Sozialrecht

Unfallbedingtheit von Körperschäden – Versicherungsschutz

Aktenzeichen  1 U 112/18

Datum:
9.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 45462
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VVG § 178 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Der Kläger hat keinen Kausalzusammenhang zwischen seinen Beschwerden und dem erlittenen Unfall beweisen können. (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Kausalität des Unfallereignisses wäre lediglich zu bejahen gewesen, wenn der Kläger hätte nachweisen können, dass der Vorfall die Aktivierung der zuvor klinisch stummen degenerativen Veränderungen bewirkt hat (vgl. BGH BeckRS 2016, 18948).  (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Frage der Arbeitsunfähigkeit im Arbeits- und Sozialrecht ist unabhängig von der Frage zu beurteilen, ob eine unfallbedingte Gesundheitsbeeinträchtigung im Sinne des Rechts der privaten Unfallversicherung eingetreten ist. Dafür gelten jeweils andere Maßgaben und Voraussetzungen.  (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

1 U 112/18 2018-09-10 Hinweisbeschluss OLGBAMBERG OLG Bamberg

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 17.05.2018, Az. 34 O 239/16, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Aschaffenburg ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 178.955,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 17.05.2018 Bezug genommen.
Im Berufungsverfahren beantragt der Kläger,
das Urteil des Landgerichts Aschaffenburg abzuändern und nach den Schlussanträgen erster Instanz zu erkennen.
Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung.
Zur Darstellung der Angriffe des Klägers im Berufungsverfahren wird vollumfänglich Bezug genommen auf die Berufungsbegründung vom 16.07.2018 und die Stellungnahme des Klägers vom 01.10.2018.
II.
Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Aschaffenburg ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweisbeschluss des Senats vom 10.09.2018 Bezug genommen. Auch die Stellungnahme des Klägers vom 01.10.2018 gibt zu einer Änderung der Beurteilung der Sach- und Rechtslage keinen Anlass.
Der Kläger trägt hierin im Wesentlichen vor, es sei nicht nur auf die Erstkörperschädigung abzustellen, da nach den maßgeblichen Versicherungsbedingungen auch Zerreißungen an Gliedmaßen und Wirbelsäule unter den Versicherungsschutz fielen. Der gerichtlich bestellte Sachverständige habe nicht klar geäußert, dass degenerative Veränderungen beim Kläger vorgelegen hätten und dass das Ödem unfallbedingt gewesen sei. Das Erstgericht hätte zu der Frage, ob die beiden Vorschäden (arthrosebedingte Osteophyten und verknöcherte Protrusion) durch den Unfall aktiviert worden seien, ein weiteres Gutachten einholen müssen. Es hätte auch Feststellungen treffen müssen, mit welchem Verursachungsanteil der Bandscheibenvorfall traumatische Folge des Unfallereignisses oder das Ergebnis degenerativer Veränderungen gewesen sei. In den Unterlagen von Dr. B. sei vor dem Unfallereignis keine Zervikobracchialgie diagnostiziert worden; wenn sie erwähnt wurde, dann in Form einer Dauerdiagnose und nicht einer akuten Diagnose. Vor dem Unfall seien nach dem Unfall erhobene Befunde nicht vorhanden gewesen. Die bei ihm festgestellte unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit von über 78 Wochen hätte vom Erstgericht berücksichtigt werden müssen, zumal Unterlagen darüber als präsentes Beweismittel vorgelegt worden wären. Eine Myelonschädigung sei keinesfalls degenerativ, sondern nur unfallbedingt. Die Schwindelerscheinungen, unter denen der Kläger erst nach dem Unfall gelitten habe, seien eindeutig eine Folge des Unfalls. Der Bandscheibenvorfall könne nur auf den Unfall zurückgeführt werden. Es hätten Feststellungen zum Grad der Invalidität durch die hier dargestellten Unfallfolgen getroffen werden müssen.
Zu den gegen die in Aussicht gestellte Entscheidung erhobenen Einwände bemerkt der Senat:
1. Erstkörperschädigung
Soweit der Kläger darauf verweist, dass nach den geltenden Vertragsbedingungen auch Zerreißungen an Gliedmaßen und Wirbelsäulen vom Versicherungsschutz umfasst seien und daher nicht nur auf eine Erstkörperschädigung abzustellen sei, zitiert er bereits die Versicherungsbedingungen nicht vollständig. Nach § 2 Ziff. 2 a) UB 186 (Anl. K 11) fallen demnach unter den Versicherungsschutz auch „durch Kraftanstrengung des Versicherten hervorgerufene Verrenkungen, Zerrungen und Zerreißungen an Gliedmaßen und Wirbelsäule“. Dass die vom Kläger behaupteten Unfallfolgen auf eine Kraftanstrengung seinerseits zurückzuführen seien, trägt er nicht vor. Insoweit ist diese Passage für den hiesigen Prozess irrelevant.
2. Feststellung von degenerativen Veränderungen und Unfallbedingtheit des Ödems
Der Kläger trägt die Beweislast dafür, dass die behaupteten Verletzungen/Beschwerden auf den Unfall zurückzuführen sind. Wenn der Sachverständige dies nicht sicher feststellen kann, geht diese Ungewissheit zu Lasten des Klägers. Allein der Umstand, dass eine Unfallbedingtheit des Ödems vom gerichtlich bestellten Sachverständigen nicht mit der notwendigen Sicherheit festgestellt werden konnte, führt nicht dazu, dass das Gericht ein weiteres Gutachten in Auftrag hätte geben müssen. Insoweit wird auf die Ausführungen im Hinweisbeschluss vom 10.09.2018 (unter II.2.) verwiesen.
Entgegen der Behauptung des Klägers hat sich der Sachverständige klar dazu geäußert, dass und welche degenerativen Veränderungen beim Kläger vorgelegen haben. Insoweit wird auf die Ausführungen im Hinweisbeschluss unter II.3. verwiesen.
3. Aktivierung
Die Beweislast des Klägers ist in gleicher Weise bedeutsam für den Umstand, dass der gerichtliche Sachverständige weder ausschließen noch belegen konnte, dass die beiden Vorschäden des Klägers durch den Unfall aktiviert worden sind. Insbesondere trägt der Kläger keine neuen schlüssigen Anknüpfungstatsachen vor, aus denen ein neuer Sachverständiger die vom Kläger behaupteten Schlüsse hätte ziehen müssen. Es verbleibt dabei, dass die von der Halswirbelsäule ausgehenden Beschwerden, von denen der Kläger behauptet, sie seien nach dem Unfall aufgetreten, weder zeitlich konkret eingeordnet wurden noch durch die ärztlichen Berichte in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfall dokumentiert sind. Wenn der Kläger an entsprechenden Beschwerden gelitten hätte, ist nicht nachvollziehbar, warum er sie den behandelnden Ärzten nicht geschildert hat. Wenn er sie den Ärzten geschildert haben sollte, ist wiederum unverständlich, dass die Ärzte diese Beschwerden weder dokumentiert haben noch deren Ursache nachgegangen sind. Die Kausalität des Unfallereignisses wäre lediglich zu bejahen gewesen, wenn der Kläger hätte nachweisen können, dass der Vorfall die Aktivierung der zuvor klinisch stummen degenerativen Veränderungen bewirkt hat (vgl. BGH, Urteil vom 19.10.2016, Az. IV ZR 521/14, Rz. 20). Dies ist ihm nicht gelungen.
4. Verursachungsanteil und Grad der Invalidität
Es war entbehrlich, Feststellungen dazu zu treffen, welcher Grad der Invalidität beim Kläger tatsächlich eingetreten ist und mit welchem Mitwirkungsanteil das Unfallgeschehen einerseits und die degenerativen Vorschäden andererseits zu dem Dauerschaden beigetragen haben. Zu diesen Fragen gelangt man lediglich, wenn der Nachweis geführt ist, dass der Unfall kausal für die körperliche Erstschädigung war. Dies war vorliegend nicht der Fall.
5. Zervikobracchialgie
Es ist irrelevant, ob im Vorfeld des Unfalls die Diagnose einer Zervikobracchialgie als Dauerdiagnose oder als akute Diagnose gestellt worden war. Vielmehr spricht die Beurteilung als Dauerdiagnose dafür, dass insoweit bereits ein degenerativer Prozess eingesetzt hatte. Das erst mit Schriftsatz vom 01.10.2018 vorgelegte ärztliche Attest des Dr. B. vom 26.09.2018 (Anl. K 12) ist im Berufungsverfahren verspätet vorgelegt worden. Überdies wird darin bestätigt, dass der Kläger in den Jahren 2009 bis 2014 wegen Problemen im Nacken-Schulter-Brustwirbelsäulenbereich mehrfach mit Lokalanästhesie und Schmerzmitteln behandelt wurde. Dies steht in gewissem Widerspruch zu den Angaben des Klägers im Rahmen seiner Anhörung, er habe „mit dem Rücken an sich“ vor dem Unfall überhaupt keine Probleme gehabt. Wenn der Hausarzt bestätigt, dass keine klinischen Verdachtshinweise auf das Vorliegen schwerwiegender Schädigungen im Bereich von Hals- und Brustwirbelsäule vorgelegen hätten, steht dem nicht entgegen, dass bestimmte Verschleißerscheinungen schon vorhanden waren. Bildgebende Verfahren, wo die fraglichen Schädigungen in einem früheren Stadium hätten verifiziert werden können, wurden nicht angewandt.
6. Arbeitsunfähigkeit
Der Umstand, dass der Kläger über 78 Wochen arbeitsunfähig gewesen ist, hat auf den hiesigen Prozess keinen Einfluss und musste daher vom Erstgericht nicht erörtert werden.
Die Frage der Arbeitsunfähigkeit im Arbeits- und Sozialrecht ist unabhängig von der Frage zu beurteilen, ob eine unfallbedingte Gesundheitsbeeinträchtigung im Sinne des Rechts der privaten Unfallversicherung eingetreten ist. Dafür gelten jeweils andere Maßgaben und Voraussetzungen. Insbesondere ist es für die Arbeitsunfähigkeit unerheblich, ob diese auf einem Unfall oder einer degenerativen Erkrankung beruht. Auf eine Bindung des Erstgerichts nach § 118 SGB X kann sich der Kläger nicht berufen. Dessen Voraussetzungen sind nicht gegeben. Zum einen wurde keine unanfechtbare sozialgerichtliche Entscheidung vorgelegt, aus der sich die Unfallbedingtheit der Arbeitsunfähigkeit des Klägers ergäbe. Zum anderen hatte das Erstgericht nicht über einen nach § 116 SGB X übergegangenen Anspruch zu entscheiden.
Auch die hier vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen belegen nicht, dass der Unfall vom 08.11.2014 kausal für die erlittenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen waren. Schon die erste Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Dr. D. vom 05.12.2014 (Bl. 80 d.A.) beweist nicht, dass die dort attestierte Arbeitsunfähigkeit aus einer frischen Verletzung der Halswirbelsäule herrührt. Eine Diagnose ist nicht angegeben. Unstreitig erlitt der Kläger bei dem Unfall vom 08.11.2014 einen Rippenbruch und Beschwerden im Lendenwirbelbereich, was eine Krankschreibung rechtfertigt. Auch aus den übrigen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen lässt sich kein zwingender Zusammenhang zwischen dem Unfall und der Arbeitsunfähigkeit herstellen bzw. sich ein degenerativer Prozess ausschließen.
7. Myelonkompression
Von einer Myelonkompression spricht man, wenn Druck auf das Rückenmark ausgeübt wird. Es trifft nicht zu, dass eine solche Kompression allein durch einen akuten Vorfall zustande kommt. Die entsprechende Behauptung des Klägers bleibt unsubstantiiert. Hingegen hat der gerichtlich bestellte Sachverständige nachvollziehbar erläutert, dass (degenerativ bedingte) Osteophyten den Rückenmarkskanal eingeengt haben (Anhörung vom 26.04.2018 S. 2 = Bl. 282 d.A.). Dies führt zwangsläufig zu einer Myelonkompression.
8. Bandscheibenvorfall
Zum wiederholten Vortrag des Klägers, der Bandscheibenvorfall könne nur auf dem Unfall beruhen, wird auf die Ausführungen im Hinweisbeschluss unter II.3. d) und e) verwiesen.
9. Schwindelerscheinungen
Dass der Kläger nach dem Unfall unter Schwindel gelitten habe, stellt neuen Vortrag dar. Dieser ist in der Berufungsinstanz verspätet und daher unbeachtlich. Solche Beschwerden gehen weder aus der Anhörung des Klägers noch aus den sonstigen ärztlichen Unterlagen hervor. Es wurde überdies nicht vorgetragen, wann genau diese Beschwerden das erste Mal aufgetreten sein sollen, so dass allein aus diesem Grunde kein kausaler Zusammenhang mit dem Unfall hergestellt werden kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47 Abs. 1 i.V.m. § 43 Abs. 1, § 48 Abs. 1 GKG, § 3 ZPO bestimmt.

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