Sozialrecht

Kostenerstattung des Eigenanteils für künstliche Befruchtung

Aktenzeichen  S 6 KR 537/17

Datum:
30.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 40470
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V § 11 Abs. 6, § 27a Abs. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

Ein Anspruch auf Erstattung von Behanndlungskosten setzt voraus, dass zwischen der Leistungsablehnung und der Selbstbeschaffung eine Kausalität besteht. Die Leistung muss demnach zeitlich nach der Erteilung des Bescheids beschafft worden sein und die wesentliche Ursache der Selbstbeschaffung muss in der Ablehnung der Leistung durch die Beklagte liegen. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage gegen den Bescheid vom 22. Mai 2017 in Fassung des Widerspruchsbescheids vom 28. September 2017 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Die gemäß §§ 87, 90 Sozialgerichtsgesetz (SGG) frist- und formgerecht erhobene Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
Rechtsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch in Höhe ihres gesetzlichen Eigenanteils von 50% gemäß § 27a Abs. 3 Satz 3 SGB V für den Behandlungszyklus im November/Dezember 2017 ist hier § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alternative SGB V in Verbindung mit § 19b der Satzung der Beklagten.
Nach § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alternative SGB V haben Versicherte einen Kostenerstattungsanspruch für selbst beschaffte Leistungen, wenn die Beklagte die Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch dem Versicherten Kosten entstanden sind.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) muss zwischen der Ablehnung der Leistung und der hierauf erfolgten Selbstbeschaffung ein kausaler Zusammenhang bestehen. Dies ergibt sich nach dem BSG aus der Verwendung des Wortes „dadurch“ in § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz SGB V (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. hier zum Beispiel BSG SozR 4-2500 § 13 Nr. 1; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr. 12). Die Kausalität zwischen der Leistungsablehnung und der Selbstbeschaffung hat sodann zwei Voraussetzungen. Zum einen muss die Leistung zeitlich nach der Erteilung des Bescheids beschafft worden sein und zum anderen muss die wesentliche Ursache der Selbstbeschaffung in der Ablehnung der Leistung durch die Beklagte liegen (vgl. hierzu BSG-Entscheidung 96, 161 = SozR 4-2500 § 13 Nr. 8, jeweils Rn. 24). Die wesentliche Ursache der Selbstbeschaffung liegt aber nur dann in der Ablehnung der Beklagten, wenn sich der Versicherungsnehmer nicht unabhängig davon, wie eine Entscheidung der Krankenkasse ausfällt, von vornherein auf eine bestimmte Art der Krankenbehandlung festgelegt hat (BSG, Urteil vom 16.12.2008 – B 1 KR 2/08 R, Rn. 28).
Vorliegend hat die Klägerin zwar den weiteren Behandlungszyklus im November/Dezem-ber 2017 entsprechend dem Folgebehandlungsplan vom 14.03.2017 nach Ablehnung der Übernahme der Kosten des Eigenanteils hierfür durch die Beklagte mit Bescheid vom 20.04.2017 in Fassung des Änderungsbescheids von 22.05.2017 im November/Dezem-ber 2017 begonnen und sich damit die Leistungen in Höhe des Eigenanteils nach der Ablehnungsentscheidung der Beklagten selbst beschafft. Das Gericht geht jedoch davon aus, dass die Ablehnung der Beklagten für die Kostenübernahme des Eigenanteils nicht wesentliche Ursache für diese Selbstbeschaffung war. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Klägerin unabhängig von der Entscheidung der Beklagten hinsichtlich der Kostenübernahme für den Eigenanteil die Maßnahme entsprechend dem Folgebehandlungsplan vom 14.03.2017 durchgeführt hätte, sich also von vornherein darauf festgelegt hatte, diese Maßnahmen auch auszuschöpfen.
Dies ergibt sich für das Gericht aus dem Telefonvermerk der Beklagten mit dem Ehemann der Klägerin vom 12.05.2017, in dem sich dieser zwar enttäuscht hinsichtlich der fehlenden Übernahme des Eigenanteils zeigte, aber nicht mitgeteilt hat, dass damit insgesamt die Folgebehandlung noch einmal von der Klägerin überdacht werden müsste. Das Gericht ist daher davon überzeugt, dass von der Klägerin unabhängig von der Entscheidung der Beklagten, ob sie ihr den Eigenanteil für die Folgebehandlungen erstatte oder nicht, von Anfang an gewollt war, diese auch bei bloßer Übernahme des gesetzlichen Anteils der Kosten durch die Beklagte durchzuführen.
Damit fehlt es am notwendigen kausalen Zusammenhang zwischen der fehlenden Übernahme der Kosten des Eigenanteils durch die Beklagte und die hierauf erfolgte Selbstbeschaffung im November/ Dezember 2017.
Unabhängig davon hat die Beklagte aber auch die Übernahme des Eigenanteils der Klägerin für die Folgebehandlung im November/Dezember 2017 nicht zu Unrecht abgelehnt.
Vielmehr hat diese mit Bescheid vom 27.10.2016 der Klägerin eine Übernahme der Kosten ihres gesetzlichen Eigenanteils für maximal drei Kinderwunschbehandlungen bewilligt und hierbei bestimmt, dass bei Einreichung der Eigenanteilsrechnung für die nicht komplett durchgeführte Maßnahme diese der Anzahl der auf den Behandlungsplan genehmigten Versuche angerechnet werde. Damit hat die Beklagte in diesem Bescheid die Regelung getroffen, dass bei der Übernahme des gesetzlichen Eigenanteils der Klägerin auch nicht komplett durchgeführte Maßnahmen zu der maximal zu bewilligenden Anzahl von drei Behandlungsmaßnahmen hinzuzuzählen sind.
Diese Regelung ist zwischen den Beteiligten gemäß § 77 SGG auch bestandskräftig geworden, da gegen diesen Bescheid nicht innerhalb der Frist des § 66 Abs. 2 SGG Widerspruch eingelegt worden ist.
Damit ist zwischen der Klägerin und der Beklagten bindend geregelt, dass Anspruch auf Übernahme des gesetzlichen Eigenanteils der Klägerin durch die Beklagte nur für maximal drei Behandlungsmaßnahmen besteht, zu denen auch nicht vollendete gehören.
Ein Anspruch auf Übernahme des Eigenanteils der Klägerin für die Folgebehandlungen besteht somit nicht.
Auch wenn es somit nach Ansicht des Gerichts nicht mehr darauf ankommt, ob der Bescheid vom 27.10.2016 rechtswidrig war oder nicht, vertritt das Gericht zudem die Ansicht, dass dieser Bescheid nicht rechtswidrig war.
Gemäß § 19b Abs. 1 der Satzung der Beklagten besteht ein Anspruch auf Übernahme des gesetzlichen Anteils der Versicherten für Behandlungsmaßnahmen nach § 27a SGB V für die ersten drei Versuche. Im Gegensatz zu der gesetzlichen Regelung des § 27 Abs. 1 Nr. 3 SGB V, der für die Feststellung einer hinreichenden Aussicht von Behandlungsmaßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft voraussetzt, dass die Maßnahme nicht bereits dreimal ohne Erfolg durchgeführt worden ist, regelt § 19b Abs. 1 der Satzung der Beklagten eine Kostenübernahme für die ersten drei Versuche. Bereits begrifflich unterscheidet damit die Beklagte zwischen den in § 27a Abs. 1 SGB V normierten Anspruch auf Übernahme der gesetzlichen Kosten für Behandlungsmaßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft und der von ihr über diesen gesetzlichen Anspruch hinaus gewährten Kostenübernahme. Nach Ansicht des Gerichts wird hier dabei bereits deutlich, dass die Beklagte nicht den Eigenanteil der Versicherten für alle gemäß § 27a Abs. 1 SGB V zu gewährenden Behandlungsmaßnahmen übernimmt, sondern für die ersten drei Maßnahmen, zu denen auch die zählen, die nicht vollendet werden, sondern im Versuchsstadium verbleiben. Dies wird durch den Begriff „Versuche“ nach Ansicht des Gerichts hinreichend bestimmt festgelegt.
Die Beklagte hat bei dieser Ermessensleistung auch nicht ihren gesetzlichen Rahmen verletzt. Vielmehr ist durch diese Regelung für die Versicherten ein Kostenübernahmeanspruch entstanden, der die gesetzliche Regelung des § 27a Abs. 3 Satz 2 SGB V hinsichtlich des von den Versicherten grundsätzlich selbst zu tragenden Eigenanteils erweitert. Die Versicherten der Beklagten erhalten damit nicht ein „Weniger“ als gesetzlich vorgesehen, sondern ein „Mehr“. Wie viel an „Mehr“ die Beklagte durch ihre Satzung ihren Versicherten gewährt, liegt in ihrem Ermessen. Sie ist deshalb gerade nicht dazu verpflichtet, den vom Bevollmächtigten geforderten „Gleichlauf“ zwischen der Übernahme des gesetzlichen Eigenanteils ihrer Versicherten und der Regelung des § 27a Abs. 1 Nr. 2 SGB V in der Weise herbeizuführen, dass sie für jede nach § 27a Abs. 1 SGB V zu gewährende Heilbehandlung auch den gesetzlichen Eigenanteil der Versicherten zu übernehmen habe. Da es sich bei der Übernahme des gesetzlichen Eigenanteils durch die Krankenversicherung um ein „Mehr“ an Leistungen handelt, also der gesetzliche Leistungsrahmen gerade nicht eingeschränkt, sondern erweitert wird, hätte die Beklagte im Rahmen ihres Ermessens auch bestimmen können, dass der Eigenanteil der Versicherten nur für eine einzige Behandlungsmaßnahme übernommen werde, ohne dass dies rechtswidrig gewesen wäre.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Beklagte in § 19b Abs. 1 Bezug nimmt auf § 27a SGB V. Damit sollte nur ausgeschlossen werden, dass auch Kostenübernahme begehrt wird für Leistungen, die zwar der Herbeiführung einer Schwangerschaft dienten, aber nicht mehr die Leistungsvoraussetzungen des § 27a Abs. 1 SGB V erfüllten.
Insgesamt kann daher auch eine Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 27.10.2016 nicht festgestellt werden.
Zu Recht hat somit die Beklagte mit Bescheid vom 22.05.2017 in Fassung des Widerspruchsbescheids vom 28.09.2017 es abgelehnt, der Klägerin die Kosten in Höhe ihres Eigenanteils für die Behandlungsmaßnahme im November/Dezember 2017 zu erstatten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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