Sozialrecht

Nachweis unfallursächlicher körperlicher Beschwerden nach einem Verkehrsunfall

Aktenzeichen  103 C 1647/14

Datum:
20.7.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO ZPO § 287
StVG StVG § 7 Abs. 1, § 18 Abs. 1
BGB BGB § 253, § 823
VVG VVG § 115

 

Leitsatz

1 Ist im Schadensersatzprozess nach einem (hier: Verkehrs-) Unfall davon auszugehen, dass der verletzte Kläger beim Unfall eine Knieprellung erlitten hat, so gilt hinsichtlich seiner weiteren Behauptungen, auch die Lockerung seiner Knieprothese sowie seine anhaltenden Beschwerden und Schmerzen im Knie seien auf das Unfallereignis zurückzuführen, das Beweismaß des § 287 ZPO. Danach kann eine mehr oder minder hohe, jedenfalls aber überwiegende Wahrscheinlichkeit für den Kausalitätsnachweis genügen (vgl. BGH BeckRS 2006, 08155 Rn. 11). (redaktioneller Leitsatz)
2 An der nach § 287 ZPO erforderlichen Wahrscheinlichkeit kann es fehlen, wenn sich die Beeinträchtigungen auch mit einer zeitgleich eingetretenen Folge eines unfallunabhängigen chronischen Abbauprozesses im Knochen erklären lassen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vorläufig vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 3.543,00 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage erweist sich als begründet.
Der Klägerin stehen keine weitergehenden Ansprüche aus dem Unfallereignis gegen die Beklagten gem. §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 823 BGB, 115 VVG zu.
1. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Ersatz der Schadstoffplakette in Höhe von 5,00 EUR zu. Die von der Klägerin vorgenommen Ersatzbeschaffung aufgrund des wirtschaftlichen Totalschadens beinhaltet alle Schadenspositionen, die auf das beschädigte Fahrzeug entfallen, also auch die von ihr aufgewendeten Kosten der Schadstoffplakette. Die Schäden hat die Beklagte zu 3) bereits vor dem Unfallereignis vollumfänglich ausgeglichen.
2. Der Klägerin steht auch weder ein Anspruch auf Schmerzensgeld i.S.v. § 253 BGB zu noch kann sie Erstattung der durch Heilbehandlungsmaßnahmen entstanden Kosten verlangen, weil sie nicht nachgewiesen hat, dass die behaupteten Verletzungsfolgen durch das Unfallereignis verursacht wurden. Daher scheitert die Feststellungsklage zur Erstattung künftiger Schäden bzw. eines Dauerschadens.
2.1. Zwar ist als Folge des Unfallereignisses von einer Knieprellung auszugehen, weil die Beklagte zu 3) sowohl vorprozessual als auch im Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren eine solche Verletzung ihrer eigenen Regulierung zu Grund gelegt hat und sich mit dem Bestreiten im Klageverfahren dazu in Widerspruch setzt als auch das Vorliegen einer Knieprellung sowohl im Bericht des Durchgangsarztes vom 04.12.2013 (Bl. 36) wie im Bericht des Krankenhauses Kemnath vom 18.12.2013 (Bl. 37 ff.) bestätigt wird. Somit hat das Gericht auch unter Berücksichtigung des Kollisionsablaufs keinen Zweifel am Vorliegen einer unfallbedingten Knieprellung, was auch die danach verspürten Schmerzen schlüssig erklärt.
Das hierfür geleistete Schmerzensgeld von 500,00 EUR trägt aber unter Berücksichtigung aller Umstände im Hinblick auf den behaupteten Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit vom 03.12.2013 bis 12.01.2014 dem hierfür zu leistenden Schmerzensgeld hinreichend Rechnung, weil es sich nur um eine leichte Knieprellung handelt, wie sie üblicherweise Verkehrsunfällen dieser Art auftritt und regelmäßig innerhalb kurzer Zeit abheilt, ohne dass Hämatome oder offene Wunden vorlagen.
Das hierfür zustehende Schmerzensgeld bewegt sich in einem Rahmen bis zu 400,00 EUR (vgl. Slizyk, IMDAT plus, Knieverletzungen, unter Hinweis auf OLG Braunschweig, 20.11.2002, AG Kandel, 08.02.201, AG Mettmann, 06.11.2001 und LG Augsburg, 24.04.1991).
2.2. Dagegen ist der gem. § 287 ZPO zu erbringende Nachweis, dass die Lockerung der Knieprothese und die anhaltenden Beschwerden und Schmerzen auf das Unfallereignis zurückzuführen sind, nicht geglückt.
Zwar sind vorliegend die Anforderungen an die Überzeugungsbildung des Gerichts nach § 287 ZPO reduziert, weil eine mehr oder minder hohe, jedenfalls aber überwiegende Wahrscheinlichkeit für den Kausalitätsnachweis genügen kann (vgl. BGH NJW 2015, 934; NJW-RR 2006, 1238).
Allerdings bestehen bei einer Würdigung aller Gesamtumstände, insbesondere der Begutachtung durch Prof. … erhebliche Zweifel am Zusammenhang zwischen Unfall und einer Lockerung der TEP, so dass keine auch nur annähernde Wahrscheinlichkeit gegeben ist, sondern vielmehr der Kausalzusammenhang zwischen dem bestehenden Beschwerden und dem Unfallereignis äußerst unwahrscheinlich erscheint.
Der Sachverständige kommt nachvollziehbar zum Ergebnis, dass die Lockerung der TEP ihre Ursache in einem chronischen Krankheitsverlauf hat und auf eine Sklerosierung der Knochen im Anschlussbereich der Prothese zurückzuführen ist. Hierbei kann das Gericht insbesondere seine Wertung nachvollziehen, dass der ca. 12 Stunden nach dem Unfallereignis aufgenommene Röntgenbefund des Krankenhauses Kemnath deutliche Veränderungen des Knochens im Kniebereich erkennen lässt, was die Ursache für die Lockerung der Prothese schlüssig erklärt und solche Veränderungen, insbesondere im gegebenen Umfang nicht innerhalb des kurzen Zeitraums zwischen Unfall und Röntgendiagnose entstehen können. Seine Erläuterung, dies könne nur über einen längeren, Zeitraum geschehen, ist für das Gericht plausibel nachvollziehbar und entkräftet jede auch noch so geringe Wahrscheinlichkeit, dass dies auf den Unfall zurückzuführen ist.
Ferner hat der Sachverständige widerspruchsfrei und nachvollziehbar ausgeführt, dass die von der Klägerin vorgetragenen Schmerzen und die Einnahme von Schmerzmitteln mit dem Unfallereignis nicht im Zusammenhang gebracht werden kann, zumal – gerichtsbekannt – Schmerzangaben immer subjektiver Natur sind und somit kaum objektivierbar. Zudem lag eine Knieprellung vor, die bekanntermaßen schmerzhaft ist, wie das Gericht aus eigener Anschauung weiß. Die behaupteten dauerhaften Beeinträchtigung lassen sich aus Sicht des Gerichts also auch mit einer zeitgleichen Folge des chronischen Abbauprozesses im Knochen der Klägerin erklären.
Das Gericht macht sich die Begutachtung durch den Sachverständigen zu eigen, der dem Gericht langjährig auf diesem Fachgebiet als besonders kompetent bekannt ist und an seiner Sachkunde für orthopädische Fragestellungen als Emeritus der LMU München keine Zweifel bestehen, zumal er seit vielen Jahren bayernweit als medizinischer Sachverständiger tätig ist und auch vor dem erkennenden Gericht bereits mehrere Gutachten erstattet hat.
Das Beweisergebnis der Begutachtung wird weder mit dem klägerseits vorgelegten Attest des Dr. E. vom 02.05.2016 noch mit den im Schriftsatz vom 13.07.2016 vorgebrachten Tatsachen entkräften.
Auch wenn hiernach die Beschwerdefreiheit der Klägerin vor dem Unfall sowie das Auftreten von Beschwerden nach dem Verkehrsunfall attestiert wird, bleibt der vom Sachverständigen erkannte Befund der Sklerosierung und die dadurch nachvollziehbare Lockerung der TEP unangegriffen.
Zum einen hat die Klägerin auf Nachfrage des Gerichtes im Termin vom 29.06.2016 ausgeführt, dass das die letzte Konsultation des Dr. E. zumindest einen gewissen Zeitraum vor dem Unfallereignis lag, den sie zwar nicht näher eingrenzen konnte, aber zumindest im Zeitraum von 3 bis 4 Monaten benannte. Im nachgelassenen Schriftsatz wurde angegeben, dass das Knie am 17.04.2013 ausgeheilt war und die letzte Kontrolluntersuchung für den 30.09.2013 benannt. Selbst wenn die Klägerin beim letzten Besuch vor dem Unfallereignis beschwerdefrei war, erscheint das Auftreten der Beschwerden unabhängig vom Unfallereignis als möglich, zumal der gerichtliche Sachverständige sich in seinem Gutachten bereits hiermit auseinandergesetzt und seine Begutachtung schon unter diesen Angaben erstattet hat (vgl. Seite 16 GA).
Daher war die Einvernahme des Zeugen … insbesondere auch nicht zur Gegenüberstellung mit dem Sachverständigen anzuordnen. Der Zeugenbeweis dient zum Beweis streitiger Tatsachenbehauptungen, das Sachverständigengutachten dagegen zur Wertung, welche Rückschlüsse aufgrund dieser erwiesenen Tatsachen zu führen sind. Für diese Wertung hat das Gericht den gerichtlichen Sachverständigen beauftragt und dessen Wertungen zugrundezulegen. Hierbei ändert sich das Ergebnis selbst dann nicht, wenn man den nachgeschobenen Tatsachenvortrag als wahr unterstellt, da allenfalls der Zustand zum 30.09.2013 als „beschwerdefrei“ aufgeklärt werden kann, was aber wegen der Sklerosierung, die bildbefundet ist, nicht den zu erbringenden Nachweis ersetzen kann.
Auch vom persönlich gewonnenen Eindruck und der Würdigung der anderen, vorgelegten Atteste, kann das Gericht sich nicht die Überzeugung bilden, dass die Beschwerden mit hoher Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückzuführen sind, vielmehr bleibt es bezüglich der Schmerzangaben bei den rein subjektiven Empfindungen der Klägerin, die durchaus unmittelbar im Zusammenhang mit dem Unfallereignis aufgetreten sein können, aber, wie gerichtsbekannt ist, wegen des menschlichen Bestrebens, jeder Folge eine bestimmte Ursache zuzuordnen, auch rein subjektiv bleiben können, ohne dass sie tatsächlich im Zusammenhang mit dem Unfallereignis stehen.
Nachvollziehbar ist somit allenfalls anhand der nach dem Unfallereignis erstellten Attestierungen eine Knieprellung, die mit dem geleisteten Schmerzensgeld hinreichend abgegolten ist, so dass der Anspruch auf ein weiteres Schmerzensgeld nicht besteht.
Gleiches gilt für die Kosten der physiotherapeutischen Behandlung, das auch insoweit der Nachweis des Kausalzusammenhangs zu führen ist, § 287 ZPO, der allerdings nicht gegeben ist.
Somit ist die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr., 11, 711 ZPO.

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