Aktenzeichen L 8 SO 119/15
SGB X SGB X § 105
SGB IX SGB IX § 14, § 55
Leitsatz
1. Die Zuständigkeit des bisherigen Trägers der Sozialhilfe bleibt auch bei einem Wechsel aus einer stationären Einrichtung in eine Wohnung mit Hilfen zum ambulant betreuten Wohnen bestehen.
2. Bei der Zuständigkeit nach § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX handelt es sich um eine solche im Außenverhältnis zu dem Leistungsberechtigten, die nichts über das Innenverhältnis der im Erstattungsverhältnis befassen Träger aussagt. Lediglich nach § 14 Abs. 4 S. 1 SGB IV ist bei fehlender Weiterleitung ein Erstattungsanspruch nach § 105 SGB X ausgeschlossen.
3. Zum Begriff der betreuten Wohnmöglichkeiten im Sinne von § 98 Abs. 5 SGB XII (Anschluss an das Urteil des BSG vom 25.04.2013, B 8 SO 16/11 R).
4. Zu den strukturellen Anforderungen an einen ambulanten Dienst bei der Erbringung von Leistungen des betreuten Wohnens.
Verfahrensgang
S 3 SO 150/13 2015-03-18 Urt SGAUGSBURG SG Augsburg
Tenor
I. Das Urteil des Sozialgerichts München vom 18. März 2015 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die im Zeitraum vom 26.04.2009 bis 31.12.2013 erbrachten Leistungen der Sozialhilfe in Höhe von 127.868,96 € zu erstatten.
“Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.”
(ergänzt mit Berichtigungsbeschluss vom 16. Februar 2017).
III. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens zu 94%, der Kläger trägt 6% der Kosten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A.
Die Berufung ist zulässig. Sie wurde frist- und formgerecht nach § 151 SGG eingelegt, der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt den bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen oder Behörden maßgeblichen Grenzwert nach § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG in Höhe von 10.000.- €.
B.
Die Berufung ist auch größtenteils begründet. Zu Unrecht hat das SG einen Erstattungsanspruch des Klägers gegen den Beklagten verneint. Die teilweises Zurückweisung der Berufung ist darin begründet, dass der Kläger aus der Erstattungsforderung die bereits erfolgte Bundesbeteiligung an den Leistungen nach dem vierten Kapitel des SGB XII nicht herausgerechnet und die Forderung entsprechend reduziert hatte. Soweit dies im Tenor nicht zum Ausdruck gelangt, wird dies in den Entscheidungsgründen dargestellt.
I.
Statthafte Klageart ist vorliegend die allgemeine Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 SGG. Ein Verwaltungsakt hatte zwischen den beiden Trägern der Sozialhilfe in Bezug auf das Erstattungsbegehren nicht zu ergehen. Die Befugnis zum Erlass eines Verwaltungsaktes besteht bei Vorliegen eines Subordinationsverhältnisses zwischen Leistungsträger und Bürger. Im Verhältnis zwischen Leistungsträgern, ist der Erlass eines Verwaltungsaktes nicht zulässig (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl., Anhang § 54 Rn. 4).
II.
Der Erstattungsanspruch besteht für den Zeitraum 26.04.2009 bis 31.12.2010 gem. § 106 Abs. 3 S. 1 SGB XII, für den Zeitraum 01.01.2011 bis 31.12.2013 stellt § 105 SGB X die Rechtsgrundlage für den Erstattungsanspruch dar.
1. Rechtsgrundlage für den Erstattungsanspruch für den Zeitraum 26.04.2009 bis 31.12.2010 ist § 106 Abs. 3 Satz 1 SGB XII. Danach sind dem örtlichen Träger der Sozialhilfe die aufgewandten Kosten von dem Träger der Sozialhilfe zu erstatten, in dessen Bereich die leistungsberechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII hatte, wenn die leistungsberechtigte Person in Fällen des § 98 Abs. 2 SGB XII die Einrichtung verlässt und sie im Bereich des örtlichen Trägers, in dem die Einrichtung liegt, innerhalb von einem Monat danach Leistungen der Sozialhilfe erhält.
a. Die sozialhilferechtlichen Sondervorschriften §§ 106 ff. SGB XII regeln Erstattungsansprüche zwischen Trägern der Sozialhilfe infolge der Erbringung von Sozialhilfeleistungen an leistungsberechtigte Hilfebedürftige. Diese Erstattungsansprüche sollen sicherstellen, dass die gesetzlich bestimmte Lastenverteilung aufgrund der Wertungen in §§ 98, 106 ff. SGB XII auch dann beibehalten wird, wenn ein anderer Träger der Sozialhilfe die Leistung bereits erbracht hat. § 106 SGB XII bezweckt den Schutz des Trägers am Ort von stationären Einrichtungen, der über die Dauer des Aufenthalts in der stationären Einrichtung auch dann andauern soll, wenn sich der Leistungsberechtigte am Ort der Einrichtung weiterhin aufhält und dort Leistungen der Sozialhilfe erhält.
Die Erstattungsansprüche nach §§ 106 ff SGB XII gehen den Erstattungsansprüchen nach § 102 ff. SGB X als speziellere Regelungen im Sinne des § 37 Satz 1 SGB I vor (Böttiger in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 106 SGB XII, RdNr. 13).
b. Die Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs nach § 106 Abs. 3 Satz 1 SGB XII sind für den oben genannten begrenzten Zeitraum erfüllt. Die Leistungsberechtigte hatte, bevor sie sich eine Wohnung in L. angemietet hat, stationär in einem Heim der Lebenshilfe L. gelebt. Diese Einrichtung hat die Leistungsberechtigte zum 31.12.2008 verlassen und bewohnte ab 01.01.2009 eine eigene Wohnung in L.. Sie bezog jedoch weiterhin rechtmäßig Leistungen der Sozialhilfe (insbes. Eingliederungshilfe, Grundsicherung nach dem 4. Kapitel des SGB XII).
Der Beklagte war gemäß § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII für die Leistungsgewährung in dem Heim der Lebenshilfe L. örtlich zuständig, da die Leistungsberechtigte zuvor bei ihren Eltern in I-Stadt im Zuständigkeitsbereich des Beklagten gewohnt hatte. Nach § 98 Abs. 2 S. 1 SGB XII ist für stationäre Leistungen der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, in dessen Bereich die Leistungsberechtigten ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme in die Einrichtung haben oder in den zwei Monaten vor der Aufnahme zuletzt gehabt haben. Durch diese Vorschrift soll der örtliche Leistungsträger, der ein gutes und breites Angebot zur Versorgung hilfebedürftiger Menschen vorhält, vor unverhältnismäßigen Kosten geschützt werden (Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, Kommentar zum SGB XII, 5. Aufl., § 98 Rn. 19).
Daher greift der verlängerte Schutz des Einrichtungsortes durch § 106 Abs. 3 SGB XII und der nach § 98 Abs. 1 S. 1 SGB XII örtlich zuständige Träger der Sozialhilfe, hier der Kläger, hat einen Anspruch auf Erstattung gegen den Beklagten.
c. Dieser Anspruch endet gem. § 106 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 SGB XII spätestens nach Ablauf von zwei Jahren seit dem Verlassen der Einrichtung. Die Leistungsberechtigte war zum 01.01.2009 aus der stationären Einrichtung ausgezogen, so dass der Anspruch am 31.12.2010 endete.
d. Der Umfang der Kostenerstattung ist in § 110 SGB XII geregelt. Danach sind die aufgewendeten Kosten zu erstatten, soweit die Leistungen diesem Buch entsprechen. Dabei gelten die am Aufenthaltsort der Leistungsberechtigten zur Zeit der Leistungserbringung bestehenden Grundsätze für die Leistungserbringung. Hier hat der Kläger entsprechend den Leistungsvorschriften des SGB XII die Leistungen an S. erbracht. Aus der vom Kläger geforderten Erstattungssumme war jedoch die Bundesbeteiligung gem. § 46 a SGB XII herauszurechnen. Nach dieser Vorschrift beteiligt der Bund sich zweckgebunden an den Leistungen nach dem vierten Kapitel des SGB XII. Für das Jahr 2009 wurden im Jahr 2011 gem. § 46 a SGB XII i. d. F. vom 24.09.2008 15% der Nettoausgaben erstattet, für das Jahr 2010 wurden im Jahr 2012 gem. § 46 a SGB XII i. d. F. vom 06.12.2011 45% der Nettoausgaben erstattet. Dieser Anteil war von der Summe der im jeweiligen Jahr getätigten Grundsicherungsleistungen abzuziehen und die Erstattungssumme entsprechend zu reduzieren.
Die Bagatellgrenze von 2.560.- € nach § 110 Abs. 2 SGB XII wird mit der Erstattungsforderung von rund 130.000 Euro überschritten.
e. Die Einrede der Verjährung wurde nicht erhoben, daher war nicht zu prüfen, ob die Ansprüche gem. § 111 SGB XII verjährt waren.
2. Für den Zeitraum ab 01.01.2011 ist § 105 SGB X die Rechtsgrundlage für den Erstattungsanspruch.
a. Dieser Anspruch ist nicht durch § 14 Abs. 4 Satz 3 SGB IX ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift ist § 105 SGB X nicht anzuwenden für einen unzuständigen Rehabilitationsträger, der eine Leistung zur Teilhabe erbracht hat und den Antrag auf Teilhabeleistung nicht entsprechend § 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IX weitergeleitet hat. § 14 SGB IX ist auf den vorliegenden Fall jedoch nicht anwendbar. Ziel dieser Vorschrift ist es, einem Antragsteller auf Leistungen zur Teilhabe möglichst schnell Klarheit über den für die Leistungserbringung zuständigen Rehabilitationsträger zu verschaffen. Ein möglicher Zuständigkeitsstreit soll nicht zulasten des Hilfesuchenden gehen. Daher bestimmt § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, dass der Rehabilitationsträger, bei dem Leistungen zur Teilhabe beantragt werden (erstangegangener Träger), innerhalb von 2 Wochen (bei Erforderlichkeit eines Gutachtens verlängern sich Fristen gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 bis 4 SGB IX) nach Eingang des Antrags bei ihm feststellt, ob er für die Leistungsgewährung nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz zuständig ist. Stellt der Rehabilitationsträger fest, dass er nicht zuständig ist, hat er gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IX unverzüglich den Antrag dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger zuzuleiten. Hat ein Rehabilitationsträger den Antrag nicht fristgemäß weitergeleitet, wird er für die beantragten Teilhabeleistungen gegenüber dem Hilfesuchenden endgültig zuständig und muss auch Leistungen, die gegebenenfalls nicht in seinen Zuständigkeitsbereich fallen, nach anderen Leistungsgesetzen erbringen. In einem solchen Fall bestimmt § 14 Abs. 4 Satz 3 SGB IX, dass der unzuständige Rehabilitationsträger, der den Antrag nicht weitergeleitet hat, keinen Anspruch nach § 105 SGB X hat.
Im vorliegenden Fall war nicht der Kläger erstangegangener Rehabilitationsträger, sondern der Beklagte, bei dem die Leistungsberechtigte im Jahr 2008 Leistungen der Eingliederungshilfe in Form von ambulant betreutem Wohnen durch Gewährung eines persönlichen Budgets beantragt und der die Leistungen auch zunächst durch Bescheid vom 02.12.2008 gewährt hat. Denn die sog. Befassungswirkung des erstangegangenen Trägers fällt auch nach einer verbindlichen, abschließenden Entscheidung des erstangegangenen Trägers nicht weg (BSG, Urteil vom 20.11.2008, B 3 KN 4/07 R). Der Beklagte war damit nach § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX jedenfalls bis zur Fallübernahme durch den Kläger zuständig auch als erstangegangener Träger.
Dass der Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 30.06.2009 aufgefordert hat, den Fall in eigener Zuständigkeit zu übernehmen, und dieser dem entsprochen hat, macht den Kläger nicht zu einem erstangegangenen Träger. Dabei handelt es sich nicht um eine den Regelungen in § 14 SGB IX zu Grunde liegende Situation, nach der Leistungen zur Teilhabe erstmals von einem Hilfesuchenden beantragt werden und die Zuständigkeitsfrage ungeklärt ist. Hier wurde nicht erstmals ein Antrag gestellt, auch waren sich Kläger und Beklagter über die Zuständigkeit des Klägers einig.
b. Der Kläger hat keinen einem Anspruch nach § 105 SGB X vorgehenden Anspruch nach § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX, da er nicht zweitangegangener Rehabilitationsträger nach § 14 Abs. 1 Satz 2 bis 4 SGB IX ist. Der Beklagte hat nicht innerhalb der Frist des § 14 SGB IX den Antrag der Leistungsberechtigten an den Kläger weitergeleitet. Es verbleibt daher bei der Anspruchsgrundlage des § 105 SGB X.
c. Die Voraussetzungen des § 105 SGB X liegen vor. Danach ist der zuständige oder zuständig gewesene Leistungsträger erstattungspflichtig, wenn ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen von § 102 Abs. 1 SGB X vorliegen, soweit der zuständige oder zuständig gewesene Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat.
aa. Der Beklagte war über den 31.12.2010 hinaus für die Leistungserbringung an die Leistungsberechtigte sachlich und örtlich zuständig.
(1) Die Zuständigkeit des Beklagten ergibt sich für den hier vorliegenden Erstattungsanspruch nicht bereits aus § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX. Danach wird der Rehabilitationsträger, bei dem ein Antrag auf Leistungen zur Teilhabe gestellt wird sich, und der den Antrag nicht weiterleitet, zuständig für die Leistungsgewährung. An dieser Zuständigkeit ändert grundsätzlich auch ein erneuter Rehabilitationsantrag, der bei einem anderen Leistungsträger gestellt wird, nichts. Es handelt sich hierbei jedoch um eine Zuständigkeit im Außenverhältnis zu dem Leistungsberechtigten, der einen Antrag auf Teilhabeleistungen gestellt hat. Wer tatsächlich materiell-rechtlich zuständig ist, ist im Anschluss im Innenverhältnis zwischen den Rehabilitationsträgern zu klären. Im Erstattungsstreit zwischen den Rehabilitationsträgern ist daher die sachliche und örtliche Zuständigkeit nach den zu Grunde liegenden Leistungsgesetzen zu prüfen (Luik in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 2. Aufl. 2015, § 14 SGB IX, RdNr. 156).
(2) Der Beklagte war gemäß § 2 des Gesetzes zur Ausführung des 12. Buches Sozialgesetzbuch des Landes B. in Verbindung mit §§ 97 SGB XII, 98 Abs. 5 SGB XII sachlich und örtlich für die Leistungsgewährung auch über den 31.12.2008 hinaus zuständig.
(a) Die sachliche Zuständigkeit des Beklagten als örtlichen Träger der Sozialhilfe ergibt sich aus § 2 des Gesetzes zur Ausführung des 12. Buches Sozialgesetzbuch des Landes Baden-Württemberg. Danach sind die örtlichen Träger der Sozialhilfe sachlich zuständig für die in § 8 SGB XII genannten Leistungen, somit für sämtliche Leistungen der Sozialhilfe.
(b) Der Beklagte ist auch örtlich für die Leistungserbringung über den 31.12.2008 hinaus zuständig geblieben. Die örtliche Zuständigkeit für die Leistungsgewährung an die Leistungsberechtigte ab dem 01.01.2009, als diese in eine eigene Wohnung in L. gezogen ist, begründet sich aus § 98 Abs. 5 SGB XII.
Gemäß § 98 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ist für die Sozialhilfe örtlich zuständig grundsätzlich der Träger der Sozialhilfe, in dessen Bereich sich die Leistungsberechtigten tatsächlich aufhalten. Der Gesetzgeber hat hiervon jedoch Ausnahmen gemacht, um Orte zu schützen, die besondere Leistungsangebote vorhalten, weshalb mit einer vermehrten Leistungszuständigkeit und daher einer höheren finanziellen Belastung zu rechnen ist. Dies ist gemäß § 98 Abs. 2 SGB XII ein Ort, an dem eine stationäre Einrichtung besteht. Die gleiche Zielrichtung hat die Regelung in § 98 Abs. 5 SGB XII, wonach für Leistungen nach dem SGB XII an Personen, die Leistungen nach dem 6. bis 8. Kapitel in Formen ambulanter betreuter Wohnmöglichkeiten erhalten, der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig ist, der vor Eintritt in diese Wohnform zuletzt zuständig war oder gewesen wäre.
Die Leistungsberechtigte lebte ab dem 01.01.2009 in einer ambulanten betreuten Wohnmöglichkeit im Sinne des § 98 Abs. 5 SGB XII. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift ist Voraussetzung, dass Leistungen nach dem 6. bis 8. Kapitel des SGB XII in einer ambulanten betreuten Wohnmöglichkeit erbracht werden.
(aa) Entsprechende Leistungen wurden vorliegend erbracht. Der Begriff der betreuten Wohnmöglichkeiten, der gesetzlich nicht näher definiert wird, orientiert sich nach der Gesetzesbegründung (BT-DRS. 15/1514) zur ursprünglichen Normfassung an § 55 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX. Diese Vorschrift definiert nicht abschließend („insbesondere“) Leistungsbereiche von Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft und dabei in Abs. 2 Nr. 6 Hilfen zum selbstbestimmten Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten. Daraus hatte das BSG zunächst geschlossen, dass es bei der Art der Betreuung um Leistungen zur Teilhabe an der Gemeinschaft handeln muss und nicht um vorwiegend medizinische oder pflegerische Betreuung (BSG, Urteil vom .08.2011, B 8 SO 7/10 R, RdNr. 15). Diese einschränkende Rechtsauslegung hat das BSG jedoch jüngst modifiziert und klargestellt, dass sämtliche Leistungen der ambulanten Betreuung nach dem Sechsten bis Achten Kapitel des SGB XII mit der Zielrichtung der Förderung der Selbständigkeit und Selbstbestimmung bei Erledigung der alltäglichen Angelegenheiten im eigenen Wohn- und Lebensbereich gleichgestellt sind. Es ist daher nach dem BSG systematisch ausgeschlossen, § 98 Abs. 5 SGB XII nur für Eingliederungshilfeleistungen des betreuten Wohnens anzuwenden (BSG, Urteil vom 30.06.2016, B 8 SO 6/15 R, RdNr. 13).
Im vorliegenden Fall waren die im Rahmen des ambulant betreuten Wohnens erbrachten Betreuungsleistungen solche der Eingliederungshilfe nach § 55 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX. Die Betreuungsleistungen waren ausgerichtet zur Förderung der Selbstständigkeit und Selbstbestimmung bei Erledigung der alltäglichen Angelegenheiten im eigenen Wohn- und Lebensbereich. So waren die Betreuerinnen zuständig für die Gestaltungshilfe für soziale Beziehungen, insbesondere Unterstützung bei Konflikten in der Werkstatt und mit dem Freund, Unterstützung der allgemeinen Lebensführung (Einkaufen, Aufräumen, Wäschepflege, Zubereitung von Mahlzeiten), Unterstützung beim Aufbau von neuen Beziehungen, Begleitung bei spannungsreichen Maßnahmen in psychischen Belastungssituationen und dem Umgang damit, Unterstützung zur Gestaltung der Freizeit und der Teilnahme von Veranstaltungen, Absprache und Begleitung zu Arztbesuchen, Notbereitschaft in Krisenzeiten, Unterstützung bei der Kommunikation mit den Diensten der Lebenshilfe, Unterstützung bei der Kommunikation mit Behörden und Angehörigen. Es handelt sich daher um typische Unterstützungsleistungen zur selbstständigen und selbstbestimmten Lebensführung in einer eigenen Wohnung, zur sozialen Integration und Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft.
Diese Leistungen wurden auch rechtmäßig erbracht, sie waren gem. §§ 53, 54 SGB XII i. V. m. §§ 4, 55 SGB IX notwendig und geeignet, um die persönliche Entwicklung ganzheitlich zu fördern und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie eine möglichst selbständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen oder zu erleichtern.
(bb) Die Wohnung, in der die ambulanten Leistungen erbracht werden, muss nicht vom Anbieter der ambulanten Dienstleistungen organisiert sein. Es bedarf keiner Koppelung von Wohnungsgewährung und Betreuung. Der Wortlaut selbst gibt eine solche eingrenzende Auslegung nicht her. Vielmehr scheint es das Ziel des Gesetzgebers, durch die offene, der Auslegung fähige Begrifflichkeit der „ambulanter betreuter Wohnmöglichkeiten“, die in der jüngeren Vergangenheit entstandenen vielfältigen und unterschiedlichen Betreuungsleistungen entweder in der eigenen Wohnung, in Wohngruppen oder Wohngemeinschaften zu erfassen. Daher kann es im Einzelfall ausreichen, dass der Hilfeempfänger die Wohnung selbst anmietet, aber fachlich geschulte Personen Betreuungsleistungen erbringen, die darauf gerichtet sind, dem Leistungsberechtigten Fähigkeiten und Kenntnisse zum selbstbestimmten Leben zu vermitteln. (BSG, Urteil vom .04.2013, B 8 SO 16/11 R, RdNr. 16; BSG, Urteil vom .08.2011, B 8 SO 7/10 R, RdNr. 14 f., Söhngen in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 98 SGB XII, RdNr. 54).
Dass die Leistungsberechtigte die Wohnung selbst angemietet hat und die Betreuung durch Dritte erfolgte, führt daher nicht zu einem Ausschluss der Anwendbarkeit des § 98 Abs. 5 SGB XII.
(cc) Auch Qualität und Quantität der gewährten Betreuungsleistungen führen zur Annahme einer ambulant betreuten Wohnform. Dabei darf es sich zwar nicht um sporadische, situativ bedingte Betreuungsleistungen handeln, sondern diese müssen in einer regelmäßigen Form erbracht werden und in eine Gesamtkonzeption eingebunden sein, die auf die Verwirklichung einer möglichst selbstständigen und selbstbestimmten Lebensführung ausgerichtet ist (LSG NRW, Urteil vom .06.2015, L 9 SO 24/13). Denn der durch § 98 Abs. 5 SGB XII gegebene Schutz des Einrichtungsortes bedarf hinsichtlich der Intensität der Betreuung eine Abgrenzung zu lediglich niederschwelligen oder unregelmäßigen Hilfeleistungen.
Hier waren aber sowohl der Umfang der gewährten Hilfen, als auch die fachliche Qualität der Leistungserbringer derart, dass diese Vorgaben erfüllt sind. Insgesamt lag eine monatliche Hilfestellung von 24 Stunden pro Monat vor, hälftig erbracht von einer Heilerziehungspflegerin und einer Arzthelferin. Die Leistungsberechtigte wurde damit kontinuierlich ca. 6 Stunden pro Woche betreut. Die Betreuerinnen waren auch aufgrund ihrer Ausbildung fachlich befähigt, die erforderlichen Betreuungsleistungen zu erbringen. Koordiniert wurde die Betreuung von einer dritten Person, einer freiberuflichen Sozialarbeiterin, die auch die monatlichen Teamsitzungen moderierte. Weiterhin war zum Zwecke der Qualitätssicherung in der Zielvereinbarung zum persönlichen Budget zwischen der Leistungsempfängerin und dem Beklagten vereinbart, dass mit der Leistungsempfängerin halbjährlich ein Gespräch durchgeführt wird zur Prüfung der Zielerreichung sowie zum notwendigen Umfang der Unterstützungsleistungen. Aus dieser Struktur der Betreuungsleistung ist klar erkennbar, dass es sich um regelmäßige, fachlich qualifiziert erbrachte Leistungen handelt, denen eine Gesamtkonzeption zugrunde lag. Es handelt sich somit bei der Betreuung der Leistungsberechtigten um Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem 6. Kapitel des SGB XII, die die Leistungsberechtigte in einer Form einer ambulanten betreuten Wohnmöglichkeit erhalten hat.
(dd) Dass die Leistungsberechtigte sich ihre Leistungen im Rahmen eines persönlichen Budgets nach § 17 Abs. 2 bis 4 SGB IX selbst organisiert, kann nicht zu einer anderen Beurteilung dieser Leistungen führen, als wenn diese als Sachleistung oder Sachleistungsverschaffung gewährt würden. Nach § 17 Abs. 2 bis 4 SGB IX können Leistungen zur Teilhabe auch durch ein persönliches Budget ausgeführt werden, um den Leistungsberechtigten in eigener Verantwortung ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Denn das persönliche Budget führt nicht zu einer Änderung der bewilligten Leistungen selbst, sondern ändert nur die Art der Leistungsgewährung von einem Sachleistungsanspruch in einen Geldanspruch.
Zwar ist dem SG zuzustimmen, dass eine wie von der Leistungsberechtigten organisierte Wohnform nicht zwingend nachvollziehbar zu einem Schutz des Leistungsortes führen muss, wie es bei einer Einrichtung verständlich ist. Denn eine solche ambulante Betreuung in einer eigenen Wohnung ist nicht an ein bestimmtes nur an einigen Orten vorhandenes Leistungsangebot geknüpft. Dies ist jedoch unabhängig von der Form der Leistungserbringung als Sach- oder als Geldleistung. Es ist indes nicht Aufgabe des Gerichts, die Sinnhaftigkeit des § 98 Abs. 5 SGB XII infrage zu stellen, wie auch schon vom BSG angemerkt wurde (BSG, Urteil vom 30.06.2016, B 8 SO 6/15 R, RdNr. 14).
Der Beklagte war daher für die Leistungserbringung aller Leistungen nach dem SGB XII an die Leistungsberechtigte in einer ambulanten betreuten Wohnmöglichkeit ab dem 01.01.2008 gemäß § 98 Abs. 5 SGB XII örtlich zuständig, da er vor Eintritt in diese Wohnform gemäß § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII örtlich zuständig gewesen war.
b. Der Kläger war gemäß § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB X unzuständiger Leistungsträger. Als dieser hat er die der Erstattungsforderung zu Grunde liegenden Sozialleistungen erbracht.
c. Die Voraussetzungen von § 102 Abs. 1 SGB X lagen nicht vor, der Kläger hat nicht aufgrund gesetzlicher Vorschriften vorläufig Sozialleistungen erbracht.
d. Der Beklagte als erstattungspflichtiger Leistungsträger hat die dem Erstattungsbegehren zu Grunde liegenden Sozialleistungen nicht selbst erbracht.
e. Der Anspruch auf Erstattung ist auch nicht gemäß § 111 SGB X ausgeschlossen. Danach ist der Anspruch auf Erstattung ausgeschlossen, wenn der Erstattungsberechtigte ihn nicht spätestens 12 Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend macht. Der Lauf der Frist beginnt frühestens mit dem Zeitpunkt, zu dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine Leistungspflicht Kenntnis erlangt hat.
Für laufend gewährte Leistungen der Sozialhilfe verlangt § 111 SGB X nicht, dass der Erstattungsanspruch laufend – etwa monatlich – neu geltend zu machen ist. Vielmehr lässt die Bestimmung eine einheitliche Anmeldung auch für die Erstattung aller zukünftigen Leistungen zu (Mutschler in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 111 SGB X RdNr. 17.1). Hier hat der Kläger bereits am 14.10.2009 den Erstattungsanspruch geltend gemacht. Dieser war nicht bezogen auf die bereits getätigten Leistungen, so dass davon ausgegangen werden kann, dass auch die zukünftigen Leistungen von dem angemeldeten Erstattungsanspruch mit umfasst waren.
Im Übrigen war ein Beginn der Frist des § 111 SGB X gemäß Satz 2 dieser Vorschrift erst mit dem Zeitpunkt möglich, zu dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine Leistungspflicht Kenntnis erlangt hat. Eine solche Entscheidung des Beklagten liegt nicht vor. Ob die Frist dann aufgrund anderer Umstände, zum Beispiel positiver Kenntnis der Erstattungspflicht (so etwa Mutschler in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 111 SGB X, RdNr. 36) zu laufen beginnt, ist sehr strittig.
Darauf kommt es aber vorliegend auch nicht an, da der Kläger jedenfalls rechtzeitig am 14.10.2009 auch für zukünftige Leistungen einen Erstattungsanspruch angemeldet hat.
f. Die Einrede der Verjährung wurde nicht erhoben.
g. Der Umfang des Erstattungsanspruches war wie bereits oben unter II. 1. d. erläutert um die Bundesbeteiligung an den Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des SGB XII zu kürzen. Für die Jahre 2011 und 2012 lag die Bundesbeteiligung bei 45% der Nettoausgaben nach § 46 a SGB XII i. d. F. vom 06.12.2011, für das Jahr 2013 bei 75% der Nettoausgaben nach § 46 a SGB XII i. d. F. vom 20.12.2012.
Die Berufung ist daher größtenteils begründet. Ausgehend von einer Erstattungsforderung von 136.025,64 Euro war nach Abzug der Bundesbeteiligung von insgesamt 8.156,68 Euro für die Jahre 2009 bis 2013 eine Verurteilung zu einer Erstattungsforderung von 127.868,96 Euro zuzusprechen. Im Übrigen war, nachdem das erstinstanzliche Urteil leider insgesamt aufgehoben wurde, die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG i. V. m. § 155 Abs. 1 S. 1 VwGO.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG sind nicht gegeben.