Aktenzeichen S 2 R 541/15
Leitsatz
Das nach § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X erforderliche positive Wissen bezieht sich bei einem durchgeführten Versorgungsausgleich auf die mit der Rentenbewilligung an die frühere Ehefrau tatsächlich eingetretene Kürzung der Rentenleistungen an den Kläger. Das Wissen um die bloße Möglichkeit einer Kürzung der Leistungen an ihn genügt insoweit nicht. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Bescheid vom 30. März 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juni 2015 wird bezüglich der Rückforderung für den Zeitraum 1. September 2014 bis 30. April 2015 aufgehoben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Beklagte trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Gründe
Die zulässige insbesondere form- und fristgerechte Klage ist zulässig, jedoch nur teilweise begründet. Der Bescheid vom 30.03.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.06.2015 war bezüglich der Rückforderung vom 01.09.2014 bis 30.04.2015 rechtswidrig und verletzt insoweit den Kläger in seinen Rechten. Insoweit war der Bescheid daher aufzuheben. Hinsichtlich der Neufeststellung der Rente ab 01.05.2015 ist der Bescheid jedoch rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, so dass die Klage im Übrigen abzuweisen war.
Zunächst ist festzustellen, dass die Widerspruchsfrist vom Kläger nicht versäumt wurde. Nach seinem Vortrag ging der Bescheid vom 30.03.2015 am 08.04.2015 bei ihm ein. Einen früheren Zugang kann die Beklagte nicht beweisen. Auch die 3-Tages-Fiktion des § 37 SGB X führt vorliegend nicht dazu, dass die Widerspruchsfrist versäumt ist. Der Kläger hat insoweit glaubhaft vorgetragen, dass ihm der Bescheid erst am 08.04.2015 zuging. Der Widerspruch wurde daher fristgemäß eingelegt.
Hinsichtlich der Rückforderung für den Zeitraum 01.09.2014 bis 30.04.2015 ist der Bescheid rechtswidrig und war daher insoweit aufzuheben. Dies ergibt sich aus Folgendem:
Rechtsgrundlage für die Neufeststellung der Rente in gekürzter Form war § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse, also für die Vergangenheit, soll der Verwaltungsakt aufgehoben werden, soweit der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist, § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X.
Dessen Voraussetzungen liegen für den Zeitraum vom 01.09.2014 bis zum 30.04.2015 nicht vor. Hierfür fehlt es insoweit an dem erforderlichen „Wissen“ des Klägers hinsichtlich der Rentenbewilligung an seine frühere Ehefrau. Insoweit hat er die erforderliche Kenntnis nicht durch das Schreiben der Beklagten vom 21.08.2014 erlangt. Darin wurde ihm lediglich die bestehende Rechtslage erläutert und mitgeteilt, dass es aufgrund der Rentenantragstellung durch seine frühere Ehefrau möglicherweise zu einer Rentenkürzung bei ihm kommen könne. Die Beklagte hat jedoch ausdrücklich angekündigt, über den Zeitpunkt der Rentenminderung und die tatsächlichen Auswirkungen des Versorgungsausgleichs erst nach der Entscheidung über den Rentenantrag aus der Versicherung der geschiedenen Ehefrau durch einen Bescheid zu entscheiden. Es wurde daher lediglich darauf hingewiesen, dass seine derzeitige Rente um den Versorgungsausgleich zu mindern sei, sofern der Rentenanspruch seiner früheren Ehefrau anerkannt werde. Es wurde ein voraussichtlicher Minderungsbetrag in Höhe von 158,17 € mitgeteilt. Durch dieses Schreiben hat der Kläger daher zwar gewusst, dass ihm möglicherweise eine Rentenminderung drohe. Die entscheidende Tatsache für die Minderung seines Rentenanspruches, d.h. ob und gegebenenfalls rückwirkend ab wann seiner früheren Ehefrau überhaupt aufgrund ihres Antrags eine Rente bewilligt werden würde, ist jedoch weiterhin unklar geblieben. Das nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X erforderliche positive Wissen bezieht sich jedoch nur auf die mit der Rentenbewilligung an die frühere Ehefrau tatsächlich eingetretene Kürzung der Rentenleistungen an ihn, das Wissen um die bloße Möglichkeit einer Kürzung der Leistungen an ihn genügt insoweit nicht (BSG vom 26.02.2003, B 8 KN 6/02 R, LSG Schleswig-Holstein vom 15.04.2004, L 5 RJ 130/03). Dem Kläger kann auch keine grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden, denn vor dem entsprechenden Rentenbescheid habe niemand davon Kenntnis erlangen können, dass sich die Rente des Klägers entsprechend gemindert habe.
Vor diesem Hintergrund war daher die Rückforderung für den Zeitraum 01.09.2014 bis 30.04.2015 rechtswidrig und der streitgegenständliche Bescheid insoweit aufzuheben. Insoweit ergibt sich daher kein Rückforderungsanspruch der Beklagten gegen den Kläger wegen zu viel gezahlter Rente.
Hinsichtlich des Zeitraums ab 01.05.2015 war der Bescheid dagegen rechtmäßig und die Klage insoweit abzuweisen. Durch den Bescheid der Beklagten vom 30.03.2015 hat der Kläger gewusst, dass aufgrund der Auswirkungen durch den durchgeführten Versorgungsausgleich sein Rentenanspruch nun verringert ist. Die Rente war ab diesem Zeitpunkt aufgrund des durchgeführten Versorgungsausgleichs und der Rentengewährung an die frühere Ehefrau des Klägers zwingend zu kürzen. Eine andere Beurteilung ergibt sich insoweit nicht daraus, dass der Kläger geltend macht, durch die Kürzung der Rente seine monatlichen Ausgaben nicht mehr bestreiten zu können. Die Beklagte hat insoweit zu Recht auf die Möglichkeit der Beantragung von Sozialhilfe hingewiesen (Bundesverfassungsgericht vom 28.02.1980, BVerfGE 53, 257 ff.). Dass der Kläger geltend macht, sein monatliches Auskommen sei dann nicht mehr gesichert, führt daher nicht dazu, dass der Versorgungsausgleich nicht durchzuführen wäre.
Eine andere Beurteilung ergibt sich außerdem auch nicht daraus, dass der Kläger geltend macht, dass im Rahmen einer notariellen Vereinbarung der Ausschluss des Versorgungsausgleichs mit seiner früheren Ehefrau vereinbart worden sei. Wie sich aus dem rechtskräftigen Scheidungsurteil des Amtsgerichts A-Stadt vom 07.03.2002 ergibt, wurde der Versorgungsausgleich durchgeführt. Die frühere Ehefrau des Klägers wollte demnach den Versorgungsausgleich nicht mehr ausschließen, nachdem sie entgegen ihrer ursprünglichen Erwartungen aufgrund der zwischenzeitlich eingeholten Auskünfte der Rentenversicherungsträger ausgleichsberechtigt sei. Aufgrund des Scheidungsurteils des Amtsgerichts A-Stadt steht fest, dass der Versorgungsausgleich durchzuführen ist. Hieran ist die Beklagte gebunden.
Insgesamt ist daher festzustellen, dass die Kürzung der Rente ab 01.05.2015 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt. Insgesamt war die Klage daher teilweise begründet.
Die Beklagte hat daher die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen, § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).