Aktenzeichen L 7 AS 208/16
Leitsatz
Soweit erstinstanzlich über einen Bewilligungszeitraum entschieden wird, der nicht Streitgegenstand ist, ist die erstinstanzliche Entscheidung insoweit aufzuheben. (Rn. 21 – 23)
Verfahrensgang
S 5 AS 702/14 2016-01-28 Urt SGLANDSHUT SG Landshut
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 28. Januar 2016 aufgehoben, soweit die Klage gegen den Bescheid vom 30. März 2015 auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit ab 1. Dezember 2014 abgewiesen wird.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die Berufung ist zulässig. Sie ist hinsichtlich der Zeit ab 1.12.2014 iS einer Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts vom 28.1.2016 begründet (dazu 2.). Im Übrigen ist sie unbegründet, da es auch im vorliegenden Verfahren nicht gelungen ist aufzuklären, dass bzw in welchem Umfang der Kläger im Zeitraum 1.2.2013 bis 30.11.2014 hilfebedürftig und damit nach dem SGB II leistungsberechtigt war (dazu 3.).
1. Streitig ist das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 28.1.2016, mit dem ausweislich der Streitgegenstandsbeschreibung in den Entscheidungsgründen (vgl S. 6 des Urteilsumdrucks bzw Bl 13 der Akte zum Berufungsverfahren) die Klagen auf Leistungen für den Zeitraum 1.2.2013 bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Sozialgerichts, also dem 28.1.2016 bzw der Zustellung des Urteils an den Kläger am 23.2.2016, abgewiesen wurden. Als streitgegenständliche Bescheide nannte das Sozialgericht den Bescheid vom 1.2.2013 idG des Widerspruchsbescheides vom 5.7.2013 – Ablehnung von Leistungen für die Zeit ab 1.2.2013 – sowie den Bescheid vom 30.3.2015 – Ablehnung von Leistungen für die Zeit ab Dezember 2014. Denn im Berufungsverfahren streitig ist auch der Teil des Streitgegenstands, den das Sozialgericht unzulässig (siehe hierzu unter 2.) in das Verfahren einbezogen hat (vgl B Schmidt in Meyer-Ladewig ua, SGG, 12. Aufl 2017, § 94 RdNr. 3). Vom Zeitraum „ab 1.2.2013“ auch umfasst, wenngleich vom Sozialgericht in der angefochtenen Entscheidung nicht ausdrücklich als streitgegenständlich berücksichtigt, und damit im Berufungsverfahren streitig, ist der Bescheid vom 22.8.2013 idG des Widerspruchsbescheides vom 10.5.2017 – Ablehnung von Leistungen für die Zeit ab 1.12.2013 (Antrag des Klägers vom 31.12.2013).
2. Die Berufung ist begründet, soweit das Sozialgericht die Klage auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ab 1.12.2014 bzw auf die entsprechende Abänderung des Bescheides vom 30.3.2015 abweist. Denn insoweit ist nicht ersichtlich, dass und insbesondere auf welche Weise der Bescheid vom 30.3.2015, der Leistungen für die Zeit ab Dezember 2014 ablehnt, Gegenstand der Verfahren S 5 AS 401/13 bzw S 5 AS 702/14 geworden sein soll.
Eine entsprechende Prozesserklärung (Klageerhebung) des Klägers ist den Aktenunterlagen des Sozialgerichts, das das Verfahren – ohne vorherige Anhörung und Zustimmung der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG – ohne mündliche Verhandlung erledigt hat, nicht zu entnehmen. Die letzte Eingabe des Klägers stammt vom 21.3.2015 (Bl 29 der Akte des Sozialgerichts zum Verfahren S 5 AS 702/14; in dem durch Verbindungsbeschluss vom 18.2.2015 erledigten Verfahren S 5 AS 401/13 war der letzte (telefonische) Kontakt des Klägers mit dem Gericht bereits am 8.9.2014, Bl 23 der Akte des Sozialgerichts zum Verfahren S 5 AS 401/13) und damit vor Erlass des Bescheides vom 30.3.2015. Die (schriftlichen) Eingaben des Klägers können sich damit bereits aus diesem Grund nicht gegen den Bescheid vom 30.3.2015 wenden.
Der Bescheid vom 30.3.2015 konnte auch nicht nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens werden, da bei der Bewilligung von Leistungen nach SGB II Bescheide über Folgezeiträume nach § 96 SGG nicht Gegenstand des Verfahrens werden. Der ablehnende Bescheid, der auf einen erneuten Antrag ergeht, wird nicht nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens, weil die Ablehnung der Leistung kein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung ist und mit Wirkung für die Zukunft weder geändert noch ersetzt werden kann. § 96 SGG kann insofern auch nicht analog angewendet werden (BSG, Beschluss vom 19.9.2008 – B 14 AS 44/08 B mwN).
Das Sozialgericht hat damit verfahrensfehlerhaft über den Bescheid vom 30.3.2015 bzw den Leistungsanspruch des Klägers in der Zeit ab 1.12.2014 (bis zum Zeitpunkt der Entscheidung durch das Sozialgericht) entschieden. Die Entscheidung beruht auch auf diesem Verfahrensmangel, so dass das Urteil des Sozialgerichts insoweit aufzuheben ist. Der Kläger kann vielmehr seinen Anspruch – entsprechend der Rechtsbehelfsbelehrung:im Bescheid vom 30.3.2015 – in dem gegen den Bescheid vom 30.3.2015 angestrengten Rechtsbehelfsverfahren verfolgen. Hieran soll der Kläger schließlich nicht durch die vorliegend angefochtene, ablehnende Entscheidung des Sozialgerichts gehindert werden.
3. Die Berufung des Klägers auf Abänderung des Urteils des Sozialgerichts und der Bescheide des Beklagten vom 1.2.2013 idG des Widerspruchsbescheides vom 5.7.2013 sowie vom 22.8.2017 idG des Widerspruchsbescheides vom 10.5.2017 auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum 1.2.2013 bis 30.11.2014 ist nicht begründet.
a) Dabei steht der fehlenden Begründetheit nicht die fehlende Passivlegitimation des Beklagten entgegen, da der Kläger zur Überzeugung des Senats im streitigen Zeitraum seinen gewöhnlichen Aufenthalt unter der im Rubrum genannten Adresse und damit im Zuständigkeitsbereich des Beklagten (§ 36 SGB II) hatte. Stichhaltige Anhaltspunkte dafür, dass dies im streitigen Zeitraum nicht der Fall gewesen sein sollte, finden sich nicht. Insbesondere erfolgte die Einlassung des Klägers, er wohne in seinem Anwesen in C-Stadt, lange nach Ablauf des streitigen Zeitraums und offensichtlich ausschließlich mit der Zielsetzung, das Grundstück in C-Stadt als selbstbewohnt zu geschütztem Vermögen iS des § 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II zu machen. Dass er im streitigen Zeitraum unter der im Rubrum genannten Adresse gelebt hat, hat der schlussendlich in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat „eingeräumt“.
b) Der Kläger war hingegen nicht nach dem SGB II leistungsberechtigt. Leistungen nach dem SGB II erhalten Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben (Nr. 1), erwerbsfähig sind (Nr. 2), hilfebedürftig sind (Nr. 3) und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte) (§ 7 Abs. 1 S. 1 SGB II).
c) Der 1965 geborene Kläger erfüllte im streitigen Zeitraum zwar die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 2 und 4 SGB II hinsichtlich des Alters, Anhaltspunkte für das Fehlen seiner Erwerbsfähigkeit bestehen nicht und er hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland; ein Ausschlusstatbestand nach § 7 Abs. 4 und 5 SGB II lag nicht vor.
d) Ungeachtet dessen bestand keine Leistungsberechtigung im Zeitraum Februar 2013 bis November 2014, da sich der Senat nicht von der Hilfebedürftigkeit des Klägers iS des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II überzeugen konnte.
aa) Hilfebedürftig iS des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält (§ 9 Abs. 1 SGB II).
bb) Es ist bereits nicht festzustellen, über welches verwertbare Vermögen der Kläger im streitigen Zeitraum verfügte.
(1.) Zwar war das Grundstück in C-Stadt im streitigen Zeitraum kein verwertbares Vermögen iS des § 12 Abs. 1 SGB II. Dies ergibt sich für die Zeit ab 19.4.2013 aus dem im vorliegenden Verfahren eingeholten Gutachten des Gutachterausschusses vom 10.5.2018, wonach das Grundstück aufgrund des für die Tochter des Klägers eingetragenen lebenslangen Wohnrechts am Immobilienmarkt nicht verwertbar ist bzw keinen Erlös erzielen könnte. Auch für die Zeit vor der Eintragung des Wohnrechts, also für die Zeit vom 1.2. bis 18.4.2013, ist nicht festzustellen, dass der Kläger in der Lage gewesen wäre, das Grundstück zu verwerten, um hieraus seinen Lebensunterhalt zu bestreiten (vgl hierzu BSG, Urteil vom 6.12.2007 – B 14/7b AS 46/06 R). Insoweit konnte schließlich eine (weitere) Beleihung des Grundstücks nicht genutzt werden, da nicht festzustellen ist, dass der Kläger ein entsprechendes Bankdarlehen hätte aufnehmen können, nachdem er über ein festes Einkommen im streitigen Zeitraum nicht verfügte.
Die Motivation, aus der der Kläger seiner Tochter das Wohnrecht einräumte, oder die Frage, ob es sich hierbei um eine – zurückzufordernde – Schenkung handeln könnte, sind im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht entscheidungserheblich. Denn sie bleiben ohne Auswirkungen auf die vorliegend allein maßgebliche Verwertbarkeit des Grundstücks, da keinerlei Anhaltspunkte bestehen, dass die Einräumung des Wohnrechts nichtig ist. Die Frage, ob insoweit das Verhalten des Klägers unwirtschaftlich iS des § 31 Abs. 2 Nr. 2 SGB II war oder einen Erstattungsanspruch nach § 34 SGB II begründen könnte, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Entsprechendes gilt hinsichtlich evtl Ansprüche des Klägers, die nach § 33 SGB II auf den Beklagten übergegangen sein könnten.
(2.) Nach den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht festzustellen ist hingegen, über welches Bankvermögen der Kläger im streitigen Zeitraum verfügte. Denn während der Kläger im schriftlichen Verfahren noch angab und nachwies, sein Girokonto bei der Sparkasse A-Stadt und sein Sparkonto bei der Sparkasse B-Stadt aufgelöst zu haben bzw aktuelle Unterlagen zu einem weiteren Sparkonto und zu seinem im September 2012 eröffneten Girokonto bei der H. vorlegte, gab er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nunmehr an, er habe weitere Konten. Die weiteren Angaben hierzu, dass „auf denen nichts Relevantes“ sei, sind bereits im Hinblick darauf unbehelflich, als der Kläger weiter angab „hierüber (…) keinen Überblick“ zu haben. Der Kläger wurde auf die Bedeutung dieser Angaben und die Vorlage entsprechender Belege für das vorliegende Verfahren umfassend im Rahmen eines Termins zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am 14.7.2017 sowie im Nachgang im Schreiben des Gerichts vom 17.7.2017 sowie vom 4.1.2018 hingewiesen, leider ohne Erfolg. Nach der mündlichen Verhandlung bleibt damit festzuhalten, dass weder aufgrund der vorliegenden Unterlagen noch an Hand der Angaben des Klägers selbst abschließende Feststellungen zu seinen Vermögensverhältnissen möglich sind. Auf dieser Grundlage ist es ausgeschlossen festzustellen, über welches (Bank-) Vermögen der Kläger im streitigen Zeitraum verfügte und ob dieses seine Hilfebedürftigkeit nach § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 12 Abs. 1 SGB II ausschließt.
cc) Die Hilfebedürftigkeit des Klägers ist darüber hinaus auch im Hinblick auf seine Einnahmen und deren Qualifikation als Einkommen im streitigen Zeitraum nicht festzustellen.
Dass der Kläger im streitigen Zeitraum Einnahmen hatte, ist zunächst den von ihm vorgelegten Kontounterlagen zu entnehmen, wonach der Kläger immer wieder in erheblichem Umfang Bareinzahlungen auf sein im September 2012 eröffnetes Girokonto vorgenommen hat (vgl Bl 85 ff der Akte zum Berufungsverfahren). Der Kläger selbst gab schließlich immer wieder und zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat an, von Dritten Geld erhalten zu haben.
Es ist hingegen nicht festzustellen, in welchem Umfang der Kläger entsprechende Einnahmen im streitigen Zeitraum hatte. Denn nachdem der Kläger im schriftlichen Verfahren lediglich die Zahlungen der Frau B. angab, gab er in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich an, darüber hinaus weitere Einnahmen von anderen Personen erhalten zu haben. Welche Beträge er von wem erhalten hat, kann er hingegen nicht sagen, da er den (Gesamt-) Überblick verloren hat. Auf dieser Grundlage können keine Feststellungen dazu getroffenen werden soll, welche Einnahme der Kläger im streitigen Zeitraum tatsächlich hatte. Dies auch im Hinblick darauf, dass der Kläger weiter angibt, die Einnahmen nicht sämtlichst (unverzüglich) auf sein Konto eingezahlt zu haben. Nachdem der Kläger auch nicht mehr weiß, von wem er sich im streitigen Zeitraum Geld geliehen haben will, fehlt schließlich jede Grundlage für weitere Ermittlungen des Gerichts.
Kann aber bereits nicht festgestellt werden, welche Einnahmen der Kläger tatsächlich hatte, und kann die Hilfebedürftigkeit des Klägers bereits unter diesem Gesichtspunkt nicht abschließend geprüft werden, kommt es nicht weiter darauf an, ob es sich bei den Zahlungen der Frau B. um sog Nothilfedarlehen (vgl BSG, Urteil vom 20.12.2011 – B 4 AS 46/11 R) handelt. Vor diesem Hintergrund konnte der Senat den vorliegenden Rechtsstreit auch ohne die zunächst geplante Einvernahme der Frau B. als Zeugin, die den Termin krankheitsbedingt nicht wahrnehmen konnte, entscheiden.
e) Ist aber die Hilfebedürftigkeit und damit die Leistungsberechtigung des Klägers trotz umfangreicher Bemühungen bei gleichzeitigem Fehlen weiterer Ermittlungsmöglichkeiten nicht festzustellen, entspricht es den allgemeinen Grundsätzen der Beweislast, dass die auf Leistungen nach dem SGB II gerichtete Klage ohne Erfolg bleiben muss (vgl BSG, Urteil vom 27.1.2009 – B 14 AS 6/08 R – RdNr. 19). Insoweit ist die angefochtene Entscheidung vom 28.1.2016 nicht zu beanstanden, so dass die Berufung des Klägers ohne Erfolg bleiben muss.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass der Kläger mit seinem Begehren, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu erhalten, im Ergebnis vollumfänglich ohne Erfolg blieb.
5. Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.