Aktenzeichen 12 C 16.482, 12 ZB 16.786
Leitsatz
Das Nutzungsrecht an einem Pkw ist für die Ausbildungsförderung anrechenbares Vermögen, wenn es für den Antragsteller verwertbar ist (§ 27 Abs. 1 S. 2 BAföG). Eine Verwertbarkeit liegt auch vor, wenn zwar eine Weitervermietung an der Erlaubnis des Eigentümers scheitert, aber eine außerordentliche Kündigung des Mietverhältnisses mit Rückerstattung der im Voraus entrichteten Miete zulässig ist. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
RN 9 K 14.1443 2016-03-14 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg
Tenor
I.
Die Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung für das Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht wird zurückgewiesen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
III.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungs- und Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I. 1. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 11. Februar 2016 ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (§§ 146 Abs. 1, 147 VwGO).
2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung im Ergebnis zu Recht versagt. Der Bescheid vom 18. März 2016 i. d. F. des Widerspruchsbescheids vom 5. August 2015, mit dem unter Aufhebung des früheren Bewilligungsbescheids Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz neu festgesetzt und Ausbildungsförderung in Höhe von 1.595,00 Euro zurückgefordert wurden, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
2.1 Dabei erweist sich die Wertung des Verwaltungsgerichts, die Überweisung des Betrages von 1.844,98 Euro auf ein Konto der …-Bank, um damit angeblich die Schlussrate eines zwischen dem Bruder des Klägers und der .-Bank geschlossenen Leasing-Vertrages zu tilgen, sei rechtsmissbräuchlich erfolgt, allerdings als zweifelhaft.
Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten eines Auszubildenden liegt regelmäßig vor, wenn er im Hinblick auf eine konkrete oder schon begonnene Ausbildung, für die Ausbildungsförderung in Anspruch genommen werden soll, um eine Anrechnung von Vermögen zu vermeiden, Vermögenswerte an einen Dritten rechtsgrundlos und unentgeltlich, d. h. ohne gleichwertige Gegenleistung überträgt, anstatt diese für seinen Lebensunterhalt und seine Ausbildung einzusetzen. Ein gewichtiges Indiz für die Absicht des Auszubildenden, durch die Vermögensübertragung eine Vermögensanrechnung zu vermeiden, ist insoweit grundsätzlich in dem Umstand der zeitnah zur Beantragung von Ausbildungsförderung durchgeführten Vermögensübertragung zu sehen. Nicht erforderlich ist dabei ein subjektiv verwerfliches Handeln des Auszubildenden. Es genügen insoweit der zeitliche Zusammenhang, das Fehlen einer gleichwertigen Gegenleistung sowie der Widerspruch zu dem mit der Vermögensanrechnung verfolgten Gesetzeszweck (vgl. beispielhaft BayVGH, U.v. 11.11.2009 – 12 BV 08.1293 – juris; Sächs. OVG, U.v. 26.11.2009 – 1 A 288/08 – juris; OVG NRW, B.v. 10.6.2011 – 12 A 2098/10 – juris).
Zwar sprechen vorliegend gewichtige Indizien durchaus für eine rechtsmissbräuchliche Vermögensübertragung schon im Hinblick auf die zeitnah zur BAföG-Antragstellung erfolgte Zahlung der Schlussrate auf den zwischen dem Bruder des Klägers und der .-Bank geschlossenen Leasing-Vertrag, die Ungereimtheiten um das geleaste Kraftfahrzeug, für das Kopien von Fahrzeugbrief bzw. Zulassungsbescheinigung vorgelegt werden, in die die Mutter bzw. der Vater eingetragen sind, obwohl laut Schreiben der .-Bank vom 3. September 2010 diese die Bescheinigung zu diesem Zeitpunkt noch in Händen hatte, und die insoweit auch nicht belegen, dass es sich hierbei um das vom Bruder geleaste Fahrzeug handelt, aber auch die Überweisung des Betrages vom Konto des Klägers unter Angabe einer völlig anderen Kundennummer als der auf dem Vertrag zwischen der .-Bank und seinem Bruder genannten. Ohne weitere Sachaufklärung hierzu bleibt die Annahme der Rechtsmissbräuchlichkeit der Vermögensübertragung durch das Verwaltungsgericht jedoch rechtlich zweifelhaft. Allerdings kommt es hierauf entscheidungserheblich nicht an.
2.2. Eine weitere Aufklärung des Sachverhalts war nicht angezeigt, weil wovon das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht ausgeht, auch unter Zugrundelegung einer von jedem Rechtsmissbrauch freien Erlangung des Nutzungsrechts an dem PKW der Betrag in Höhe von 1.844,98 Euro in Anrechnung zu bringen ist, wie sich im Einzelnen aus Folgendem ergibt:
Geht man nämlich davon aus, dass der Kläger im Gegenzug zu der für seinen Bruder übernommenen Zahlung der Schlussrate das Nutzungsrecht am PKW bis zu dessen Verschrottung erlangte und dies auch eine adäquate Gegenleistung darstellt, so würde dies gleichwohl zur Vermögensanrechnung nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG führen. Nach dieser Vorschrift gelten als gemäß § 26 BAföG anrechenbares Vermögen auch Forderungen und sonstige Rechte, es sei denn, der Auszubildende kann sie aus rechtlichen Gründen nicht verwerten (§ 27 Abs. 1 Satz 2 BAföG). Dabei ist entscheidend, ob und inwieweit bestimmtes Vermögen überhaupt dem ausbildungsbedingten Verwertungszugriff des Auszubildenden oder der zu seiner Vertretung berechtigten Person offen steht, und dass es nur, soweit ein solcher Zugriff aus rechtlichen Gründen ganz oder teilweise ausscheidet, gerechtfertigt ist, die betreffenden Gegenstände aus dem anzurechnenden Vermögen auszuklammern (BVerwG, B.v. 16.2.2000 – 5 B 182/99 – juris; BVerwG, U.v. 17.1.1999 – 5 C 71.86 – BVerwGE 87, 284 ff.).
2.2.1 Eine Verwertung ist aus rechtlichen Gründen nicht nur dann ausgeschlossen, wenn ein entsprechendes gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) oder ein gesetzliches oder behördliches Veräußerungsverbot (§ 135 f. BGB) vorliegt (Stock in: Ramsauer/Stallbaum, BAföG, Kommentar, 5. Aufl., § 27 Rn. 10), vielmehr können auch rechtsgeschäftliche Verfügungsbeschränkungen abhängig von Art und Inhalt sowie von dem jeweiligen Verwertungszweck als rechtliche Verwertungshindernisse im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 2 BAföG Berücksichtigung finden (BVerwG, B.v. 16.2.2000, a. a. O., vom 17.1.1995, a. a. O.). Ob und inwieweit einer rechtsgeschäftlichen Verfügungsbeschränkung unterliegende Vermögensgegenstände von dem Vermögensbegriff des Ausbildungsförderungsrechts ausgenommen sind, hängt allein davon ab, ob ein ausbildungsbedingter Verwertungszugriff rechtlich und tatsächlich – ganz oder teilweise – objektiv möglich ist oder nicht. Vertragliche Bindungen und Beschränkungen, die eine objektive Zugriffsmöglichkeit unberührt lassen, können somit angesichts des Grundsatzes der Nachrangigkeit staatlicher Ausbildungsförderung, wonach individuelle Ausbildungsförderung nur dann beansprucht werden kann, „wenn dem Auszubildenden die für seinen Lebensunterhalt und seine Ausbildung erforderlichen Mittel anderweitig nicht zur Verfügung stehen“ (§ 1 Halbs. 2 BAföG; BayVGH, U.v. 16.11.2000 – 12 B 97.1573 – juris), die Herausnahme aus der Vermögensanrechnung nicht rechtfertigen. Nur wenn das Vermögen für den Ausbildungsbedarf ausnahmsweise tatsächlich nicht einsetzbar ist, würde der Auszubildende bei einem Festhalten an der Vermögensanrechnung auf Vermögen verwiesen, das einem Verwertungszugriff gar nicht zugänglich ist (vgl. BVerwG, U.v. 17.1.1991, a. a. O.). Auf diesem Anliegen, den Auszubildenden hiergegen zu schützen, beruht § 27 Abs. 1 Satz 2 BAföG, der Vermögensgegenstände von der Anrechnung ausnehmen will, weil und soweit „der Auszubildende über sie aus rechtlichen Gründen nicht verfügen und sie damit auch nicht für den Lebensunterhalt während seiner Ausbildung verwerten kann (BVerwG v. 17.1.1991, a. a. O. unter Hinweis auf Begründung zum Reg. Entwurf, BT-Drs. 8/134, S. 8 zu Nr. 8 und 9).
2.2.2 Gemessen an diesen Vorgaben ist ein unterstelltes Nutzungsrecht am PKW vorliegend nicht von der Verwertbarkeit gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 BAföG ausgeschlossen, auch wenn man davon ausgehen kann, dass der Bruder des Klägers als Eigentümer eine Erlaubnis zur Verwertung, z. B. durch Weitervermietung, nicht erteilen würde. Ohne dessen Erlaubnis wäre der Kläger zwar nach § 540 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht berechtigt, den PKW zum entgeltlichen Gebrauch einem Dritten zu überlassen. Damit ginge indes keine objektive Unmöglichkeit der Verwertung im Sinne der o.g. Rechtsprechung einher. Denn die Vorschrift begründet kein gesetzliches Verbot im Sinne von § 134 BGB (Palandt, BGB, 72. Aufl. 2013, § 540 Rn. 4) und gemäß § 540 Abs. 1 Satz 2 BGB könnte der Kläger gegenüber seinem Bruder jeder Zeit die außerordentliche Kündigung des Mietverhältnisses mit der Folge der Rückgabe des Fahrzeugs an den Bruder (§ 546 Abs. 1 BGB) aussprechen und damit dessen Verpflichtung zur Erstattung der im Voraus entrichteten Miete an den Kläger (§ 547 Abs. 1 Satz 1 BGB) ins Werk setzen. Die Vorschrift des § 547 BGB erfasst das gesamte Entgelt, das der Mieter als Gegenleistung für den Gebrauch der Mietsache entrichtet hat (Staudinger/Rolfs (2014), BGB, § 547 Rn. 6). Ob der Bruder als „Vermieter“ sich dabei auf die Vorschrift des § 547 Abs. 1 Satz 2 BGB i. V. m. § 818 Abs. 3 BGB berufen könnte, kann vorliegend dahingestellt bleiben. Der Einrede der Entreicherung stünde jedenfalls entgegen, dass aufgrund der Rückgabe des Kraftfahrzeugs die Vorauszahlung wirtschaftlich gesehen noch im Vermögen des Bruders vorhanden wäre (Emmerich/Sonnenschein in: Emmerich/Sonnenschein, Miete, 11. Aufl. 2014, § 547 – Erstattung von im Voraus entrichteter Miete, Rn. 10; Staudinger/Rolfs (2014), BGB, § 547 Rn. 30 unter Hinweis auf BGHZ 54, 347, 351 f. = NJW 1970, 2289). Der Betrag von 1844,98 Euro ist demnach nicht nur als dem Kläger formal zur Verfügung stehendes Vermögen zu betrachten, sondern auch tatsächlich einsetzbar, so dass der Wertung des Ausbildungsförderungsrechts Geltung verschafft werden kann.
Im Ergebnis hat deshalb das Verwaltungsgericht auch unter Berücksichtigung eines am PKW erworbenen Nutzungsrechts – wenn auch unter Verkennung der Rechtsprechung des Senats in seiner Entscheidung vom 22. Januar 2014 (12 C 13.2468 -, juris) – den Betrag in Höhe von 1844,98 Euro zu Recht in Anrechnung gebracht. Es hat sodann in der Folge zutreffend angenommen, dass einer Anrechnung auch die Härteklausel des § 29 Abs. 3 BAföG nicht entgegensteht. Eine unbillige Härte liegt nur dann vor, wenn der Auszubildende auf die Verwertung von Vermögen verwiesen wird, das entgegen den der Vermögensanrechnung zugrundeliegenden Pauschalierungen und Typisierungen für den Ausbildungsbedarf (wirtschaftlich) nicht einsetzbar ist (BVerwG vom 13.6.1991 = NJW 1991, 3047; BayVGH vom 23.7.2008 = BayVBl 2009, 406, vom 17.9.2012 – 12 ZB 12.1204 -, juris) oder eine Verwertung des Vermögens zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Lebensgrundlage des Auszubildenden führen würde (BVerwG vom 12.6.1986, BVerwGE 74, 267; BayVGH vom 10.3.2010 – 12 ZB 08.3003 -, vom 17.9.2012, a. a. O.). Hierfür sind indes keine hinreichenden Anhaltspunkte ersichtlich und Entsprechendes wurde auch von Klägerseite nicht substantiiert vorgetragen.
II. Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung liegt – soweit überhaupt den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt – nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Wie sich aus den obigen Ausführungen zur Beschwerde über die Versagung von Prozesskostenhilfe entnehmen lässt, hat das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht die Klage abgewiesen. Die Ausführungen des Klägerbevollmächtigten sind nicht geeignet, die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts ernstlich in Frage zu stellen.
III. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Kosten des Beschwerdeverfahrens werden im Prozesskostenhilfeverfahren nicht erstattet (§ 166 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO). Beide Verfahren sind gemäß § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei. Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 14. März 2016 nach § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO rechtskräftig. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).