frage, ob diese innere Ursache oder die versicherte Tätigkeit die wesentliche Ursache für den Sturz ist (Anschluss an BSG BeckRS 2009, 60525). (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
3. Wenn der Sachverständige ausführt, die Wahrscheinlichkeit eines Krampfanfalls am Ereignistag sei als Ursache für das Trauma nach dem Sturz nicht unwahrscheinlich, könne aber nicht mit an Sicherhet grenzender Wahrscheinlichkeit beantwortet werden, so liegt ein Vollbeweis für eine innere Ursache des Sturzes nicht vor. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die durch Zeugenvernehmung gewonnene Überzeugung der Kammer, dass der Kläger ausschließlich aufgrund eines Schwindels bzw. allgemeinen Unwohlseins gestürzt ist, genügt, um eine äußere Einwirkung und damit die Anerkennung eines Ereignisses als Arbeitsunfall zu verneinen. (Rn. 36 – 39) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs-, Feststellungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1 und Abs. 4, § 55 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig aber unbegründet.
Die angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 07. Januar 2015 und vom 22. Januar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juni 2015 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat am 22. Mai 2014 keinen Arbeitsunfall erlitten. Dementsprechend steht ihm auch kein Anspruch auf die Gewährung von Verletztengeld zu.
Nach § 8 Abs. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; Satz 1). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Satz 2). Für einen Arbeitsunfall eines Versicherten ist danach im Regelfall erforderlich, dass seine Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer oder sachlicher Zusammenhang), sie zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis – geführt (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); vgl. BSG, Urt. v. 17.02.2009 – B 2 U 18/07 R – Rn. 9 zitiert nach juris.
Diese Voraussetzungen liegen aus Sicht der Kammer jedoch nicht vor. Zwar hat sich der Sturz während der Arbeitszeit des Klägers als Müllwerker ereignet. Aus Sicht der Kammer fehlt es vorliegend jedoch an der sog. Unfallkausalität.
Der Begriff der Unfallkausalität kennzeichnet die Kausalität zwischen der mit der versicherten Tätigkeit im inneren Zusammenhang stehenden Verrichtung zur Zeit des Unfalls und dem Unfallereignis. Insoweit gilt ebenso wie für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitserstschaden die Theorie der wesentlichen Bedingung (BSG vom 12. April 2005 – B 2 U 11/04 R – BSGE 94, 262 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 14 jeweils RdNr. 17). Diese beruht auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie, nach der jedes Ereignis Ursache eines Erfolges ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist allerdings zwischen Ursachen zu unterscheiden, denen der Erfolg zugerechnet wird und die für den Erfolg rechtlich unerheblich sind. Als kausal und rechtserheblich werden nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs abgeleitet werden (BSG vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R – BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 17 jeweils RdNr. 13 f mwN). Erst nachdem feststeht, dass ein bestimmtes Ereignis eine naturwissenschaftliche Ursache für einen Erfolg ist, stellt sich die Frage nach einer wesentlichen Verursachung des Erfolgs durch das Ereignis.
Das Bundessozialgericht hat mit Urteil vom 17. Februar 2009 – B 2 U 18/07 R – (zitiert nach juris) entschieden, dass für die Prüfung der Unfallkausalität grundsätzlich nur dann Raum ist, wenn abgesehen von der versicherten Tätigkeit eine Konkurrenzursache etwa in Form einer inneren Ursache für den Sturz, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen ist. Allein die Möglichkeit einer inneren Ursache reicht demgegenüber nicht. Nur wenn mit Vollbeweis erwiesen ist, dass auch eine innere Ursache vorgelegen hat, stellt sich in einem zweiten Schritt die Frage, ob diese innere Ursache oder die versicherte Tätigkeit die wesentliche Ursache für den Sturz ist.
Ausgehend von diesen Vorgaben hat die Kammer zunächst medizinisch ermittelt und ein Sachverständigengutachten auf neuroradiologischem Fachgebiet in Auftrag gegeben. Dr. E. kam mit Gutachten vom 02. November 2016 zu dem Ergebnis, dass seines Erachtens die Wahrscheinlichkeit eines Krampfanfalles am Tag des Ereignisses als Ursache für das Trauma nicht unwahrscheinlich sei. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit könne die Frage jedoch nicht beantwortet werden. Ausgehend hiervon lag ein Vollbeweis für eine innere Ursache, die zu dem Sturz geführt haben kann, nicht vor.
Aufgrund der Aussagen des Zeugen D. und auch des Zeugen C. ist die Kammer im Rahmen der mündlichen Verhandlung jedoch im Sinne des Vollbeweises zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger am 22. Mai 2014 aus einer inneren Ursache heraus gestürzt ist und diese innere Ursache auch die wesentliche Ursache für den Sturz und das hieraus resultierende Schädelhirntrauma mit Kalottenfraktur und Subarachnoidal- und Kontusionsblutung war.
Zwar ist für die Kammer nicht erwiesen, dass der Kläger den Krampfanfall tatsächlich bereits vor dem Sturz hatte. Die Kammer ist jedoch davon überzeugt, dass der Kläger ausschließlich aufgrund eines Schwindels bzw. eines allgemeinen Unwohlseins gestürzt ist.
Beide Zeugen haben insofern glaubhaft und übereinstimmend angegeben, dass der Kläger am Unfalltag vor dem Sturz über ein Unwohlsein geklagt hat und zum Führerhaus des Lkw gegangen ist, um einen Schluck Wasser zu trinken. Nach der übereinstimmenden Aussage beider Zeugen hat der Kläger seine Arbeit danach wieder aufgenommen. Der Zeuge C. hat den Sturz nicht selbst wahrgenommen. Der Zeuge D. hat – wenn auch in gebrochenem Deutsch – den Unfallhergang jedoch mehrfach dahingehend beschrieben, dass der Kläger nach dem Einwerfen von Sperrmüll in den Lkw zunächst kurze Zeit regungslos dagestanden sei und dann nach hinten umgekippt sei. Der Zeuge D. hat an dieser Unfallbeschreibung durch die gesamte Vernehmung festgehalten und den Unfallhergang schließlich auch selbst demonstriert, so dass die Kammer auch keine Zweifel daran hat, dass die Aussage des Zeugen D. aufgrund von Sprachschwierigkeiten verfälscht sein könnte.
Beide Zeugen und auch der Kläger selbst haben zudem übereinstimmend erklärt, dass keinerlei Gegenstände am Boden lagen, über die der Kläger gestolpert sein könnte. Der Zeuge C. hat zudem verneint, dass der Kläger auf einen Bordstein gestürzt ist.
Ausgehend von einer Gesamtbetrachtung steht für die Kammer vor dem Hintergrund der Zeugenaussage mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest, dass der Kläger am Unfalltag nicht etwa gestolpert ist, sondern ohne eine äußere Einwirkung allein aufgrund eines inneren Unwohlseins gestürzt ist. Das vom Kläger vor dem Sturz beklagte Unwohlsein, die vom Zeugen D. beschriebene Art des Sturzes nach einem kurzen regungslosen Dastehen und auch die Schwere der Verletzung, die auf das Fehlen von körperlichen Abwehrreflexen schließen lassen, fügen sich für die Kammer nahtlos zusammen und belegen, dass der Kläger ohne eine sonstige äußere Ursache gestürzt ist.
Diese innere Ursache ist auch als die wesentliche Ursache für den Sturz anzusehen. Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass die versicherte Tätigkeit einen wesentlichen Beitrag zum Sturz geleistet hat. Für die Kammer ist nicht ersichtlich, dass sich ein besonderes Risiko des Arbeitsortes verwirklicht hat. Es gibt ausgehend von den übereinstimmenden Aussagen der Zeugen und des Klägers keinerlei Anhalt dafür, dass der Kläger über einen Gegenstand gestolpert ist. Auch hatte der Kläger zunächst die ihm vom Zeugen C. eingeräumte Möglichkeit, einen Schluck Wasser zu trinken bzw. sich kurz auszuruhen.
Eine Unfallkausalität ist vor diesem Hintergrund nicht gegeben.
Da das Ereignis vom 22. Mai 2014 nicht als Arbeitsunfall anerkannt werden kann, kommt auch die Gewährung von Verletztengeld gemäß § 45 SGB VII nicht in Betracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.