Sozialrecht

Versicherungsschutz eines Gleitschirm- und Drachenfluglehrers

Aktenzeichen  L 3 U 189/14

Datum:
4.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VII SGB VII § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 8 Abs. 1 S. 1, § 136 Abs. 1 S. 2
SGG SGG § 144, § 160 Abs. 2 Nr. 1

 

Leitsatz

1. In der gesetzlichen Unfallversicherung versicherte Verrichtungen eines selbständig tätigen, kraft Satzung pflichtversicherten Unternehmers. (Rn. 29)
2. Hier: Versicherungsschutz eines Gleitschirm- und Drachenfluglehrers bei einem Flug mit einem Speedrider zu Demonstrations- bzw. Werbezwecken. (Rn. 42 – 43)

Verfahrensgang

S 8 U 259/12 2014-03-18 Urt SGAUGSBURG SG Augsburg

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 18. März 2014 sowie der Bescheid der Beklagten vom 19. Juli 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Oktober 2012 aufgehoben und festgestellt, dass es sich bei dem Unfall des Klägers vom 23. November 2008 um einen Arbeitsunfall handelt.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten in vollem Umfang zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig. Sie wurde form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG) und bedarf gemäß § 144 SGG keiner Zulassung.
Die Berufung des Klägers ist auch begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Klage auf Feststellung, dass es sich bei dem Ereignis vom 23. November 2008 um einen Arbeitsunfall handelt, ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungklage zulässig (vgl. BSG, Urteil vom 15. Mai 2012 – B 2 U 8/11 R -, BSGE 111, 37 und juris Rn. 13 m.w.N.) und begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 19. Juli 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Oktober 2012 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Denn das Ereignis vom 23. November 2008 stellt einen Arbeitsunfall des Klägers dar.
Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb „Versicherter“ ist. Die Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis (Unfallereignis) und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität und haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Bedingung für die Feststellung eines Arbeitsunfalls (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 17. Februar 2009 – B 2 U 18/07 R -, SozR 4-2700 § 8 Nr. 31 und juris Rn. 9 m.w.N.; BSG, Urteil vom 4. Dezember 2014 – B 2 U 18/13 R -, BSGE 118, 18 und juris Rn. 16 m.w.N.), kann aber Voraussetzung sein für einen etwaigen Leistungsanspruch.
Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls ist daher in der Regel erforderlich, dass das Verhalten des Versicherten, bei dem sich der Unfall ereignet hat, einerseits der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist, und dass diese Tätigkeit andererseits den Unfall herbeigeführt hat. Zunächst muss also eine Verbindung mit der im Gesetz genannten versicherten Tätigkeit bestehen, der innere bzw. sachliche Zusammenhang, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Der innere Zusammenhang ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht. Für die tatsächlichen Grundlagen dieser Wertentscheidung ist der volle Nachweis erforderlich (BSG, Urteil vom 18. März 2008 – B 2 U 2/07 R -, SozR 4-2700 § 6 Nr. 1 und juris Rn. 16 m.w.N.).
Dabei müssen das Vorliegen einer versicherten Verrichtung zur Zeit des Unfalls, das Unfallereignis selbst sowie der Gesundheitserstschaden und die Unfallfolgen im Überzeugungsgrad des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein. Für die Nachweise der Ursachenzusammenhänge zwischen Verrichtung und Unfallereignis sowie zwischen Unfallereignis und Gesundheitserstschaden bzw. Unfallfolgen gilt der Beweismaßstab der (hinreichenden) Wahrscheinlichkeit; die bloße Möglichkeit genügt nicht (BSG, Urteil vom 2. April 2009 – B 2 U 29/07 R – juris Rn. 16; BSG, Urteil vom 17. Februar 2009 – B 2 U 18/07 R -, SozR 4-2700 § 8 Nr. 31 und juris Rn. 12 m.w.N.). Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden (BSG, Urteil vom 18. Januar 2011 – B 2 U 5/10 R -, SozR 4-2700 § 200 Nr. 3 und juris Rn. 20).
Bezogen auf den vorliegenden Fall ergibt sich danach folgendes:
Unmittelbar vor dem fraglichen Unfallereignis vom 23. November 2008 ist der Kläger mit seinem Speedrider gestartet. Er hatte die Absicht, zum Strand hinunterzufliegen. Aufgrund von Problemen beim Start oder unmittelbar nach dem Start ist es dem Kläger jedoch nicht gelungen, rechtzeitig an Höhe zu gewinnen. Er ist vielmehr an einem Gebüsch hängengeblieben und abgestürzt. Dabei handelt es sich zweifellos um ein Unfallereignis im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII. Als Gesundheitserstschaden hat der Kläger dabei jedenfalls ein schweres Schädel-Hirn-Trauma mit Frakturen und Einblutungen erlitten. Der Kläger war zur Zeit des Unfalls außerdem grundsätzlich bei der Beklagten mit seiner selbständigen Tätigkeit als Gleitschirm- und Drachenfluglehrer einschließlich gewerblicher Passagierflüge kraft Satzung pflichtversichert (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII i.V.m. der Satzung der Beklagten); die Beklagte hatte diese Versicherung mit Bescheid vom 13. April 2010 rückwirkend ab 1. Juni 2006 festgestellt. Unschädlich ist vorliegend, dass sich der Unfall im Ausland ereignet hat, denn es liegt ein Fall einer Ausstrahlung vor (vgl. § 3 Nr. 1, § 4 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch – SGB IV – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung)
Der Kläger hat im Zeitpunkt des Unfallereignisses schließlich auch eine versicherte Tätigkeit ausgeübt und damit alle Tatbestandmerkmale eines Arbeitsunfalls erfüllt. Unter Zugrundelegung der maßgeblichen Grundsätze der Rechtsprechung des BSG erfüllt der zum Unfall führende Flug mit dem Speedrider hier den Tatbestand der Unternehmerversicherung; der Flug stand in einem inneren (bzw. sachlichen) Zusammenhang zu der versicherten Tätigkeit als Gleitschirm- und Drachenfluglehrer einschließlich gewerblicher Passagierflüge.
Insoweit ist zur Rechtsprechung des BSG zunächst zu erläutern, dass der Begriff der „Erfüllung des Versicherungstatbestandes“ dem (früheren) Begriff des „inneren oder sachlichen Zusammenhanges zwischen der Verrichtung und der versicherten Tätigkeit“ entspricht (BSG, Urteil vom 26. Juni 2014 – B 2 U 4/13 R -, SozR 4-2700 § 8 Nr. 52 und juris Rn. 18). Es kann daher auf die Ausführungen des BSG zu beiden Begrifflichkeiten zurückgegriffen werden. Danach gilt folgendes:
Versicherter im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII ist jemand nur, wenn, solange und soweit er den Tatbestand einer versicherten Tätigkeit durch eigene Verrichtungen erfüllt. Eine Verrichtung ist jedes konkrete Handeln eines Verletzten, das (objektiv) seiner Art nach von Dritten beobachtbar und (subjektiv) – zumindest auch – auf die Erfüllung des Tatbestands der jeweiligen versicherten Tätigkeit ausgerichtet ist. Diese innere Tatsache der subjektiven Ausrichtung des objektiven konkreten Handelns des Verletzten wird als „Handlungstendenz“ bezeichnet. Wenn das beobachtbare objektive Verhalten allein noch keine abschließende Subsumtion unter den jeweiligen Tatbestand der versicherten Tätigkeit erlaubt, diese aber auch nicht ausschließt, kann die finale Ausrichtung des Handelns auf die Erfüllung des jeweiligen Tatbestands, soweit die Intention objektiviert ist (sog. objektivierte Handlungstendenz), die Subsumtion tragen. Die bloße Absicht einer Tatbestandserfüllung reicht hingegen nicht (BSG, Urteil vom 5. Juli 2016 – B 2 U 5/15 R -, zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen, SozR 4-2700 § 2 Nr. 35 und juris Rn. 15 m.w.N.). Für die Beurteilung der Versicherteneigenschaft maßgebender Ausgangspunkt ist die unmittelbar vor Eintritt des Unfallereignisses jeweils ausgeübte Verrichtung. Sie ist möglichst konkret zu beschreiben (BSG, Urteil vom 26. Juni 2014 – B 2 U 4/13 R -, SozR 4-2700 § 8 Nr. 52 und juris Rn. 21 m.w.N.).
Im Bereich der Unternehmerversicherung sind alle Tätigkeiten versichert, die im inneren Zusammenhang mit dem Unternehmen stehen, auch alle Nebentätigkeiten. Die zum Unfall führende Verrichtung muss sowohl objektiv als auch subjektiv auf die Erfüllung des Tatbestands der jeweiligen versicherten Tätigkeit ausgerichtet sein (BSG, Urteil vom 3. April 2014 – B 2 U 25/12 R -, BSGE 115, 256 und juris Rn. 29). Der innere Zusammenhang setzt stets voraus, dass der Versicherte – ob abhängig beschäftigt oder selbständig tätig – eine Tätigkeit ausübt, die dem Betrieb zu dienen bestimmt ist. Sie muss von der Handlungstendenz des Versicherten getragen sein (BSG, Urteil vom 19. Dezember 2000 – B 2 U 37/99 R -, BSGE 87, 224 und juris Rn. 16). Bei selbständig Tätigen ist zu beachten, ob sich die jeweilige Tätigkeit im Rahmen des Unternehmens hält und die zum Unfall führende Verrichtung als solche im Rahmen der unternehmerischen Tätigkeit liegt. Dabei helfen allgemeine Überlegungen zu einer „Unternehmensdienlichkeit“ des Verhaltens des Versicherten zur Zeit des Unfalls nicht weiter. Gerade bei versicherten Unternehmern ist der Kreis der Verrichtungen, die als „unternehmensdienlich“ angesehen werden können, mit weiten Teilen des Privatlebens verwoben; maßgebliches Kriterium für die wertende Entscheidung über den sachlichen Zusammenhang zwischen der grundsätzlich versicherten Tätigkeit und der Verrichtung zur Zeit des Unfalls ist hier die durch die objektiven Umstände gestützte Handlungstendenz des Versicherten, ob er eine seinem Unternehmen dienende Verrichtung ausüben wollte (BSG, Urteil vom 18. März 2008 – B 2 U 2/07 R -, SozR 4-2700 § 6 Nr. 1 und juris Rn. 18 f. m.w.N.). Zum Schutzzweck der freiwilligen Unternehmerversicherung des § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII hat das BSG präzisiert, dass versichert sein soll, was objektiv zur Erfüllung der Aufgaben der angezeigten Unternehmertätigkeit getan wird, ob also durch die Verrichtung eigene Unternehmeraufgaben erfüllt werden (BSG, Urteil vom 18. September 2012 – B 2 U 20/11 R -, SozR 4-2700 § 6 Nr. 3 und juris Rn. 26).
Zur versicherten Tätigkeit als Unternehmer zählen auch die mit diesem Unternehmen zusammenhängenden verwaltenden und werbenden Tätigkeiten, also alle Verrichtungen, die dem kaufmännischen und verwaltenden Teil des Unternehmens zu dienen bestimmt sind. Für die Zuordnung einer bestimmten Tätigkeit zu einem Unternehmen ist entscheidend nicht auf die subjektiven Vorstellungen des Unternehmers abzustellen, weil anderenfalls eine nicht mehr abgrenzbare Ausuferung des Versicherungsschutzes von versicherten Unternehmern einsetzen würde. Maßgeblich ist vielmehr eine objektive Betrachtungsweise dahin, ob ein anhand objektiver Kriterien nachvollziehbarer Zusammenhang mit dem Unternehmen anzunehmen ist (vgl. BSG, Urteil vom 4. Juni 2002 – B 2 U 24/01 R -, juris Rn. 15).
Vorliegend ist der Senat aufgrund der Angaben der Zeugen sowie des Klägers davon überzeugt, dass es sich bei der Reise nach Spanien für den Kläger um eine zwar teilweise privat motovierte, teilweise aber auch betrieblich veranlasste Tätigkeit gehandelt hat, die seiner versicherten unternehmerischen Tätigkeit als Gleitschirm- und Drachenfluglehrer zuzurechnen ist.
Die Angaben der Zeugen sind für den Senat grundsätzlich glaubwürdig. Dabei verkennt der Senat nicht, dass zwischen dem Kläger und jeder vernommenen Zeugin bzw. jedem vernommenen Zeugen eine mehr oder minder enge freundschaftliche bzw. bekanntschaftliche Beziehung besteht. Dies allein macht die Aussagen der Zeugen jedoch nicht unglaubwürdig. Demgegenüber haben sich für den Senat keine Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass die Aussagen zwischen den Zeugen und/ oder mit dem Kläger abgestimmt worden sein könnten. Vielmehr ergab sich sowohl im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am 17. November 2016 als auch in der mündlichen Verhandlung am 4. Juli 2017 der Eindruck, dass alle Zeugen offen und nach bestem Wissen und Gewissen ihre Angaben getätigt haben. Gegen ein abgestimmtes, zweckgerichtetes Aussageverhalten sprechen außerdem die in Details abweichenden Angaben der Zeugen, die sich wiederum nicht immer vollständig mit den Angaben des Klägers gedeckt haben. Andererseits erschüttern diese Abweichungen nicht die Glaubwürdigkeit der Zeugen, sondern erklären sich natürlicherweise durch den nicht unerheblichen Zeitablauf seit dem Unfall.
Auch die Angaben des Klägers sind für den Senat glaubwürdig. Der Kläger hat sehr offen über die Geschehnisse und seine geschäftlichen Planungen gesprochen. Der Eindruck zielgerichteter Angaben hat sich nicht eingestellt.
Die Reise war danach insoweit privat motiviert, als sich der Teilnehmerkreis aus dem Umfeld des Gleitschirmfliegens heraus bereits seit mehreren Jahren kennt und freundschaftlich bzw. bekanntschaftlich miteinander verbunden ist. Bereits im Jahr zuvor hatte eine ähnliche Reise stattgefunden. Die Organisation der Reise war gemeinsam durch den Kläger sowie die Zeugin B. erfolgt. Die Reise war jedoch für den Kläger auch Teil seiner versicherten Tätigkeit als Gleitschirm- und Drachenfluglehrer. Alle Reiseteilnehmer haben übereinstimmend angegeben, dass es für sie entscheidend gewesen ist, dass der Kläger als erfahrener Lehrer an der Reise teilnimmt. Für seine Hilfestellungen im Rahmen der Gleitschirmflüge (insbesondere Durchführung von individuellen Aus- bzw. Fortbildungseinheiten – mit dem Zeugen C. sollten z.B. Tandemflüge trainiert werden -, Tipps zu den Start- und Landeplätzen, Wetterbriefing, Durchführen bestimmter Übungen, Flugbetreuung über Funk, Hilfe bei Start und Landung) sollte der Kläger nach der Reise eine seinem konkreten Aufwand entsprechende Bezahlung erhalten. Der Kläger hat mit Einnahmen von insgesamt 200 Euro am Tag gerechnet. Dies erscheint dem Senat plausibel und realistisch.
Auch die hier konkret zum Unfall führende Tätigkeit, der Start bzw. der Beginn des Fluges mit dem Speedrider am 23. November 2008 vom Start Platz nahe des von der Gruppe gemieteten Ferienhauses (häufig als „Villa“ bezeichnet) hinunter zum Strand war Teil der unternehmerischen Tätigkeit des Klägers als Gleitschirm- und Drachenfluglehrer.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das Speedriding nach Auffassung des Senats zum Berufsbild eines Fluglehrers für Gleitschirm- und Drachenflug zählt. Dies ergibt sich aus den für den Senat glaubwürdigen Angaben des Klägers. Denn die Sportart kann nur von Personen ausgeübt werden, die bereits Flugerfahrung haben. Bei dem Sportgerät des Speedriders handelt es sich um einen speziellen Gleitschirm, der gegenüber einem „normalen“ Gleitschirm im Wesentlichen über abweichende Flugeigenschaften verfügt. So ermöglicht der Speedrider z.B. sowohl das Fliegen in niedriger als auch in größerer Höhe; außerdem ist ein Speedrider zur Verwendung bei größeren Windstärken geeignet. Auch wenn das Speedriding häufig im Zusammenhang mit Ski- und Snowboardfahren ausgeübt wird, besteht mit diesen Sportarten kein notwendiger oder enger Zusammenhang dergestalt, dass aus dem Speedriding ein Teilbereich oder eine Sonderform des Skifahrens würde. Denn das Speedriding erfordert nicht die Kenntnisse eines Ski- oder Snowboardfahrers, sondern diejenigen eines Gleitschirmfliegers.
Der zum Unfall führende Start des Klägers mit dem Speedrider am 23. November 2008 diente – im Sinne der oben dargelegten Grundsätze der Rechtsprechung des BSG – objektiv und subjektiv der Erfüllung der Aufgaben, die zur Unternehmertätigkeit des Klägers als Gleitschirm- und Drachenfluglehrer gehören. Diese konkrete Verrichtung lag im Rahmen der unternehmerischen Tätigkeit des Klägers. Es handelte sich nicht um eine bloße, in der Regel unversicherte Vorbereitungshandlung (vgl. zum Versicherungsschutz bei Vorbereitungshandlungen insbesondere BSG, Urteil vom 28. April 2004 – B 2 U 26/03 R -, SozR 4-2700 § 8 Nr. 5 und juris Rn. 16 mit zahlreichen Beispielen; vgl. außerdem: BSG, Urteil vom 13. November 2012 – B 2 U 27/11 R -, SozR 4-2700 § 8 Nr. 45 und juris Rn. 19 f.).
Der Senat ist sich bei seiner Bewertung der Problematik der Abgrenzung solcher Tätigkeiten, die dem Betrieb zu dienen bestimmt sind, von solchen Tätigkeiten, die dem privaten, unversicherten Bereich zuzuordnen sind, durchaus bewusst. Diese Abgrenzung ist insbesondere bei selbständig Tätigen oft nicht ganz einfach, weil es hier häufig zu Überschneidungen zwischen betriebsdienlichen Verrichtungen und dem Privatleben kommen kann. Es kann daher z.B. nicht angenommen werden, dass jeder Flug mit einem Gleitschirm oder auch (wie hier) mit einem Speedrider sich im Rahmen des Unternehmens hält, nur weil er von einem Gleitschirmfluglehrer durchgeführt wird. Andererseits ist nicht jeder Flug, der nicht bereits unmittelbar mit einer entsprechenden Lehrtätigkeit und/ oder der Erzielung von Einnahmen verbunden ist, automatisch dem privaten und damit unversicherten Bereich zuzuordnen.
Vorliegend stand der zum Unfall führende Start mit dem Speedrider objektiv und subjektiv in einem engen sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit des Klägers als Gleitschirm- und Fluglehrer, weil es sich vorliegend um einen angekündigten Demonstrationsflug vor den Reiseteilnehmern, die auf der Reise auch Kunden des Klägers gewesen sind, gehandelt hat. Dass alle Teilnehmer von dem beabsichtigten Demonstrationsflug wussten und den Flug des Klägers beobachten wollten, steht für den Senat fest aufgrund der glaubhaften und im Ergebnis übereinstimmenden Angaben der Zeugen. Danach hielten sich – abgesehen von dem Zeugen B., dem es an diesem Tag nicht so gut ging – alle übrigen Reiseteilnehmer im Bereich des Landeplatzes am Strand auf. Sie wussten, dass der Kläger mit dem Speedrider von Start Platz in der Nähe der „Villa“ an den Strand fliegen wollte und warteten darauf, ihn fliegen zu sehen. Dass sie den Start selbst nicht beobachten konnten, ändert hieran nichts. Denn es wird sich bei einer Tätigkeit wie dem Fliegen mit einem Speedrider, bei dem gewisse Höhenunterschiede und Entfernungen überwunden werden, nicht immer realisieren lassen, dass Zuschauer den gesamten Flug einschließlich Start und Landung beobachten können. Der Senat ist außerdem davon überzeugt, dass der Kläger den Speedrider mit auf die Reise genommen hat, um für diesen bei den Reiseteilnehmern zu werben. Dies ergibt sich aus den ebenfalls übereinstimmenden Angaben der Zeugen, wonach der Kläger ihnen auf der Reise immer wieder die Vorzüge des Speedriders geschildert hat. Die Frage, ob den Reiseteilnehmern bekannt gewesen ist, dass bzw. aus welchen Gründen der Kläger seinen Speedrider mit auf die Reise nehmen würde, ist aus Sicht des Senats nicht relevant.
Es handelte sich mithin vorliegend nicht (mehr) um einen Probeflug des Klägers, der sich mit einem neuen Sportgerät vertraut machen wollte (ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen eine derartige Tätigkeit versichert wäre, kann der Senat dahinstehen lassen), sondern um eine nach außen dokumentierte Werbemaßnahme. Werbung stellt eine dem Unternehmen dienende Tätigkeit dar. Der Kläger erwartete sich von den Reiseteilnehmern eine gewisse Mundpropaganda innerhalb der Gleitschirmfliegerszene für sich und sein neues Angebot. Realistischer Weise konnte er sich eine besondere Multiplikatorenfunktion insbesondere von dem Zeugen W. versprechen, der Inhaber eines Hotelbetriebes in C-Stadt ist. Insoweit ist der Senat außerdem davon überzeugt, dass der Kläger das Speedriding alsbald als neue Leistung in das Angebot seines Unternehmens aufnehmen wollte. Wie der Kläger selbst glaubhaft angegeben hat, wollte er bereits konkret im Winterhalbjahr 2008/2009 auf der A. Schnupperkurse anbieten. Darüber hinaus wollte er in Kooperation mit einem befreundeten Paar, welches einen Pensionsbetrieb bei M. hat, ab dem Winterhalbjahr 2009/2010 Gleitschirm-Reisen nach Spanien anbieten und sich in dem stark umkämpften Markt durch ein Zusatz-Angebot mit Speedriding-Kursen abheben. In diesem Zusammenhang hat der Kläger nachvollziehbar dargelegt, dass Reisen nach Spanien wetterbedingt insbesondere in den Wintermonaten interessant sind und durchgeführt werden. Dies erklärt den notwendigen zeitlichen Vorlauf. Der Zeuge B. hat bei seiner Vernehmung vor dem SG bestätigt, dass es sich bei ihrer Reise um eine Probereise gehandelt hat. Auch die Zeugin D. hat angegeben, dass der Kläger die Eignung des Gebietes für Flugschüler testen wollte.
Anders als das SG sieht der Senat in dem Umstand, dass ein Speedrider häufig als Winterportgerät zum Einsatz kommt bzw. damals gekommen ist, keinen wesentlichen Gesichtspunkt, der hier gegen das Vorliegen einer versicherten Verrichtung spricht. Denn es entsprach gerade der Absicht des Klägers, sich in einer (damals) erst relativ neu aufkommenden Sportart als einer der ersten im Markt zu positionieren und mit einem besonderen Angebot von Konkurrenten abzuheben, um sich dadurch Wettbewerbsvorteile zu verschaffen.
Die konkrete, zum Unfall führende Verrichtung des Klägers ist vorliegend auch nach Sinn und Zweck der Unternehmerversicherung in den Versicherungsschutz einzubeziehen. Denn es gehört wesentlich mit zu einer unternehmerischen Tätigkeit, dass sich der Unternehmer neue Geschäftsfelder erschließt, um die Wettbewerbsfähigkeit seines Unternehmens auf Dauer zu erhalten. Hierzu gehört es, neue Tätigkeitsfelder zu erkunden und das Interesse des Marktes bzw. etwaiger Kundschaft zu prüfen. Vorliegend hat der Kläger ein neues Sportgerät bzw. eine neue Sportart auf mögliche Geschäftschancen geprüft. Tätigkeiten, die wie hier diesem Zweck dienen, sind versichert, wenn sich die subjektive Absicht auch objektiv nach außen verfestigt und konkretisiert. Dies ist hier dadurch geschehen, dass Dritte an der Verrichtung (hier der Demonstration des Speedriders) beteiligt gewesen sind. Zudem war den Reiseteilnehmern bekannt, dass der Kläger eine Ausweitung seines Angebotes beabsichtigt hatte. Darüber hinaus gab es die oben dargestellten konkreten Planungen des Klägers, das Angebot seiner Flugschule entsprechend zu erweitern. Es wäre zu kurz gegriffen, nur solche Tätigkeiten in den Versicherungsschutz einzubeziehen, die bereits unmittelbar der Erzielung von Einnahmen dienen. Zu berücksichtigen ist auch, dass es grundsätzlich dem Unternehmer obliegt zu entscheiden, wie er seine betrieblichen Tätigkeiten verrichtet. Grundsätzlich mitumfasst sind dabei auch Tätigkeiten, die sich ggf. im Nachhinein als nicht erfolgreich oder unwirtschaftlich herausstellen.
Ergänzend kann der Gedanke des § 136 Abs. 1 Satz 2 SGB VII herangezogen werden. Nach dieser Vorschrift beginnt ein Unternehmen bereits mit den vorbereitenden Arbeiten für das Unternehmen. Diese Regelung gilt zwar unmittelbar nur für den Beginn eines völlig neuen Unternehmens, was auf den hiesigen Sachverhalt nicht zutrifft. Allerdings kann für das Erschließen neuer Geschäftsfelder jedenfalls keine restriktivere Regelung gelten. Die sowohl von der Rechtsprechung des BSG als auch von der Kommentarliteratur im Interesse der Rechtssicherheit und Beweisbarkeit geforderte ausreichende Konkretisierung des neuen Geschäftsfeldes durch nach außen gerichtete Tätigkeiten (vgl. BSG, Urteil vom 20. März 1981 – 8/8a RU 8/80 -, BSGE 51, 253 und juris Rn. 21 ff.; Ricke, in: Kasseler Kommentar, § 136 SGB VII, Rn. 12; Quabach, in: Schlegel/ Voelzke, jurisPK-SGB VII, 2. Auflage 2014, § 136 SGB VII, Rn. 34; Schlaeger, in: BeckOK SozR, Rolfs/ Giesen/ Kreikebohm/ Udsching, Stand 03/2017, § 136 SGB VII Rn. 3; ähnlich wohl auch Diel, in: Hauck/ Noftz, SGB, Kommentar, Stand 02/2017, § 136 SGB VII, Rn. 11) ist zur Überzeugung des Senats aus den oben dargelegten Gründen erfüllt. Das BSG hat in seinem (bereits älteren) Urteil ausgeführt, dass die Abgrenzung am Zweck der Unfallversicherung ausgerichtet sein muss. Dabei darf einerseits die freie unternehmerische Tätigkeit nicht behindert werden; andererseits muss aber auch eine wirksame Kontrolle des versicherten Risikos durch die Unfallversicherungsträger gewährleistet sein (BSG, Urteil vom 20. März 1981 – 8/8a RU 8/80 -, BSGE 51, 253 und juris Rn. 21). Genau diesen beiden Aspekten trägt der Senat hier Rechnung, wenn er einerseits das Erschließen neuer Geschäftsfelder grundsätzlich in den Unfallversicherungsschutz einbezieht, andererseits jedoch eine ausreichende Konkretisierung fordert, die hier in einem Tätigwerden nach außen gegenüber Dritten liegt. Es liegt somit nicht allein in der Hand des Klägers, durch entsprechende Behauptungen bezüglich des Zweckes seines Handeln den Umfang seines Versicherungsschutzes zu bestimmen. Die Beurteilung durch den Senat führt mithin nicht dazu, dass eine wirksame Kontrolle des versicherten Risikos bzw. der Grenzen des Versicherungsschutzes praktisch nicht mehr möglich wäre (vgl. BSG, Urteil vom 20. März 1981 – 8/8a RU 8/80 -, BSGE 51, 253 und juris Rn. 22 f.). Überdies befand sich der Kläger vorliegend gerade nicht mehr im Stadium der Vorbereitung seines Unternehmens. Die hier streitgegenständliche Verrichtung konnte dem Betrieb seines bereits existierenden Unternehmens zugeordnet werden. Ein konkreter Anknüpfungspunkt, die Tätigkeit des Klägers zu bewerten, ist somit vorliegend bereits vorhanden gewesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

BAföG – das Bundesausbildungsförderungsgesetz einfach erklärt

Das Bundesausbildungsförderungsgesetz, kurz BAföG, sorgt seit über 50 Jahren für finanzielle Entlastung bei Studium und Ausbildung. Der folgende Artikel erläutert, wer Anspruch auf diese wichtige Förderung hat, wovon ihre Höhe abhängt und welche Besonderheiten es bei Studium und Ausbildung gibt.
Mehr lesen

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen