Aktenzeichen L 8 AY 32/20
Leitsatz
Eine behördliche oder gerichtliche Fortschreibung der notwendigen persönlichen Bedarfe nach § 3 AsylbLG a.F. kommt in den Jahren 2017 bis 2019 mangels gesetzgeberischen Tätigwerdens nicht infrage.
Verfahrensgang
S 15 AY 33/19 2020-02-26 Urt SGAUGSBURG SG Augsburg
Tenor
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 26. Februar 2020 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Der Senat entscheidet aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung, denn die Beteiligten haben sich zur Sach- und Rechtslage schriftsätzlich ausreichend äußern können bzw. bereits erstinstanzlich umfangreich geäußert und eine mündliche Verhandlung ist zur Entscheidung über die inmitten stehende Rechtsfrage nicht weiter erforderlich.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG). Auch die – hier aufgrund des Wertes des Beschwerdegegenstandes von unter 74 EUR erforderliche – Zulassung der Berufung ist durch das SG – und für das LSG bindend (§ 144 Abs. 3 SGG) – erfolgt, obschon sie nur in den Urteilsgründen und nicht in dem auch von den ehrenamtlichen Richtern unterzeichneten Tenor enthalten ist. Dies wäre aber gerade bei einer ohne mündliche Verhandlung getroffenen Entscheidung, die erfahrungsgemäß häufig bereits (weitgehend) abgefasst sein wird, eigentlich zu erwarten gewesen bzw. zweckmäßig (so Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ Schmidt, SGG, 13. Aufl., § 144 Rn. 39), um keinen Zweifel aufkommen zu lassen, dass tatsächlich die entscheidende Kammer dies – im Sinn der Zulassung der Berufung – beschlossen hat und nicht nur eine entsprechende Passage bei der späteren Urteilsabfassung (versehentlich) eingefügt wurde. Allerdings ist die Zulassung in den Entscheidungsgründen ebenfalls wirksam, wenn sie eindeutig ausgesprochen wird (vgl. Keller, a.a.O.). Zudem kann berücksichtigt werden, dass die Zulassung der Berufung in den Gründen – wie hier – im Fall einer Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung mit Verkündung eines Urteils unwiderleglich beweisen soll, dass die Zulassung zur Zeit der Urteilsverkündung beschlossen war (so BSG, Urteil vom 05.09.1958 – 9 RV 892/56 – juris). Angesichts dessen geht der Senat auch vorliegend von einer wirksamen Beschlussfassung über die Zulassung der Berufung aus.
Die Berufung des Beklagten hat in der Sache Erfolg. Das Urteil des SG ist aufzuheben und die Klage abzuweisen. Der Bescheid des Beklagten vom 06.08.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.11.2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat im Wege der Überprüfung keinen Anspruch auf höhere Leistungen nach dem AsylbLG für die Zeit vom 01.01.2018 bis 10.08.2018 als bereits bewilligt und ausgezahlt.
Streitgegenstand ist das Begehren des Klägers, mittels seines Überprüfungsantrages (§ 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – SGB X) vom 27.06.2019 eine Abänderung des Bescheids vom 29.11.2017 dahin zu erreichen, dass ihm der Beklagte für die Zeit vom 01.01.2018 bis zum 10.08.2018 – ab 11.08.2018 hat der Kläger dann sog. Analogleistungen nach § 2 AsylbLG erhalten (Bescheide vom 04.08. bzw. 05.08.2018) – um monatlich 10 EUR höhere Grundleistungen gewährt. Die zeitliche Begrenzung des Überprüfungsbegehrens und dem folgend die Verurteilung durch das SG beruht auf der im Verwaltungsverfahren vorgenommenen Beschränkung des Überprüfungsantrags (Schriftsatz vom 02.08.2019). Die Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) des Klägers richtet sich unmittelbar gegen den Bescheid des Beklagten vom 06.08.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.11.2019 und mittelbar gegen den Bescheid des Beklagten vom 27.11.2017 und auch den Bescheid vom 04.12.2018; der letztgenannte Bescheid regelt zwar nach seinem Tenor nur die Leistungsbewilligung ab 11.08.2018, enthält aber in der Begründung und nach dem Berechnungsblatt auch eine Regelung zur Leistungshöhe in der (noch streitgegenständlichen) Zeit vom 01.08.2018 bis zum 10.08.2018. Die dem Klagebegehren stattgebende erstinstanzliche Verurteilung greift nur der Beklagte, der alleine Berufung eingelegt hat, an. Daher ist nicht zu prüfen, ob der Kläger eventuell – wenngleich hierfür nichts spricht – einen Anspruch hat, der über den vom SG zugesprochenen Leistungsbetrag hinausgeht.
Die so verstandene Klage ist zulässig, insbesondere fristgemäß erhoben worden. Gemäß § 87 SGG ist die Klage, wenn – wie vorliegend – ein Vorverfahren durchgeführt worden ist, binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids zu erheben. Im vorliegenden Fall hat die Widerspruchsbehörde eine Zustellung an die anwaltliche (Prozess-)Bevollmächtigte des Klägers gegen Empfangsbekenntnis vorgenommen, § 85 Abs. 3 Satz 2 SGG i.V.m. § 5 Abs. 4 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG). Obschon nach dem Stempelaufdruck der Widerspruchsbescheid bereits am 14.11.2019 in der Kanzlei eingegangen ist, trägt das von der Prozessbevollmächtigten unterzeichnete Empfangsbekenntnis das Datum des 18.11.2019. Auf das letztgenannte Datum ist abzustellen, denn maßgeblich ist, wann der Adressat von dem Zugang des zuzustellenden Schriftstücks Kenntnis erlangt und auf Grund dieser Kenntnis den Willen bekundet, die Zustellung entgegenzunehmen (vgl. BSG, Urteil vom 27.02.2019 – B 7 AY 1/17 R – juris, m.w.N.). Es liegen keine Anhaltspunkte vor, dass die Prozessbevollmächtigte bereits früher von dem Widerspruchsbescheid Kenntnis erhalten hat. Die Klagefrist endete daher gemäß § 64 SGG am 18.12.2019, einem Mittwoch. Die am 16.11.2019 beim SG eingegangene Klageschrift wahrte zwar die Klagefrist nicht, da sie nicht unterschrieben war und nach den Ausführungen der Prozessbevollmächtigten im Berufungsverfahren nochmals korrigiert wurde, so dass am 16.12.2019 noch nicht der Wille bestand, diese in Verkehr zu bringen. Doch ging beim SG am 17.12.2019 per Fax eine – von der Prozessbevollmächtigten des Klägers auch unterschriebene – neue Version der Klageschrift ein, wiewohl diese vom SG nur in der PKH-Beiakte abgeheftet worden ist. Diese Klageschrift wahrte die Klagefrist. Auf den vorsorglich gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung (§ 67 SGG) kommt es daher nicht mehr an.
Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat im Wege des Zugunstenverfahrens im Zeitraum vom 01.01.2018 bis zum 10.08.2018 keinen Anspruch auf höhere laufende Leistungen nach dem AsylbLG als bereits vom Beklagten bewilligt.
Gemäß § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AsylbLG (in der Fassung des Gesetzes vom 31.07.2016, BGBl. I, 1939) i.V.m. § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Erfolgt die Überprüfung – wie hier – aufgrund eines Antrags des Leistungsberechtigten, löst dieser Antrag grundsätzlich eine Prüfpflicht des Leistungsträgers aus, wenn der Umfang des Prüfauftrags für die Verwaltung bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens erkennbar geworden ist. Dabei kann trotz fehlender Bezeichnung der im Einzelnen aus Sicht des Betreffenden im Wege des § 44 SGB X zu korrigierenden Bewilligungsbescheide ein hinreichend objektiv konkretisierbarer Antrag i.S.d. § 44 SGB X vorliegen (vgl. BSG, Urteil vom 12.10.2016 – B 4 AS 37/15 R – juris). Damit war im Fall des Klägers ein ausreichend konkreter Überprüfungsantrag – mit dem Faxschreiben vom 27.06.2019 an diesem Tag gestellt – gegeben. Zwar wurden nicht bestimmte zu überprüfende Bescheide genannt, jedoch wurde mit dem Schriftsatz vom 02.08.2019 beantragt, die bestandskräftigen Bescheide für den Zeitraum vom 01.01.2018 bis 10.08.2018 zu überprüfen. Daraus war für den Beklagten ausreichend deutlich zu erkennen, auf welche Bescheide sich das Begehren nach Überprüfung beziehen sollte.
Die Verfallsfrist des § 44 Abs. 4 SGB X i.V.m. § 9 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 AsylbLG steht dem geltend gemachten Anspruch des Klägers nicht entgegen, denn sie reichte – ausgehend von der Antragstellung am 27.06.2019 – bis zum 31.12.2017. Ab dem 01.01.2018 war damit die begehrte Überprüfung möglich.
Nachdem weder geltend gemacht wurde noch sonst erkennbar ist, dass der streitigen Leistungsbewilligung ein unrichtiger Sachverhalt zugrunde gelegt wurde, bleibt im Rahmen des § 44 Abs. 1 SGB X allein der Fall einer unrichtigen Rechtsanwendung. Eine solche liegt aber ebenfalls nicht vor.
Für die vorliegend geltend gemachten Geldleistungen ist der Beklagte sachlich gemäß § 10 Satz 1 AsylbLG i.V.m. § 12 Abs. 2 Nr. 2 und § 14 Abs. 2 der (bayerischen) Asyldurchführungsverordnung (AsylDV – in der Fassung vom 16.08.2016, GVBl S. 258) und örtlich gemäß § 10a Abs. 1 AsylbLG zuständig, da der Kläger dem Gebiet des Beklagten zugewiesen wurde (Bescheid der Regierung von Schwaben vom 07.11.2017). Der Beklagte ist auch sonst passiv legitimiert, da er nicht als staatliche Behörde des Freistaats Bayern, welcher letztlich Kostenträger ist (§ 12 AsylDV), handelt (vgl. Urteil des Senats vom 05.08.2020 – L 8 AY 28/19 – juris). Trotz der Kostenerstattung durch den Freistaat Bayern hält der Senat dessen Beiladung (§ 75 SGG) aber nicht für geboten, da kein unmittelbarer Eingriff in dessen Rechtssphäre stattfindet (vgl. Schmidt in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl., § 75 Rn. 10).
Der Kläger hatte im streitigen Zeitraum keinen Anspruch auf sog. Analogleistungen gemäß § 2 AsylbLG i.V.m. dem SGB XII. Diese kamen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG in der damals geltenden Fassung (Gesetz vom 31.07.2016, BGBl. I, 1939) nur infrage für Leistungsberechtigte, die sich seit 15 Monaten ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhielten. Der Kläger war am 11.05.2017 erstmals nach Deutschland eingereist, so dass die 15monatige Wartefrist erst nach dem 10.08.2018 abgelaufen war. Diese Wartefrist erscheint verfassungsrechtlich akzeptabel (vgl. die Nachweise bei: Oppermann/Filges, jurisPK-SGB XII, Stand: 17.08.2020, § 2 AsylbLG Rn. 18).
Somit konnte der Kläger bis 10.08.2018 allein Anspruch auf die – auch vom Beklagten bewilligten – Grundleistungen nach § 3 AsylbLG (in der Fassung vom 11.03.2016, BGBl. I, 390) haben, da für das Vorliegen der Voraussetzungen einer Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG weder etwas vorgetragen ist noch sonst Anhaltspunkte bestehen. Dabei geht der Leistungsanspruch des Klägers nicht über den Betrag i.H.v. 320,14 EUR monatlich hinaus. Dem steht zwar nicht zu berücksichtigendes Einkommen oder Vermögen (§ 7 AsylbLG) entgegen, denn hierüber verfügte der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum nicht. Jedoch gehen die vom Kläger in diesem Zeitraum zu beanspruchenden Grundleistungen nicht über den genannten Betrag hinaus.
§ 3 Abs. 1 AsylbLG bestimmt, dass bei einer Unterbringung in Aufnahmeeinrichtungen im Sinne von § 44 Abs. 1 AsylG – das ist im Fall des Klägers mit der Gemeinschaftsunterkunft, in die er zugewiesen ist (Bescheid der Regierung von Schwaben vom 07.11.2017), gegeben – Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG Leistungen zur Deckung des Bedarfs an Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheitspflege und Gebrauchs- und Verbrauchsgütern des Haushalts (notwendiger Bedarf) erhalten und der notwendige Bedarf durch Sachleistungen gedeckt wird. Zusätzlich werden Leistungen zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens (notwendiger persönlicher Bedarf) gewährt. Die Leistungsberechtigung des Klägers im streitigen Zeitraum bestand gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG (in der Fassung des Gesetzes vom 20.10.2015, BGBl. I, 1722), da das Asylverfahren des Klägers noch nicht abgeschlossen war und er über Aufenthaltsgestattungen (§§ 55, 63 des Asylgesetzes – AsylG) verfügte. Der Senat sieht keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Beklagte den notwendigen Bedarf zulasten des Klägers fehlerhaft bemessen hätte und mit dem dafür angesetzten Betrag der Bedarf nicht gedeckt werden konnte. Überdies hat der Kläger konkrete Bedarfe, die unzureichend gedeckt gewesen sein sollten, nicht geltend gemacht.
Auch ein Anspruch auf Bewilligung eines höheren notwendigen persönlichen Bedarfs (§ 3 Abs. 1 Satz 5 AsylbLG) besteht nicht. Nachdem der Kläger alleinstehend war, beträgt dieser im streitgegenständlichen Zeitraum monatlich 135 EUR (§ 3 Abs. 1 Satz 8 Nr. 1 AsylbLG); die Voraussetzungen für eine Sachleistungsgewährung gemäß § 3 Abs. 1 Satz 6 AsylbLG sind nicht anzunehmen, da andernfalls der Beklagte davon Gebrauch gemacht hätte, ebenso wie er nicht von der Möglichkeit des § 3 Abs. 1 Satz 7 AsylbLG Gebrauch gemacht hat. Der Beklagte hat für den notwendigen persönlichen Bedarf den Betrag i.H.v. monatlich 135 EUR im streitigen Zeitraum seiner Leistungsbewilligung zugrunde gelegt.
Ein über 135 EUR hinausgehender monatlicher Betrag für den notwendigen persönlichen Bedarf lässt sich auch nicht auf § 3 Abs. 5 AsylbLG stützen. Dieser sieht eine Neufestsetzung des Geldbetrages für alle notwendigen persönlichen Bedarfe vor, wenn die Ergebnisse einer bundesweiten neuen EVS vorliegen. Diese Neufestsetzung kann, obschon das die Norm nicht ausdrücklich erwähnt, nur durch Gesetz erfolgen, schon weil dabei für die Gewährung der existenzsichernden Leistung wesentliche Punkte vom Gesetzgeber zu entscheiden sind (vgl. BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/19, 1 BvL 2/11; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23.05.2019 – L 8 AY 49/18 – beide nach juris); dies gilt gerade auch in Bezug auf Wertentscheidungen über die Leistungshöhe mit Blick auf den Entwicklungsstand des Gemeinwesens und die bestehenden Lebensbedingungen (vgl. BSG, Urteil vom 17.10.2013 – B 14 AS 70/12 R – juris). An einer dementsprechend erforderlichen gesetzgeberischen Neufestsetzung fehlte es im streitigen Zeitraum aber für das AsylbLG trotz des Vorliegens der EVS 2013 im Jahr 2017. Die letzte gesetzgeberische Anpassung des Betrages für den notwendigen persönlichen Bedarf erfolgte ab dem 17.03.2016 mit Art. 3 des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren (BGBl. I, 390, 392). Danach wurde der Gesetzgeber erst wieder ab dem 01.09.2019 tätig durch die Änderung des AsylbLG durch Art. 1 des Dritten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes vom 13.08.2019 (BGBl. I, 1290). Für den Kläger ergäben sich danach als monatlicher Betrag für den notwendigen persönlichen Bedarf 136 EUR (§ 3a Abs. 1 Nr. Buchstabe b AsylbLG – in der Fassung des Gesetzes vom 13.08.2019, BGBl. I, 1290). Die fehlende Neufestsetzung durch den Gesetzgeber kann nicht gerichtlich erzwungen oder ersetzt werden, denn eine Kompetenz hierzu ist aufgrund der oben dargestellten verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht ersichtlich. Auch schreibt § 3 Abs. 5 AsylbLG nicht konkret vor, wann der Gesetzgeber tätig zu werden hat; dies bedingt der ihm zuzubilligende Gestaltungsspielraum (dazu gleich) bei der Bemessung der Leistungen nach dem AsylbLG.
Angesichts der geringfügigen monatlichen Differenz von nur einem Euro zwischen dem im vorliegenden Zeitraum für den Kläger vorgesehenem Betrag für den notwendigen persönlichen Bedarf i.H.v. 135 EUR und dem ab September 2019 geltenden Betrag i.H.v. 136 EUR kann sich der Senat zudem nicht davon überzeugen, dass eine – verfassungswidrige – evident unzureichende Bedarfsdeckung anzunehmen ist. Das Bundesverfassungsgericht (Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 – juris) hat aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums als Menschenrecht abgeleitet, welches der Gesetzgeber zu sichern hat. Dem Gesetzgeber kommt insofern ein Gestaltungsspielraum bei den unausweichlichen Wertungen zu, die mit der Bestimmung der Höhe dessen verbunden sind, was die physische und soziale Existenz eines Menschen sichert. Als Menschenrecht steht dieses Grundrecht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu. Der unmittelbar verfassungsrechtliche Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erstreckt sich dabei nur auf diejenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. Dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Bemessung des Existenzminimums entspricht wiederum eine zurückhaltende gerichtliche Kontrolle. Da das Grundgesetz selbst keine exakte Bezifferung des Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen vorgibt, beschränkt sich die materielle Kontrolle der Höhe von Sozialleistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz darauf, ob die Leistungen evident unzureichend sind (so im Übrigen auch zur Höhe der Regelbedarfe nach dem SGB II: BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 – 1 BvL 10/12; Beschluss vom 27.07.2016 – 1 BvR 371/11 – beide nach juris). Soweit das BVerfG im zitierten Urteil vom 18.07.2012 zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die Leistungen nach dem AsylbLG evident unzureichend waren, ist dies vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Höhe der damals zur Prüfung anstehenden Leistungen seit 1993 nicht mehr verändert worden waren. Dagegen hat der Gesetzgeber die vorliegend im Raum stehende Leistungshöhe nach § 3 AsylbLG letztmals zum 17.03.2016 durch das Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren (vom 11.03.2016, BGBl. I, 390) angepasst. Daher liegt kein der Entscheidung des BVerfG vergleichbarer Sachverhalt mehr vor, so dass der Senat keine Bedenken gegen die Leistungshöhe hegt. Dies ergibt sich auch nicht mit Blick auf die Methodik der Bemessung, denn dem § 3 AsylbLG vom 11.03.2016 lag die vom BVerfG im Urteil vom 18.07.2012 gebilligte Methodik zugrunde.
Ein höherer Betrag für den notwendigen persönlichen Bedarf lässt sich ebenso wenig aus § 3 Abs. 4 AsylbLG herleiten. Danach wird der Geldbetrag für alle notwendigen persönlichen Bedarfe jeweils zum 1. Januar eines Jahres entsprechend der Veränderungsrate nach § 28a SGB XII i.V.m. der Verordnung nach § 40 Satz 1 Nr. 1 SGB XII fortgeschrieben. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) gibt außerdem jeweils spätestens bis zum 1. November eines Kalenderjahres die Höhe der Bedarfe, die für das folgende Kalenderjahr maßgebend sind, im Bundesgesetzblatt bekannt. Eine Anpassung der Beträge nach § 3 Abs. 1 Satz 8 AsylbLG ist, wie schon dargestellt, letztmals zum 17.03.2016 durchgeführt worden (Gesetz vom 11.03.2016, BGBl. I, 390). Für die Jahre 2017 und 2018 fehlt sie. Nach Ansicht des Senats ist die Fortschreibung aber nicht ohne Bekanntmachung des BMAS allein aufgrund der gesetzlichen Regelung in § 3 Abs. 4 AsylbLG vorzunehmen. Zwar ist zuzugeben, dass aus dem Wortlaut der Vorschrift abgeleitet werden könnte, dass der Bekanntmachung des BMAS lediglich deklaratorische Wirkung zukommt und sie nicht verbindlich ist, sondern nur der Transparenz und einheitlichen Gesetzesanwendung dient (vgl. Frerichs in jurisPK-SGB XII, § 3 AsylbLG, Stand: 12.12.2019, Rn. 179 und 180.5, m.w.N.). Bereits die als Konsequenz ebenfalls offene Frage, auf welche Veränderungsrate abzustellen ist (vgl. Frerichs, a.a.O., Rn. 180.6) offenbart aber, dass die Bekanntmachung des BMAS nicht lediglich unverbindlich bzw. informatorisch sein kann. Hinzu kommt, dass die Regelung in § 3 Abs. 4 AsylbLG in Zusammenhang mit derjenigen in § 3 Abs. 5 AsylbLG über die Neufestsetzung bei Vorliegen einer aktuellen EVS zu sehen ist. Letztere eröffnet dem Gesetzgeber die Möglichkeit, im Rahmen des ihm zukommenden Gestaltungsspielraums wertende Vorgaben dazu zu treffen, welche Bedarfe er als lebensnotwendig ansieht und in welcher Form sie gedeckt werden sollen. Diese gesetzgeberische Festlegung ist der Aufsetzpunkt der Fortschreibung nach § 3 Abs. 4 AylbLG und geht ihr voraus bzw. liegt ihr zugrunde. Das kommt in der Gesetzesbegründung dadurch zum Ausdruck, dass erst im Anschluss an die Festsetzung durch den Gesetzgeber nach § 3 Abs. 5 AsylbLG und nur kurz die Bekanntgabe durch das BMAS (§ 3 Abs. 4 Satz 3 AsylbLG) erwähnt wird (BT-Drs. 18/2592, S. 24 f.). Ferner zeigt sich dies daran, dass der Gesetzgeber nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, die Fortschreibung der Bedarfssätze des AsylbLG automatisch mit derjenigen der Regelbedarfe nach dem SGB II und SGB XII erfolgen zu lassen. Vielmehr hat er sich für ein eigenes bzw. eigenständiges Vorgehen entschieden, wenngleich er grundsätzlich denselben Fortschreibungsmechanismus wie im SGB XII gewählt hat (vgl. BT-Drs. 18/2592, S. 24). Das bringt den Senat in der Zusammenschau zu der Auffassung, dass beim Fehlen einer Neufestsetzung durch den Gesetzgeber auch keine Fortschreibung nach § 3 Abs. 4 AsylbLG zu erfolgen hat, unbeschadet der Frage, welche rechtliche Bedeutung der – ebenfalls fehlenden – Bekanntgabe durch das BMAS nach § 3 Abs. 4 Satz 2 AsylbLG zukommt.
Die Berufung hat somit Erfolg und führt zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und zur Abweisung der Klage.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.