Sozialrecht

Versorgung nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz

Aktenzeichen  L 15 VU 1/11

Datum:
23.5.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 122937
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
StrRehaG § 21 Abs. 5 S. 1
SGG § 109, § 151 Abs. 1
BVG § 1, § 30 Abs. 2, Abs. 3

 

Leitsatz

Für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Schädigungsfolge und damit die Berücksichtigung im Rahmen eines Versorgungsanspruchs nach § 1 Abs. 1 BVG ist gemäß § 21 Abs. 5 S. 1 StrRehaG ein wahrscheinlicher Zusammenhang der Freiheitsentziehung als schädigender Vorgang und der geltend gemachten Gesundheitsstörung erforderlich. (Rn. 45 – 59) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 5 VU 2/10 2011-06-16 GeB SGAUGSBURG SG Augsburg

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 16. Juni 2011 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig; sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden und ist statthaft (§ 151 Abs. 1, §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Sie erweist sich jedoch als in der Sache nicht begründet.
Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG Augsburg vom 16.06.2011 ist nicht zu beanstanden. Der Bescheid vom 26.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.11.2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Wie das SG zutreffend entschieden hat, hat die Klägerin weder einen Anspruch auf Anerkennung eines besonderen beruflichen Betroffenseins noch einen solchen auf einen BSA.
Der Anspruch auf Anerkennung eines besonderen beruflichen Betroffenseins nach § 30 Abs. 2 BVG ist gegenüber dem BSA nach § 30 Abs. 3 BVG selbständig. Eine gegenseitige Abhängigkeit besteht nicht. Der Anspruch auf BSA setzt nicht das Vorliegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins voraus (BSG, Urteil vom 28. April 2005 – B 9a/9 VJ 1/04 R, m.w.N.).
Der Beklagte hat zu Recht die Anerkennung eines besonderen beruflichen Betroffenseins und eines BSA abgelehnt. Die Klägerin hat vor dem Hintergrund, dass sie nicht Zahnärztin geworden ist, weder einen Anspruch auf eine Erhöhung ihres GdS wegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins noch einen Anspruch auf Gewährung eines BSA.
Gegenstand des Verfahrens ist nur die Tatsache, dass die Klägerin das Studium der Zahnmedizin nicht absolviert und den Beruf der Zahnärztin nicht ausgeübt hat. Um mögliche Einschränkungen hinsichtlich ihrer Tätigkeit als Zahntechnikerin geht es vorliegend nicht. Dies ergibt sich aus dem gesamten Vortrag im Verfahren und schließlich aus der eindeutigen Einschränkung, die die Klägerin über ihren Bevollmächtigten im Erörterungstermin des Senats am 21.03.2014 gemacht hat. Darüber hinaus sind auch keinerlei Ansatzpunkte ersichtlich, dass hinsichtlich des Berufs der Zahntechnikerin, den die Klägerin – mehr als 30 Jahre lang und vollschichtig – ausgeübt hat, entsprechende Ansprüche gegeben sein könnten. Unter anderem hat die Klägerin bei der Gutachterin Dr. K. ausdrücklich angegeben, sie habe wegen ihrer Ellenbogenverletzung und den Rhizarthrosen in A-Stadt im Beruf der Zahntechnikerin aufgehört zu arbeiten; diese Gesundheitsstörungen rühren aber ohne jeden Zweifel nicht von den Hafterlebnissen her.
Die Minderung der Erwerbsfähigkeit ist gemäß § 30 Abs. 2 BVG höher zu bewerten, wenn der Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen in seinem vor der Schädigung ausgeübten, dem begonnenen oder nachweisbar angestrebten Beruf besonders betroffen ist. Nach § 30 Abs. 3 BVG erhalten rentenberechtigte Beschädigte, deren Einkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit durch die Schädigungsfolgen gemindert ist, nach Anwendung des Abs. 2 BSA. Einkommensverlust ist nach § 30 Abs. 4 Satz 1 BVG der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente (derzeitiges Einkommen) und dem höheren Vergleichseinkommen.
Der Senat ist ebenso wie das SG zu dem Ergebnis gekommen, dass nicht mit Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, die Klägerin wäre ohne die Haft Zahnärztin geworden. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 17.12.1997 – 9 RV 23/96) genügt für die Annahme des Erreichens des Vergleichsberufs die Wahrscheinlichkeit aus. Dies gilt auch für die Frage, ob es gerade die Schädigungsfolgen waren, die den Geschädigten gehindert haben, den fraglichen Beruf zu erreichen. Wahrscheinlichkeit ist – auch i.S. des § 30 Abs. 5 Satz 1 BVG – zu bejahen, wenn mehr Gesichtspunkte für als gegen einen bestimmten Umstand – hier die behauptete berufliche Entwicklung – sprechen, so dass sich darauf die Überzeugung der Verwaltung oder des entscheidenden Gerichts gründen kann (BSG, a.a.O.). Die Wahrscheinlichkeit erstreckt sich allerdings nicht auf die Beurteilung der zugrunde zu legenden Tatsachen. Diese müssen erwiesen sein (BSG, a.a.O.). Der hypothetische Berufsweg wird danach aufgrund festgestellter Tatsachen durch Wahrscheinlichkeitsüberlegungen als hypothetischer Berufsweg für den Fall, dass die Schädigung nicht stattgefunden hätte, prognostiziert (vgl. BSG, Urteil vom 08.08.1984 – 9a RV 43/83). Dafür muss der Berufsweg bereits zum Zeitpunkt der Schädigung nachgezeichnet werden können (vgl. BSG, Urteil vom 15.09.1988 – 9/9a RV 50/87).
Im Einzelnen ist im Fall der Klägerin Folgendes festzustellen:
1. Zugunsten der Klägerin kann unterstellt werden, dass bereits zum Zeitpunkt der Haft, also bereits im ersten Halbjahr 1972, für die Klägerin der Berufsweg einer Zahnärztin nachgezeichnet hat werden können. Insbesondere unterstellt der Senat, dass bei der Klägerin bereits damals der entsprechende Berufswunsch bestanden hat. Zwar soll die Klägerin gegenüber der Staatssicherheit angegeben haben, dass sie sich eine berufliche Zukunft als Zahntechnikerin gut vorstellen könne. Aus Sicht des Senats sind diese Angaben jedoch nicht verwertbar, da Aussagen gegenüber der Staatssicherheit als Beweismittel offensichtlich nicht herangezogen werden können. Dies folgt bereits daraus, dass bekanntlich solche Aussagen oftmals in den Unterlagen verfälscht wiedergegeben worden sind oder aufgrund der Besonderheiten der Vernehmungssituation (und gegebenenfalls den Haftumständen) nicht den tatsächlichen Verhältnissen entsprochen haben. Aufgrund der Angaben der Klägerin im Verwaltungs- und gerichtlichen Verfahren spricht jedoch viel dafür, dass die Klägerin bereits 1972 Zahnärztin werden wollte, auch wenn freilich objektive schriftliche Nachweise (auch) insoweit nicht vorliegen. Hinzu kommt aber, dass nun auch zwei ehemalige Mitschüler der Klägerin bestätigt haben, dass Zahnmedizin für die Klägerin bereits in der DDR der angestrebte Beruf gewesen ist.
2. Der geltend gemachte Anspruch der Klägerin scheitert jedoch bereits daran, dass die behauptete Schädigungsfolge Teilsymptome einer PTBS – oder gar eine Vollsymptomatik – oder weitere Gesundheitsstörungen vor dem 01.08.2007 nicht nachgewiesen sind, aufgrund derer die Klägerin daran gehindert gewesen wäre, Zahnmedizin zu studieren.
Für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Schädigungsfolge und damit die Berücksichtigung im Rahmen eines Versorgungsanspruchs nach § 1 Abs. 1 BVG ist gemäß § 21 Abs. 5 Satz 1 StrRehaG ein wahrscheinlicher Zusammenhang der Freiheitsentziehung als schädigender Vorgang und der geltend gemachten Gesundheitsstörung erforderlich.
Entsprechend den vorgenannten Bestimmungen setzt die Anerkennung von Schädigungsfolgen eine dreigliedrige Kausalkette voraus (vgl. BSG, Urteil vom 25.03.2004 – B 9 VS 1/02 R): Eine Freiheitsentziehung (1. Glied) muss zu einer primären Schädigung (2. Glied) geführt haben, die wiederum die geltend gemachten Schädigungsfolgen (3. Glied) bedingt.
Die drei Glieder der Kausalkette müssen im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R). Demgegenüber reicht es für den zweifachen ursächlichen Zusammenhang der drei Glieder aus, wenn dieser jeweils mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gegeben ist. Die Beweisanforderung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit gilt sowohl für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999 – B 9 VS 2/98 R – in Aufgabe der früheren Rechtsprechung, z.B. BSG, Urteil vom 24.09.1992 – 9a RV 31/90, die für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität noch den Vollbeweis vorausgesetzt hat -; vgl. auch jüngst BSG, Urteil vom 17.04.2013 – z.B. B 9 V 1/12 R) als auch den der haftungsausfüllenden Kausalität. Dies entspricht den Beweisanforderungen auch in anderen Bereichen der sozialen Entschädigung oder Sozialversicherung, insbesondere der wesensverwandten gesetzlichen Unfallversicherung.
Für den hinsichtlich der drei Glieder der Kausalkette maßgeblichen Vollbeweis ist es nach der Rechtsprechung zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000 – B 9 VG 3/99 R und vom 17.04.2013 – B 9 V 1/12 R; vgl. z.B. auch das Urteil des erkennenden Senats vom 24.01.2017 – L 15 BL 7/15), d.h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993 – 9/9a RV 1/92).
Wie sich aus der obigen Darstellung des Sachverhalts bereits ergibt, kann nicht die Rede davon sein, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des vorliegenden Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der geltend gemachten Schädigungsfolgen bereits in der Zeit nach der Übersiedlung in die Bundesrepublik zweifeln würde. Vielmehr hat der vom Senat beauftragte Sachverständige Dr. D. eindeutig festgestellt, dass es keineswegs mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht, die Klägerin habe bereits in den 1970er Jahren an einzelnen Symptomen einer PTBS gelitten, auch wenn dies durchaus möglich ist. Der Sachverständige hat in seinem plausiblen und durchaus fundierten Gutachten nach Aktenlage nachvollziehbar festgehalten, dass es nicht einmal wahrscheinlich ist, die Klägerin habe nach der Übersiedlung in die Bundesrepublik entsprechende Symptome entwickelt. Der Senat macht sich diese sachverständigen Feststellungen zu eigen. Ferner hat auch der vom Beklagten beauftragte Sachverständige Dr. C. plausibel die Annahme von Schädigungsfolgen abgelehnt und hervorgehoben, dass die Klägerin mehr als 30 Jahre lang ihren gesamten beruflichen und privaten Alltag bewältigen hat können und dass sie in dieser Zeit auch keinerlei Anlass für eine psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung gesehen hat.
Wie Dr. D. zutreffend hervorgehoben hat, sind die Angaben der Klägerin die einzigen zur Verfügung stehenden Informationen (zu den Angaben des Ehemanns und des früheren Arbeitgebers der Klägerin siehe unten). Selbst wenn man aber die Angaben der Klägerin glauben würde, wäre nach den überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen die Diagnose einer PTBS höchst fragwürdig, nachdem aufgrund des Ablaufs der Ereignisse am Vorliegen des A-Kriteriums einer PTBS massive Zweifel bestehen. Mit Dr. D. geht der Senat davon aus, dass in einer derartigen Situation, die die Klägerin erleben hat müssen, allenfalls von einer Persönlichkeitsveränderung aufgrund schwerer Belastung ausgegangen werden muss. Wie der Sachverständige allerdings darauf hingewiesen hat, müsste auch hierfür zeitnah eine Diagnostik durchgeführt werden, was vorliegend nicht geschehen ist. In diesem Zusammenhang ist aus Sicht des Senats auch aussagekräftig, dass eine solche Diagnostik wohl deshalb unterblieben ist, weil die Klägerin hierzu keine Veranlassung gesehen hat. Schließlich könnten sich bei der Klägerin in der Zeit nach der Übersiedlung in die Bundesrepublik auch Anpassungsstörungen (mit depressiver oder ängstlich depressiver Symptomatik) eingestellt haben. Die von der Klägerin beschriebene Symptomatik, die sie an der Immatrikulation gehindert haben soll (Provokation von Angst bzw. Paniksymptomatik bei Konfrontation mit größeren Menschenansammlungen), entspricht, wie Dr. D. nachvollziehbar dargestellt hat, einer agoraphoben Störung. Diese Störung ist jedoch relativ unspezifisch und tritt keinesfalls nur bei Menschen auf, die im Gefängnis gewesen sind, einmal schlechte Erfahrungen mit größeren Menschenansammlungen gemacht haben oder die Situationen wie die einer „verschärften“ Haft erlebt haben. Mit Dr. D. geht der Senat davon aus, dass diese Symptomatik auch sporadisch und ohne nachvollziehbare Ursache auftreten kann. Falls die Klägerin also eine derartige Symptomatik in den Jahren nach der Übersiedlung tatsächlich gezeigt haben sollte, ließe sich somit nicht sicher sagen, was zu ihrer Provokation geführt hätte.
Der Senat bestreitet in keiner Weise, dass die Inhaftierungen der Klägerin für diese eine ganz erhebliche psychische Belastung dargestellt haben. Es ist jedoch nicht der Rückschluss möglich, dass diese nach der Übersiedlung in die Bundesrepublik auch fortgewirkt haben. Wie Dr. D. überzeugend festgestellt hat, ist keinesfalls auszuschließen, dass die Klägerin mit Beendigung ihrer DDR-Haft oder spätestens nach Geburt ihres Kindes gar keine psychische Störung mehr gehabt hat.
Der Senat stellt an dieser Stelle auch noch einmal klar, dass er sich außerstande sieht, den Aussagen der Klägerin selbst über ihre gesundheitlichen Beeinträchtigungen einen Beleg für das Vorliegen relevanter Teilsymptome einer PTBS nach der Übersiedlung in die Bundesrepublik zu entnehmen. Denn er folgt der plausiblen Einschätzung des Sachverständigen Dr. D., dass die Angaben der Klägerin, die diese erst ab Aufnahme ihrer psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung gemacht hat, von äußerst eingeschränkter Aussagekraft sind, nachdem sich die Klägerin erst im Rahmen des anhängigen Verfahrens mehr als 30 Jahre nach dem erlittenen Geschehen dazu durchgerungen hat, eine solche Behandlung in Anspruch zu nehmen. Zudem ist, wenn auch in untergeordnetem Umfang (vgl. das Urteil des Senats vom 05.02.2013 – L 15 VG 22/09), das unmittelbare Interesse der Klägerin am Verfahrensausgang zu berücksichtigen.
Ein anderes Ergebnis des Verfahrens folgt auch nicht aus dem gemäß § 109 SGG eingeholten Sachverständigengutachten der Fachärztin F., auch wenn diese ausgeführt hat, dass aus ihrer Sicht zur Zeit nach der Übersiedlung in die Bundesrepublik bereits (zumindest) eine Teilsymptomatik im Sinne einer anderen Reaktion auf eine schwere Belastung nach dem ICD 10 bestanden habe, mit einzelnen Symptomen der PTBS wie Schlafstörungen und Alpträumen, erhöhter Reizbarkeit, insbesondere Panikreaktionen bei Phobie mit traumaassoziierten Triggerreizen. Die Sachverständige hat eine bereits damals bestehende Einschränkung der Klägerin gesehen. Aus ihrer Sicht seien die Teilsymptomatik der PTBS und die phobische Symptomatik nach der Haftentlassung objektiviert durch die Angaben des früheren Chefs der Klägerin ab 1975, nach Angaben des Ehemanns bereits nach der Haftentlassung. Die Klägerin habe die Symptomatiken glaubhaft geschildert. Aus Sicht des Senats ergibt sich aus diesem Gutachten jedoch kein Nachweis für das Bestehen der (Teil-) Symptome einer PTBS o.ä. Die Sachverständige F. hat sich lediglich auf die klägerischen Angaben sowie die Zeugenangaben gestützt und diese als plausibel bezeichnet. Davon abgesehen, dass der Senat diese Einschätzung der Sachverständigen nicht teilt, werden die von Dr. D. in seinem (der gutachterlichen Äußerung der Ärztin F. bereits vorangegangenen) Gutachten im Einzelnen dargestellten Zweifel in dem gemäß § 109 SGG eingeholten Gutachten nicht ausreichend behandelt bzw. nicht ausgeräumt. Im Übrigen hat der Senat vorliegend auch Zweifel, ob vorliegend die erforderliche „Distanz wie die einer Gerichtsperson“ auf Seiten der Sachverständigen vorgelegen hat (vgl. Kater, Das ärztliche Gutachten im sozialgerichtlichen Verfahren, 2. Aufl., S. 23). Denn das Gutachten zeigt an mehreren Stellen für die Klägerin günstige Ausführungen, ohne dass vom Gericht zu den jeweiligen Aspekten Beweisfragen gestellt worden wären und ohne dass die betreffenden Hinweise der Ärztin für die Beantwortung der relevanten Fragen (im Zusammenhang) unabdingbar gewesen wären. So hat sich die Gutachterin bemüßigt gefühlt, ungefragt klarzustellen, dass eine berufliche Betroffenheit vorliege. Weiter hat sie auf die eingeschränkte Verwertbarkeit von Unterlagen der Staatssicherheit hingewiesen. Dies ist jedoch nicht die Aufgabe der medizinischen Sachverständigen gewesen, da es sich hier ganz offensichtlich nicht um medizinische Erkenntnisse handelt.
Auch die Sachverständige Dr. K. ist im Übrigen in ihrem Gutachten für die gesetzliche Rentenversicherung den Nachweis, dass bereits damals Teilsymptome einer PTBS vorgelegen hätten, schuldig geblieben. Ein solcher ergibt sich auch nicht aus den Attesten und Bescheinigungen des behandelnden Arztes K. des BKH A-Stadt. So hat der Facharzt zwar, beispielsweise im Attest vom 03.11.2010, die gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin und die streitgegenständlichen Hindernisse bei der Einschreibung zum Studium im Einzelnen beschrieben, letztlich jedoch eingestanden, dass für die Feststellung eindeutiger Symptome einer PTBS bereits in den siebziger Jahren die Annahme erforderlich sei, „dass die Angaben der Klägerin glaubwürdig sind“. Von ärztlicher Seite hätten er und seine Kollegen hieran keinen Zweifel. Letztlich verlässt sich also auch der Facharzt ausschließlich auf die Angaben der Klägerin bzw. ihres Ehemanns und des früheren Arbeitgebers Dr. F … Im Übrigen kann sich auch der Senat des Eindrucks, den der für den Beklagten im Verfahren tätige Facharzt für Psychiatrie Dr. S. am 04.12.2008 geschildert hat, nicht verwehren, dass der Klägerin seitens des BKH unter „Zurückstellung einer kritischen Betrachtungsweise“ in ihrem Bestreben geholfen werden sollte. Jedenfalls teilt der Senat die Einschätzung, dass die Bestätigungen, die seitens des BKH vorgelegt worden sind, quasi apodiktische Festlegungen enthalten und eine kritische Würdigung bzw. eine Diskussion der im Einzelnen im streitgegenständlichen Zeitraum ggf. vorliegenden Gesundheitsstörungen im Wesentlichen vermissen lassen.
Ein anderes Ergebnis der hier erörterten streitgegenständlichen Frage folgt auch nicht aus den Aussagen, die dem Senat schriftlich vorliegen, des früheren Arbeitgebers der Klägerin, weiter auch nicht aus den Zeugenaussagen des Ehemanns, die dieser im Erörterungs- und Beweisaufnahmetermin des Senats gemacht hat.
– In einem Schreiben an die Sachverständige F. hat Dr. F. am 24.03.2016 bestätigt, dass die Klägerin von 1975 bis 2007 dort tätig gewesen sei. Unter anderem hat er angegeben, dass die Klägerin nur bei geöffneter Labortüre habe arbeiten können und sehr oft gestresst, gereizt gewesen sei und sich nur schlecht konzentrieren haben könne. Sie habe große Probleme gehabt, wenn sich mehrere Personen im Raum befunden hätten. Die Klägerin habe ihrem Arbeitgeber von Flashbacks und Kreislaufproblemen sowie Panikattacken bei Menschenansammlungen berichtet. Sie könne angeblich nicht einmal die Gerüche ertragen. Um sie nicht zu verlieren, habe er angeboten, ein kleines Labor bei ihr zu Hause einzurichten, damit sie dort einen Großteil der Arbeiten in Ruhe habe ausführen können. Bei ihm, Dr. F., bestehe kein Zweifel an einem erheblichen Trauma aufgrund der schlimmen Erlebnisse in der DDR. Aufgrund der Erzählungen und seines persönlichen Eindrucks von den Auffälligkeiten müsse man von psychischen Störungen der Klägerin infolge des erlittenen Traumas ausgehen.
Auch diese Angaben können aber nicht einen Nachweis von Teilsymptomen der geltend gemachten Schädigungsfolgen für den Zeitraum nach der Übersiedelung ergeben; hieraus folgt lediglich die bloße Möglichkeit, dass die Teilsymptome bereits damals gegeben waren. Insbesondere ist dem Senat bewusst, dass Dr. F. hier nicht als Facharzt eine Äußerung und Beurteilung abgegeben, sondern nur seine allgemeinen Einschätzungen – als der Klägerin wohlwollend gegenüber stehender früherer Arbeitgeber – deutlich gemacht hat. Auch der Senat geht davon aus, dass es durchaus Besonderheiten bzw. Auffälligkeiten im Verhalten der Klägerin am Arbeitsplatz gegeben hat und dass sich Dr. F. veranlasst gesehen hat, für die Klägerin besondere Arbeitsbedingungen zu schaffen. Durch seine Angaben ist jedoch nicht nachgewiesen, dass diese Auffälligkeiten der Klägerin den Schweregrad erreicht hätten, um von relevanten Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem Fachgebieten sprechen zu können. Dass Dr. F., wie dargelegt, die Veranlassung gesehen hat, der Klägerin das Arbeiten zu Hause zu ermöglichen, muss nicht zwangsläufig auf eine schwere Ausprägung einer psychischen Krankheit hindeuten, sondern kann auch vom Bestreben des Arztes geprägt gewesen sein, die Klägerin als Mitarbeiterin zu halten.
Im Übrigen sieht der Senat den Nachweis für das Vorliegen von Teilsymptomen einer PTBS auch durch die Zeugenaussage des Ehemanns der Klägerin nicht erbracht (siehe oben). Hier hat der Senat bereits aufgrund des eigenen Interesses des Ehemanns deutliche Objektivitätsbedenken. Zudem hat der Zeuge bei seiner Aussage nicht plausibel machen können, weshalb er gegenüber dem Gutachter Dr. C. angegeben hat, sich in A-Stadt sehr intensiv um das Geschäft seines Vaters gekümmert zu haben bzw. verpflichtet gewesen zu sein, sich darum zu kümmern, obwohl dies nach seinen eigenen Angaben unzutreffend gewesen sein soll.
Zusammenfassend ist aus Sicht des Senats festzuhalten, dass abgesehen von den Aussagen der Klägerin selbst und ihr nahestehender bzw. wohlwollend gegenüberstehender Personen keine objektiven Nachweise und sonstige Belege für das Vorliegen der geltend gemachten Schädigungsfolgen bereits im Zeitraum nach der Übersiedelung in die Bundesrepublik gegeben sind, was die Klägerin im Erörterungstermin des Senats am 21.03.2014 ausdrücklich bestätigt hat. Vielmehr bleibt letztlich die unumstößliche Tatsache, dass die Klägerin – wenn auch womöglich gefördert durch die wohlwollende Behandlung ihres Chefs Dr. F. – 31 Jahre lang in einem anerkannten Beruf vollschichtig tätig sein hat können und jegliche Behandlung nicht für erforderlich gehalten hat.
Abschließend weist der Senat noch darauf hin, dass er die von der Klägerseite gegen den Gutachter Dr. D. vorgebrachten Vorbehalte nicht nachvollziehen kann. Die Feststellung des früheren Bevollmächtigten, es sei müßig, sich mit dem Gutachten des Sachverständigen auseinanderzusetzen, weil dieser sich mit den vorliegenden Erkrankungen „wohl nicht so auskenne“, vermag der Senat nur als unqualifizierte Äußerung einzuordnen, ebenso wie die Anregung, Dr. D. solle sich einmal „mit der Problematik der Tätigkeit der Stasi beschäftigen, wie diese die Leute schikaniert“ habe. Vielmehr erfüllt Dr. D., der im Übrigen ein gerichtsbekannter und erfahrener Sachverständiger ist, in seinem vorgelegten Gutachten nach Aktenlage alle Anforderungen, die an ein qualifiziertes wissenschaftliches Gutachten zu stellen sind. Von der Klägerseite wurden denn auch keine konkreten Punkte genannt, die inhaltlich unter Verstoß gegen wissenschaftliche Erkenntnisse als fehlerhaft o.ä. zu kennzeichnen wären. Wenn die Klägerseite mitteilt, dass der Landesbeauftragte für die Aufarbeitung der SED-Diktatur in T. gegenüber der Klägerin erklärt habe, immer Probleme zu haben, „wenn andere Gutachten einholen und nicht Frau Dr. F., die sich spezialisiert hat auf manische Erkrankungen aufgrund von Diktaturen und Inhaftierungen“, ist dem nur entgegenzuhalten, dass die Ermittlungen konkreter Unrechtsmaßnahmen des DDR-Systems nicht Aufgabe eines psychiatrischen Sachverständigen ist und dass die auf medizinisch-wissenschaftlicher Ebene zu untersuchenden Folgen von Inhaftierungen nicht ärztlichen Spezialgebieten vorbehalten ist. Maßgeblich ist vielmehr, dass die konkreten Bedingungen, also das schädigende Ereignis, für den medizinischen Sachverständigen im Einzelnen klar erkennbar sind, was vorliegend der Fall war. Der Senat sieht die erfolgte Hervorhebung der Sachverständigen F. als problematisch an, weil sie diese – etwa im Sinne einer falsch verstandenen Klägerfreundlichkeit – in ein falsches Licht rücken könnte. Der Senat weiß jedoch, dass ein solcher genereller Vorwurf unberechtigt wäre, weil die Sachverständige in früheren vor dem Senat anhängigen Verfahren durchaus zu differenzierten Ergebnissen gekommen ist.
3. Selbst wenn man das Bestehen der Schädigungsfolgen (Teilsymptome einer PTBS mit entsprechenden Panikattacken etc.) unterstellen würde, was der Senat nicht für vertretbar hält (s. 2.), würde der Anspruch der Klägerin jedoch daran scheitern, dass es nicht wahrscheinlich ist, dass es gerade die Schädigungsfolgen gewesen wären, die die Klägerin am Zahnmedizinstudium gehindert hätten.
Dies folgt aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens. Zwar liegen der entsprechende Zulassungsbescheid der ZVS sowie die entsprechenden Angaben der Klägerin und ihres Ehemanns vor. Wie oben jedoch bereits für die Frage des Vorliegens der Schädigungsfolgen (Teilsymptome einer PTBS) ausgeführt, sieht sich der Senat nicht in der Lage, allein diesen Angaben einen Nachweis zu entnehmen. Entsprechendes gilt bezüglich der Frage, ob es gerade die Schädigungsfolgen waren, die den Geschädigten gehindert haben, den fraglichen Beruf zu erreichen.
Wie dargelegt ist die hier maßgebliche Wahrscheinlichkeit (nur dann) zu bejahen, wenn mehr Gesichtspunkte für als gegen einen bestimmten Umstand sprechen, so dass sich darauf die Überzeugung der Verwaltung oder des entscheidenden Gerichts gründen kann (vgl. BSG, Urteil vom 17.04.2013 – B 9 V 1/12 R). In diesem Sinne ist es nicht wahrscheinlich, dass die Klägerin aufgrund einer (nicht bewiesenen, s. 2.) Teilsymptomatik einer PTBS außerstande gewesen wäre, sich zum Studium der Zahnmedizin einzuschreiben und das Studium zu absolvieren. Denn für diese Annahme sprechen nicht mehr Gesichtspunkte als dagegen. Dass es gerade die Schädigungsfolgen gewesen sind, die die Klägerin am Zahnmedizinstudium gehindert haben, ist allenfalls möglich.
Dass die Klägerin vergeblich versucht hat, sich zu immatrikulieren, ergibt sich nur aus den Angaben der Klägerin selbst und ihres Ehemanns; der Senat hat oben aber bereits dargelegt, dass er gewichtige Bedenken hat, diesen Angaben zu folgen; dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin in B-Stadt war oder nicht. Auch aus dem Vorliegen des ZVS-Zulassungsbescheides folgt nichts anderes, denn es ist keinesfalls unwahrscheinlich, dass sich die Klägerin diesen nur vorsorglich hat ausstellen lassen, um sich hinsichtlich ihres (späteren) Berufswegs alle Optionen offen zu halten. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens sind jedoch vor allem auch die für den Senat durchaus plausiblen alternativen Gründe für die Nichtaufnahme des Studiums, die in dem Verfahren herausgestellt worden sind, nämlich die Tatsachen der Kindererziehung und die der Ortsgebundenheit in A-Stadt, gewichtig. Zwar ist von der Klägerin und ihrem Ehemann behauptet worden, dass die Erziehung ihres Sohnes B. einem Studium der Klägerin nicht entgegengestanden hätte, da es in B-Stadt bei der Freien Universität als einziger Universität im Westen die Möglichkeit einer Kinderbetreuung gegeben habe und dass die Klägerin und ihr Ehemann nicht an A-Stadt gebunden gewesen seien. Der Senat kann jedoch nicht ausschließen, dass sich die Klägerin trotz bestehender Kinderbetreuungsmöglichkeit auch im Hinblick auf die neue Lebenssituation in der Bundesrepublik veranlasst gesehen haben könnte, (zumindest zunächst) von einem Studium Abstand zu nehmen. Hinsichtlich der Ortsgebundenheit ist oben bereits hervorgehoben worden, dass es hier widersprüchliche Äußerungen des Ehemanns der Klägerin gegeben hat. Nicht nachvollziehen kann der Senat im Übrigen auch, weshalb sich die Klägerin nicht einer Behandlung unterzogen hat, falls tatsächlich eine relevante Gesundheitsstörung vorgelegen haben sollte. Mit dem Sachverständigen Dr. D. geht er nämlich davon aus, dass es für die Klägerin nahe gelegen hätte, angesichts einer durch eine Angstsymptomatik blockierten Berufswahl einen Psychiater oder Psychotherapeuten aufzusuchen, um das Problem zu lösen, wenn es tatsächlich der innige Wunsch der Klägerin gewesen wäre, Zahnmedizin zu studieren und wenn sie tatsächlich aufgrund einer Angstsymptomatik bereits bei der Immatrikulation daran gehindert gewesen wäre. Wie Dr. D. bestätigt hat, hätte es auch bereits damals genügend Therapiemöglichkeiten hierfür gegeben, um eine wie die beschriebene phobische Störung erfolgreich zu behandeln. Die hierzu von der Klägerin gegebene Erklärung, sie habe sich nicht getraut, in Behandlung zu gehen, da sie immer befürchtet habe, das Sorgerecht für den Sohn zu verlieren, kann der Senat nicht nachvollziehen. Schließlich sind die Angaben der Klägerin hinsichtlich der Problematik mit größeren Menschenmengen widersprüchlich. Zwar hat sie behauptet, wegen der Menschenansammlungen sich nicht immatrikuliert und nicht studiert zu haben, aus ihren Angaben gegenüber der Sachverständigen F. geht jedoch hervor, dass sie durchaus mit Bussen oder der Straßenbahn gefahren ist und dass voll besetzte Züge lediglich „auch problematisch“ gewesen sind.
Zu weiteren Ermittlungen sieht sich der Senat im Übrigen nicht veranlasst. Insbesondere ist aufgrund der bereits vorliegenden detaillierten Angaben des früheren Arbeitgebers der Klägerin Dr. F. dieser nicht als Zeuge einzuvernehmen. Zugunsten der Klägerin kann unterstellt werden, dass dieser die bereits schriftlich gemachten Angaben – vor allem hinsichtlich der Problematik der Arbeit im Labor und der Schilderungen der Klägerin bzgl. ihrer Gesundheitsstörungen (Flashbacks und Kreislaufprobleme, siehe oben) – bestätigt. Der Ehemann der Klägerin ist bereits gerichtlich befragt worden und hat sich ausführlich und unmissverständlich geäußert.
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

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