Sozialrecht

Krankengeld bei Arbeitsunfähigkeit im Alg-Bezug – Ablehnung Antrag nach § 109 SGG

Aktenzeichen  L 5 KR 200/13

Datum:
7.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V SGB V § 5 Abs. 1 Nr. 1, § 44 Abs. 1 S. 1
SGB III SGB III § 136 Abs. 1
SGG SGG § 109

 

Leitsatz

Wer während des Bezuges von Arbeitslosengeld arbeitsunfähig erkrankt hat nach Ende der sechswöchigen Leistungsfortzahluung nur dann Anspruch auf Krankengeld, wenn er krankheitsbedingt keine Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mehr ausüben kann. (redaktioneller Leitsatz)
Ein Berufsschutz aus vorangegangenen Beschäftigungen besteht insoweit in der Krankenversicherung der Arbeitslosen nicht. (redaktioneller Leitsatz)
Auch ein Antrag nach § 109 SGG muss das Beweisthema konkret benennen. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 5 U 180/10 2013-04-09 Urt SGAUGSBURG SG Augsburg

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG), aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 28.09.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hatte über den 03.10.2010 hinaus keinen Anspruch auf Krankengeld wegen der zum 19.02.2010 eingetretenen Arbeitsunfähigkeit, weil ab diesem Datum Arbeitsunfähigkeit nicht mehr bestanden hatte.
1. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben gesetzlich Krankenversicherte wie der Kläger Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Arbeitsunfähigkeit liegt nach der Begriffskonkretisierung der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. BSG, Urt. v. 14.02.2001 – B 1 KR 30/00 R; 04.04. 2006 – B 1 KR 21/05 R), die auch in die Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien übernommen, dann vor, wenn der Betroffene seine zuletzt vor Eintritt des Versicherungsfalles aus dem Krankengeld-Schutz resultierenden Versicherungsverhältnis konkret ausgeübte Tätigkeit nicht mehr oder nur auf die Gefahr hin, seinen Zustand zu verschlimmern, verrichten kann. Ist der Versicherte bereits bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit arbeitslos, so besteht nicht mehr der Bezugspunkt einer vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit unmittelbar ausgeübten Beschäftigung. Denn ein Krankengeld-Schutz vermittelndes Beschäftigungsverhältnis nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V besteht nicht mehr, sondern ein Krankenversicherungsverhältnis aus der Krankenversicherung der Arbeitslosen, § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V.
Dann sind Maßstab der Arbeitsunfähigkeit auch in den ersten sechs Monaten der Arbeitslosigkeit alle Beschäftigungen, für welche sich die Versicherten der Arbeitsverwaltung zwecks Vermittlung zur Verfügung gestellt haben und welche ihnen arbeitslosenversicherungsrechtlich zumutbar sind. Einen darüber hinausgehenden krankenversicherungsrechtlichen „Berufsschutz“ gibt es auch insoweit nicht (BSG, Urt. v. 04. 04.2006 – B 1 KR 21/05 R, BeckRS 2006, 41945).
2. In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze auf den hier zu entscheidenden Fall ist zunächst festzustellen, dass nach dem Vorbringen und dem Antrag des Klägers sowie nach dem gesamten Akteninhalt maßgeblich ist die zum 19.02.2010 eingetretene Arbeitsunfähigkeit aus Anlass der stationären Behandlung der rechten Schulter in der Stiftsklinik W. gem. § 45 Abs. 1, Alt. 2 SGB V. Diese hatte nach der Beendigung der stationären Behandlung fortgedauert iSd § 45 Abs. 1, Alt. 1 SGB V entsprechend fortlaufender ärztlicher Bescheinigungen. Ein medizinisch-relevanter Zusammenhang in Bezug auf den Arbeitsunfähigkeitsbegriff mit dem unfallversicherungsrechtlichen Geschehen vom 26.06.2009 ist nicht herzustellen. Denn deswegen hatte der Kläger gemäß rechtskräftigem Urteil des Bayer. LSG vom 22.05.2012 – Az.: L 3 U 195/11 Anspruch auf Verletztengeld nur bis einschließlich 18.11.2009, weitere Leistungen über dieses Datum hinaus waren nicht zu erbringen, weil Arbeitsunfähigkeit (hier gem. § 45 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII bei völliger Begriffs-Identität mit der krankenversicherungsrechtlichen Arbeitsunfähigkeit nach § 44 SGB V – BSG, Urt. v. 30. 10. 2007 – B 2 U 31/06 R, BeckRS 2008, 51884) nicht mehr bestanden hatte. Dementsprechend hatte der Kläger auch infolge Erfüllung der Voraussetzung der Vermittelbarkeit iSd § 138 Abs. 1 Nr. 3 SGB III Anspruch auf Arbeitslosengeld gem. § 136 Abs. 1 SGB III und diese Leistung ohne Anwendung von Sondernormen zur Verfügbarkeit auch bezogen. Der Kläger hatte sich also uneingeschränkt der Vermittlung in Arbeit zur Verfügung gestellt.
3. In der Folge sind Maßstab für das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit über den 03.10.2010 hinaus alle Tätigkeiten, die der allgemeine Arbeitsmarkt zur Verfügung stellt. Die (in der Probezeit beendete) Tätigkeit gem. Arbeitsvertrag vom 22.03.2010 als „Leiter Lager und Produktion“ ist nicht maßgeblich.
Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt war der Kläger vermittelbar mit den folgenden medizinisch bedingten Einschränkungen, welche aber ein vollschichtiges Leistungsvermögen mit nur leicht vermittlungseinschränkendem, aber nicht vermittlungshinderndem Effekt ermöglicht haben.
a) In Würdigung der beigezogenen Befund- und Behandlungsberichte einschließlich der Reha-Entlassungsberichte, der medizinischen Unterlagen aus dem unfallversicherungsrechtlichen Verfahren sowie der überzeugenden erstinstanzlichen Feststellungen der Sachverständigen Dr. A. und der ebenso überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen Dr. C. ist festzustellen, dass bei dem Kläger im gegenständlichen Zeitraum folgende Erkrankungen vorgelegen hatten: Einsteifende Fingerbewegungseinschränkungen links, Bewegungsschmerzen ohne Funktionsbehinderung der rechten Schulter bei Riss der körpernahen Bizepssehne (gem. Arthroskopie der rechten Schulter in Rosenheim 2007), Belastungsminderung der Hand rechts, chronische Belastungsschmerzen mit Gangstörung Ferse rechts, Wirbelsäulenabhängige Beschwerden ohne Funktionsstörung, Adipositas sowie Chronische Schmerzstörung. Die weiteren von Dr. C. angeführten Erkrankungen wie z. B. Husten oder Perianalekzem sind auf andere Zeiträume zu beziehen oder wie namentlich der festgestellten „Zustand nach“ morbus sudeck für die Vermittelbarkeit im strittigen Zeitraum nicht relevant; dies gilt auch für die weiteren von Dr. C. festgehaltenen vor oder nach dem strittigen Zeitraum liegenden Erkrankungen.
b) Bei diesen Erkrankungen ist der Kläger nach den insoweit ebenfalls überzeugenden Einschätzungen der Sachverständigen Dr. A. und Dr. C. jedenfalls ab dem den 04.10.2010 imstande gewesen, auf den allgemeinen Arbeitsmarkt leichte körperliche Tätigkeiten vollschichtig auszuüben. Zwar waren diese Tätigkeiten nur im Sitzen mit der Möglichkeit des Wechsels mit Gehen und Stehen, ohne Zwangshaltungen der Wirbelsäule, ohne Anforderungen besonderer Art an die linke Hand, ohne längere grobe Grifftätigkeiten der rechten Hand, ohne längere Überkopfarbeiten, ohne inhalativer Reizstoffe, Zugluft, Nässe sowie ohne besondere Wärmeexposition der rechten Hand zumutbar. Diese Einschränkungen qualitativer Art jedoch haben die Vermittelbarkeit des Klägers in den allgemeinen Arbeitsmarkt der Bundesrepublik Deutschland nicht relevant beschränkt, weil eine Vielzahl von Tätigkeiten in ausreichender Zahl zur Verfügung steht, in welchen diese Einschränkungen ohne weiteres Berücksichtigung finden können.
c) Diesen Diagnosen sowie Leistungseinschätzungen der Dr. A. und C. folgt der Senat. Denn beide verfügen über die Sachkunde iSd § 199 SGG, § 407a Abs. 1 ZPO, sie haben den gesamten Akteninhalt, also sämtliche Vorgutachten, Befundberichte und weitere ärztliche Unterlagen vollständig aufgenommen und in ihrer Beurteilung gewürdigt, alle angegebenen Leiden und Leidensangaben des Klägers zur Kenntnis genommen, die Anknüpfungstatsachen – hier die Arbeitsunfähigkeit in Bezug auf den allgemeinen Arbeitsmarkt in der Zeit ab 04.10.2010 – zutreffend berücksichtigt, alle Beweisfragen überzeugend und zugleich verständlich beantwortet. Sie sind dabei jeweils zu einer schlüssigen, in sich widerspruchsfreien Einschätzung gelangt.
3. Dem Antrag des Klägers nach § 109 SGG auf Anhörung eines bestimmten Arztes, hier des Dr. P., war nicht zu entsprechen.
Der Antrag ist aus grober Nachlässigkeit nicht rechtzeitig gestellt worden und seine Zulassung hätte die Erledigung des Rechtsstreits verzögert. Bereits mit der Übersendung des Gutachten Dr. C. unter dem 13.01.2016 hatte der Senat zur Stellungnahme unter Fristsetzung aufgefordert und eine Prüfung der Berufungsrücknahme dringend geraten. Erneut wurde dem Kläger mit Schreiben des Senates vom 14.03.2016 wegen der Beweislage empfohlen, die Berufung für erledigt zu erklären. Dem anwaltlich vertretenen Kläger war damit unmissverständlich klar dargetan, dass der Senat die Beweislage für eindeutig zu Ungunsten des Klägers bestehend ansieht und keine weitere Sachverhaltsaufklärung durchzuführen beabsichtigt. Erst nachdem die Ladung zur mündlichen Verhandlung zugestellt war (dem Kläger gem. Postzustellungsurkunde am 14.05.2016, dem Klägerbevollmächtigten gem. Empfangsbekenntnis am 17.05.2016) wurde mit Schriftsatz vom 19.05.2016 der Antrag nach § 109 SGG gestellt. Hieraus ergibt sich, dass die Antragstellung weder nach dem gerichtlichen Schreiben vom 13.01.2016 noch vom 14.03.2016 innerhalb angemessener Frist erfolgt ist, obwohl der Kläger erkennen musste, dass der Senat die Sache als abweisungsreif erachtet und keine (weiteren) Erhebungen von Amts wegen durchführen wird. Die Einholung eines weiteren Gutachtens nach Ladung hätte zur Absetzung des Termins geführt und damit den Rechtsstreit erheblich verzögert.
Der zuletzt in der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag ist zudem mangels Bezeichnung eines Beweisthemas zu unbestimmt. Dies folgt daraus, dass der Kläger in seinem zeitlich nach der Erstellung des Gutachtens des Dr. C. eingereichten Vorbringen medizinisches Vorgehen angegriffen hat, welches mit dem hier strittigen Zeitraum nichts zu tun hat. Es ist damit durchaus möglich, dass der Antrag, „Dr. P. nach § 109 SGG anzuhören“ zu Bereichen erfolgen sollte, welche nicht streitgegenständlich sind. Ein Hinwirken auf einen entsprechenden Antrag war gegenüber dem anwaltlich vertretenen Kläger nicht veranlasst, weil der Senat bereits mit Schreiben vom 14.03.2016 die entsprechenden Hinweise deutlich erteilt hatte.
Die Berufung des Klägers bleibt damit vollumfänglich ohne Erfolg.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
5. Gründe zur Zulassung der Revision iSd § 160 SGG sind nicht zu erkennen.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

BAföG – das Bundesausbildungsförderungsgesetz einfach erklärt

Das Bundesausbildungsförderungsgesetz, kurz BAföG, sorgt seit über 50 Jahren für finanzielle Entlastung bei Studium und Ausbildung. Der folgende Artikel erläutert, wer Anspruch auf diese wichtige Förderung hat, wovon ihre Höhe abhängt und welche Besonderheiten es bei Studium und Ausbildung gibt.
Mehr lesen

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen