Sozialrecht

Missbräuchliche Ablehnung des Gerichts

Aktenzeichen  L 19 R 607/16

Datum:
14.12.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 144410
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB III § 117

 

Leitsatz

Die Ablehnung eines gesamten Gerichts ohne Vortrag von Befangenheitsgründen, die sich individuell auf den oder die beteiligten Richter beziehen, ist missbräuchlich und damit unzulässig. (Rn. 33)

Verfahrensgang

S 14 R 873/15 2016-08-09 SGWUERZBURG SG Würzburg

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 09.08.2016 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Senat konnte trotz der Erklärung des Klägers, das Gericht werde als befangen angesehen, in der aus dem Rubrum ersichtlichen und nach dem Geschäftsverteilungsplan des Bayer. Landessozialgerichts vorgeschriebenen Besetzung entscheiden, weil das Ablehnungsgesuch vom 11.12.2017 wegen offensichtlichen Missbrauchs unzulässig ist.
Nach § 60 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 42 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) findet die Ablehnung gegen einen Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Allerdings ist die vom Kläger beantragte Ablehnung eines gesamten Gerichts ohne Vortrag von Befangenheitsgründen, die sich individuell auf den oder die beteiligten Richter beziehen, rechtsmissbräuchlich und damit unzulässig. Ebenso ist der Rechtsmissbrauch darin zu sehen, dass der Kläger mit dem Befangenheitsantrag den Zweck verfolgt hat, den Termin zur mündlichen Verhandlung zu verhindern. Der Kläger begründet die angebliche Besorgnis der Befangenheit lediglich mit dem offensichtlich haltlosen Vorwurf des willkürlichen Handelns hinsichtlich der Aufhebung der Anordnung seines persönlichen Erscheinens im Termin am 14.12.2017. Hier übersieht der Kläger, dass er mit Schreiben vom 03.12.2017 auf seine Verhinderung hingewiesen hat, an diesem Termin persönlich teilzunehmen. Diesem Anliegen hat der Senat entsprochen und den Kläger von der Verpflichtung des persönlichen Erscheinens entbunden. Ein Hinweis des Klägers, weiter in der Sache vortragen zu wollen, oder ein Verlegungsantrag im Sinne von § 202 SGG i.V.m. § 227 Abs. 1 ZPO waren dem Schreiben vom 03.12.2017 nicht zu entnehmen. Soweit der Kläger beanstandet, die Ablehnung der Verweisung der Berufungssache an das Landessozialgericht Baden-Württemberg sei nicht begründet worden, ist nicht erkennbar, warum sich hieraus eine unsachliche oder einseitige Einstellung des Richters ergeben soll. Sachliche Gründe werden nicht vorgetragen. Der Eindruck des Klägers („… erweckt die Einstellung…“), es gehe darum, „…statistische Werte für das laufende Kalenderjahr positiv zu beenden …“, ist allein ungeeignet, eine Befangenheit zu begründen.
Einer besonderen Entscheidung über das rechtsmissbräuchliche Ablehnungsgesuch vor Verkündung des Urteils durch einen gesonderten Beschluss bedurfte es nicht (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ Schmidt, SGG, 12 Aufl., Rn 10e).
Der Senat konnte auch in Abwesenheit des Klägers entscheiden. Der Kläger ist in der Ladung vom 17.11.2017 und mit Schreiben vom 05.12.2017 daraus hingewiesen worden, dass auch im Falle seines Ausbleibens verhandelt und entschieden werden kann. Der Kläger hat auch keinen Verlegungsantrag gestellt. Soweit er das Schreiben vom 11.12.2017 auch mit den Worten „Antrag Verlegung Termin“ überschrieben hat, fehlen hierzu inhaltliche Ausführungen. Aufgrund seines Antrages auf Ablehnung wegen Befangenheit durfte der Kläger nicht von einer Verlegung des Termins ausgehen. Er musste vielmehr mit der Möglichkeit rechnen, dass der Senat entweder durch Beschluss über den Antrag aufgrund mündlicher Verhandlung entscheidet oder – wie vorliegend – ein gesonderter Beschluss nicht als erforderlich angesehen wird.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 SGG) ist zulässig. Insbesondere ist das Bayer. Landessozialgericht örtlich zuständig, so dass auch der beantragten Verweisung an das Landessozialgericht Baden-Württemberg nicht zu folgen war. Örtlich zuständig ist das Landesssozialgericht, das dem Sozialgericht übergeordnet ist. Für Berufungen gegen Urteile oder Gerichtsbescheide des Sozialgerichts Würzburg ist daher das Bayer. Landessozialgericht zuständig (s. Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 und Abs. 4 Gesetz zur Ausführung des Sozialgerichtsgesetzes in Bayern i.V.m. mit dem Geschäftsverteilungsplan des Bayer. Landessozialgerichts). Im Übrigen wird die örtliche Zuständigkeit des Sozialgerichts und auch des Landessozialgerichts durch einen Wohnsitzwechsel im Laufe des Verfahrens (hier: innerhalb des Klageverfahrens) nicht berührt (vgl. §§ 57 Abs. 1 Satz 1, § 98 SGG i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz).
Die Berufung ist auch unbegründet. Die Beklagte ist zutreffend zum Ergebnis gelangt, dass im Versicherungskonto des Klägers in der Zeit vom 30.12.2007 bis 31.01.2008 keine rentenrechtliche Zeit, insbesondere nicht eine Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit, vorzumerken ist.
Das Sozialgericht hat die Voraussetzungen für die vom Kläger geltend gemachte Anrechnungszeit nach § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VI richtig dargestellt, wonach der Kläger in dieser Zeit wegen Arbeitslosigkeit gemeldet gewesen sein und deshalb Leistungen bezogen haben bzw. nur wegen seines Einkommens oder Vermögens nicht bezogen haben müsste. Ebenso zutreffend ist es zum Ergebnis gekommen, dass eine derartige Anrechnungszeit nicht hinreichend nachgewiesen und auch nicht glaubhaft gemacht ist.
Der Kläger bringt drei Argumente vor: Er sei seiner Erinnerung nach bis zur Beschäftigungsaufnahme am 01.02.2008 arbeitslos gewesen. Er könne einen Bewilligungsbescheid über Arbeitslosengeld und einen zugehörigen Änderungsbescheid vorlegen, der diesen Zeitraum mit umfasse. Und er könne für Januar 2008 ebenso wie für Dezember 2007 Zahlungen der Agentur für Arbeit M. nachweisen.
Dem stehen die bei der Beklagten und der Krankenversicherung gemeldeten Daten, der Leistungsaufhebungsbescheid der Agentur für Arbeit, die EDV-Speicherungen bei der Agentur für Arbeit und der nicht einem Arbeitslosengeld nach dem SGB III zuordenbare Zahlbetrag entgegen.
Der Kläger, der eine rentenrechtlich relevante Zeit geltend macht, hat deren Vorliegen zu beweisen. Allein die Erinnerung des Klägers und seine Angaben hierzu reichen für einen Nachweis nicht aus. Hinzuweisen ist auch darauf, dass der Kläger offensichtlich im Jahr 2013 bei der umfassenden Renteninformation noch keine Einwände gegen die bei der Beklagten vorliegenden Versicherungsdaten erhoben hat.
Die vom Kläger vorgelegten Bescheide geben offensichtlich nicht die vollständige rechtliche Situation bezüglich des in ihnen angesprochenen Zeitraums wieder, da spätestens die Beschäftigungsaufnahme zum Februar 2008 einen Abänderungsbescheid zwingend ausgelöst haben müsste, wenn der Kläger zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch im Leistungsbezug gestanden hätte. Ein vollständiger Nachweis für die streitgegenständliche Zeit ist allein mit diesen Bescheiden nicht zu führen.
Aber auch in der Zusammenschau mit dem vorgelegten Zahlungsnachweis von Ende Januar 2008 ist zur Überzeugung des Senats der notwendige Nachweis nicht geführt. Die vorgelegte Kopie lässt zwar den Leistungsträger und den Zahlbetrag erkennen, nicht aber den Zahlungszeitraum bzw. Zahlungsgrund – wenn davon auszugehen ist, dass die Angaben auf dem Kontoauszug vollständig übermittelt worden sind. Gegen eine Zahlung von laufendem Arbeitslosengeld für Januar 2008 spricht jedenfalls zunächst, dass die Zahlung nicht dem Zeitraum Januar 2008 zugeordnet ist, während dies im vorherigen Bezugszeitraum Dezember 2007 anders war. Es erscheint dem Senat unwahrscheinlich, dass eine gleichgeartete Zahlung, die in einer Massenverwaltung vorgenommen wird, banktechnisch unterschiedlich umgesetzt wird. Hinzu kommt als wesentliches Indiz, dass der Zahlbetrag nicht mit dem im Fall des Klägers vorab für einen möglichen Bezug von Arbeitslosengeld im Januar (bzw. 1. Quartal) 2008 errechneten Betrag übereinstimmt. Vielmehr liegt eine so erhebliche Abweichung nach oben vor, dass es sich offensichtlich um eine anderweitig begründete Zahlung handeln muss, deren Höhe sich an anderen Faktoren orientiert hatte.
Entgegen der Ansicht des Klägers vermag der Senat keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür erkennen, dass die bei verschiedenen Sozialleistungsträgern gespeicherten Daten sämtlich falsch seien. Bei der Beklagten liegt eine Meldung der Bundesagentur für Arbeit vor, aus der zu ersehen ist, dass der Leistungsbezug von Arbeitslosengeld nach dem SGB III nur bis zum 29.12.2007 bestanden habe. Für Januar 2008 sind keine rentenrechtlich relevanten Zeiten gemeldet gewesen. Auch bei der zuständigen Krankenkasse als Einzugsstelle ist kein Beitragseinzug für Januar 2008 mehr registriert. Die geringfügige Differenz der Datierung einmal auf das Ende der 52. Kalenderwoche des Jahres und einmal unmittelbar auf das Jahresende erscheint hier ohne Belang, zumal der 30.12.2007 auf einen Sonntag gefallen war.
Die Daten der Bundesagentur für Arbeit über Arbeitslosmeldung, Beratungskontakte und gezahlte Leistungen liegen zwar nicht mehr vollständig, sondern nur noch bruchstückhaft vor. Auch wenn der Kläger angibt, dass die noch vorliegenden, z.T. aus elektronischer Speicherung rekonstruierten Daten nicht mit seiner Erinnerung übereinstimmen und möglicherweise fehlerhaft seien, sind für den Senat keine überzeugenden Anhaltspunkte dafür erkennbar gewesen, dass hier Fehler vorgelegen hätten. Diese Daten geben einerseits – ohne dass es unmittelbar darauf ankäme – eine nachvollziehbare Erklärung ab – nämlich den Bezug von Leistungen für eine Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit. Andererseits würde bei Verzicht auf diese Daten eine Unaufklärbarkeit bezüglich der geltend gemachten Zeit vorliegen, was ebenfalls zu Lasten des Klägers als demjenigen, der die Zeiten geltend macht, gehen würde.
Nach alledem waren die angefochtenen Bescheide und der zur Überprüfung stehende Feststellungsbescheid der Beklagten nicht zu beanstanden und die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 09.08.2016 war als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.

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