Aktenzeichen W 3 K 15.139
BAföG BAföG § 1, § 26
Leitsatz
Ein Auszubildender handelt rechtsmissbräuchlich, wenn er im Hinblick auf eine konkret geplante oder schon begonnene Ausbildung, für die Ausbildungsförderung in Anspruch genommen werden soll, Vermögen an einen Dritten überträgt, anstatt es für seinen Lebensunterhalt und seine Ausbildung einzusetzen, um durch die Übertragung eine Vermögensanrechnung zu vermeiden, wobei für die Annahme des Rechtsmissbrauchs der zeitliche Zusammenhang zwischen Vermögensverfügung und Antragstellung, das Fehlen einer gleichwertigen Gegenleistung sowie der Widerspruch zu dem mit der Vermögensanrechnung verfolgten Gesetzeszweck genügt. Unabhängig von der bürgerlich-rechtlichen Wirksamkeit der (unentgeltlichen) Weggabe von Vermögen ist in solchen Fällen der Betrag dem Vermögen des Auszubildenden förderungsrechtlich weiterhin – fiktiv – zuzurechnen und auf seinen Bedarf nach der Maßgabe der §§ 26 ff. BAföG anzurechnen (vgl. VGH München BeckRS 2014, 48110). (red. LS Clemens Kurzidem)
Eine Treuhandabrede kann ausbildungsförderungsrechtlich beachtlich sein, wenn sie zivilrechtlich wirksam zustande gekommen ist (BVerwG BeckRS 2008, 40958). Soweit die tatsächlichen Grundlagen des Vertragsschlusses der Sphäre des Auszubildenden zuzuordnen sind, obliegt ihm bei der Aufklärung der erforderlichen Tatsache eine gesteigerte Mitwirkungspflicht; die Nichterweislichkeit der Tatsachen geht insoweit zu seinen Lasten. (red. LS Clemens Kurzidem)
Von einem engen „zeitlicher Zusammenhang“ zwischen Vermögensverfügung und Beantragung von Ausbildungsförderung kann grundsätzlich bei einem zeitlichen Abstand von 6 bis 7 Monaten ausgegangen werden. Jedoch kann auch bei einer darüber liegenden Zeitdauer ein solcher erforderlicher Zusammenhang noch gegeben sein, wenn sich der im Hinblick auf eine Vermeidung der Vermögensanrechnung finale Charakter der Vermögensverfügung aus den Umständen des Einzelfalls entnehmen lässt (wie VGH München BeckRS 2009, 32006). (red. LS Clemens Kurzidem)
Wird ein Auszubildender im Formblattantrag darauf hingewiesen, dass Vermögenswerte auch dann dem Vermögen zuzurechnen sind, wenn diese rechtsmissbräuchlich übertragen wurden, was insbesondere der Fall sei, wenn in zeitlichem Zusammenhang mit der Ausbildung Teile des Vermögens unentgeltlich ohne Gegenleistung an Dritte insbesondere an die Eltern oder andere Verwandte übertragen würden, so kann er sich gegenüber einer Rücknahme nach § 45 Abs. 2 SGB X auf Vertrauensschutz nicht berufen, da die Bewilligungsbescheide auf Angaben beruhen, die zumindest grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht worden sind. Im Zweifelsfall hat der Auszubildende beim Amt für Ausbildungsförderung nachzufragen und ggf. ein Treuhand/Nießbrauchverhältnis zu offenbaren. (red. LS Clemens Kurzidem)
Tenor
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Die Klage, über die das Gericht gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid des Landratsamtes Main-Spessart vom 21. Januar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Regierung von Unterfranken vom 19. Januar 2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Der Beklagte hat die Bewilligung von Ausbildungsförderung zu Recht für die Zeiträume von September 2009 bis Juli 2012 zurückgenommen, die Ausbildungsförderung für diese Zeiträume unter Anrechnung des Vermögens der Klägerin neu festgesetzt und von der Klägerin die sich durch die Neufestsetzung ergebende Überzahlung in Höhe von 12.088,00 EUR zurückgefordert.
Das Gericht folgt der Begründung der angefochtenen Bescheide (§ 117 Abs. 5 VwGO) und nimmt darauf Bezug. Nur ergänzend wird ausgeführt:
Die Voraussetzungen ist § 45 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) liegen vor. Die zurückgenommenen Bewilligungsbescheide waren rechtswidrig, weil in ihnen Vermögen der Klägerin, welches nach § 11 Abs. 2, §§ 26 ff. BAföG anzurechnen ist, nicht berücksichtigt worden ist.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bestimmung des Vermögens ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Antragstellung (§§ 28 Abs. 2, 4 BAföG). Von diesem Grundsatz ist jedoch eine Ausnahme zu machen. Eine vor der Antragstellung erfolgte Vermögensübertragung schließt nicht aus, dass dem Auszubildenden das übertragene Guthaben förderungsrechtlich weiterhin als Vermögen anzurechnen ist, wenn die Vermögensübertragung als Rechtsmissbrauch anzusehen ist. Wegen des in § 1 BAföG normierten Grundsatzes der Nachrangigkeit staatlicher Ausbildungsförderung handelt ein Auszubildender rechtsmissbräuchlich, wenn er im Hinblick auf eine konkret geplante oder schon begonnene Ausbildung, für die Ausbildungsförderung in Anspruch genommen werden soll, Vermögen an einen Dritten überträgt, anstatt es für seinen Lebensunterhalt und seine Ausbildung einzusetzen, um durch die Übertragung eine Vermögensanrechnung zu vermeiden. Der Auszubildende muss dabei nicht subjektiv verwerflich handeln; es genügt der zeitliche Zusammenhang zwischen Vermögensverfügung und Antragstellung, das Fehlen einer gleichwertigen Gegenleistung sowie der Widerspruch zu dem mit der Vermögensanrechnung verfolgten Gesetzeszweck. Unabhängig von der bürgerlich-rechtlichen Wirksamkeit der (unentgeltlichen) Weggabe von Vermögen ist in solchen Fällen der Betrag dem Vermögen des Auszubildenden förderungsrechtlich weiterhin – fiktiv – zuzurechnen und auf seinen Bedarf nach der Maßgabe der §§ 26 ff. BAföG anzurechnen (VG München, U. v. 2.5.2013 – M 15 K 12.4905 – juris Rn. 27; BayVGH, B. v. 22.1.2014 – 12 C 13.2468 – juris Rn. 4 m. w. N.).
In Anwendung dieser Grundsätze ist vorliegend von einer rechtsmissbräuchlichen Übertragung von Vermögen der Klägerin an ihre Mutter auszugehen. Das Guthaben auf dem Anlagekonto bei der ******* ******** in Höhe von 10.000,00 EUR lautete auf den Namen der Klägerin. Nach den hierfür maßgeblichen zivilrechtlichen Grundsätzen ist Inhaber eines Kontos und Gläubiger des darauf eingezahlten Betrages, wer nach dem von der Bank erkennbaren Willen des Kunden im Zeitpunkt der Kontoeröffnung Gläubiger des Guthabens werden sollte (BVerwG, U. v. 4.9.2008 – 5 C 30/07 – juris Rn. 15). Das Konto wurde von der Klägerin auf ihren Namen am 20. Januar 2005 angelegt. Verfügungsbeschränkungen gegenüber der Bank zulasten der Klägerin waren nicht vereinbart. Es kommt nicht darauf an, aus welchen Mitteln auf ein Konto eingezahlte Gelder stammen. Dies ist für die Frage der Forderungsinhaberschaft gegenüber der Bank ebenso unerheblich, wie der Umstand, ob auf dem Konto Geldbeträge verbucht worden, die steuerlich möglicherweise einen Dritten zuzuordnen sind (BGH, U. v. 18.10.1994 – 11 ZR 237/93 – juris Rn. 11).
Soweit die Klägerseite vorbringt, das Vermögen habe der Mutter gehört und es habe sich um ein Treuhandverhältnis gehandelt, ist dies nicht glaubhaft und deshalb unbeachtlich. Zwar kann auch eine Treuhandabrede ausbildungsförderungsrechtlich beachtlich sein, wenn sie zivilrechtlich wirksam zustande gekommen ist (vgl. BVerwG, U. v. 4.9.2008 – 5 C 12.08 – juris). Ein Treuhandvertrag ist dadurch gekennzeichnet, dass der Treugeber dem Treuhänder Vermögensrechte überträgt, ihn aber in der Ausübung der sich aus dem Außenverhältnis ergebenden Rechtsmacht im Innenverhältnis nach Maßgabe der schuldrechtlichen Treuhandvereinbarung beschränkt. Eine rechtlich anzuerkennende Treuhandschaft setzt daher eine entsprechende schuldrechtliche Vereinbarung zwischen Treugeber und Treuhänder voraus, aus der sich ergeben muss, dass die mit der rechtlichen Inhaberstellung verbundene Verfügungsmacht im Innenverhältnis zugunsten des Treugebers eingeschränkt ist. Die Treuhandabrede muss die Weisungsbefugnis des Treugebers gegenüber dem Treuhänder und dessen Verpflichtung zur jederzeitigen Rückgabe des Treugutes zum Gegenstand haben. Die Vereinbarung eines entsprechenden Auftrags- oder Geschäftsbesorgungsverhältnisses muss ernsthaft gewollt sein und es muss eine konkrete, mit rechtsgeschäftlichem Bindungswillen zustande gekommene Absprache nachgewiesen werden. Dabei muss – gerade bei der hier in Rede stehenden fremdnützigen Treuhand – das Handeln des Treuhänders im fremden Interesse wegen der vom zivilrechtlichen Eigentum abweichenden Zurechnungsfolge eindeutig erkennbar sein. Entsprechend diesen Vorgaben ist der Treuhandcharakter eines Kontos oder eines Depots nur anzunehmen, wenn eine entsprechende Treuhandabrede zivilrechtlich wirksam zustande gekommen ist und dies von dem insoweit darlegungspflichtigen Auszubildenden auch nachgewiesen worden ist. Hieran sind strenge Anforderungen zu stellen. Dies gilt in dem vorliegenden ausbildungsrechtlichen Zusammenhang gerade auch im Hinblick auf die Gefahr des Missbrauchs bei solchen Abreden unter Angehörigen. Die Ämter für Ausbildungsförderung und die Tatsachengerichte haben zur Klärung der Frage, ob überhaupt ein wirksamer Treuhandvertrag geschlossen worden ist und welchen Inhalt dieser gegebenenfalls hat, alle Umstände des Einzelfalls sorgfältig zu würdigen. Soweit die tatsächlichen Grundlagen des Vertragsschlusses der Sphäre des Auszubildenden zuzuordnen sind, obliegt ihm bei der Aufklärung der erforderlichen Tatsache eine gesteigerte Mitwirkungspflicht; die Nichterweislichkeit der Tatsachen geht insoweit zu seinen Lasten. Da die relevanten Umstände oft in familiären Beziehungen wurzeln oder sich als innere Tatsachen darstellen, die häufig nicht zweifelsfrei feststellbar sind, ist es zudem gerechtfertigt, für die Frage, ob ein entsprechender Vertragsschluss vorliegt, äußerlich erkennbare Merkmale als Beweisanzeichen (Indizien) heran zu ziehen (BVerwG, U. v. 4.9.2008 – 5 C 12/08 – Rn. 19 ff.).
Ein gewichtiges Beweisanzeichen in diesem Sinne ist etwa die Separierung des Treugutes. Gegen die Glaubwürdigkeit eines behaupteten Vertragsschlusses spricht, wenn der Inhalt der Abrede oder Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht substantiiert dargelegt werden. Gleiches gilt, wenn ein plausibler Grund für den Abschluss des Vertrages nicht genannt werden kann. Ebenso lässt sich als ein Indiz gegen einen wirksamen Vertragsschluss werten, wenn der Auszubildende eine treuhänderische Bindung (von Teilen) seines Vermögens nicht von vorneherein in seinem Antragsformular bezeichnet hat, sondern erst geltend macht, nachdem er der Behörde gegenüber nachträglich einräumen musste, anrechenbares Vermögen zu besitzen.
Vorliegend hat die Klägerin ein angeblich bestehendes Treuhandverhältnis erstmals im Widerspruchsverfahren (Erklärung der Mutter) behauptet. Andererseits wird aber in der Klagebegründung nicht das Bestehen einer Treuhandabrede, sondern ein Nießbrauchverhältnis geltend gemacht. Es gibt keinerlei schriftliche Abmachung zwischen der Klägerin und ihrer Mutter. Das angebliche Treugut (Gelder der Mutter) wurde nicht getrennt von dem eigenen Vermögen gehalten und angelegt. Vielmehr hat die Klägerin nach eigenen Angaben 2000,00 EUR aus dem Verkauf einer Küche ebenfalls auf diesem Konto angelegt. All diese Umstände sprechen zur Überzeugung des Gerichts dafür, dass es sich bei dem Vermögen auf dem Konto um Vermögen der Klägerin handelte.
Die Übertragung des Vermögens auf die Mutter erfolgte in zeitlichem Zusammenhang mit der Antragstellung bzw. Aufnahme der Ausbildung. Zur Konkretisierung des Begriffs „zeitlicher Zusammenhang“ wird in der Rechtsprechung allgemein ein Zeitraum von 6 bis 7 Monaten zwischen Vermögensverfügung und Antragstellung für den erforderlichen zeitlichen Zusammenhang als ausreichend angesehen. Jedoch kann auch bei einer darüber liegenden Zeitdauer ein solcher erforderlicher Zusammenhang noch gegeben sein, wenn sich der im Hinblick auf eine Vermeidung der Vermögensanrechnung finale Charakter der Vermögensverfügung aus den Umständen des Einzelfalls entnehmen lässt (BayVGH, U. v. 23.4.2008 – 12 B 06.1397 – juris). Vorliegend erfolgte die Übertragung des Vermögens an die Mutter am 15. Juni 2009 im engen zeitlichen Zusammenhang mit der Antragstellung (24.7.2009) bzw. der Aufnahme des Studiums am 15. September 2009.
Plausible Gründe für die (angebliche Rück)-Übertragung des Vermögens auf die Mutter ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt – außer einer Vermeidung der Anrechnung der Vermögenswerte auf die Ausbildungsförderung – sind nicht ersichtlich. Der Anlagezeitraum hätte ohnehin am 19. Januar 2010 geendet. Eine Kündigung der Treuhandabrede/des Nießbrauchverhältnisses durch die Mutter oder dass diese plötzlich dringend auf das Geld angewiesen gewesen wäre, wurde nicht vorgetragen
Die Klägerin kann sich bezüglich der Rücknahme gemäß § 45 Abs. 2 SGB X nicht auf Vertrauensschutz berufen, da die Bewilligungsbescheide auf Angaben beruhen, die die Klägerin zumindest grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X). In Zeile 121/119 des (jeweiligen) Formblatt-Antrages wird darauf hingewiesen, dass Vermögenswerte auch dann dem Vermögen zuzurechnen sind, wenn diese rechtsmissbräuchlich übertragen wurden. Dies sei insbesondere der Fall, wenn in zeitlichem Zusammenhang mit der Ausbildung Teile des Vermögens unentgeltlich ohne Gegenleistung an Dritte insbesondere an die Eltern oder andere Verwandte übertragen würden. Die Klägerin hat mit ihrer Unterschrift bestätigt, dass ihr dies bekannt ist (Bl. 2 Rs., Bl. 51 Rs., Bl. 82 Rs. Behördenakte). Der Klägerin war daher das Bestehen der besonderen Anzeigepflicht für eine unentgeltliche Übertragung ihres Guthabens auf Dritte bekannt oder es hätte ihr bekannt sein müssen. Im Zweifelsfall hätte sie hier beim Amt für Ausbildungsförderung nachfragen müssen, bzw. das behauptete Treuhand/Nießbrauchverhältnis für dieses Konto offenbaren müssen.
Der Beklagte hat das ihm zustehende Ermessen für die Rücknahme rechtmäßig ausgeübt und seine Ermessensentscheidung im angefochtenen Rückforderungsbescheid vom 21. Januar 2014 ausreichend begründet. Die Frist für die Rücknahme nach § 45 Abs. 4 SGB X ist ebenfalls eingehalten. Somit sind gemäß § 50 Abs. 1, Abs. 3 SGB X die zu Unrecht erhaltenen Förderleistungen in Höhe von 12.000,88 EUR zurückzuerstatten.
Die erhobene Klage konnte deshalb keinen Erfolg haben und war mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 188 Satz 2 VwGO abzuweisen.