Aktenzeichen S 14 AS 318/14
SGB II § 9, § 40 Abs. 2 Nr. 3
Leitsatz
Die Frage ob eine Beziehung zwischen zwei Personen den Charakter einer eheähnlichen Gemeinschaft hat, gehört nicht zu den Tatsachen, sondern zu den Wertungen. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Bescheid vom 16.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.03.2014 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte hat den Klägern die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid vom 16.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.03.2014 ist rechtswidrig, weil die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Bewilligungsbescheide betreffend den Leistungszeitraum vom 01.01.2005 bis 30.06.2013 nach § 45 SGB X nicht erfüllt sind. Damit liegt auch eine Rechtsverletzung der Kläger vor.
1.) Die vorliegend statthafte Anfechtungsklage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben.
2.) Die Klage ist auch begründet.
Rechtsgrundlage für die mit dem angefochtenen Bescheid vom 16.01.2014 verfügte vollständig Aufhebung der Leistungen für den streitbefangenen Zeitraum ist § 40 Abs. 2 Nr.3 SGB II (in der Fassung vom 13.05.2011) i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III (in der Fassung vom 20.12.2011) und § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X.
a) Der Bescheid vom 16.01.2014 ist formell rechtmäßig. Die Kläger wurden mit Schreiben vom 08.08.2013 zu einer Rücknahme nach § 45 SGB X gemäß § 24 SGB X angehört.
b) Die Rücknahmeentscheidung ist jedoch in materieller Hinsicht rechtswidrig. Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein begünstigender Verwaltungsakt, soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Abs. 2 bis 4 ganz oder teilweise für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes nach dieser Vorschrift setzt voraus, dass ein ursprünglich rechtswidriger Verwaltungsakt vorlag, d. h. der Verwaltungsakt bereits im Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig war (zur Abgrenzung vgl. BSG, Urteil vom 01.06.2006, B 7a AS 76/05 R).
Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte unter anderem dann nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X). Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Dabei ist auf einen subjektiven Sorgfaltsmaßstab, das heißt auf die persönliche Einsichtsfähigkeit des Betroffenen abzustellen. Grobe Fahrlässigkeit liegt danach dann vor, wenn der Betroffene aufgrund einfachster und nahe liegender Überlegungen sicher hätte erkennen können, dass und welche Tatsachen er hätte angeben müssen.
Diese Voraussetzungen für eine Rücknahme der Bewilligungsbescheide vom 13.12.2004, 30.05.2005, 07.12.2005, 07.06.2006, 09.01.2007, 14.06.2007, 06.12.2007, 01.07.2008, 11.12.2008, 19.06.2009, 01.12.2009, 09.06.2010, 24.11.2010, 18.05.2011, 21.11.2011 und 24.05.2012, sowie der Bescheide vom 22.11.2012, 23.05.2011, 12.01.2012, 18.10.2012, 07.11.2012 und 21.01.2013 sind dem Bescheid vom 16.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.03.2014 nicht zu entnehmen.
aa) Unabhängig von der Frage, ob zwischen der Klägerin zu 1) und J.S. im streitgegenständlichen Zeitraum tatsächlich eine Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft im Sinne von § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II vorgelegen hat, scheitert eine Rücknahme für die Vergangenheit zumindest für den Zeitraum vom 01.01.2005 bis 30.06.2008 vorliegend bereits daran, dass § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr.2 SGB X, auf den der Beklagte seine Rücknahmeentscheidung stützt, insoweit nicht einschlägig ist. Die Vorschrift setzt voraus, dass der zurückzunehmende Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Gemäß § 60 Abs. 1 Nr. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) hat, wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind. Anzugeben sind dabei nur Tatsachen, also insbesondere keine auf Tatsachen oder Rechtsnormen gestützten Wertungen. Der Beklagte hat die Kläger vorliegend jedoch bei deren erster Antragstellung am 08.10.2014 nicht nur nach Tatsachen, sondern vielmehr auch nach rechtlichen Wertungen befragt. Im Antragsformular vom 08.10.2004 wurde nämlich danach gefragt, ob ein „Partner in eheähnlicher Gemeinschaft“ vorhanden sei. Diese Frage hat die Klägerin zu 1) verneint. In den Folgeanträgen vom 25.05.2005, 05.12.2005, 06.06.2006, 02.01.2007, 30.05.2007 und 28.11.2007 kreuzte sie bei der Frage nach Änderungen in den persönlichen Verhältnissen jeweils „keine Änderung“ an. Der Beklagte hat bei der Frage nach dem Vorhandenseins eines „Partners in eheähnlicher Gemeinschaft“ nicht lediglich nach Tatsachen, sondern nach einem Rechtsbegriff gefragt, der eine genaue Kenntnis der hierfür zu erfüllenden Voraussetzungen erforderlich macht und einer rechtlichen Wertung bedarf. Die Frage ob eine Beziehung zwischen zwei Personen den Charakter einer eheähnlichen Gemeinschaft hat, gehört nicht zu den Tatsachen, sondern zu den Wertungen (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 26.11.2014, L 11 AS 589/14, Rn.23). Den Klägern kann somit nicht zur Last gelegt werden, sie hätten im Antrag vom 08.10.2014 und den oben genannten Folgeanträgen grob fahrlässig unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht.
Ab dem Weitergewährungsantrag vom 06.06.2008 hat der Beklagte in den Antragsformularen unter Ziffer 2g) ausdrücklich nach dem Ein- bzw. Auszug von Personen der Bedarfsgemeinschaft gefragt und zur Erläuterung des Begriffes der Bedarfsgemeinschaft auf die Ausfüllhinweise verwiesen. Ob vor diesem Hintergrund für die Zeit ab 01.07.2008 eine geänderte Beurteilung im Hinblick auf das Vorliegen von grob fahrlässigen unrichtigen oder unvollständigen Angaben angezeigt ist, kann dahingestellt bleiben. Eine Rücknahme der maßgeblichen Bewilligungsbescheide scheidet insoweit auch aus anderen Gründen aus.
bb) Der Beklagte hat zur Begründung der Rücknahme der Bewilligungsbescheide betreffend den Zeitraum 01.01.2015 bis 30.06.2013 im Bescheid vom 16.01.2014 und in dem Widerspruchsbescheid vom 13.03.2014 ausgeführt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II gehabt habe, weil sie mit J.S. im streitgegenständlichen Zeitraum eine Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft gebildet habe. Mit dem Einkommen von J.S. sei die Bedarfsgemeinschaft nicht hilfebedürftig im Sinne des § 9 SGB II gewesen, so dass ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nicht bestanden habe.
Unabhängig von der Frage, ob die Klägerin zu 1) und J.S. im streitgegenständlichen Zeitraum tatsächlich eine Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft gebildet haben, trägt die Begründung des Beklagten indes nicht die Rücknahme der Leistungsbewilligung, weil es an einer entscheidenden Voraussetzung für eine solche Rücknahme fehlt.
Die Voraussetzungen für die Rücknahme der Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende gemäß § 45 SGB X wegen fehlender Hilfebedürftigkeit im Sinne des § 9 SGB II liegen nämlich dann nicht vor, wenn der Grundsicherungsträger zwar Feststellungen zum Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft getroffen hat, nicht aber zur Höhe des zu berücksichtigenden Einkommens. Der Grundsicherungsträger trägt nicht nur die objektive Beweislast für die belastende Rücknahmeentscheidung, sondern er ist auch verpflichtet das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen der maßgeblichen Normen zu ermitteln und festzustellen (vgl. BSG, Urteil vom 25.06.2015, B 14 AS 30/14 R, Rn.16).
Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach dem SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und das gesetzliche Rentenalter noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II sieht vor, dass bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, auch Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen sind.
Notwendig für die Verneinung der Hilfebedürftigkeit ist in derartigen Konstellationen damit nicht nur das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft, sondern ebenfalls, dass innerhalb der Bedarfsgemeinschaft ein ausreichendes zu berücksichtigendes Einkommen erzielt wird. Zur Höhe des zu berücksichtigenden Einkommens hat der Beklagte jedoch keinerlei Feststellungen in den angefochtenen Bescheiden getroffen. Abgesehen von der mit Schreiben vom 26.06.2013 an die Klägerin zu 1) gerichtete Aufforderung, die letzten drei Verdienstbescheinigungen von J.S. vorzulegen, hat der Beklagte auch keinerlei Ermittlungen zu den Einkünften des J.S. im streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.01.2005 bis 30.06.2013 angestellt. Der Beklagte hat nicht einmal den Versuch unternommen, von J.S. selbst Auskünfte einzuholen, geschweige denn ein förmliches Auskunftsverlangen nach § 60 Abs. 4 Satz 1 SGB II an J.S. gerichtet. Im Erörterungstermin am 27.04.2016 haben die Beklagtenvertreter zu Protokoll gegeben, man habe von J.S. keine Einkommensnachweise angefordert, weil man aufgrund der Tatsache, dass es sich beim ihm um den Juniorchef des Autohauses C. gehandelt habe, davon ausgegangen sei, dass bedarfsdeckendes Einkommen vorhanden gewesen sei.
Die Rücknahmeentscheidung des Beklagten ist somit nicht auf der Basis eines vom Beklagten ermittelnden Einkommens erfolgt, sondern beruht vielmehr allein auf einer Vermutung. Diese kann nach Auffassung der Kammer aber nicht Grundlage für einen Rücknahmebescheid sein. Vielmehr wäre der Beklagte verpflichtet gewesen, das Vorliegen sämtlicher Tatbestandsvoraussetzungen für eine Rücknahme der Bewilligungsbescheide zu ermitteln und festzustellen.
Es ist Aufgabe des Beklagten, alle Tatsachen zu ermitteln, die zum Erlass eines Verwaltungsakts notwendig sind. Dies folgt aus dem in § 20 SGB X festgeschriebenen Untersuchungsgrundsatz. Es müssen somit alle Tatsachen ermittelt werden, die für die Rücknahmeentscheidung wesentlich im Sinne von entscheidungserheblich sind.
Dementsprechend durfte es der Beklagte bei seiner Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 45 SGB X für eine Rücknahme des Leistungsbescheids vorlagen, nicht dahingestellt sein lassen, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe Einkommen vorhanden war, welches für die Deckung der Bedarfe der behaupteten Bedarfsgemeinschaft ganz oder teilweise ausgereicht hätte. Vielmehr war der Beklagte in der Rücknahmesituation gehalten, sämtliche erforderlichen Ermittlungen zum zu berücksichtigenden Einkommen und der sich daraus ergebenden Folgen für die Hilfebedürftigkeit der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft anzustellen.
Nach den allgemeinen Regeln für die Darlegungs- und Beweislast gilt, dass derjenige die objektiven Tatsachen darlegen muss, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen. Dies betrifft sowohl das Vorhandensein von positiven, als auch das Fehlen von negativen Tatbestandsvoraussetzungen (vgl. BSG Urteil vom 24.10.1957, 10 RV 945/55). Damit trägt der Beklagte nicht nur die objektive Beweislast für die belastende Rücknahmeentscheidung (siehe nur BSG Urteil vom 13.09.2006, B 11a AL 13/06 R; BSG Urteil vom 20.10.2005, B 7a/7 AL 102/04 R, BSG Urteil vom 02.04.2009, B 2 U 25/07 R), sondern er ist bereits im vorherigen Verfahrensstadium verpflichtet, die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Norm, auf die er seine Verwaltungsentscheidung stützt, zu ermitteln und entsprechend festzustellen, damit sich der Leistungsberechtigte im Verfahren mit seiner Argumentation auf die die Entscheidung tragenden Gründe einrichten kann.
Das ist vorliegend auch nicht ausnahmsweise deshalb unbeachtlich, weil von Ermittlungen abgesehen werden konnte, da die ungeklärte Tatsache nicht oder nur unter unzumutbar erschwerten Bedingungen zu erreichen war. Der Beklagte hat nicht einmal den Versuch unternommen, von J.S. Auskunft über dessen Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu erhalten. Dem Beklagten stand gerade für Sachverhalte wie dem vorliegenden im Rahmen von § 60 SGB II die Möglichkeit zur Verfügung, sich zur Ermittlung des Vorliegens der tatsächlichen Voraussetzungen des Leistungsanspruchs unmittelbar an J.S. zu wenden. Der Beklagte hätte auf der Grundlage von § 60 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB II einen Verwaltungsakt erlassen und bei unterbliebener oder pflichtwidriger Erfüllung der Auskunftspflicht durch den Dritten die Rechte und Befugnisse nach den §§ 62 und 63 SGB II in Anspruch nehmen können. Zudem wäre gegebenenfalls ein vollstreckungsrechtlicher Zwangsgeldbescheid gemäß § 40 Abs. 6 SGB II nach Erlass des Auskunftsverwaltungsakts gemäß § 60 Abs. 4 SGB II möglich gewesen (vgl. BSG, Urteil vom 25.06.2015, B 14 AS 30/14 R, Rn.21). Von diesen Möglichkeiten hat der Beklagte jedoch nicht einmal im Ansatz Gebrauch gemacht. Er hat vielmehr auf eine Ermittlung der tatsächlichen Einkommensverhältnisse des J.S. im Zeitraum vom 01.01.2005 bis 30.06.2013 vollständig verzichtet. Die Rücknahme der diesen Zeitraum betreffenden Bewilligungsbescheide erfolgte somit ohne dass der Beklagte auch nur ansatzweise einen Anhaltspunkt für die tatsächliche Höhe der konkreten Einkommensverhältnisse des J.S. gehabt hätte.
cc) Es ist auch nicht Aufgabe des Gerichts, die vom Beklagten unterlassenen Ermittlungen des zu berücksichtigenden Einkommens nachzuholen.
Die Gerichte sind grundsätzlich verpflichtet, den angefochtenen Verwaltungsakt in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht umfassend nachzuprüfen. Die beklagte Behörde kann im Laufe des Gerichtsverfahrens neue Tatsachen und Rechtsgründe „nachschieben“ (vgl. BSG Urteil vom 24.02.2011, B 14 AS 87/09 R und BSG Urteil vom 21.09.2000, B 11 AL 7/00 R). Hinsichtlich eines solchen Nachschiebens von Gründen gibt es jedoch bei belastenden Verwaltungsakten, die im Wege der reinen Anfechtungsklage angefochten werden, Einschränkungen, wenn die Verwaltungsakte dadurch in ihrem Wesen verändert werden und der Betroffene infolgedessen in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt werden kann (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 54 Rn.35f). Da die Aufrechterhaltung eines Verwaltungsakts mit einer völlig neuen tatsächlichen Begründung dem Erlass eines neuen Verwaltungsakts gleichkommt, würde das Gericht andernfalls entgegen dem Grundsatz der Gewaltentrennung (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz) selbst aktiv in das Verwaltungsgeschehen eingreifen (vgl. zum Ganzen: BSG Urteil vom 25.06.2015, B 14 AS 30/14 R, Rn.23).
Vor diesem Hintergrund ist in reinen Anfechtungssachen das Nachschieben von Gründen durch die Behörde regelmäßig unzulässig, wenn diese umfassende Ermittlungen seitens des Gerichts erfordert, die Behörde ihrerseits insofern keine Ermittlungen angestellt hat und der Verwaltungsakt hierdurch einen anderen Wesenskern erhält, weil dann der angefochtene Verwaltungsakt – bei einem entsprechenden Ergebnis der Ermittlungen – mit einer wesentlich anderen Begründung bestand hätte (BSG, Urteil vom 25.06.2015, B 14 AS 30/14 R, Rn.24).
Diese Grundsätze greifen auch im vorliegenden Fall. Trotz des Zusammenhangs zwischen dem Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft und der Erzielung von Einkommen innerhalb der Bedarfsgemeinschaft nach § 9 Abs. 2 SGB II handelt es sich um grundlegend verschiedene Prüfungspunkte, bei denen eigenständige Ermittlungen erforderlich sind. In Frage steht nicht nur eine Ergänzung des Sachverhalts, auf den der Beklagte seine Entscheidung gestützt hat, sondern die umfassende Prüfung einer weiteren Voraussetzung für den angefochtenen Rücknahmebescheid, die der Beklagte bisher nicht beachtet hatte und deren Prüfung und Aufklärung in tatsächlicher Hinsicht von ihm durchzuführen war. Im Rahmen einer Anfechtungsklage der vorliegenden Art ist es Aufgabe des Gerichts, die Entscheidung der Verwaltungsbehörde zu überprüfen, nicht aber die Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts erst zu schaffen (BSG, Urteil vom 25.06.2015, B 14 AS 30/14 R, Rn.25).
Daran ändert auch nichts, dass die Kläger mit Schreiben vom 28.06.2016 Entgeltabrechnungen des J.S. für den Zeitraum vom Januar 2005 bis Juli 2005 sowie einen Versicherungsverlauf der Deutschen Rentenversicherung vom 16.01.2015 vorgelegt haben. Zum einen sind die den vorgelegten Unterlagen zu entnehmenden Informationen nach Auffassung der Kammer für sich genommen nicht ausreichend, um im streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.01.2005 bis 30.06.2013 die jeweils grundsicherungsrechtlich relevanten monatlichen Einkommensverhältnisse des J.S. zutreffend abzubilden. Dies wäre jedoch erforderlich, um – bei unterstelltem Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft – die Hilfebedürftigkeit derselben zu prüfen.
Zum anderen erhielte der Bescheid vom 16.01.2014 einen anderen Wesenskern, wenn durch (weitere) gerichtliche Ermittlungen im Klageverfahren erst die Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes geschaffen würden. Der Bescheid vom 16.01.2014 würde dadurch auf eine neue tatsächliche Begründung gestützt. Im vorliegenden Fall fehlt es nämlich völlig an Ermittlungen des Beklagten zu den Einkommensverhältnissen der behaupteten Bedarfsgemeinschaft. Die Höhe der anzurechnenden Einkünfte war daher auch weder Gegenstand des angefochtenen Bescheides vom 16.01.2014, noch des Widerspruchsbescheides vom 13.03.2014. Vor diesem Hintergrund würden die Kläger in ihrer Rechtsverteidigung beeinträchtigt, weil sie sich auf einen vollständig neuen Gesichtspunkt einstellen müssten.
Nachdem der Bescheid vom 16.01.2014 bereits aus den genannten Gründen zur Überzeugung des Gerichts rechtswidrig war, erübrigen sich weitere Ermittlungen zur Frage, ob, falls ja, ab wann im streitgegenständlichen Zeitraum zwischen der Klägerin zu 1) und J.S. vom Vorliegen einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft auszugehen war.
Nach alledem war der Klage stattzugeben.
3.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.