Sozialrecht

Rentenversicherung: Bewertung der Rentenanwartschaften bei Quasi-Splitting vor Nachversicherung

Aktenzeichen  L 13 R 399/19

Datum:
24.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 47664
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VI § 185 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 S. 2

 

Leitsatz

1. Fand vor der Nachversicherung ein Quasi-Splitting statt, gelten die dadurch zugunsten der ausgleichsberechtigten Person begründeten Rentenanwartschaften bei der ausgleichspflichtigen Person mit der Zahlung der Nachversicherungsbeiträge (§ 185 Abs. 2 S. 2 SGB VI) oder mit dem Eintritt des Nachversicherungsfalls (§ 185 Abs. 2 S. s i.V.m. Abs. 1 S. 3 SGB VI) in der gesetzlichen Rentenversicherung als übertragene Rentenanwartschaften. (Rn. 28)
2. Die den als übertragen geltenden Rentenanwartschaften entsprechenden Entgeltpunkte sind bei der Berechnung der Rente der ausgleichspflichtigen Person in Abzug zu bringen. Einer auf die Übertragung von Entgeltpunkten gerichteten erneuten Entscheidung des Familiengerichts über den Versorgungsausgleich bedarf es dazu nicht. (Rn. 28)

Verfahrensgang

S 13 R 398/15 2019-07-17 Urt SGAUGSBURG SG Augsburg

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 17. Juli 2019 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte Berufung des Klägers ist zulässig; sie ist insbesondere gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt worden. Die Berufung bleibt aber in der Sache ohne Erfolg. Das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 17.07.2019 ist nicht zu beanstanden, soweit dieses noch Gegenstand des Berufungsverfahrens war. Die Beklagte hat zu Recht mit streitgegenständlichem Bescheid vom 20.01.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.04.2015 den Rentenbescheid vom 30.09.2004 sowie die Folgebescheide vom 26.11.2004, 09.06.2005, 07.07.2005, 16.08.2006 und 13.02.2007 für den Zeitraum vom 01.10.2004 bis 28.02.2015 nach § 45 SGB X aufgehoben, weil diese von Anfang an rechtswidrig waren und der Kläger sich auf ein schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand dieser Bescheide nicht berufen kann. Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten sich hiermit mit Schriftsätzen vom 06.04.2020 einverstanden erklärt haben (vgl. § 124 Abs. 2 SGG).
I.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nach den zuletzt gestellten prozessualen Anträgen die vom Sozialgericht ausgesprochene Abweisung der Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 20.01.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.04.2015. Gegenstand dieser behördlichen Entscheidung war die Aufhebung der oben genannten Rentenbescheide und die damit einhergehende Erstattungsforderung gegen den Kläger in Höhe von 39.653,80 € für den Zeitraum 01.10.2004 bis 28.02.2015. Hiergegen wendet sich der Kläger im Hauptantrag mit der isolierten Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG. Nachdem die Beklagte mit Schriftsatz vom 13.12.2019 ausgeführt hat, aus dem Bescheid vom 15.01.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.04.2015 (Überzahlung Rente wegen Erwerbsminderung) keine Forderungen mehr geltend zu machen, hat die Klägerseite mit Schriftsatz vom 20.02.2020 den Rechtsstreit insoweit für erledigt erklärt. Damit ist dieser Bescheid nicht mehr Gegenstand des Berufungsverfahrens.
II.
Der Bescheid vom 20.01.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.04.2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 54 Abs. 2 S. 1 SGG.
1. Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Mit – wie hier – Wirkung für die Vergangenheit wird der Verwaltungsakt nach § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X nur in den Fällen des Absatzes 2 Satz 3 und des Absatzes 3 Satz 2 zurückgenommen. Die Behörde muss dies nach § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen. Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Dabei ist das Vertrauen in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (§ 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X). Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X allerdings nicht berufen, soweit
1.er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
2.der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder
3.er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.
2. Bei den Rentenbescheiden vom 30.09.2004, 26.11.2004, 09.06.2005, 07.07.2005, 16.08.2006 und 13.02.2007 handelt es sich um den Versicherten begünstigende Verwaltungsakte mit Dauerwirkung. Diese Bescheide waren auch von Anfang an rechtswidrig, da bei der Berechnung der dem Kläger ab 01.10.2004 bewilligten Altersrente ein Abzug aus Versorgungsausgleich bezüglich der ersten Ehe des Klägers – unstreitig – nicht berücksichtigt worden ist.
a) Es bestand entgegen der Auffassung des Prozessbevollmächtigten des Klägers auch kein rechtliches Hindernis, in den Rentenbescheiden für den streitgegenständlichen Zeitraum zu Lasten des Kontos des Klägers bei der Deutschen Rentenversicherung im Hinblick auf den durchgeführten Versorgungsausgleich einen Malus festzustellen. Insbesondere war hierfür kein familiengerichtliches Urteil zum Zeitpunkt der Nachversicherung des Klägers in der Deutschen Rentenversicherung im Jahre 1995 notwendig, aus dem sich ergibt, dass für den streitgegenständlichen Zeitraum zu Lasten des Kontos des Klägers bei der Deutschen Rentenversicherung im Hinblick auf den Versorgungsausgleich ein Malus festgestellt worden ist. Nach § 185 Abs. 2 Satz 2 SGB VI gelten mit der Zahlung der Nachversicherungsbeiträge bzw. in den Fällen des Abs. 1 Satz 3 mit dem Eintritt des Nachversicherungsfalles die im Wege des Quasi-Splittings begründeten Rentenanwartschaften (§ 1587b Abs. 2 BGB, § 3 Abs. 1 Nr. 1 VAHRG) als übertragene Rentenanwartschaften (§ 1587b Abs. 1 BGB, § 3b Abs. 1 Nr. 1 VAHRG). Mit der Nachversicherung der ausgleichspflichtigen Person gelten die EP zulasten der ausgleichspflichtigen Person als begründet oder übertragen, ihre EP sind mithin zu kürzen (mwH. Pietrek in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl., § 185 SGB VI Rn. 119 und 32; Stand: 02.11.2018). Ein gesondertes Urteil ab dem Zeitpunkt der Nachversicherung ist nicht vorgesehen. Der Kläger soll im Rahmen der Nachversicherung vielmehr so gestellt werden, als sei der Versorgungsausgleich unmittelbar in der gesetzlichen Rentenversicherung durchgeführt worden.
b) Die Rentenbewilligungsbescheide waren auch nicht deshalb rechtmäßig, da auf Grund des sog. „Rentnerprivilegs“ die Auswirkungen der Entscheidung des Familiengerichts über den Versorgungsausgleich auf eine laufende Rente des Klägers erst zu einem späteren Zeitpunkt und damit nicht bzw. nicht vollständig im streitgegenständlichen Zeitraum hätten berücksichtigt werden dürfen. § 101 Abs. 3 S. 1 und 2 SGB VI betraf in seiner bis zum 31.08.2009 geltenden Fassung (a. F.) die Rente des Ausgleichsverpflichteten, nämlich die Auswirkungen einer Entscheidung des Familiengerichts über den Versorgungsausgleich auf eine laufende Rente, wenn die Entscheidung rechtskräftig wurde (§§ 1587-1587b BGB iVm § 53g FGG). Nach Abs. 3 galt der Grundsatz, dass die Rente in besitzgeschützter Höhe weiter zu gewähren ist (Rentnerprivileg), bis sich der aus dem Versorgungsausgleich ergebende Zuschlag in tatsächlicher Hinsicht begünstigend für den Ausgleichsberechtigten bzw. dessen Hinterbliebenen auswirkt. Selbst wenn nach der Übergangsregelung nach § 268a Abs. 2 SGB VI das Rentnerprivileg nach § 101 Abs. 3 a. F. vorliegend anwendbar wäre, so liegen jedenfalls die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Norm nicht vor. Voraussetzung wäre, dass nach Beginn der Rente an den Kläger die Entscheidung des Familiengerichts über den Versorgungsausglich zu Lasten des Klägers wirksam geworden ist. Vorliegend datiert die Entscheidung des Amtsgerichts Lindau vom 09.05.1986. Dem Kläger wurde jedoch erstmals mit Wirkung zum 01.10.2001 eine Rentenzahlung bewilligt. § 101 Abs. 3 S. 1 SGB VI a.F ist somit nicht erfüllt.
Es bestanden somit keine rechtlichen Hinderungsgründe, in den Rentenbewilligungsbescheiden für den Zeitraum 01.10.2004 bis 28.02.2015 den durchgeführten Versorgungsausgleich zu berücksichtigen.
3. Der Kläger kann sich auch nicht auf ein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand der aufgehobenen Rentenbescheide nach § 45 Abs. 2 S. 1 und 2 SGB X berufen.
a) Einem schutzwürdigen Vertrauen des Versicherten steht nicht die Vorschrift des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB X entgegen, denn die insoweit beweisbelastete Beklagte hat nicht nachgewiesen, dass der Rentenbescheid durch eine arglistige Täuschung seitens des Klägers erwirkt wurde.
b) Aus dem zu Grunde liegenden und festgestellten Sachverhalt ist jedoch zu entnehmen, dass jedenfalls die Voraussetzungen nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X einschlägig sind. Das Vertrauen ist danach dann nicht schutzwürdig, wenn der Betroffene vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht hat. Angaben sind gemacht, wenn sie dem Begünstigten zuzurechnen sind (Padé in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl., § 45 SGB X Rn. 83, Stand: 27.01.2020). Die unrichtige Angabe kann aktiv erfolgen, d.h. der Begünstigte kann Umstände mitteilen, die dem tatsächlichen Sachverhalt nicht entsprechen. Weiterhin ist der Tatbestand auch dann erfüllt, wenn der Betroffene – wie vorliegend – Umstände verschwiegen hat. Angaben sind dann falsch gemacht, wenn dem Betroffenen ohne weitere Überlegungen klar sein musste, dass er den betreffenden Umstand mitteilen musste.
Der Kläger hat sowohl im Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung vom 20.09.2001 als auch im Antrag auf Gewährung einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen vom 14.07.2004 jeweils die Frage unter Ziff. 10.5, ob ein Versorgungsausgleich durchgeführt wurde, mit „nein“ beantwortet. Der Senat ist dabei auch der Auffassung, dass die Frage unter Ziff. 10.5 eindeutig und unmissverständlich formuliert ist. Dass ein Versorgungsausgleich durchgeführt wurde ergibt sich bereits aus dem Scheidungsurteil des Amtsgerichts – Familiengericht – D vom 09.05.1986. Damit hat der Kläger objektiv unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht.
§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X verlangt neben den objektiven Voraussetzungen (unrichtige oder unvollständige Angaben) noch die Erfüllung eines subjektiven Tatbestands. Der Betroffene muss vorsätzlich oder zumindest grob fahrlässig unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht haben. Vorliegend ist dem Kläger jedenfalls grob fahrlässiges Verhalten vorzuwerfen. Das Gesetz definiert den Begriff der groben Fahrlässigkeit selbst als Verletzung der erforderlichen Sorgfalt in besonders schwerem Maße (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Hs. 2 SGB X). Für die Erfüllung der groben Fahrlässigkeit reicht es also nicht aus, dass der Betroffene Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit seiner Angaben bzw. an der Rechtmäßigkeit hat, sondern die Zweifel müssen so ausgestaltet sein, dass es für jeden erkennbar wäre, dass hier wenigstens eine Nachfrage notwendig wäre. So verhält es sich im vorliegenden Fall. Dem Kläger war bekannt, dass hinsichtlich der Scheidung von seiner ersten Ehefrau mit Ehezeitende am 30.06.1984 tatsächlich ein Versorgungsausgleich durchgeführt worden ist. Dies ergibt sich aus der Zusammenschau von dem Scheidungsurteil des Amtsgerichts – Familiengericht – D vom 09.05.1986, in dem zu Lasten der für den Kläger bei dem Land Baden-Württemberg bestehenden Versorgungsanwartschaften zunächst ein Betrag von 861,61 DM berücksichtigt wurde, und dem Verhalten des Klägers nach Bekanntgabe des Scheidungsurteils. Nach dem Ausscheiden des Klägers zum 31.12.1994 aus dem Beamtenverhältnis und der Durchführung der Nachversicherung am 04.05.1995 bei der Deutschen Rentenversicherung hat der Kläger mehrere Rechtsstreitigkeiten bezüglich der Thematik Abänderung des Versorgungsausgleichs geführt. So hat er zB mit Schriftsatz vom 05.02.2014 – erneut – einen Antrag auf Neuberechnung des festgestellten Versorgungsausgleichs gestellt. Dem Kläger war die Thematik Versorgungsausgleich und die mögliche Bedeutung für die Altersrente somit bestens bekannt. Die Einlassung des Klägers, ihm sei bei der Antragstellung im September 2001 eine BfA-Versichertenberaterin behilflich gewesen und diese habe ihm zu verstehen gegeben, dass aufgrund seines früheren Beamtenstatus und der damit einhergehenden Durchführung einer Nachversicherung der Versorgungsausgleich nicht zu beachten sei, entbindet den Kläger nicht von seiner Pflicht zur korrekten Beantwortung der im Rahmen der Antragstellung gestellten Fragen. Da die Beklagte jedoch den Bescheid vom 15.1.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.04.2015 aufgehoben hat, kommt es vorliegend im Wesentlichen auf die Verhältnisse bei der Antragstellung vom 14.07.2004 auf Umwandlung der Rente in eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen an. Hier kreuzte der Kläger selbständig – also ohne Unterstützung eines Beraters – als Familienstand erneut „nicht verheiratet/verwitwet“ und bei der Frage 10.5, ob ein Versorgungsausgleich wegen Ehescheidung durchgeführt wurde, „nein“ an. Es bedarf zu der korrekten Beantwortung der vorliegenden Fragen keiner besonderen intellektuellen Fähigkeiten, die im Übrigen bei dem Kläger – als ehemaligen Schulleiter – vorhanden sind. Bei Unsicherheiten oder bei Verständnisschwierigkeiten wäre der Kläger jedenfalls zumindest verpflichtet gewesen, bei der Beklagten nachzufragen und entsprechende Aufklärung zu verlangen. Das Unterlassen entsprechender Nachfragen begründet ebenfalls einen Verschuldensvorwurf. Bei feststehender Kenntnis des Klägers von der Scheidung und des durchgeführten Versorgungsausgleichs ist die Verneinung der entsprechenden Frage in einem behördlichen Formular jedenfalls grob fahrlässig. Nur ergänzend wird darauf hingewiesen, dass dem Kläger eine eventuelle Fehlbeurteilung durch die bei der Antragsaufnahme hinzugezogene Versichertenberaterin zuzurechnen wäre. Der Kläger hat mit seiner Unterschrift versichert, sämtliche Angaben im zu Grunde liegenden Vordruck nach bestem Wissen gemacht zu haben, obgleich die Beantwortung der Frage nach der Durchführung eines Versorgungsausgleichs offensichtlich und objektiv unzutreffend war. Auch erfährt diese Bewertung durch die Argumentation, bei Beantragung der Altersrente die im vorangegangenen Antrag enthaltenen Angaben lediglich übernommen zu haben, keine Änderung. Festzuhalten bleibt, dass die Angaben bei den beiden Antragstellungen objektiv unzutreffend waren und die Beklagte dem Kläger daher zulasten der Versichertengemeinschaft Rentenleistungen gezahlt haben, die dem Kläger nicht zustanden. Auch kann der Kläger nicht im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so gestellt werden, als ob er bei den Antragstellungen zutreffende Angaben gemacht hätte. Selbst bei Annahme eines Behördenfehlers kann die unzutreffende Beantwortung der Frage nach der Durchführung eines Versorgungsausgleichs mit der Folge, dass dieser bei der Berechnung der Rentenhöhe nicht berücksichtigt wurde, als Realakt nicht im Wege des sozialgerichtlichen Herstellungsanspruches ersetzt werden (vgl. BSG, Urteil vom 11.03.2004, B 13 RJ 16/03 R).
Damit steht fest, dass der Kläger unrichtige bzw. unvollständige Angabe zum Versorgungsausgleich durch die Beantwortung der entsprechenden Frage mit „Nein“ in seinen Rentenanträgen zumindest grob fahrlässig gemacht hat. Hierbei handelt es sich auch um ein Vorenthalten für die Rentenbewilligung notwendiger und wesentlicher Information, da diese für die zu erlassende Entscheidung eine entscheidende Rolle spielte.
4. Die Beklagte hat auch die in § 45 Abs. 3 und 4 SGB X genannten Rücknahmefristen eingehalten.
a) Die Jahresfrist nach § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X hat die Beklagte eingehalten. Danach hat die zuständige (§§ 45 Abs. 5, 44 Abs. 3 SGB X) Behörde die Rücknahme innerhalb von einem Jahr nach Kenntnis der Tatsachen verfügen, die zur Rücknahme berechtigen. Diese Vorschrift stellt somit eine Rückausnahme zu § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X dar. Auch Personen, die eigentlich keinen Vertrauensschutz genießen, weil sie schuldhaft im Sinne dieser Vorschrift gehandelt haben, erwerben den Vertrauensschutz ein Jahr nach Kenntnis der zuständigen Behörde. Sie müssen also mehr als ein Jahr, nachdem die Behörde von allen maßgeblichen Tatsachen Kenntnis erlangt hat, nicht mehr mit einer Rücknahme der Begünstigung rechnen. Diese zeitliche Begrenzung der Rücknahmebefugnis dient der Rechtssicherheit (LSG Nordrhein-Westfalen v. 05.06.2008 – L 9 AL 157/06 – juris Rn. 35; Rieker, NZS 2015, 656).
Die Jahresfrist beginnt jedoch erst zu laufen, wenn der Behörde alle Tatsachen bekannt sind, die zur Aufhebung nach § 45 SGB X berechtigen. Die Frist beginnt mit der Kenntnis der Rücknahmegründe. Hierzu gehören jedenfalls die Tatsachen, aus denen sich die Rechtswidrigkeit des früheren Verwaltungsakts ergibt. Insoweit kommt es auch auf den Umfang der Rechtswidrigkeit an (zB die genaue Höhe des anzurechnenden Einkommens: BSG SozR 4 – 1300 § 24 Nr. 1 Rn. 12 = NZS 2004, 555), da der Verwaltungsakt nur zurückzunehmen ist, „soweit“ er rechtswidrig ist (KassKomm/Steinwedel, 108. EL März 2020, SGB X § 45 Rn. 26a). Vorliegend steht nach dem festgestellten Sachverhalt lediglich fest, dass der Beklagten im Jahr 1995 durch das Landesamt für Besoldung und Versorgung Baden-Württemberg die Nachversicherungsbescheinigung für den Kläger übersandt wurde mit dem Hinweis, dass ein Versorgungsausgleich durchgeführt wurde. Damit kann jedoch nicht unterstellt werden, dass die Beklagte bereits bei Erlass des Rentenbescheids vom 30.09.2004 bzw. bei den Folgebescheiden vom 26.11.2004, 09.06.2005, 07.07.2005, 16.08.2006 und 13.02.2007 Kenntnis von deren Rechtswidrigkeit gehabt hat. Hierzu reicht nicht aus, dass alleine das Schreiben des Landesamtes in den Machtbereich der Beklagten gelangt ist. Voraussetzung für Kenntnis ist auch das Wissen um die Rechtswidrigkeit der Bescheide. Der Nachweis gesicherter Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der aufgehobenen Rentenbewilligungsbescheide lag bei der Beklagten erst im Jahre 2014 (Anhörung zur Aufhebung und Erstattung) vor. Da § 45 Abs. 2 SGB X neben objektiven auch subjektive Tatbestandsmerkmale (Vorsatz, grobe Fahrlässigkeit) enthält, muss die Behörde aber auch von der Bösgläubigkeit des Betroffenen Kenntnis haben. Wann dies der Fall ist, ist weder ausschließlich nach der subjektiven Einschätzung der Behörde noch anhand objektiver Kriterien zu beantworten. Die den Beginn der Jahresfrist bestimmende Kenntnis ist dann anzunehmen, wenn mangels vernünftiger, objektiv gerechtfertigter Zweifel eine hinreichend sichere Informationsgrundlage bezüglich sämtlicher für die Rücknahmeentscheidung notwendiger Tatsachen besteht. Ein Kennenmüssen der Rechtswidrigkeit auf Seiten der Behörde reicht jedoch nicht aus (Steinwedel in: KassKomm, SGB X, § 45 SGB X Rn. 29). Da die Rechtsprechung regelmäßig eine Anhörung vor Erlass eines Aufhebungsbescheids nach § 45 SGB X verlangt, um die Voraussetzungen des subjektiven Tatbestands aufzuklären, beginnt die Jahresfrist regelmäßig erst nach erfolgter Anhörung des Betroffenen (BSG v. 27.07.2000 – B 7 AL 88/99 R – SozR 3-1300 § 45 Nr. 42; BSG v. 08.02.1996 – 13 RJ 35/94 – SGb 1997, 177 mit Anmerkung Frohn, S. 180; LSG NordrheinWestfalen v. 05.06.2008 – L 9 AL 157/06 – juris Rn. 36). Somit beginnt vorliegend die Jahresfrist erst mit der Anhörung des Klägers zur Rücknahme und Erstattung zu laufen (Schreiben der Beklagten vom 22.09.2014). Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid datiert vom 20.1.2015 und hält somit offensichtlich die Jahresfrist ein.
b) Die besonderen Fristen des § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X begründen für den Kläger vorliegend ebenfalls keinen besonderen Vertrauensschutz.
Nach § 45 Abs. 3 Satz 4 SGB X greift beim Kläger selbst die 10-Jahresfrist nicht, wenn – wie hier – eine laufende Geldleistung (Altersrente für schwerbehinderte Menschen) gewährt wird und diese wenigstens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde. Das bedeutet, das bösgläubigen Empfängern (hier: fehlerhafte Angaben nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X) laufender Geldleistungen kein Bestandsschutz mehr erwachsen kann, sie also immer mit der Rücknahme der Bewilligung rechnen müssen. So verhält es sich im streitgegenständlichen Verfahren. Die Beklagte hat dem Kläger zu Beginn des Rücknahmeverfahrens Monat für Monat eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen gezahlt.
Soweit zu Beginn des Berufungsverfahrens auch der Bescheid der Beklagten vom 15.01.2015 bezüglich der Rückforderung von Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung für den Zeitraum vom 01.10.2001 bis zum 30.09.2004 streitig war, hat die Beklagte zu Recht ausgeführt, dass aus diesem Bescheid keine Ansprüche mehr abgeleitet werden. Denn nach Ablauf der Zehnjahresfrist des § 45 Abs. 3 S. 3 SGB X ist die Rücknahme einer Erwerbsunfähigkeitsrente bei Zahlung einer gleich hohen Altersrente für schwerbehinderte Menschen zum maßgeblichen Zeitpunkt des Beginns des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme nicht mehr möglich (Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 25. Januar 2019 – L 5 R 137/18 -, juris). Bei der Erwerbsunfähigkeitsrente sowie der Altersrente für schwerbehinderte Menschen handelt es sich um verschiedene Geldleistungen iS des § 45 Abs. 3 S. 4 SGB X.
5. Das Sozialgericht hat auch zu Recht festgestellt, dass die von der Beklagten durchgeführte Ermessensausübung rechtlich nicht zu beanstanden ist. Die Beklagte hat hierbei in ausreichendem Maße berücksichtigt, dass bei ihr ein nicht unerheblicher Fehler bei der Verarbeitung des Versorgungsausgleichs aus dem Scheidungsurteil von 1983 lag, dass aber der Kläger bei Wahrung der erforderlichen Sorgfalt die eingetretene Überzahlung – insbesondere durch eine wahrheitsgemäße Angabe des durchgeführten Versorgungsausgleichs hätte durchaus vermeiden können. Ein vom Gericht zu beanstandender Ermessensnicht- oder -fehlgebrauch liegt nicht vor. Nach Auffassung des Gerichts hat die Beklagte die ihr obliegende Ermessensausübung auch zutreffend vorgenommen. Im Rahmen des Ermessens hat sie vom Kläger nur die Hälfte der festgestellten Forderung aufgrund ihres Mitverschuldens zurückgefordert. Das Gericht kann lediglich überprüfen, ob eine Ermessensausübung erfolgte, nicht jedoch eine Aussage darüber treffen, inwieweit aufgrund Mitverschuldens der Beklagten ein weiterer Forderungsverzicht erfolgen muss. Der Fall einer sog. Ermessensreduzierung auf „Null“ liegt nicht vor. Die Rückforderung der zu Unrecht zu viel gezahlten Rentenleistung ist daher nicht zu beanstanden.
6. Der Kläger ist gemäß § 50 SGB X verpflichtet, den geltend gemachten Rückforderungsbetrag von 39.653,80 € zu erstatten. Nach dieser Norm sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. Auch ist es vorliegend unschädlich, wenn nicht alle Bescheide ausdrücklich genannt werden, sofern dem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid zu entnehmen ist, dass die Aufhebung aller Bescheide für den streitgegenständlichen Zeitraum beabsichtigt ist, was vorliegend der Fall ist (s. BSG v. 25.10.2017 – B 14 AS 9/17 R).
7. Auf Entreicherung kann sich der Kläger wegen des fehlenden Vertrauensschutzes nach § 45 Abs. 2 SGB X nicht berufen. Die Vorschriften der §§ 812 ff. Bürgerliches Gesetzbuch – BGB – finden in diesem Sozialrechtsverhältnis keine Anwendung (Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 26. September 2018 – L 19 R 38/18 -, juris).
Damit ist die Klage im Hauptantrag unbegründet.
III.
Die Klage ist hinsichtlich des Hilfsantrags unzulässig. Dem Begehren steht mittlerweile das rechtskräftige Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 17.07.2019 Az.: S 13 R 1210/17 entgegen.
Nach alledem war die Berufung gegen Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 17.07.2019 als unbegründet zurückzuweisen.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Dass die Beklagte auf die deutlich geringere Rückforderung bzgl. der Rente wegen Erwerbsminderung verzichtet hat, steht einem Ausschluss der Kostenerstattung nicht entgegen.
V.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.

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