Sozialrecht

Rückforderung von Ausbildungsförderungsleistungen wegen Nichtangabe eines angelegten Geldbetrages

Aktenzeichen  Au 3 K 15.1900

Datum:
23.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB X SGB X § 45 Abs. 1, Abs. 2 S. 3 Nr. 2, Abs. 4, § 50
BAföG BAföG § 1, § 11 Abs. 2, § 25 Abs. 6 S. 1, § 27 Abs. 1, § 28 Abs. 2, § 29, § 50 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Bescheide, die über die Gewährung von Ausbildungsförderung entscheiden, sind Verwaltungsakte, die sich an den Auszubildenden richten. Daraus folgt, dass nur der Auszubildende klagebefugt ist, nicht hingegen die Eltern des Auszubildenden.   (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Verwertung von Vermögen, das einem Bezug von Ausbildungsförderung entgegensteht, muss rechtlich und tatsächlich – ganz oder teilweise – objektiv möglich sein. Sofern bezogene staatliche Prämien zurückzuführen sind, muss dies aufgrund des Grundsatzes der Nachrangigkeit staatlicher Ausbildungsförderung (§ 1 Hs. 2 BAföG) hingenommen werden.  (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Anrechnung des Elterneinkommens gemäß § 11 Abs. 2 BAföG erfolgt, ohne dass insoweit das Bestehen und die Höhe eines privatrechtlichen Unterhaltsanspruchs von Relevanz wäre (ebenso BVerfG BeckRS 9998, 100362). Ausnahmen hiervon sind in § 11 Abs. 2a BAföG normiert. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Das Urteil kann aufgrund des Verzichts der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung ergehen.
Die Klage hat keinen Erfolg.
1. Hinsichtlich der Kläger zu 2. und 3. – der Eltern des Klägers zu 1. als BAföG-Empfänger – ist die Klage bereits unzulässig.
Denn die Kläger zu 2. und 3. sind hinsichtlich der Gewährung von Ausbildungsförderung an ihren Sohn – den Kläger zu 1. – nicht klagebefugt i. S. v. § 42 Abs. 2 VwGO (vgl. OVG NW, U. v. 13.11.1996 – 16 A 4461/95 – FamRZ 1997, 647), da sie kein eigenes Recht, das durch den angegriffenen Bescheid verletzt wäre, geltend machen können. Die Kläger zu 2. und 3. sind bereits nicht Adressat des angefochtenen Bescheides des Beklagten vom 28. April 2015, sondern allein ihr Sohn als Auszubildender i. S. d. §§ 1, 50 Abs. 1 Satz 1 BAföG. Bescheide, die über die Gewährung von Ausbildungsförderung entscheiden, sind Verwaltungsakte, die sich an den Auszubildenden richten (vgl. Rothe/Blanke, BAföG, Stand: April 2012, § 50 Rn. 4), wie dies auch hier geschehen ist. Auch ist allein der Auszubildende selbst Inhaber des materiell-rechtlichen Anspruchs auf Ausbildungsförderung (vgl. NdsOVG, B. v. 28.8.2008 – 4 LA 542/07 – NVwZ-RR 2009, 167); nur zwischen ihm und dem Träger des Amts für Ausbildungsförderung bestehen Rechtsbeziehungen, nicht jedoch zu den Eltern, deren Einkommen nach § 11 BAföG auf den Bedarf des Auszubildenden anzurechnen ist. Selbst im – hier nicht vorliegenden – Fall einer als zulässig angesehenen Antragstellung auch der Eltern hinsichtlich des Vorliegens einer unbilligen Härte i. S. v. § 25 Abs. 6 Satz 1 BAföG (vgl. Rothe/Blanke, BAföG, Stand: April 2012, § 25 Rn. 47), ist davon auszugehen, dass ein solcher Antrag nur zugunsten des Auszubildenden gestellt wird und nur diesem gegenüber insoweit eine Entscheidung ergeht (vgl. zum Ganzen: BayVGH, B. v. 11.10.2012 – 12 C 12.1814 – juris Rn. 3-5).
Aus den oben genannten Gründen waren die Kläger zu 2. und 3. auch im Vorverfahren nicht widerspruchsbefugt i. S. v. § 42 Abs. 2 VwGO analog, so dass auch ihr mit Schreiben vom 25. Mai 2015 eingelegter Widerspruch unzulässig war.
2. Hinsichtlich des Klägers zu 1. ist die Klage zwar zulässig, jedoch nicht begründet.
Der Bescheid des Beklagten vom 28. April 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Beklagten vom 30. November 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger zu 1. nicht in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und Abs. 4 SGB X kann der Leistungsträger einen rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurücknehmen, wenn der Begünstigte deswegen nicht auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertrauen durfte, weil dieser auf Angaben beruht, die er grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Soweit ein Verwaltungsakt zurückgenommen worden ist, sind bereits erbrachte Leistungen gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X zwingend zu erstatten.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
a) Der ursprünglich an den Kläger zu 1. gerichtete begünstigende Bescheid vom 30. Dezember 2011, mit dem ihm Ausbildungsförderung für den Zeitraum von Oktober 2011 bis September 2012 i. H. v. insgesamt EUR 5.376,- bewilligt worden war, war teilweise rechtswidrig. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung am 27. September 2011 war auch der auf dem Fondsdepot Nr. … angelegte Geldbetrag zum Vermögen des Klägers zu 1. zu zählen, so dass ihm im streitgegenständlichen Zeitraum – auch unter Berücksichtigung der Freibeträge aus § 29 Abs. 1 BAföG – ein Anspruch auf Ausbildungsförderung nur i. H. v. EUR 3.432,- zustand. Der zu Unrecht bezogene Differenzbetrag i. H. v. EUR 1.944,- ist zu erstatten.
aa) Nach § 1 BAföG hat ein Auszubildender Anspruch auf Ausbildungsförderung, wenn ihm die für seinen Lebensunterhalt und seine Ausbildung erforderlichen Mittel anderweitig nicht zur Verfügung stehen. Auf seinen Förderbedarf sind nach § 11 Abs. 2 Satz 1 BAföG u. a. eigenes Einkommen und Vermögen anzurechnen. Zum Vermögen des Auszubildenden zählen nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG Forderungen und sonstige Rechte, wobei nach § 28 Abs. 2 BAföG deren Wert zum Zeitpunkt der Antragstellung maßgeblich ist. Auch für die anrechnungsfreien Vermögensbeträge aus § 29 Abs. 1 Satz 1 BAföG sind nach § 29 Abs. 1 Satz 2 BAföG die Verhältnisse im Zeitpunkt der Antragstellung maßgebend.
Ausgenommen vom Vermögen sind nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BAföG Gegenstände, soweit der Auszubildende sie aus rechtlichen Gründen nicht verwerten kann. „Gegenstände“ im Sinne der Vorschrift sind die ausdrücklich in § 27 Abs. 1 Satz 1 BAföG genannten Vermögen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, U. v. 7.1.1991 – BVerwGE 87, 284/288) ist i.R. v. § 27 Abs. 1 Satz 2 BAföG allein entscheidend, ob und inwieweit bestimmtes Vermögen überhaupt dem ausbildungsbedingten Verwertungszugriff des Auszubildenden offen liegt. Als rechtliche Verwertungshindernisse i. S. v. § 27 Abs. 1 Satz 2 BAföG können zwar auch rechtsgeschäftliche Verfügungsbeschränkungen abhängig von Art und Inhalt sowie von dem jeweiligen Verwertungszweck Berücksichtigung finden. Ob und inwieweit einer rechtsgeschäftlichen Verfügungsbeschränkung unterliegende Vermögensgegenstände von dem Vermögensbegriff des Ausbildungsförderungsrechts ausgenommen sind, hängt jedoch davon ab, ob ein ausbildungsbedingter Verwertungszugriff rechtlich und tatsächlich – ganz oder teilweise – objektiv möglich ist oder nicht. Lediglich vertragliche Bindungen und Beschränkungen, die eine objektive Zugriffsmöglichkeit unberührt lassen, können angesichts des Grundsatzes der Nachrangigkeit staatlicher Ausbildungsförderung, wonach individuelle Ausbildungsförderung nur dann beansprucht werden kann, „wenn dem Auszubildenden die für seinen Lebensunterhalt und seine Ausbildung erforderlichen Mittel anderweitig nicht zur Verfügung stehen“ (§ 1 Halbsatz 2 BAföG), die Herausnahme aus der Vermögensanrechnung nicht rechtfertigen. Unter Verwertung des Vermögens sind nicht nur die Veräußerung eines Gegenstandes oder die Realisierung einer Forderung, sondern auch die Belastung eines Gegenstandes und insbesondere auch die Beleihung, Verpfändung oder die Sicherungsabtretung einer Forderung zum Zwecke der Beschaffung eines Darlehens zu verstehen. Letztere Vorgehensweise stellt grundsätzlich auch keine unbillige Härte i. S. v. § 29 Abs. 3 BAföG dar (vgl. zum Ganzen: BayVGH, U. v. 16.11.2000 – 12 B 97.1573 – juris Rn. 21 f.; VG Augsburg, B. v. 29.1.2016 – Au 3 K 15.234 – juris Rn. 51 f.; U. v. 30.1.2009 – Au 3 K 08.1357 – juris Rn. 20-24).
bb) Unter Berücksichtigung obiger Grundsätze handelte es sich vorliegend bei dem auf dem Fondsdepot Nr. … angelegten Geldbetrag um Vermögen des Klägers zu 1. i. S. v. § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG.
Hieran ändert insbesondere der Vermerk „gesperrt bis 31.12.2013“ (Blatt 49 der Verwaltungsakte) nichts. Nach Angaben des Klägers zu 1. selbst waren die Geldmittel richtigerweise bereits nicht objektiv-rechtlich seinem Zugriff entzogen; vielmehr hätte der Kläger zu 1. bei vorzeitiger Inanspruchnahme der Geldmittel lediglich die bezogenen staatlichen Prämien zurückführen müssen (siehe bereits die E-Mail des Klägers v. 11.2.2015, Blatt 57 der Verwaltungsakte sowie die Klageschrift v. 30.12.2015, Blatt 8 der Gerichtsakte). Bei einer solchen Sachlage ist nach der Rechtsprechung ohne weiteres von Vermögen des Klägers zu 1. i. S. v. § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG auszugehen. Aufgrund des Grundsatzes der Nachrangigkeit staatlicher Ausbildungsförderung (§ 1 Halbsatz 2 BAföG) wäre es dem Kläger zu 1. auch zumutbar gewesen, auf die zuvor bezogenen staatlichen Prämien zu verzichten. Ansonsten stünde es Auszubildenden letztlich frei, ihr Vermögen vor der BAföG-Antragstellung auf entsprechenden Prämien-Konten anzulegen, um so einen BAföG-Anspruch zulasten der Allgemeinheit zu begründen. Dies kann jedoch mit Blick auf § 1 Halbsatz 2 BAföG nicht sachgerecht sein. Nur der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass sich an der Vermögenszurechnung des Fondsdepots Nr. … beim Kläger zu 1. auch nichts ändern würde, wenn ein Zugriff tatsächlich objektiv-rechtlich unmöglich gewesen wäre; wie ausgeführt wäre es dem Kläger zu 1. in dieser Konstellation zumutbar gewesen, die Forderung gegenüber der Bank zum Zwecke der Beschaffung eines Darlehens zu beleihen oder zu verpfänden; Anhaltspunkte für das Vorliegen einer unbilligen Härte i. S. v. § 29 Abs. 3 BAföG sind insoweit im vorliegenden Einzelfall nicht ersichtlich.
Der Vermögenswert ist gemäß § 28 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 BAföG bei Wertpapieren zu bestimmen auf die Höhe des Kurswerts zum Antragszeitpunkt (vgl. OVG NW, U. v. 21.10.2011 – 12 A 2774/09 – juris Rn. 30). Nachdem der Kläger zu 1. seinen Mitwirkungspflichten im Verwaltungsverfahren aus § 60 SGB I nicht hinreichend nachgekommen war und keine entsprechende Bankbestätigung zum Stichtag des 27. September 2011 vorgelegt hat, ist der Beklagte insoweit in nicht zu beanstandender Weise auf Basis eines gängigen Internetportals von einem Kurswert eines Anteils am 27. September 2011 i. H. v. EUR 28,35 (Blatt 77/79 der Verwaltungsakte) ausgegangen. Bedenken hiergegen hat auch die Klägerseite in ihrer Klageschrift nicht erhoben.
Der Beklagte hat vom so ermittelten Wert des Fondsdepots Nr. … zum Antragszeitpunkt (EUR 2.350,49) sodann zutreffend 10 v. H. zum Abzug gebracht und so einen letztlichen Vermögensansatz von EUR 2.115,44 ermittelt. Von dem nach § 28 Abs. 1 und 2 BAföG ermittelten Vermögensbetrag sind gemäß § 28 Abs. 3 Satz 1 BAföG die im Zeitpunkt der Antragstellung bestehenden Schulden und Lasten abzuziehen. Nach Nr. 28.3.4 BAföGVwV sind derartige Lasten auch die Verbindlichkeiten, die der auszubildenden Person als Rückforderung von Bausparprämien sowie durch die Nachversteuerung von Bausparbeiträgen erwachsen, weil Guthaben aus Bausparverträgen oder aus Anlageformen nach dem Vermögensbildungsgesetz vor Ablauf der Festlegungsfrist verwertet werden. Mit dem lastenbedingten pauschalen Abzug von 10 v. H. ist einer klägerischen Pflicht zur Rückführung der zuvor bezogenen staatlichen Prämien hinreichend Rechnung getragen (vgl. VG Augsburg, U. v. 30.1.2009 – Au 3 K 08.1357 – juris Rn. 23; VG Würzburg, U. v. 12.11.2009 – W 3 K 09.447 – juris Rn. 30).
cc) Entgegen der Auffassung der Klägerseite hat der Beklagte auch nicht zu Unrecht – trotz Fehlens eines zivilrechtlichen Unterhaltsanspruchs – das Einkommen der Eltern des Klägers zu 1. im Rahmen der Neuberechnung des BAföG-Anspruchs angerechnet.
Auf den Bedarf des Auszubildenden ist gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 BAföG grundsätzlich u. a. das Einkommen der Eltern anzurechnen.
Die Anrechnung des Elterneinkommens gemäß § 11 Abs. 2 BAföG erfolgt jedoch, ohne dass insoweit das Bestehen und die Höhe eines privatrechtlichen Unterhaltsanspruchs von Relevanz wäre. Dass dies grundsätzlich nicht zu beanstanden ist, hat das Bundesverfassungsgericht bereits festgestellt (BVerfG, U. v. 6.11.1985 – 1 BvL 47/83 – BVerfGE 71, 146/155). Auf dieser Grundlage enthält § 11 Abs. 2a BAföG Vorschriften, wonach unter dort im Einzelnen bestimmten Voraussetzungen Einkommen der Eltern ausnahmsweise außer Betracht bleibt. Nach § 11 Abs. 2a Alt. 2 BAföG der Regelung ist dies dann der Fall, wenn die Eltern rechtlich oder tatsächlich gehindert sind, im Inland Unterhalt zu leisten. Hierbei handelt es sich jedoch um Fälle, bei denen die Eltern oder ein Elternteil sich im Ausland aufhalten und dieser Umstand zu einer Verhinderung der Unterhaltszahlungen aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen führt (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U. v. 16.3.1994 – 11 C 19.93 – BVerwGE 95, 252 – juris Rn. 25 ff.; B. v. 5.7.1994 – 11 B 63/94 – juris Rn. 4 f.; OVG NW, B. v. 20.1.2016 – 12 A 1938/14 – juris Rn. 25-30; NdsOVG, B. v. 19.3.2013 – 4 PA 52/13 – juris Rn. 2).
Nachdem die Ausnahmevoraussetzungen des § 11 Abs. 2a BAföG vorliegend nicht gegeben waren, war das Einkommen der Eltern des Klägers zu 1. gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 BAföG anzurechnen.
b) Der Kläger zu 1. hat durch die Nichtangabe des Fondsdepots Nr. … bei Antragstellung grob fahrlässig i. S. v. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X gehandelt, so dass er sich nicht auf Vertrauen berufen kann und der ursprüngliche Bewilligungsbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit (§ 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X) zurückgenommen werden durfte, soweit er rechtswidrig war.
Das Vertrauen des Begünstigten ist gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X nicht schutzwürdig, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, weil schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt worden sind und das nicht beachtet worden ist, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (vgl. BVerwG, U. v. 30.6.2010 – 5 C 2.10 – juris Rn. 24 m. w. N.; siehe zum Ganzen: BVerwG, U. v. 14.3.2013 – 5 C 10/12 – NVwZ-RR 2013, 689 – juris Rn. 24).
In Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen gilt, dass der Kläger zu 1. das auf seinen Namen lautende Fondsdepot Nr. … bei der Antragstellung im September 2011 grob fahrlässig nicht angegeben hat. Es musste sich dem Kläger zu 1. aufdrängen, dass er das Fondsdepot anzugeben hatte. Denn dieses konnte für die Entscheidung des Amts für Ausbildungsförderung erheblich sein. Selbst wenn der Kläger zu 1. davon ausgegangen sein sollte, dass ihm das Fondsdepot wegen des Vermerks „gesperrt bis 31.12.2013“ (Blatt 49 der Verwaltungsakte) nicht zuzurechnen war und von ihm nicht zur Bedarfsdeckung eingesetzt werden musste, hätte er diese Vorgänge zumindest offenlegen müssen, um dem Beklagten eine eigenständige Prüfung und Bewertung der vorgetragenen Verwertungshindernisse zu ermöglichen. Die Nichtangabe des Fondsdepots war für die Fehlerhaftigkeit des ursprünglichen Bewilligungsbescheids auch kausal (vgl. zu diesem Erfordernis BVerwG, U. v. 30.6.2010 – 5 C 2.10 – juris Rn. 40; vgl. zum Ganzen: BVerwG, U. v. 14.3.2013 – 5 C 10/12 – NVwZ-RR 2013, 689 – juris Rn. 25).
c) Die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X für die Rücknahme des Bewilligungsbescheids ist eingehalten worden. Der Beklagte hat den gegenständlichen Rücknahmebescheid vom 28. April 2015 innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen erlassen.
Die Jahresfrist beginnt, sobald die Rücknahmebehörde die Rechtswidrigkeit des erlassenen Verwaltungsakts erkannt hat und ihr die für die Rücknahmeentscheidung außerdem erheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind (vgl. BVerwG, U. v. 30.6.2010 – 5 C 2.10 – juris Rn. 25 m. w. N.). Sie ist hier nicht schon am 6. Februar 2015 durch den im Wege des Datenabgleichs nach § 45d EStG erfolgten Hinweis auf die vom Kläger im Jahr 2011 erzielten Kapitalerträge angelaufen, der den Anlass zu weiteren Ermittlungen gegeben hat, sondern erst durch die vom Kläger nach entsprechenden Aufforderungsschreiben des Beklagten am 19. Februar 2015 vorgelegten Unterlagen. Der Beklagte durfte auch die aus dem Datenabgleich erlangten Informationen verwerten und zum Anlass nehmen, den Kläger zu ergänzenden Angaben zu seinem Kapitalvermögen aufzufordern (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U. v. 14.3.2013 – 5 C 10/12 – NVwZ-RR 2013, 689 – juris Rn. 27).
Ausgehend von einem Beginn der Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X am 19. Februar 2015 war der gegenständliche Rücknahmebescheid vom 28. April 2015 ohne weiteres fristgerecht.
d) Die Ermessensentscheidung des Beklagten zugunsten einer Rücknahme des ursprünglichen Bewilligungsbescheids für die Vergangenheit ist rechtlich nicht zu beanstanden. Zwar ist die Ermessensbetätigung der Ämter für Ausbildungsförderung nach § 45 Abs. 1 SGB X nicht in dem Sinne vorgezeichnet, dass sie im Regelfall nur durch eine Entscheidung für die Rücknahme des Bewilligungsbescheides ausgeübt werden kann (sog. intendiertes Ermessen), wenn einer der Fälle des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X vorliegt. Jedoch hat der Beklagte das ihm nach § 45 Abs. 1 SGB X eingeräumte Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt.
aa) Die auf § 45 Abs. 1 und 4 SGB X gestützte Rücknahme eines von Anfang an rechtswidrigen Bewilligungsbescheids mit Wirkung für die Vergangenheit steht im Ermessen der Ämter für Ausbildungsförderung (vgl. BVerwG, U. v. 17.9.1987 – 5 C 26.84 – BVerwGE 78, 101). Die Ermessensentscheidung erfordert eine sachgerechte Abwägung des öffentlichen Interesses an der Herstellung gesetzmäßiger Zustände mit dem privaten Interesse des Auszubildenden an der Aufrechterhaltung eines rechtswidrigen Bewilligungsbescheids (vgl. BVerwG, U. v. 27.6.1991 – 5 C 4.88 – BVerwGE 88, 342; U. v. 8.6.1989 – 5 C 68.86). Die Prinzipien der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Bestandskraft von Verwaltungsakten stehen dabei gleichberechtigt nebeneinander. Dies gilt auch, wenn eine Berufung des Auszubildenden auf Vertrauensschutz nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X ausscheidet. Eine Begrenzung des Entscheidungsspielraums der Ämter für Ausbildungsförderung im Sinne eines intendierten Ermessens in Richtung einer Rücknahme lässt sich weder unmittelbar aus § 45 SGB X noch aus dem Bundesausbildungsförderungsrecht und seinen fachspezifischen Wertungen ableiten (siehe zum Ganzen: BVerwG, U. v. 14.3.2013 – 5 C 10/12 – NVwZ-RR 2013, 689 – juris Rn. 29-38).
bb) Die Ausübung des Rücknahmeermessens durch den Beklagten ist vorliegend rechtlich nicht zu beanstanden.
Zwar enthält der maschinell erstellte Rücknahmebescheid vom 28. April 2015 nur rudimentäre, formelhafte Ermessenserwägungen (Blatt 84 der Verwaltungsakte). Maßgeblich sind insoweit jedoch die Erwägungen im Widerspruchsbescheid vom 30. November 2015. Denn eine behördliche Entscheidung, deren Recht- und Zweckmäßigkeit – wie hier – im Widerspruchsverfahren nachgeprüft werden kann, erhält gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO erst durch den Widerspruchsbescheid ihre für das gerichtliche Verfahren maßgebliche Gestalt (vgl. BVerwG, B. v. 26.4.2011 – 7 B 34.11; U. v. 25.2.2010 – 2 C 22.09 – BVerwGE 136, 140; vgl. zum Ganzen: BVerwG, U. v. 14.3.2013 – 5 C 10/12 – NVwZ-RR 2013, 689 – juris Rn. 39).
Dem Beklagten war ausweislich des Widerspruchsbescheids (Blatt 98 f. der Verwaltungsakte) bewusst, dass ihm Ermessen zusteht, und er hat dieses erkennbar ausgeübt. Selbst wenn man die Ausführungen des Beklagten, dass „regelmäßig“ das staatliche Rückforderungsinteresse bei rechtswidriger Vergabe öffentlicher Mittel das Interesse des Betroffenen am Fortbestand der rechtswidrigen begünstigenden Lage überwiege, als unzutreffende Annahme eines intendierten Ermessens in Richtung einer Rücknahme erachtet, stellt dies im Ergebnis keinen Ermessensfehler dar. Denn der Beklagte hat jedenfalls das Interesse des Klägers zu 1. am Bestand der rechtswidrigen Bewilligung mit dem öffentlichen Interesse an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und an einem sparsamen und effizienten Umgang mit staatlichen Haushaltsmitteln abgewogen („Die vom Widerspruchsführer vorgetragenen Gesichtspunkte … haben im Rahmen der Abwägung jedenfalls zurückzustehen.“). Letzteres schließt die Einbeziehung fiskalischer Interessen nicht aus (vgl. BVerwG, U. v. 19.2.2009 – 8 C 4.08 – juris Rn. 46; U. v. 31.8. 2006 – 7 C 16.05). Daher ist es nicht zu beanstanden, dass sich der Beklagte von dem Gedanken hat leiten lassen, das Interesse des Klägers zu 1., die zu Unrecht erhaltenen Mittel zu behalten, habe hinter das öffentliche Interesse an einer rechtmäßigen und effizienten Vergabe der nur beschränkt vorhandenen Förderungsmittel zurückzutreten (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U. v. 14.3.2013 – 5 C 10/12 – NVwZ-RR 2013, 689 – juris Rn. 40).
Ein Ermessensfehler ergibt sich auch nicht aus dem klägerischen Vortrag, dass dem Beklagten nicht bekannt gewesen sei, dass der Kläger zu 1. derzeit arbeitslos, ihm also eine Rückforderung i. H. v. EUR 1.944,- unzumutbar sei. Selbst wenn man eine Arbeitslosigkeit des Klägers zu 1. – diese ist klägerseitig nicht belegt, sondern nur in der Klageschrift (Blatt 8 der Gerichtsakte) behauptet worden – unterstellt, so ist eine etwaige mangelnde wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Klägers zu 1. ein Umstand, den der Beklagte bei Erlass des Widerspruchsbescheids jedenfalls vorsorglich in seine Ermessenserwägungen miteingestellt hat. Denn der Beklagte hat im Widerspruchsbescheid für den Fall, dass dem Betroffenen die Erstattung in einer Summe derzeit nicht möglich sei, auf die Option eines Antrags auf Ratenzahlung hingewiesen und ein entsprechendes Formblatt „Stundungsantrag“ beigefügt (Blatt 94-96 der Verwaltungsakte). Der Beklagte hat sich somit im Bewusstsein einer möglichen eingeschränkten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Klägers zu 1. für die Rückforderung entschieden. Das klägerseitig behauptete Ermessensdefizit ist folglich nicht gegeben. Die behördliche Entscheidung, für den Fall einer eingeschränkten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Klägers zu 1. die Einräumung einer Ratenzahlung oder Stundung vorzusehen, ist rechtlich nicht zu beanstanden (vgl. hierzu BVerwG, U. v. 8.10.1998 – 2 C 21/97 – juris Rn. 20; VG Augsburg, U. v. 13.3.2014 – Au 2 K 13.1561 – juris Rn. 36).
3. Nach alledem ist die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 159 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 188 Satz 2 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

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