Sozialrecht

Vorliegen einer Berufskrankheit BK 4302 durch Kühlschmierstoffe

Aktenzeichen  L 2 U 338/13

Datum:
6.7.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
BK 4302 der Anlage 1 zur BKV
SGB VII SGB VII § 9
SGG SGG § 54, § 55 Abs. 1 Nr. 3, § 144, § 160 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2, § 193

 

Leitsatz

1. Die BK 4302 kann auch dann vorliegen, wenn die obstruktive Atemwegserkrankung zwar durch chemisch irritativ oder toxisch wirkende Kühlschmierstoffe hervorgerufen wurde, das Ausmaß der Exposition mit Kühlschmierstoffen jedoch nur deshalb ausreichend war, die obstruktive Atemwegserkrankung zu verursachen, weil rezidivierende Nebenhöhlenentzündungen als Schadensanlagen vorhanden und bei der Entstehung der obstruktiven Atemwegserkrankung mitgewirkt haben. Sowohl die Kühlschmiermittelexposition als auch die Nebenhöhlenentzündungen stellen jeweils für sich genommen wesentliche Teilursachen dar. Die Exposition mit Kühlschmiermitteln wäre als Teilursache nur dann unwesentlich, wenn die konkurrierende Teilursache der Nebenhöhlenentzündungen von überragender Bedeutung wäre. Dies würde die Feststellung voraussetzen, dass die obstruktive Atemwegserkrankung allein aufgrund der Nebenhöhlenentzündungen und ohne die gleichzeitig wirkende Kühlschmiermittelexposition etwa zur selben Zeit entstanden wäre. (amtlicher Leitsatz)
2 Die BK 4302 ist definiert als durch chemischirritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 23.04.2013 und der Bescheid der Beklagten vom 09.11.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.04.2008 aufgehoben, und es wird festgestellt, dass beim Kläger eine Berufskrankheit nach der Nr. 4302 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung vorliegt.
II.
Die Beklagte hat dem Kläger dessen notwendige außergerichtliche Kosten des ersten und zweiten Rechtszuges zu erstatten.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig, insbesondere wurde sie form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Die Berufung bedarf gemäß § 144 SGG keiner Zulassung.
Die Berufung ist begründet. Zu Unrecht hat das SG die Klage abgewiesen, soweit sie sich auf die Feststellung der BK 4302 bezieht. Insoweit ist die Klage zulässig und begründet.
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs. 1 in Verbindung mit § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG statthaft und zulässig.
Nach gerichtlichem Hinweis auf die streitgegenständlichen Bescheide hat der Kläger seinen Antrag auf die Feststellung einer BK 4302 beschränkt und den Antrag auf Gewährung einer Rente nach einer MdE von mindestens 20 v. H. in diesem Verfahren nicht mehr weiter verfolgt.
Die Klage ist auch begründet, weil die BK 4302 als Berufskrankheit im Sinne des § 9 SGB VII beim Kläger festzustellen ist.
Die BK 4302 ist definiert als durch chemischirritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.
Das Vorliegen der Voraussetzungen der BK Nr. 4302 ergibt sich für den Senat aus der übereinstimmenden Auffassung aller drei von Amts wegen eingeholten gerichtlichen Sachverständigengutachten, sowohl des Dr. H. als auch des Prof. Dr. S. und des Prof. Dr. T.. Nichts Gegenteiliges ergibt sich aus dem HNO-ärztlichen Gutachten des PD Dr. K.. Lediglich der im Verwaltungsverfahren eingeschaltete Gutachter PD Dr. H. vertrat in seinem Gutachten vom 08.01.1992 eine andere Auffassung. Wie jedoch Dr. H. in seinem Gutachten vom 22.10.2008 unter Beifügung der neueren Literatur überzeugend belegt hat, ist das Gutachten des PD Dr. H. durch die zwischenzeitlichen Forschungen überholt. Insbesondere ist in der zwischenzeitlich veröffentlichten Literatur anerkannt, dass Kühlschmierstoffe geeignet sind, obstruktive Atemwegserkrankungen hervorzurufen, und zwar auch dann, wenn die in den achtziger Jahren geltenden Grenzwerte, die inzwischen ohnehin verschärft wurden, nicht überschritten worden sind. Das Gutachten des Dr. H. berücksichtigte noch nicht die in der Zwischenzeit veröffentlichten Erkenntnisse, die irritative Effekte einer Kühlschmiermittelexposition auf die Atemwege beschrieben, insbesondere wenn sich während des Gebrauches Reaktionsprodukte und dadurch eine mikrobielle Kontamination mit Bakterien und Pilzen bildeten. Während PD Dr. H. noch allein von einer allergischen Genese von Atemwegserkrankungen durch Kühlschmiermittel bzw. deren Verunreinigungen ausgegangen war, ist inzwischen bekannt, dass diese Expositionen obstruktive Atemwegserkrankungen auf chemischirritativem bzw. toxischem Weg auslösen können.
Selbst der zunächst von der Beklagten eingeschaltete Beratungsarzt Dr. V. hat in seiner Stellungnahme vom 17.11.2008 auf das Gutachten des Dr. H. hin die BK Nr. 4302 und die insoweit erforderliche Kausalität bejaht. Nur der daraufhin von der Beklagten eingeschaltete Beratungsarzt Dr. W. verneint als einziger die Voraussetzungen der BK 4302.
Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass der Kläger bei seinen beruflichen Tätigkeiten als Heckenscheren-Schleifer bei der Firma K. & C. von Oktober 1981 bis März 1986 so wie bei seiner anschließenden Tätigkeit als CNC-Dreher bei der Firma K. bis Mai 1990 in erheblichem Maße einer Exposition durch Kühlschmiermittel ausgesetzt war, so dass sich daraus für ihn in deutlich erhöhtem Maße die Gefahr einer obstruktiven Atemwegserkrankung ergab.
Der Senat ist der Überzeugung, dass der Kläger bereits während seiner Tätigkeit beim Schleifen von Heckenscheren bei der Firma K. & C. in den Jahren 1981 bis 1986 in erheblichem Ausmaß einer Exposition von Kühlschmiermitteln ausgesetzt war. In dieser Zeit kam der Kühlschmierstoff AVILUP 2061 zum Einsatz. Auch wenn der Arbeitgeber angegeben hat, dass die Maschinen komplett mit Abdeckhauben versehen gewesen seien, hält der Senat die Aussage des Klägers für glaubhaft, dass in den ersten Jahren seiner Tätigkeit als Spritzschutz lediglich Gummilappen von alten Autoreifen über den Schleifscheiben angebracht waren und dass während des Schleifvorgangs Kühlschmiermittel öfters ins Gesicht spritzte. Ferner hält der Senat die Aussage für glaubhaft, dass nach dem Durchlaufen eines Werkstücks die Maschine zwar ausgeschaltet war, das Kühlmittel jedoch weiter spritzte. Bestätigt wird dies durch die Angaben des ehemaligen Betriebsleiters, Herrn G., gegenüber dem Präventionsdienst der Beklagten. Er hat ebenfalls angegeben, dass als Absaugung zwar Schläuche an den Maschinen verbunden waren, es aber keine gezielte Luftführung gab. Die Lüftungsverhältnisse waren nach seiner Einschätzung sicher sehr ungünstig. Auch der Präventionsdienst hat mit den Angaben des Herrn G. die Angaben des Klägers als im Wesentlichen bestätigt angesehen. Ebenso ist der Senat von der Richtigkeit der Aussage des Klägers überzeugt, dass der Kühlmittelbehälter durch Zigarettenkippen, Getränkereste, Schmieröl und Riemenspray stark verschmutzt war und nur einmal jährlich gereinigt wurde. Daraus ergibt sich, dass das Kühlschmiermittel bakteriell stark verunreinigt war, wie der Sachverständige Dr. H. festgestellt hat. Ob eine bakterielle Verschmutzung des Kühlschmiermittels tatsächlich vorlag, kann jedoch nach Auffassung des Sachverständigen Prof. Dr. S. in seinem Gutachten vom 21.01.2010 dahinstehen.
Auch bei der folgenden Tätigkeit bei der Firma K. als CNC-Dreher von 1986 bis 1990 kam es zu einer erheblichen Exposition gegenüber Kühlschmierstoffen. Verwendet wurde der Kühlschmierstoff CIMCOOL MB 603 als drei- bis fünfprozentige Emulsion. Das Sicherheitsdatenblatt beschreibt zwar eine fehlende Flüchtigkeit des Kühlschmierstoffkonzentrats, das bis 100 °C nur flüssig vorliege. In Übereinstimmung mit dem Sachverständigen Dr. H. hält der Senat jedoch die Aussage des Klägers für glaubhaft, dass trotz der Kapselung der CNC-Maschinen Kühlmitteldämpfe austraten, die als Nebel sichtbar waren und sich an den Wänden als Kondensat niederschlugen, und eine Exposition insbesondere auch beim Einrichten und bei der Maßkontrolle der Maschinen erfolgte, da man sich hierbei mit Kopf und Oberkörper in den mit Schmierkühlmittel verqualmten Maschinenraum beugen musste.
Auch die Sachverständigen Prof. Dr. S. und Prof. Dr. T. haben den Aussagen des Klägers Glauben geschenkt und eine erhebliche Exposition gegenüber Kühlschmierstoffen angenommen. Der Beratungsarzt Dr. W. steht insoweit mit seinen Zweifeln alleine. Selbst der zunächst von der Beklagten gehörte Beratungsarzt Dr. V. hatte sich zugunsten des Klägers ausgesprochen.
Auch der technische Aufsichtsdienst der Beklagten am 17.05.1991 und später der Präventionsdienst in seinen Stellungnahmen vom 24.07.2007, vom 03.03.2008, vom 24.02.2009, vom 10.06.2011 und vom 21.09.2011 haben eine Exposition mit Kühlschmierstoffen bejaht. Soweit darin allerdings festgestellt wurde, dass die damaligen Grenzwerte eingehalten worden seien bzw. ein Überschreiten dieser Grenzwerte nicht bewiesen werden könne, steht dies der Annahme einer hinreichenden Gefährdung nicht entgegen. Die Überschreitung der in den achtziger Jahren geltenden Grenzwerte, die zudem inzwischen überholt sind, ist keine Voraussetzung für das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 4302. Bereits die Stellungnahme des Präventionsdienstes vom 10.06.2011 lässt erkennen, dass die Grenzwerte für Kohlenwasserstoffe in der Zeit von 1981 bis 1986 sehr hoch waren und nicht mehr dem heutigen Stand der Technik entsprechen. Auch Dr. H. hat auf die Irrelevanz der früher geltenden Grenzwerte von 10 mg/Kubikmeter hingewiesen. Der Sachverständige Prof. Dr. T. hat auf S. 48 seines Gutachtens vom 16.02.2012 ausgeführt, dass die Frage, ob der frühere Luftgrenzwert für Kühlschmierstoffe unter- bzw. überschritten wurde, nicht das alleinige Kriterium ist.
Damit lag über einen Zeitraum von neun Jahren eine erhebliche Exposition mit Kühlschmierstoffen vor, die das Risiko, eine obstruktive Atemwegserkrankung zu erleiden, erheblich erhöht haben.
Auch eine chronischobstruktive Atemwegserkrankung mit Obstruktion ist im Vollbeweis gesichert. Die diesbezügliche erstmalige Diagnose mit mittelgradiger Obstruktion erfolgte am 24.11.1989 durch Dr. P.. Zwischen allen Sachverständigen besteht Einvernehmen über diese Diagnose, die sich erst nach Aufgabe der belastenden Tätigkeiten im Jahr 2005 zu einer leichtgradigen Obstruktion besserte.
Der zeitliche Zusammenhang zwischen der erheblichen Exposition des Klägers gegenüber Kühlschmiermitteln in den achtziger Jahren und der Entwicklung der obstruktiven Atemwegserkrankung bis zu ihrer Diagnose durch Dr. P. Ende 1989 lässt nach der übereinstimmenden Auffassung der Sachverständigen Dr. H., Prof. Dr. S. und Prof. Dr. T. eine Verursachung der chronischobstruktiven Atemwegserkrankung durch die Kühlschmierstoffe als überwiegend wahrscheinlich erscheinen. Allerdings ist hierbei der Einfluss der seit 1985 immer wieder rezidivierenden Nebenhöhlenentzündungen, die 1989 operativ behandelt wurden, streitig. Dr. H. diskutierte drei Verursachungsmöglichkeiten, nämlich die obstruktive Atemwegserkrankung als Folge einer berufsunabhängigen chronischeitrigen Sinusitis, die Entwicklung der obstruktiven Atemwegserkrankung unabhängig von der chronischen Sinusitis und die Möglichkeit, dass die chronischeitrige Sinusitis (die dann wieder die obstruktive Atemwegserkrankung auslöste) auf eine bakterielle Kontamination des Kühlschmiermittels zurückzuführen sei. Insgesamt sah er mehr Anhaltspunkte für eine berufliche Verursachung als gegeben an als für eine außerberufliche. Der HNO-Arzt PD Dr. K. sah in seinem Gutachten vom 28.10.2009 einen Zusammenhang zwischen der Exposition gegenüber Kühlschmierstoffen und der Entwicklung der Sinusitis und Rhinitis als wahrscheinlich an. Daran kritisierte der Beratungsarzt Dr. W., dass die veröffentlichten Forschungsergebnisse unklar ließen, ob der Zusammenhang zwischen Kühlschmierstoff-Expositionen und einer Sinusitis bzw. Rhinitis allergischer Natur im Sinne der BK Nr. 4301 oder chemischirritativ bzw. toxisch im Sinne der BK Nr. 4302 sei. Insoweit hat Prof. Dr. S. in seiner Stellungnahme vom 11.08.2010 ungeklärte Fragen eingeräumt.
Vor diesem Hintergrund ist überzeugend die Auffassung des Prof. Dr. T., wonach die heutigen Möglichkeiten zur Feststellung der Exposition des Klägers gegenüber Kühlschmierstoffen in den achtziger Jahren zu dürftig sind, um mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass diese hoch genug waren, um bei einem Atemwegsgesunden die irritativen Wirkungen auszulösen. Da jedoch der Kläger zum Zeitpunkt der Exposition gegenüber den Kühlschmierstoffen bereits unter einer chronischen Entzündung der oberen Atemwege infolge rezidivierender Infektionen litt, waren die Expositionen gegenüber Kühlschmierstoffen ausreichend, um die obstruktive Atemwegserkrankung auszulösen. Diese Feststellung reicht im Gegensatz zur Auffassung des Beratungsarztes Dr. W. aus, um zunächst die Ursächlichkeit der Kühlschmiermittel-Exposition für die obstruktive Atemwegserkrankung im Sinne einer reinen Conditiosinequanon anzunehmen. Denn für diese Ursächlichkeit im Sinne der Conditiosinequanon ist es ohne Bedeutung, wenn die gefährdende Exposition lediglich in Verbindung mit einer Schadensanlage, die hier in den rezidivierenden Nebenhöhleninfektionen lag, in der Lage war, die obstruktive Atemwegserkrankung auszulösen. Prof. Dr. T. hat nämlich ausgeführt, dass durch die bereits vorliegende chronische Entzündung der oberen Atemwege infolge rezidivierender Infektionen eine erhöhte Empfindlichkeit des Klägers vorlag, so dass die berufliche Belastung durch Kühlschmierstoffe, auch wenn diese bei einem Atemwegsgesunden keine irritative Wirkungen ausgelöst hätte, beim Kläger zur Entwicklung einer chronischen obstruktiven Atemwegserkrankung geführt hat. Diese Argumentation ist schlüssig. Denn die Tatsache, dass der Kläger mit der chronischen Sinusitis – gleich welche Ursache diese hatte – unter einer Vorbelastung litt, die sein Risiko für obstruktive Atemwegserkrankungen deutlich erhöhte, schloss ihn vom Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung nicht aus. In der gesetzlichen Unfallversicherung gilt – bis zur Grenze der unwesentlichen Teilursache – der Grundsatz, dass jeder in dem körperlichen Zustand versichert ist, in dem er sich befindet. Also ist auch jemand, der aufgrund chronischer Sinusitis ein erhöhtes Risiko obstruktiver Atemwegserkrankungen hat, davor geschützt, durch die Exposition mit Kühlschmierstoffen eine solche obstruktive Atemwegserkrankung zu erleiden. Maßgeblich ist also die Frage der (Mit-) Ursächlichkeit im Sinne der Wesentlichkeit.
Nicht beweisbar ist die Auffassung des Beratungsarztes Dr. W., dass die Kühlschmiermittel-Exposition für die Entstehung der obstruktiven Atemwegserkrankung in keiner Weise ursächlich war, auch nicht im Sinne der Conditiosinequanon, denn die hierfür erforderliche Auffassung des Dr. W., dass die obstruktive Atemwegserkrankung auch ohne die Exposition mit Kühlschmiermitteln allein als Folge der Nebenhöhleninfektion auf jeden Fall eingetreten wäre, ist nicht zu beweisen und wird von keinem der unabhängigen Sachverständigen vertreten.
Die Kühlschmiermittelexposition stellte also neben der Nebenhöhleninfektion eine Teilursache für die Entstehung der obstruktiven Atemwegserkrankung dar. Diese Teilursache war auch wesentlich. Denn auch wenn die Nebenhöhleninfektion als weitere, möglicherweise außerberuflich verursachte Konkurrenzursache mit beigetragen hat, wäre dadurch die Kühlschmiermittelexposition als wesentliche Teilursache nur dann ausgeschlossen, wenn der Nebenhöhleninfektion ein ganz überragendes Gewicht bei der Entstehung der obstruktiven Atemwegserkrankung zukäme. Dies wird jedoch lediglich vom Beratungsarzt Dr. W. und im Übrigen von keinem der drei für die Beurteilung der obstruktiven Atemwegserkrankung zuständigen Gerichtsgutachter vertreten. Das Gericht schließt sich hier der überzeugenden Auffassung seiner Gutachter an, die im Übrigen alle drei anerkannte Kapazitäten auf ihren Fachgebieten sind.
Ohne Bedeutung ist dabei letztlich die Frage, ob die Nebenhöhleninfektion ihrerseits selbst durch die Kühlschmiermittelexposition entstanden ist (was der HNO-ärztliche Sachverständige PD Dr. K. bejaht) und falls ja, ob insoweit eine Verursachung auf allergischem Wege (im Sinne der BK Nr. 4301) oder auf chemischirritativ oder toxischem Wege (im Sinne der BK Nr. 4302) erfolgte. Denn der für die Entstehung der obstruktiven Atemwegserkrankung im Sinne der BK Nr. 4302 erforderliche Verursachungsbeitrag durch chemischirritativ oder toxisch wirkende Stoffe wurde auf jeden Fall unmittelbar durch die Kühlschmiermittelexposition gesetzt. Die Nebenhöhleninfektion war demgegenüber lediglich eine Konkurrenzursache, die ebenfalls wesentlich war, jedoch nicht von so überragender Bedeutung, dass die Kühlschmiermittelexposition als Ursache unwesentlich wäre. Dabei stellt eine Konkurrenzursache per se eine Ursache aus dem nicht versicherten Lebensbereich dar, so dass es nicht darauf ankommt, worauf die Konkurrenzursache im Einzelnen zurückzuführen ist. Die BK 4302 kann auch dann vorliegen, wenn die obstruktive Atemwegserkrankung zwar durch chemischirritativ oder toxisch wirkende Kühlschmierstoffe hervorgerufen wurde, das Ausmaß der Exposition mit Kühlschmierstoffen jedoch nur deshalb ausreichend war, die obstruktive Atemwegserkrankung zu verursachen, weil rezidivierende Nebenhöhlenentzündungen als Schadensanlagen vorhanden und bei der Entstehung der obstruktiven Atemwegserkrankung mitgewirkt haben. Sowohl die Kühlschmiermittelexposition als auch die Nebenhöhlenentzündungen stellen jeweils für sich genommen wesentliche Teilursachen dar. Die Exposition mit Kühlschmiermitteln wäre als Teilursache nur dann unwesentlich, wenn die konkurrierende Teilursache der Nebenhöhlenentzündungen von überragender Bedeutung wäre. Dies würde die Feststellung voraussetzen, dass die obstruktive Atemwegserkrankung allein aufgrund der Nebenhöhlenentzündungen und ohne die gleichzeitig wirkende Kühlschmiermittelexposition etwa zur selben Zeit entstanden wäre. Eine solche Feststellung ist jedoch im vorliegenden Fall nicht möglich.
Die für die Feststellung der Berufskrankheit Nr. 4302 bestehende Voraussetzung, dass die obstruktive Atemwegserkrankung zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen hat, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können, lag spätestens ab dem 01.10.2005 vor, nachdem der Kläger seine Tätigkeit bei der Firma S. H. in W-Stadt zum 30.09.2005 aufgegeben hatte. Jedenfalls ab diesem Zeitpunkt lag nach Auffassung aller Sachverständigen die Unterlassung jeglicher gefährdender Tätigkeiten vor, zumal der Kläger seit diesem Zeitpunkt jegliche Berufstätigkeit aufgegeben hat. Im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits, in dem nach der Antragstellung im Berufungsverfahren nicht mehr über die Höhe und den Beginn der Verletztenrente zu entscheiden ist, kann offen bleiben, ob der Versicherungsfall bereits mit Aufgabe aller schädigenden Tätigkeiten bei der Firma K. im Mai 1990 (so die Auffassung des Sachverständigen Dr. H.) oder nach Beendigung der Tätigkeit bei der Firma H. im Sommer 1991 (so der Sachverständige Prof. Dr. S.) eingetreten war. Neben der tatsächlichen Aufgabe der gefährdenden Tätigkeiten lag auch ein objektiver Zwang vor, den Kontakt mit Kühlschmierstoffen einzustellen, um die Verschlimmerung der obstruktiven Atemwegserkrankung zu verhindern.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

BAföG – das Bundesausbildungsförderungsgesetz einfach erklärt

Das Bundesausbildungsförderungsgesetz, kurz BAföG, sorgt seit über 50 Jahren für finanzielle Entlastung bei Studium und Ausbildung. Der folgende Artikel erläutert, wer Anspruch auf diese wichtige Förderung hat, wovon ihre Höhe abhängt und welche Besonderheiten es bei Studium und Ausbildung gibt.
Mehr lesen

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen