Aktenzeichen S 13 R 398/15
Leitsatz
1. Die Einlassung des Klägers, dass ihm bei der Antragstellung im September 2001 eine BfA-Versichertenberaterin behilflich war und diese ihm zu verstehen gegeben habe, dass aufgrund seines früheren Beamtenstatus und der damit einhergehenden Durchführung einer Nachversicherung der Versorgungsausgleich nicht zu beachten sei, entbindet den Kläger nicht von seiner Pflicht zur korrekten Beantwortung der im Rahmen der Antragstellung gestellten Fragen. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch ist dem Kläger eine eventuelle Fehlbeurteilung durch die bei der Antragsaufnahme hinzugezogene Versichertenberaterin zuzurechnen. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
3. Nach ständiger Rechtsprechung haben Versicherte die Bescheide der Rentenversicherung sorgfältig zu lesen und die Pflicht mitzuteilen, wenn Unrichtigkeiten enthalten sind. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten
Gründe
Das Sozialgericht Augsburg ist das für die Entscheidung sachlich und örtlich zuständige Gericht (§§ 51 Abs. 1 Nr. 1, 57 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG -). Die Klage wurde form- und fristgerecht erhoben. Sie ist zulässig, in der Sache aber nicht begründet. Die Beklagte hat mit den erteilten Bescheiden unter Berücksichtigung der Sach- und Rechtslage die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung sowie die Altersrente des Klägers unter ermessensgerechter Berücksichtigung ihres Mitverschuldens neu berechnet und eine Überzahlung zutreffend festgestellt, die vom Kläger zu erstatten ist. Die Rechte des Klägers wurden dadurch nicht rechtswidrig verletzt, § 54 Abs. 1 Satz 2 SGG.
Die zur Aufhebung und Rückforderung erforderlichen Voraussetzungen gemäß § 45 SGB X sind nach Überzeugung des Gerichts erfüllt. Nach dessen Absatz 1 darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nach Absatz 2 darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 – 3 SGB X nicht berufen, soweit
1.er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
2.der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder
3.er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.
Aus dem zu Grunde liegenden Sachverhalt ist zu entnehmen, dass die Voraussetzungen nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 bzw. 3 SGB X einschlägig sind. Zum einen hat der Kläger sowohl im Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung vom 20.09.2001 als auch im Antrag auf Gewährung einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen vom 14.07.2004 die Frage unter Ziff. 10.5, ob ein Versorgungsausgleich durchgeführt wurde, mit „nein“ beantwortet. Dabei war ihm bekannt, dass hinsichtlich der Scheidung von seiner ersten Ehefrau mit Ehezeitende am 30.06.1984 tatsächlich ein Versorgungsausgleich durchgeführt worden ist. Die Einlassung des Klägers, dass ihm bei der Antragstellung im September 2001 eine BfA-Versichertenberaterin behilflich war und diese ihm zu verstehen gegeben habe, dass aufgrund seines früheren Beamtenstatus und der damit einhergehenden Durchführung einer Nachversicherung der Versorgungsausgleich nicht zu beachten sei, entbindet den Kläger nicht von seiner Pflicht zur korrekten Beantwortung der im Rahmen der Antragstellung gestellten Fragen. Insofern ist die Kammer der Auffassung, dass die Frage unter Ziff. 10.5 eindeutig und unmissverständlich formuliert ist. Es bedarf zu deren korrekten Beantwortung keiner besonderen intellektuellen Fähigkeiten. Der vom Kläger beantragten Beauftragung eines Sprachsachverständigen wurde daher nicht nachgekommen.
Auch ist dem Kläger eine eventuelle Fehlbeurteilung durch die bei der Antragsaufnahme hinzugezogene Versichertenberaterin zuzurechnen. Der Kläger hat mit seiner Unterschrift versichert, sämtliche Angaben im zu Grunde liegenden Vordruck nach bestem Wissen gemacht zu haben, obgleich die Beantwortung der Frage nach der Durchführung eines Versorgungsausgleichs offensichtlich und objektiv unzutreffend war. Auch erfährt diese Bewertung durch die Argumentation, bei Beantragung der Altersrente die im vorangegangenen Antrag enthaltenen Angaben lediglich übernommen zu haben, keine Änderung. Festzuhalten bleibt, dass die Angaben bei den beiden Antragstellungen objektiv unzutreffend waren und die Beklagte dem Kläger daher zulasten der Versichertengemeinschaft Rentenleistungen gezahlt haben, die dem Kläger nicht zustanden.
Darüber hinaus war es dem Kläger bei der Lektüre der ihm zugegangenen Rentenbescheide auch möglich zu erkennen, dass zum einen die nachversicherten Entgelte im Versicherungsverlauf enthalten, der Versorgungsausgleich aufgrund der Scheidung von seiner ersten Ehefrau jedoch betragsmäßig nicht erfasst war. Nach ständiger Rechtsprechung haben Versicherte die Bescheide der Rentenversicherung sorgfältig zu lesen und die Pflicht mitzuteilen, wenn Unrichtigkeiten enthalten sind. Diese Pflichten hat der Kläger zumindest grob fahrlässig verletzt. Grobe Fahrlässigkeit liegt nach der gesetzlichen Regelung vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Hiervon ist im vorliegenden Sachverhalt auszugehen, da nach Auffassung des Gerichts die fehlende Berücksichtigung des Versorgungsausgleichs für den Kläger bei sorgfältiger Prüfung der Bescheide erkennbar gewesen ist bzw. diesem die Fehlerhaftigkeit hätte auffallen müssen. Dabei ist als Maßstab auf einen „verständigen Durchschnittsadressaten“ abzustellen. Diesem wäre bei entsprechender Durchsicht der Bescheide aufgefallen, dass die nachversicherten Entgelte in voller Höhe bei der Berechnung seiner Rente zugrunde gelegt und Abzüge aufgrund des durchgeführten Versorgungsausgleichs nach Scheidung von der ersten Ehefrau nicht berücksichtigt wurden.
Nach Auffassung des Gerichts hat die Beklagte die ihr obliegende Ermessensausübung auch zutreffend vorgenommen. Im Rahmen des Ermessens hat sie vom Kläger nur die Hälfte der festgestellten Forderung aufgrund ihres Mitverschuldens zurückgefordert. Das Gericht kann lediglich überprüfen, ob eine Ermessensausübung erfolgte, nicht jedoch eine Aussage darüber treffen, inwieweit aufgrund Mitverschuldens der Beklagten ein weiterer Forderungsverzicht erfolgen muss. Der Fall einer sog. Ermessensreduzierung auf „Null“ liegt nicht vor. Die Rückforderung der zu Unrecht zu viel gezahlten Rentenleistung ist daher nicht zu beanstanden.
Auch kann der Kläger nicht im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so gestellt werden, als ob er bei den Antragstellungen zutreffende Angaben gemacht hätte. Ein solcher Herstellungsanspruch, der nur subsidiär in Betracht kommt, hat nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) folgende Voraussetzungen:
1. Vorliegen einer Pflichtverletzung, die sich der Sozialleistungsträger im Verhältnis zum Berechtigten zurechnen lassen muss. Der Sozialleistungsträger muss also eine gesetzliche oder eine aus einem bestehenden Sozialrechtsverhältnis resultierende Verpflichtung verletzt haben, die ihm gerade gegenüber dem Antragsteller oblag.
2. Eintritt eines rechtlichen Nachteils oder Schadens beim Berechtigten. Die Pflichtverletzung muss als nicht hinweg denkbare Bedingung, zumindest gleichwertig neben anderen Bedingungen, ursächlich einen Nachteil des Betroffenen bewirkt haben.
3. Kausalzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem Schadenseintritt. Die verletzte Pflicht muss darauf gerichtet gewesen sein, den Betroffenen gerade vor den eingetretenen Nachteilen zu bewahren; es muss also ein Schutzzweckzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Nachteil im Sinne eines inneren Zusammenhangs bestehen.
4. Möglichkeit der Herstellung des Zustandes, der ohne die Pflichtverletzung eingetreten wäre. Der Herstellungsanspruch kommt also nur in Fällen zum Tragen, in denen der Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden kann und somit die Korrektur mit dem jeweiligen Gesetzeszweck in Einklang steht.
Der Herstellungsanspruch verpflichtet die Behörde dort, wo dem Versicherten durch Verwaltungsfehler ein Nachteil in seinen sozialen Rechten entstanden ist, den sozialrechtlichen Zustand herzustellen, der bestanden hätte, wenn die Behörde von Anfang an richtig gehandelt hätte.
In Betracht käme möglicherweise ein Beratungsfehler der Versichertenberaterin im Rahmen ihrer Unterstützung des Klägers bei Beantragung der Rente wegen Erwerbsminderung. Doch selbst bei Annahme eines Behördenfehlers kann die unzutreffende Beantwortung der Frage nach der Durchführung eines Versorgungsausgleichs mit der Folge, dass dieser bei der Berechnung der Rentenhöhe nicht berücksichtigt wurde, als Realakt nicht im Wege des sozialgerichtlichen Herstellungsanspruches ersetzt werden (vgl. BSG, Urteil vom 11.03.2004, B 13 RJ 16/03 R).
Die zur Aufhebung und Rückforderung erforderlichen Voraussetzungen sind nach Überzeugung des Gerichts erfüllt. Die Voraussetzungen nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 bzw. 3 SGB X sind erfüllt.
Die zu beachtenden Fristen für eine rückwirkende Aufhebung nach § 45 Abs. 3 und 4 SGB X wurden eingehalten.
Die Klage ist auch hinsichtlich des Hilfsantrags unbegründet. Die Rentenleistung an den Kläger wurde auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des Amtsgerichts/Familiengericht Lindau vom 03.07.2015 zutreffend berechnet. Hierzu wird auch auf das weitere Klageverfahren zum Az.: S 13 R 1210/17 verwiesen.
Die Geltendmachung einer besonderen Härte für den Kläger durch die festgestellte Rückforderung der überzahlten Rente führt ebenso zu keiner Änderung. Durch die streitigen Bescheide der Beklagten wurden lediglich die Forderungen gegenüber dem Kläger betragsmäßig festgestellt. Ob und gegebenenfalls in welcher Höhe die Forderungen eingetrieben werden, ist hiermit nicht entschieden. Soweit die Rückzahlung für den Kläger aufgrund seiner finanziellen Verhältnisse eine besondere Härte darstellen sollte, obliegt die Prüfung und Entscheidung der Beklagten im noch durchzuführenden Beitreibungsverfahren. Soweit die Voraussetzungen vorliegen, kommen gegebenenfalls Ratenzahlungen, Stundung, Niederschlagung oder Erlass in Betracht.
Von der vom Kläger beantragten Einvernahme des namentlich benannten Sachbearbeiters der Beklagten sowie weiterer Dienstvorgesetzter als Zeugen konnte nach Auffassung des Gerichts abgesehen werden. Die angegebenen Beweisthemen wurden zum einen bereits durch den vom Kläger übersandten umfangreichen Schriftwechsel belegt oder sind für die Entscheidung in der Klage nicht von Relevanz.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Kläger von der Beklagten aufgrund des nicht berücksichtigten Versorgungsausgleichs seit Rentenbeginn objektiv betrachtet überhöhte Rentenleistungen erhalten hat. Die Rückforderung der durch die nachträgliche Berücksichtigung entstandenen Überzahlung ist daher zutreffend. Da ein Mitverschuldensvorwurf in gleicher Weise auch der Beklagten zu machen ist, hat diese ermessensgerecht nur die Hälfte der sich bei der Neuberechnung ergebenden Überzahlung vom Kläger eingefordert. Da sich die erteilten Bescheide somit als rechtmäßig erweisen, war die Klage abzuweisen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG.