Sozialrecht

Keine Zweifel an der Fachkompetent eines Gutachters

Aktenzeichen  12 O 8113/16

Datum:
1.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 55113
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 91
BGB § 242

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Der Streitwert wird für das Mahnverfahren auf 13.480,00 € und für das gerichtliche Verfahren auf 272.680,00 € festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist nicht begründet.
I.
1. Im vorliegenden Fall ist es für die Entscheidung des Rechtsstreits unerheblich, ob die ärztliche Invaliditätsfeststellung vom 12.09.2013 ausreichend war, um dem Kläger die Ansprüche wegen aller von ihm behaupteten unfallbedingten Beeinträchtigungen zu erhalten, bzw. ob es der Beklagten wegen Treu und Glauben verwehrt ist, sich auf die Unzulänglichkeit zu berufen.
2. Auch spielt letztlich keine Rolle, in welchem Umfang die bereits vorher vorhandene Fußheberschwäche oder der Bandscheibenvorfall aus dem Jahr 2000 die Versicherungsleistung der Beklagten nach Ziffern 3 AUB 2008 i.V.m dem Versicherungsschein bzw. Ziffer 5.2.1 AUB 2008 aufheben oder mindern könnte.
3. Denn dem Kläger ist es bereits nicht gelungen zu beweisen, dass die von ihm geltend gemachten Beeinträchtigungen tatsächlich auf dem Unfall vom 27.06.2012 beruhen.
(a.) Der fachorthopädische Gutachter Dr. R. M2. kam nach eingehendem Studium aller zur Verfügung stehenden ärztlichen Unterlagen und nach eigener Befragung und Untersuchung des Klägers zu dem Ergebnis, dass keine Anhaltspunkte für eine längerfristige gesundheitliche Beeinträchtigung des Klägers vorliegen.
Im Hinblick auf das beantragte Krankentagegeld führte der Sachverständige aus, dass sich aus den vorhandenen Dokumentationen lediglich die Diagnose eines leichten Schädel-Hirntraumas als Folge des Unfalls ergäbe, dass zu einer Arbeitsunfähigkeit von maximal 3 Wochen geführt habe. Objektivierbare klinische oder morphologische Befunde, die etwas anderes oder mehr belegen würden, fehlten. Deshalb sei rückwirkend eine Arbeitsunfähigkeit des Klägers für den darüber hinausgehenden Zeitraum nicht beweisbar. Die geltend gemachten starken Schmerzen für diesen Zeitraum seien allein subjektive Angaben des Klägers, die nicht objektivierbar seien.
Auch hinsichtlich des Invaliditätsanspruchs wies der Sachverständige darauf hin, dass ein Dauerschaden bedingt durch den streitgegenständlichen Unfall durch die vorhandenen Dokumente nicht belegbar sei. Im Übrigen hätten sich entsprechende Anhaltspunkte auch nicht bei seiner persönlichen Befragung und Untersuchung des Klägers ergeben. Die körperliche Untersuchung und Beobachtung habe insbesondere ergeben, dass bei dem Kläger trotz der vorhandenen Vorschädigung der Bandscheiben und der Zehenheberparese die Schuhe seitengleich abgenutzt waren, die Muskulatur des Rumpfes, des Rückens und des Bauchs symmetrisch ausgeprägt war und auch die grobe Kraft der beiden oberen Extremitäten seitengleich dargeboten wurde. Auch sei die Halswirbelsäule, sowie die Brust/Lendenwirbelsäule seitengleich beweglich. Bei der Röntgenuntersuchung fanden sich keine Anhaltspunkte für unfallbedingte Strukturschäden. Unfall unabhängig seien lediglich im Bereich der Halswirbelsäule und im Bereich des Zwischenwirbelraums L5/S1 Veränderungen vorhanden gewesen. Die von dem Kläger auch bei der körperlichen Untersuchung geäußerten Empfindungsstörungen und Schmerzen seien bei diesen Befunden nicht zu objektivieren. Der Sachverständige kam zu dem Ergebnis, dass aus seiner Sicht überhaupt kein unfallbedingter Dauerschaden eingetreten sei.
Der Sachverständige wurde dem Gericht nach entsprechender Anfrage von der Ärztekammer des Saarlandes empfohlen. Aus der umfangreichen Darstellung des Sachverständigen zu den angeforderten Unterlagen und deren Bewertung, sowie der dargelegten körperlichen Untersuchung und der selbst durchgeführten Röntgenaufnahmen, ergibt sich, dass der Sachverständige alle verfügbaren Erkenntnisquellen berücksichtigt und bewertet hat. Seine Ausführungen sind logisch und nachvollziehbar. Daher ist nach seinem Gutachten davon auszugehen, dass jedenfalls aus orthopädischer Sicht weder eine Arbeitsunfähigkeit über die ersten 4 Wochen nach dem Unfall hinaus, noch eine Invalidität nachzuweisen ist.
(b.) Aufgrund des zutreffenden Einwands der Klägervertreterin, dass das Gutachten des Sachverständigen nicht mögliche neuronale Veränderungen und sich daraus resultierende Beeinträchtigungen berücksichtigt, wurde noch ein weiteres Gutachten eingeholt.
Jedoch hat auch das neurologische Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. J. kein anderes, für den Kläger günstigeres Ergebnis erbracht. Auch dieser Gutachter würdigte zunächst alle vorhandenen Dokumentationen aus vorangegangenen Behandlungen und Untersuchungen. Im Rahmen der Anamnese ließ sich der Sachverständige auch die Lebensgeschichte erzählen, fragte nach vorangegangenen Erkrankungen und körperlichen Einschränkungen und den damit einhergehenden Schmerzempfindungen des Klägers. Auch er untersuchte die Muskulatur des Klägers und beobachtete seine Beweglichkeit und das geäußerte Schmerzempfinden in der Untersuchungssituation, aber auch davor und danach. Auch untersuchte er die Reflexe der Muskeln. Elektrophysiologische Zusatzuntersuchungen konnten nicht durchgeführt werden, weil der Kläger bereits bei der Vorbereitung der Untersuchung, nämlich bei der Vergleichsmessung am gesunden Bein zur Ermittlung der Wahrnehmungsschwelle, so starke Schmerzen äußerte, dass die Untersuchung abgebrochen werden musste. Nach dem Ergebnis auch dieses Gutachtens sind die von dem Kläger vorgebrachten Einschränkungen und starken Schmerzen nicht beweisbar auf das Unfallereignis zurückzuführen.
Auch dieser Sachverständige wurde auf Anfrage des Gerichts von der Ärztekammer des Saarlandes empfohlen. Auch dieser Sachverständige setzte sich intensiv mit den übermittelten Unterlagen auseinander und bewertete diese, etwa unter dem Gesichtspunkt einer besonders gründlichen (S. 13: sozialmedizinisches Gutachten) bzw. seiner Auffassung nach unzureichenden Untersuchung (S. 23: Atteste L.) auf nachvollziehbare Weise.
Außerdem erläuterte der Sachverständige sein Gutachten in der mündlichen Verhandlung vom 24.09.2019. Der Kläger hielt ihm vor, dass er seit der Maßnahme im Jahr 2001 bis zum Unfall im Jahr 2012 keinerlei Schmerzen mehr wegen seiner Bandscheibe oder seiner Fußheberschwäche gehabt hätte. Es sei fehlerhaft, wenn der Sachverständige nun davon ausgehe, das seine jetzigen Beschwerden mit dem Bandscheibenschaden zu tun hätten. Denn geschädigte Nervenfasern würden entweder absterben oder sich nach einigen Monaten regenerieren, so dass sie keine Schmerzen mehr verursachten. Dem widersprach der Sachverständige damit, dass eine Teilheilung eher die Regel sei, so dass Beschädigungen am Nerv fortbestehen könnten und damit der Nerv dauerhaft Schmerz belastet ist. Der Kläger hielt dem Sachverständigen auch vor, dass seine elektoneurographische Untersuchung nicht fachgerecht gewesen sei. Es sei viel zu viel Strom verwendet worden. Außerdem hätte der Sachverständige einzelne Nervenfasern auf ihre Funktionsfähigkeit messen müssen und nicht den Nerv als Ganzen. Dies demonstrierte er anhand eines mitgebrachten haushaltsüblichen Elektrokabels. Der Sachverständige erläuterte u.a., dass er derartige Untersuchungen, wie beim Kläger, mehr als 1000mal im Jahr durchführt und er sich an keinen Fall erinnern kann, bei dem ein Proband die Untersuchung schon bei der Vergleichsmessung am gesunden Körperteil vor Schmerzen abgebrochen habe. Er erläuterte außerdem, wann eine Untersuchung an einzelnen Nervenfasern Sinn macht und wann nicht. Außerdem erklärte er, dass der Kläger auch bei dem Setzen einer Nadel zur Messung der Muskelaktivität im gesunden Bein vor Schmerz aufgeschrien habe, obwohl bei dieser Untersuchung gar kein Strom fließt und die Maßnahme auch nicht schmerzhaft sei.
Die Ausführungen auch dieses Sachverständigen waren nachvollziehbar und gründlich hergeleitet und beruhten sichtlich auch auf seiner langjährigen beruflichen Erfahrung. Demgegenüber konnte der Kläger keine besseren Alternativmethoden zur Feststellung seiner Beeinträchtigungen angeben. Damit ergaben sich keine Zweifel an der Fachkompetenz des Gutachters und seiner inhaltlichen Ausführungen. Der Kläger verkennt, dass der Sachverständige gar nicht abstritt, dass der Kläger unter u. U. sogar sehr starken Schmerzen leidet. Er konnte jedoch den Ursachenzusammenhang zu dem streitgegenständlichen Unfall nicht herstellen. Das ist aber Anspruchsvoraussetzung für die geltend gemachten Ansprüche des Klägers aus dem Versicherungsvertrag.
Die Klage war demnach abzuweisen.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gemäß § 709 ZPO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 3 ZPO.

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