Aktenzeichen L 11 AS 592/17
SGB II § 21 Abs. 6
Leitsatz
Keine Umdeutung einer ausdrücklich eingelegten Berufung in eine Nichtzulassungsbeschwerde. (Rn. 12)
Verfahrensgang
S 13 AS 690/17 2017-07-12 Urt SGNUERNBERG SG Nürnberg
Tenor
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 12.07.2017 – S 13 AS 690/17 – wird verworfen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Streitig ist, ob der Beklagte die Kosten für eine Lese- und Fernsichtbrille bzw. Gleitsichtbrille, die Kosten der Fußpflege und die Auslagen für Kleidung zur Teilnahme an einer Rehabilitationsmaßnahme zu übernehmen hat.
Der Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 19.01.2017 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II -Alg II-) gemäß dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.03.2017 bis 28.02.2018. Am 13.06.2017 beantragte der Kläger u.a. die Übernahme der Kosten für eine Brille (Lese- und Fernsichtbrille alternativ Gleitsichtbrille), für die wegen seiner Bewegungseinschränkung erforderliche Fußpflege und die Erstattung der Ausgaben für Sportkleidung und Schuhe und ein großes Badetuch bei einer Rehabilitationsmaßnahme.
Mit dem nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung:versehenen Bescheid vom 22.06.2017 lehnte der Beklagte u.a. die Übernahme dieser Kosten ab. Ausgaben für eine Brille und die Fußpflege seien aus dem Regelbedarf zu decken. Zusätzliche Bedarfe für Rehabilitationsmaßnahmen gehörten nicht zum Leistungskatalog des SGB II. Im Übrigen handele es sich um Alltagskleidung, ein zusätzlicher, unabweisbarer laufender Bedarf sei nicht zu erkennen. Widerspruch hiergegen legte der Kläger (noch) nicht ein. Wegen der Ablehnung der Kosten für eine Brille hat der Kläger am 28.06.2017, wegen der Kosten für die Fußpflege am 01.07.2017 und wegen der Aufwendung für die Rehabilitationsmaßnahme am 03.07.2017 Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben. Am 05.07.2017 bzw. 08.07.2017 ist der Kläger zur mündlichen Verhandlung am 12.07.2017 geladen worden. Die Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) hat das SG mangels Durchführung eines Widerspruchsverfahrens und der damit unzulässigen Klagen mit Beschlüssen vom 10.07.2017 abgelehnt. In der mündlichen Verhandlung vom 12.07.2017 hat es die Klagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und mit Urteil vom 12.07.2017 die „Klage“ abgewiesen. Sie sei zwar zulässig, denn die Klageerwiderung könne ausnahmsweise als Widerspruchsbescheid angesehen werden. Eine Kostenübernahme für die Brille und die Fußpflege komme nicht in Betracht, da diese Bedarfe vom Regelbedarf erfasst seien. Es handele sich nicht um einen laufenden besonderen Bedarf, der in einer atypischen Lebenslage anfiele. Die wegen der Rehabilitationsmaßnahme entstandenen Aufwendungen stellten keinen zusätzlichen unabweisbaren laufenden Bedarf im Sinne des § 21 Abs. 6 SGB II dar. Die Berufung hat das SG nicht zugelassen.
Dagegen hat der Kläger Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) erhoben. Die Vorsitzende des SG habe „von nichts eine Ahnung“, über PKH-Anträge sei erst im Nachhinein entschieden worden, Ladungsfristen seien nicht eingehalten worden. Mit einer Entscheidung im Beschlussverfahren hat er sich nicht einverstanden erklärt.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 12.07.2017 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22.06.2017 zu verurteilen, die Kosten für Brillengläser, für die Fußpflege und für die Auslagen wegen der Rehabilitationsmaßnahme zu übernehmen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.
Er hält die Entscheidung des SG für zutreffend.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II.
Die Berufung ist unzulässig und war daher zu verwerfen.
Der Senat konnte hierüber durch Beschluss gemäß § 158 Satz 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden, die Beteiligten sind hierzu gehört worden (§ 158 Satz 4 SGG). Das Einverständnis der Beteiligten hierzu ist nicht erforderlich; das Vorbringen des Klägers führt nicht zur Erforderlichkeit einer mündlichen Verhandlung.
Das SG hat die Berufung nicht zugelassen. Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird vorliegend nicht erreicht (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Streitig ist die Kostenübernahme für Brillengläser, Fußpflege und einen Trainingsanzug, Turnschuhe und ein großes Badetuch für die Rehabilitationsmaßnahme. Hierdurch wird ein Wert des Beschwerdegegenstandes von 750,00 € keinesfalls erreicht. Bei einem unbezifferten Antrag muss das Gericht den Wert ermitteln. Eine überschlägige Berechnung kann hierbei ausreichen (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage, § 144 Rn. 15b). Nach einer Recherche im Internet sind Gleitsichtbrillen bereits für einen Preis bis zu 300,00 € zu erhalten, Turnschuhe, Badetücher und Trainingsanzüge sind mit einem Kaufpreis von allenfalls ca. 50,00 € zu berücksichtigen und für eine Fußpflege ein Kostenaufwand von 20,00 € bis 30,00 € anzusetzen. Damit wird der Wert des Beschwerdegegenstandes nicht erreicht. Zu Recht hat das SG daher in seiner Rechtsmittelbelehrungauf das Rechtsmittel der Nichtzulassungsbeschwerde hingewiesen.
Entgegen der erteilten Rechtsmittelbelehrunghat der Kläger jedoch ausdrücklich „Berufung“ erhoben, wobei sich das Vorbringen des Klägers vorliegend nicht dem erstinstanzlichen Verfahren zuordnen lässt. Das SG hat die Ladungsfristen eingehalten (§ 202 SGG iVm § 217 Zivilprozessordnung) und nach Vorlage des angeforderten Fragebogens zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen vor der mündlichen Verhandlung über die Bewilligung von PKH entschieden. Bei der Auslegung eines Antrages geht der Senat davon aus, was der Kläger erreichen möchte (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage, § 123 Rn. 3). Nachdem die weiteren Ausführungen des Klägers nicht zum vorliegenden Verfahren in Beziehung stehen – der Kläger war zur mündlichen Verhandlung vor dem SG persönlich erschienen und hat auch die angeblich fehlende rechtzeitige Entscheidung über den Antrag auf PKH nicht moniert -, bleibt allein der von ihm gewählte Wortlaut, um sein Begehren auszulegen. Hiernach hat er ausdrücklich „Berufung“, nicht aber Nichtzulassungsbeschwerde erhoben. Diese entgegen der erteilten Rechtsmittelbelehrungausdrücklich vom Kläger gewählte Bezeichnung ist einer Auslegung nicht zugänglich, es ist eine Umdeutung erforderlich. Eine Umdeutung einer Berufung in eine Nichtzulassungsbeschwerde ist aber grundsätzlich auch bei nicht rechtskundig vertretenen Klägern nicht möglich (BSG, Urteil vom 10.11.2011 – B 8 SO 12/11 B -, Beschluss des Senates vom 02.09.2016 – L 10 AL 125/15 NZB – beide veröffentlicht in juris; vgl. dazu auch Leitherer a.a.O. § 151 Rn. 11a). Der Kläger ist vom Senat auch auf das zutreffend zu erhebende Rechtsmittel innerhalb der noch offenen Rechtsmittelfrist hingewiesen worden (Schreiben vom 17.08.2017).
Nach alledem war die Berufung zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.