Aktenzeichen M 15 K 15.5562
BAföG § 2 Abs. 1a S. 1 Nr. 1, § 12 Abs. 2, § 14a
HärteV § 6
Leitsatz
Eine Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten einer auswärtigen stationären Unterbringung scheitert am Vorliegen eines unmittelbarem Zusammenhangs mit der Ausbildung i.S.v. § 14a Satz 1 Nr. 1 BAföG, wenn für die Unterbringung die pflegerische und pädagogische Betreuung des schwerbehinderten Auszubildenden maßgebend ist, sodass die Aufwendungen nicht entfallen wären, wenn der Schüler eine Ausbildungsstätte am Wohnort der Eltern besucht hätte. (Rn. 23 und 28) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Vorliegend konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da sich die Parteien mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
1. Der Kläger begehrt mit der als Leistungsklage auszulegenden Klage (§ 88 VwGO; vgl. a. BayVGH, B.v. 31.5.2019 – 12 ZB 14.1513 – juris Rn. 37) die Erstattung von Leistungen in einer sich aus der endgültigen Kostenaufstellung für den Zeitraum 9/2012 bis 7/2013 ergebenden Höhe von 94.742,06 Euro, sodass ein bestimmbarer Antrag vorliegt.
2. Die Klage ist jedoch unbegründet, da dem Kläger gegenüber der Beklagten kein Erstattungsanspruch gemäß § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X für von ihm gegenüber dem Auszubildenden Z. erbrachte Leistungen für dessen auswärtige Unterbringung zusteht.
Nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist für den Fall, dass ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen des § 103 Abs. 1 SGB X vorliegen, derjenige Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat.
Zwar ist ein Erstattungsanspruch des Klägers als nachrangig verpflichtetem Leistungsträger nicht dadurch begrenzt bzw. erloschen, dass die Beklagte gegenüber dem Auszubildenden Z. bestandskräftig die Leistung von Ausbildungsförderung mit Bescheid vom 8. Oktober 2012 abgelehnt hat (vgl. hierzu ausführlich BayVGH, B.v. 31.5.2019 – 12 ZB 14.1513 – juris Rn. 46 ff.).
Jedoch fehlt es vorliegend an einem dem Erstattungsanspruch zugrundeliegenden Anspruch des Auszubildenden Z. gegen die Beklagte auf Ausbildungsförderung: Ein Anspruch bei Annahme eines (nicht erhöhten) Grundbedarfs nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 BAföG besteht unstreitig jedenfalls aufgrund anzurechnenden Elterneinkommens nicht. Eine Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten der Unterbringung scheitert am Vorliegen eines unmittelbarem Zusammenhangs der besonderen Aufwendungen mit der Ausbildung i.S.v. § 14a Satz 1 Nr. 1 BAföG i.V.m. §§ 6 und 7 HärteV.
2.1 Gemäß § 14a Satz 1 Nr. 1 BAföG kann durch Rechtsverordnung bestimmt werden, dass bei einer grundsätzlich nach § 2 BAföG förderfähigen Ausbildung im Inland Ausbildungsförderung über die Beträge nach § 12 Abs. 1 und 2, § 13 Abs. 1 und 2 sowie § 13a BAföG hinaus zur Deckung besonderer Aufwendungen des Auszubildenden für seine Ausbildung geleistet wird, wenn sie hiermit in unmittelbarem Zusammenhang stehen und dies zur Erreichung des Ausbildungsziels notwendig ist. Nach § 6 Abs. 1 HärteV wird u.a. einem Auszubildenden, dessen Bedarf sich – wie hier – nach § 12 Abs. 2 BAföG bemisst, zur Deckung der Kosten der Unterbringung in einem Internat oder einer gleichartigen Einrichtung Ausbildungsförderung geleistet, soweit sie den nach diesen Bestimmungen des Gesetzes maßgeblichen Bedarfssatz übersteigen.
Ein Zusammenhang im Sinne des § 14a Satz 1 Nr. 1 BAföG besteht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (z.B. U.v. 2.12.2009 – 5 C 33/08 – juris Rn. 27 ff.; vgl. a. VG Augsburg, U.v. 5.2.2013 – Au 3 K 12.396 – juris Rn. 33 ff.; VG München, U.v. 7.11.2013 – M 15 K 13.68 – juris Rn. 53; VG Ansbach, U.v. 11.4.2014 – AN 2 K 11.02478 – juris Rn. 47 ff.), wenn ein Auszubildender eine seiner Behinderung entsprechende Ausbildungsstätte besuchen will, dies aber aufgrund der räumlichen Entfernung von Schul- und Wohnort eine Internatsunterbringung erforderlich macht und die Internatsbetreuung nicht ausschließlich oder vorrangig wegen der Art und Schwere einer Behinderung oder sonst zur Sicherung des Erfolges der Teilhabe notwendig wird. Bei einer derart aus Entfernungsgründen erforderlichen auswärtigen Unterbringung entfällt der unmittelbare Zusammenhang mit der Ausbildung nicht schon deswegen, weil die Behinderung für die Wahl der speziellen Ausbildungsstätte maßgebend ist und ohne die Behinderung eine wohnortnahe allgemeine Ausbildungsstätte besucht werden könnte. Die Internatsunterbringung hängt in diesen Fällen zwar mit der Behinderung zusammen, welche die Wahl des Standortes der Ausbildungsstätte prägt; für die Unterbringung in einem Wohnheim bzw. Internat, die bei einem Schulbesuch am Wohnort der Eltern nicht erforderlich gewesen wäre, ist dann aber unmittelbar die Ausbildung an einem bestimmten Ort und nicht – gar überwiegend – die pflegerische, medizinische und soziale Betreuung des Behinderten maßgebend. Liegen diese Voraussetzungen vor, handelt es sich auch dann um von dem Anwendungsbereich des § 14a Satz 1 Nr. 1 BAföG erfasste ausbildungsgeprägte besondere Aufwendungen, wenn sie im Übrigen durch die Behinderung bedingt sind (vgl. a. BayVGH, U.v. 13.5.2008 – 12 B 06.3207 – juris Rn. 31). § 6 Abs. 1 HärteV setzt voraus, dass in dem Internat oder Wohnheim auch eine pädagogische Betreuung durch geeignetes Fachpersonal erfolgt, so dass die Internatskosten regelmäßig deutlich über reinen Unterbringungskosten liegen werden, weil von ihnen auch die Aufwendungen umfasst sind, die wegen einer entsprechenden, auch auf die Behinderungen des betreuten Personenkreises sowie dessen Alter eingestellten pädagogischen Betreuung entstehen. Solche Mehrkosten der nach § 6 Abs. 1 HärteV gerade als Leistungsvoraussetzung geforderten pädagogischen Betreuung können nicht als spezifisch behinderungsbedingte Aufwendungen qualifiziert werden.
Wären die Aufwendungen dagegen auch erforderlich, wenn der Auszubildende eine Schule am Wohnort der Eltern besucht hätte, fehlt es schon an dem erforderlichen unmittelbaren Zusammenhang mit der Ausbildung im Sinne des § 14a Satz 1 Nr. 1 BAföG. Solche lediglich in einem mittelbaren Zusammenhang zur Ausbildung stehenden behinderungsbedingten Aufwendungen sind im Gegensatz zu den ausbildungsgeprägten behinderungsbedingten Aufwendungen als besondere, behinderungsbedingte Aufwendungen zu qualifizieren, die schon vom Ansatz her nicht geeignet sind, den ausbildungsförderungsrechtlichen Bedarf zu erhöhen (vgl. OVG NW, U.v. 23.1.2012 – 12 A 1905/11 – juris Rn. 62).
2.2 Unabhängig davon, ob es sich im vorliegenden Fall bei der vom Auszubildenden besuchten Ausbildungsstätte um eine förderfähige Einrichtung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG handelte, ob das Wohnheim die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 und 3 HärteV erfüllte und ob von der Wohnung der Eltern aus eine entsprechende zumutbare Ausbildungsstätte erreichbar war (§ 2 Abs. 1a BAföG), steht die Unterbringung des Auszubildenden im Caritas-Wohnheim Haus … in … jedenfalls nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Ausbildung.
Der schwerbehinderte Auszubildende war nicht im Caritas-Wohnheim Haus … in … untergebracht, weil er aus Entfernungsgründen von der Wohnung der Eltern aus keine zumutbare Schule besuchen konnte. Vielmehr wäre die stationäre Unterbringung nach Auffassung des Gerichts auch erforderlich gewesen, wenn es eine von der Wohnung der Eltern erreichbare, zumutbare – auf die Behinderung des Auszubildenden ausgerichtete – Schule gegeben hätte, sodass es sich bei den Kosten der Unterbringung um besondere behinderungsbedingte Aufwendungen handelte. Der konkrete Umfang des Bedarfs an medizinischer, pflegerischer und pädagogischer Betreuung im streitgegenständlichen Zeitraum lässt sich vorliegend insbesondere aus der Auswertung des Hilfebedarfs des Auszubildenden vom 29. Juni 2012 (Bl. 2/77 ff. mA) sowie dem Bericht des Wohnheims zu Problemen, Ressourcen, Zielen und zu treffenden Maßnahmen im Zeitraum 1. bis 31. Juli 2012 (Bl. 2/34 ff. mA) ableiten. Danach konnte der Auszubildende Z. Aufgaben des täglichen Lebens (alltägliche Lebensführung, individuelle Basisversorgung, Gestaltung sozialer Beziehungen, Teilnahme am kulturellen und gemeinschaftlichen Leben, Kommunikation und Orientierung, emotionale Entwicklung sowie Gesundheitsförderung und Erhaltung) mit wenigen Ausnahmen nicht bewältigen und benötigte weit überwiegend umfassende Hilfestellung bzw. intensive Anleitung und Begleitung seitens der Einrichtung. Im streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum wurde der Auszubildende ausweislich einer entsprechenden Mitteilung des Wohnheims (Bl. 657 der Sozialhilfeakte) lediglich einmal über Weihnachten für vier Tage zuhause betreut. Auch bei Heranziehung vorangehender und nachfolgender Zeiträume, wobei die Aussagekraft mit zunehmendem zeitlichen Abstand zum Bewilligungszeitraum abnimmt, ergibt sich nichts anderes. Der Auszubildende war auch während des Schulbesuchs in … im Zeitraum 9/2001 bis 9/2010 stationär – mit Unterbrechungen an den meisten Wochenenden sowie eines Teils der Ferien – im schuleigenen Wohnheim untergebracht, obwohl die Schule nur ca. 8,4 km vom Wohnort der Eltern entfernt war. Ebenso war der Kläger auch ab November 2013, d.h. nach dem streitgegenständlichen Zeitraum und nach Ende der Schulpflicht, stationär in einer Wohngruppe für Erwachsene mit geistiger Behinderung der Stiftung … untergebracht. Mithin war für die stationäre Unterbringung im Wohnheim die pflegerische und pädagogische Betreuung des schwerbehinderten Auszubildenden Z. maßgebend, sodass die Aufwendungen nicht entfallen wären, wenn der Schüler eine Ausbildungsstätte am Wohnort der Eltern besucht hätte.
2.3 Ergänzend wird ausgeführt, dass eine von der Voraussetzung des dargestellten Zusammenhangs unabhängige Leistung nach § 14a Satz 1 Nr. 2 BAföG nicht in Betracht kommt, da die HärteV keine isolierte Übernahme von Unterkunftskosten, sondern mit § 6 lediglich eine Leistung zur Deckung von Internatskosten, die über die Unterkunftskosten hinaus weitere Bestandteile enthalten müssen, vorsieht (vgl. BVerwG, U.v. 2.12.2009 – 5 C 33/08 – juris Rn. 22).
Nach alledem war die nach § 188 Satz 2 Halbs. 2 VwGO nicht gerichtskostenfreie Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.