Sozialrecht

Rückforderung überzahlter Altersrente wegen eines nicht berücksichtigten Versorgungsausgleichs

Aktenzeichen  L 19 R 136/17

Datum:
5.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 8862
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB X § 45, § 50

 

Leitsatz

1 Einen Rentenbezieher trifft die Obliegenheit, einen Rentenbescheid genau durchzulesen, wobei auf das Verständnis eines juristischen Laien abzustellen ist. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2 Wird in einem Rentenbescheid in einer Anlage des Bescheids ausdrücklich das Thema Versorgungsausgleich behandelt, ist einem Rentenbezieher grob fahrlässige Unkenntnis vorzuwerfen, wenn nur einer von zwei Versorgungsausgleichen Berücksichtigung gefunden hat. (Rn. 27 – 29) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 3 R 979/16 2017-02-21 Urt SGNUERNBERG SG Nürnberg

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 21.02.2017 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151), aber nicht begründet. Das Sozialgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Bescheid der Beklagten vom 29.01.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.07.2016 nicht zu beanstanden ist.
Als Rechtsgrundlage für die (teilweise) Rücknahme des Bescheides vom 16.07.2013 kommt allein § 45 SGB X in Betracht. Gemäß § 45 Abs. 1 SGB X darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt (begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Der Bescheid vom 16.07.2013 war auch von Anfang rechtswidrig, da bei der Berechnung der dem Kläger ab 01.07.2013 bewilligten Altersrente für langjährig Versicherte ein Abzug aus Versorgungsausgleich bezüglich der ersten Ehe des Klägers nicht berücksichtigt worden ist.
Der Bescheid vom 16.07.2013 konnte auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden (§ 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X). Denn der Kläger kann sich nicht auf Vertrauen berufen (§ 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X). Zwar beruhte der Rentenbescheid nicht auf falschen Angaben des Klägers, so dass eine Bösgläubigkeit aus diesem Grunde (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X) ausscheidet. Ebenfalls nicht belegt ist eine positive Kenntnis des Klägers von der Fehlerhaftigkeit des Rentenbescheids, doch vorliegend reicht die grob fahrlässige Unkenntnis von der Fehlerhaftigkeit des Bescheids aus (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 2. Alt. SGB X). Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Hiervon ist auszugehen, wenn die Mängel des Bewilligungsbescheides für den Begünstigten ohne weiteres erkennbar waren.
Zutreffend hat das Sozialgericht darauf hingewiesen, dass der Mangel des Rentenbescheides für den Kläger ohne weiteres erkennbar war. Der Kläger hat nicht nur die Obliegenheit, den Rentenbescheid genau durchzulesen. Dabei ist – wie bereits mehrfach ausgeführt – auf das Verständnis eines juristischen Laien abzustellen (Schütze in: von Wulffen/Schütze, Kommentar zum SGB X, 8. Aufl. 2014, § 45 Rn 56 mwN aus der Rechtsprechung). Der Klägerseite ist zuzubilligen, dass bei einem Laien nicht automatisch die Kenntnis vorausgesetzt werden kann, dass ein Versorgungsausgleich im Rentenbescheid aufscheinen muss und an welcher Stelle dies zu erfolgen hätte. Deshalb dürfte das Fehlen eines Versorgungsausgleichs im Bescheid isoliert für den juristischen Laien kein so offensichtliches Warnsignal bewirken, dass die Nichtkenntnis vom fehlerhaft unterlassenen Berücksichtigen des Versorgungsausgleichs im Rentenbescheid als „grob fahrlässig“ eingeordnet werden müsste.
Der vorliegende Fall ist jedoch anders gelagert, da in Anlage 5 des Bescheids ausdrücklich das Thema Versorgungsausgleich behandelt wird, wenn auch fehlerhaft bzw. unvollständig. Dabei ist der Beklagten darin beizupflichten, dass der Kläger um das Vorhandensein zweier Versorgungsausgleiche einmal mit Auswirkungen zu seinen Gunsten und einmal zu seinen Lasten Bescheid wissen musste. Dies entspricht der Fallgestaltung, dass bei einem berücksichtigten Versorgungsausgleich anstelle eines Abschlages versehentlich ein Zuschlag berechnet wurde. Auch hier muss ein Laie erkennen, dass bei einem Versorgungsausgleich zu seinen Lasten ein Zuschlag an Entgeltpunkten ausgeschlossen ist (Bayer. LSG, Urteil vom 30.04.2014, L 20 R 1040/12, juris).
Da hier im fehlerhaften Bescheid ausdrücklich nur eine Ehezeit angesprochen worden war, musste sich auch dem Laien die Frage aufdrängen, warum die andere Ehezeit und der damit zusammenhängende Versorgungsausgleich nicht angesprochen wurde und ob er vergessen worden sein könnte. Beim Kläger bestand zwar ein Versorgungsausgleich zu seinen Gunsten und ein weiterer zu seinen Lasten. Dafür, dass der Kläger aber Gründe für die Annahme hätte haben können, dass dies dazu führe, dass der eine dargestellt werde und der andere nicht, spricht zur Überzeugung des Senats nichts. Auch hat der Kläger nichts Derartiges vorgebracht. Dem Kläger kann damit grob fahrlässige Unkenntnis vorgehalten werden kann.
Die Beklagte hat dabei die Ein-Jahres-Frist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X eingehalten, da sie frühestens mit Eintreffen des Scheidungsurteils am 17.06.2015 positive Kenntnis vom Inhalt eines rechtskräftigen Versorgungsausgleichs hatte und damit die richtige Rentenhöhe ermitteln konnte und am 29.01.2016 der Aufhebungsbescheid ergangen war. Zutreffend hat das Sozialgericht darauf hingewiesen, dass die Frist genauso eingehalten wäre, wenn man schon auf den allerersten Datenabgleich am 29.05.2015 als Fristbeginn sich bezogen hätte.
Die Beklagte hat auch die weitere Frist des § 45 SGB X eingehalten. Zwar ist eindeutig, dass im Januar 2016 die Zwei-Jahres-Frist seit Erlass des Rentenbescheids im Juni 2013 verstrichen gewesen wäre (§ 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X). Im Fall des Klägers ist jedoch die 10-Jahresfrist des § 45 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 SGB X eröffnet gewesen, was schon die Beklagte und das Sozialgericht zutreffend zu Grunde gelegt haben.
Die Beklagte hat auch hinreichend ihr Ermessen ausgeübt. Sie hat berücksichtigt, dass sie die zutreffenden Angaben des Klägers zum Vorliegen von zwei Scheidungen nicht beachtet hat. Teilweise wird hierzu die Auffassung vertreten, dass die fehlerhafte Verarbeitung der Daten für die Rentengewährung durch die Beklagte untrennbar mit der Rechtswidrigkeit des Bescheides verbunden wären und deshalb bei der Ermessensentscheidung nicht gesondert berücksichtigt werden müssten (vgl. Hinweise bei Schütze a.a.O. Rn. 89). Hinzu kam, dass der Fehler der Beklagten dadurch begünstigt worden war, dass die DRV B. S. nicht alle Aktenbestandteile bei der Übergabe der Führung des Rentenkontos des Klägers an die Beklagte mitübergeben hatte.
Auch in der Zusammenschau beider Punkte liegt aus Sicht des Senats keinesfalls ein so großes Fehlverhalten auf Seiten der Beklagten vor, dass die grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers dahinter wesentlich zurückzutreten hätte und ein Absehen von der Rückforderung der Überzahlung in einem Umfang von mehr als der Hälfte der Forderung zu rechtfertigen gewesen wäre.
Die Erstattungsforderung ist ebenfalls rechtmäßig (§ 50 Abs. 1 SGB X).
Dementsprechend sind die angefochtenen Bescheide der Beklagten zu Recht durch das Sozialgericht nicht beanstandet worden. Nach alledem war die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 21.02.2017 als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor. –

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