Sozialrecht

Rückforderung von Ausbildungsförderungsleistungen wegen rechtsmissbräuchlicher Vermögensverfügung

Aktenzeichen  AN 2 K 14.01930

Datum:
29.2.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 44888
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB X §§ 45 Abs. 2, 50 SGB X
BAföG §§ 26, 27 ff. BAföG

 

Leitsatz

1. Genügt ein Auszubildender seiner Mitwirkungspflicht nach § 60 Abs. 1 SGB I nicht und legt er vom Amt für Ausbildungsförderung angeforderte Nachweise zu seinem Vermögen nicht vor, insbesondere Nachweise über die Guthabenstände auf seinen Bankkonten im zeitlichen Zusammenhang mit der Beantragung von Ausbildungsförderung, darf das Amt für Ausbildungsförderung von vorgelegten Unterlagen und Erklärungen des Auszubildenden auf sein tatsächliches Vermögen schließen.  (red. LS Clemens Kurzidem)
2. Ein Auszubildender handelt rechtsmissbräuchlich, wenn er im zeitlichen Zusammenhang mit der Aufnahme einer Ausbildung Vermögen an einen Dritten überträgt, anstatt es für die Ausbildung einzusetzen, um durch die Übertragung eine Vermögensanrechnung zu vermeiden. Er muss dabei nicht subjektiv verwerflich handeln; es genügt vielmehr der zeitliche Zusammenhang zwischen der Vermögensverfügung und der Antragstellung, das Fehlen einer gleichwertigen Gegenleistung sowie der Widerspruch zu dem mit der Vermögensanrechnung verfolgten Gesetzeszweck. (red. LS Clemens Kurzidem)
3. Grundsätzlich sind Leistungen der Eltern an ihre minderjährigen Kinder als Unterhaltsleistungen oder Schenkungen zu betrachten. Demgegenüber ist vom Vorliegen eines Darlehens nur ausnahmsweise auszugehen; die zivilrechtlich rechtswirksame Vereinbarung eines Darlehens wäre vom Auszubildenden darzulegen und glaubhaft zu machen. (red. LS Clemens Kurzidem)
4. Überweist ein Auszubildender im zeitlichen Zusammenhang mit der Beantragung von Ausbildungsförderung Geld von seinem Konto an seine Eltern, gibt er dies bei der Antragstellung nicht an und erklärt er im weiteren Verlauf diese Vermögensverfügung unzureichend, lässt dies darauf schließen, dass ihm im Hinblick auf die rechtsmissbräuchliche Vermögensverfügung zumindest grobe Fahrlässigkeit, wenn nicht gar Vorsatz vorzuwerfen ist. (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klage auf Aufhebung der Neufestsetzung der BAföG-Leistungen auf 0,00 EUR und Rückforderung in Höhe von 2.724,00 EUR für den Bewilligungszeitraum Oktober 2008 bis März 2009 ist zulässig, jedoch unbegründet und deshalb abzuweisen. Der Bescheid des Beklagten vom 9. Oktober 2014 in Form des Widerspruchsbescheids des Beklagten vom 10. November 2014 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Der Beklagte war gemäß §§ 45 Abs. 5, 44 Abs. 3 SGB X i. V. m. § 3 Nr. 9 der Verordnung über die örtliche Zuständigkeit der bei den Studentenwerken errichteten Ämter für Ausbildungsförderung für die angefochtene Entscheidung zuständig.
Die Neufestsetzung und Rückforderung stützt sich zu Recht auf 45 Abs. 2, 50 Abs. 1 SGB X. Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, soweit er rechtswidrig ist, unter den Einschränkungen der Abs. 2 bis 4 mit Wirkung auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X darf ein solcher Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, wenn der Begünstigte auf seinen Bestand vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interessen schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist nach § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Er kann sich aber nicht auf Vertrauen berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X) oder soweit er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X).
Der erlassene Bewilligungsbescheid vom 28. Januar 2009, geändert durch Bescheid vom 29. April 2009, ist rechtswidrig, weil Vermögen der Klägerin nicht bzw. in zu niedriger Höhe angerechnet wurde.
Die Klägerin war über das im BAföG-Antrag vom 26. Oktober 2006 angegebene und dem BAföG-Bescheid vom 28. Januar 2009 zugrunde gelegten Vermögen hinaus Inhaberin weiterer Vermögenspositionen in erheblicher Höhe im Sinne von § 27 Abs. 1 BAföG. Der Ansatz eines Reinvermögens in Höhe von 20.000,00 EUR durch den Beklagten erscheint dabei angemessen und jedenfalls nicht übertrieben. Da die Klägerin ihrer Mitwirkungspflicht nach § 60 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch nicht nachgekommen ist und die vom Beklagten geforderten Vermögensnachweise nicht vorgelegt hat, insbesondere keine Nachweise über ihre Guthabensstände bei der HypoVereinsbank im Verlaufe des Jahres 2008 beigebracht hat, konnte der Beklagte auf das Vermögen der Klägerin nach den vorgelegten Unterlagen und abgegebenen Erklärungen schließen.
Bei dem Schluss auf das Vermögen der Klägerin war insbesondere die Jahresbescheinigung 2008 der HypoVereinsbank maßgeblich, die Zinseinnahmen aus Guthaben und Einlagen für das Jahr 2008 in Höhe von 1.482,00 EUR und eine anfallende Kapitalertragssteuer daraus in Höhe von 294,29 EUR auswies. Dieser Zinsbetrag ist nur dann mit der Bestätigung der HypoVereinsbank vom 22. Dezember 2008 über einen Kontostand von 1069,96 EUR in Übereinklang zu bringen, wenn dort neben dem bescheinigten Guthaben weitere Guthaben bestanden haben oder das Guthaben auf dem bescheinigten Konto im Laufe des Jahres 2008 erheblich verringert worden ist. Mit dem von der Klägerin am 15. August 2014 weiter vorgelegten Kontoschließungsauftrag der HypoVereinsbank vom 12. August 2008 steht fest, dass die Klägerin ein dortiges Konto aufgelöst hat und das Guthaben auf ein Konto ihrer Eltern hat überweisen lassen. Die bestätigten Zinseinnahmen 2008 in Höhe von 1.482,00 EUR sind somit ganz überwiegend für einen Zeitraum von gut sieben Monaten angefallen. Dies lässt unter der Annahme eines – für die Klägerin sehr günstig angenommenen – Zinssatzes von 10% den Schluss auf ein Guthaben von deutlich über 20.000,00 EUR zu. Um auf eine Nullfestsetzung von BAföG-Leistungen zu kommen, würde bei der Klägerin aber auch ein wesentlich geringeres Vermögen von nur rund 8.500 EUR (Bedarf in Höhe von 561,00 EUR x 6 Monate + Freibetrag nach § 29 Abs. 1 BAföG in Höhe von 5.200,00 EUR) genügen, so dass es auf die Höhe des Vermögens im Einzelnen nicht ankommt; es kann als sicher davon ausgegangen werden, dass ein so hohes Vermögen bei ihr vorhanden war, dass sich eine Ausbildungsförderung daraus nicht errechnet hätte.
Dass das Guthaben der Klägerin bei der HypoVereinsbank auf das Konto ihrer Eltern überwiesen worden ist, ändert an der Zurechnung des Vermögens an die Klägerin nichts. In der Überweisung an die Eltern ist eine rechtsmissbräuchliche Vermögensverfügung zu erblicken, die nach der Rechtsprechung (BVerwG, U. v. 13.1.1983, NJW 1983, 2829, BayVGH, U. v. 18.1.2009, 12 B 08.824 – juris) im ausbildungsförderungsrechtlichen Sinne nicht als Vermögensminderung angerechnet wird, unabhängig davon, ob sie zivilrechtlich wirksam ist oder nicht. Ein Auszubildender handelt in diesem Sinne rechtsmissbräuchlich, wenn er Vermögen an einen Dritten überträgt, anstatt es für seine Ausbildung einzusetzen, um durch die Übertragung eine Vermögensanrechnung zu vermeiden. Er muss dabei subjektiv nicht verwerflich handeln. Es genügt der zeitliche Zusammenhang zwischen Vermögensverfügung und Antragstellung, das Fehlen einer gleichwertigen Gegenleistung sowie der Widerspruch zu dem mit der Vermögensanrechnung verfolgten Gesetzeszweck.
Die Vermögensverfügung am 12. August 2008 fand nur rund zweieinhalb Monate vor der BAföG-Antragstellung und zu einem Zeitpunkt statt, zu dem die Aufnahme eines Studiums regelmäßig feststeht, so dass vom notwendigen zeitlichen Zusammenhang vorliegend auszugehen ist. Eine (andere) Erklärung für den Zeitpunkt der Überweisung hat die Klägerin auch nicht angegeben. Dass für die Vermögensübertragung ein Rechtsgrund bestanden hat, kann ebenfalls nicht angenommen werden. Zwar hat die Klägerin angegeben, dass sie von den Eltern verauslagte Führerscheinkosten zurückgezahlt haben will. Dass insoweit eine rechtliche Verpflichtung der Klägerin bestanden hätte, diese Kosten an ihre Eltern zurückzuerstatten, wurde jedoch weder vorgetragen, noch dies nach der allgemeinen Lebenserfahrung und der Rechtsprechung anzunehmen. Grundsätzlich sind Leistungen der Eltern an ihre noch nicht volljährigen Kinder als Unterhaltsleistungen oder Schenkungen zu betrachten. Ein Darlehen ist nur ausnahmsweise anzunehmen; die zivilrechtlich rechtswirksame Vereinbarung eines Darlehens wäre vom Auszubildenden jedenfalls darzulegen und glaubhaft zu machen. Gegen die Vereinbarung eines Darlehens im Sinne von §§ 607 ff BGB spricht in jedem Fall, dass die Klägerin im Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Gelder der Eltern (die erste vorgelegte Fahrschul-Rechnung datiert vom 18. Februar 2007) noch minderjährig war und damit zu diesem Zeitpunkt keinen wirksamen Darlehensvertrag mit ihren Eltern abschließen konnte.
Der Klägerin, die auch in der mündlichen Verhandlung vom 29. Februar 2016 nicht erschien und zur Ausräumung dieser Bedenken deshalb nicht befragt werden konnte, kann auch der nur pauschale Sachvortrag nicht geglaubt werden, dass das restliche den Eltern überwiesene Geld an sie zurückgereicht und von ihr verbraucht worden ist. Die verbleibende erhebliche Restsumme ist nicht mit einer Urlaubsreise und mit Anschaffungen im Zusammenhang mit der Studiumsaufnahme erklärbar. Der Klägerin ist damit den Bedarf deckendes Vermögen zuzurechnen.
Ihr kommt auch kein Vertrauensschutz nach § 45 Abs. 2 SGB X zu, der einer Rücknahme entgegenstehen würde. Die Überweisung am 12. August 2008 an ihre Eltern (anstatt auf ein eigenes Konto), die fehlenden Angaben hierzu bei der BAföG-Antragstellung und das Erklärungsverhalten der Klägerin im Rahmen des Rücknahmeverfahrens im Jahr 2014 lässt darauf schließen, dass ihr mindestens grobe Fahrlässigkeit, wenn nicht Vorsatz, im Hinblick auf diese Geldtransaktion angelastet werden muss. Die Rücknahme des Förderbescheids vom 28. Januar 2008 ist, nachdem auch die getroffenen Ermessenserwägungen nicht zu beanstanden sind, rechtmäßig. Die Rückforderung der zu viel entrichteten Beträge in Höhe von 2.724,00 EUR (454,00 EUR x 6) folgt aus § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Die Klage ist damit unbegründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben.

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