Sozialrecht

Zeitlich unbegrenzt förderfähiges integriertes Auslandsstudiums

Aktenzeichen  12 BV 18.357

Datum:
25.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 31397
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BAföG § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, § 16 Abs. 3

 

Leitsatz

Die Voraussetzungen für die Leistung von Ausbildungsförderung nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BAföG für ein Auslandsstudium, bei dem nach der konzeptionellen Ausgestaltung aufeinander bezogene Studienabschnitte im In- und Ausland zu einem einheitlichen Studiengang verklammert sind, bedürfen nach der gesetzgeberischen Intention, die Internationalisierung der Ausbildungsförderung zu stärken, einer weiten Auslegung. Gefördert werden kann danach auch die Teilnahme an einem sog. Doppelabschlussprogramm, bei dem der Student im Rahmen eines Masterstudiengangs sowohl einen inländischen wie einen ausländsichen Mastergrad erwirbt und ihm dabei die im Ausland erbrachten Studienleistungen aufgrund einer inzwischen den beteiligten Universitäten bestehenden Vereinbarung jedenfalls teilweise im Inland anerkannt werden. (Rn. 34 und 35)

Verfahrensgang

B 3 K 17.317 2017-11-27 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Die Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.
II. Das beklagte Studentenwerk trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Senat kann über die Berufung des Beklagten nach §§ 125 Abs. 1 Satz 1, 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da alle Verfahrensbeteiligten hiermit ihr Einverständnis erklärt haben.
Die zulässige Berufung ist unbegründet, da das Verwaltungsgericht der Klage auf Ausbildungsförderungsleistungen für das Studium des Klägers an der University of Queensland in Brisbane, Australien, für den Zeitraum März 2015 bis Dezember 2015 zu Recht stattgegeben hat. Zu Gunsten des Klägers greift § 16 Abs. 3 BAföG ein, wonach im Falle des Vorliegens der Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BAföG Ausbildungsförderung ohne die zeitliche Beschränkung des § 16 Abs. 1 Satz 1 BAföG geleistet wird. Entgegen der Auffassung des beklagten Studentenwerks erfüllt das im Rahmen des Doppelabschlussprogramms der Technischen Universität München und der University of Queensland in Brisbane, Australien, vom Kläger absolvierte Masterstudium die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BAföG. Danach wird Ausbildungsförderung für einen Auszubildenden, der seinen ständigen Wohnsitz im Inland hat, für den Besuch einer im Ausland gelegenen Ausbildungsstätte geleistet, wenn im Rahmen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit einer deutschen und mindestens einer ausländischen Ausbildungsstätte die aufeinander aufbauenden Lehrveranstaltungen einer einheitlichen Ausbildung abwechselnd von den beteiligten deutschen und ausländischen Ausbildungsstätten angeboten werden.
1. Dass eingedenk der Kooperationsvereinbarung vom 9. Juli 2012 „Addendum five to the memorandum of understanding for academic cooperation between the University of Queensland through the Faculty of Engineering, Architecture and Information Technology and Technische Universität München through the Faculty of Electrical Engineering and Information Technology concerning linked degree program” (VG-Akte Bl. 29 ff.) eine über eine lose Verbindung von Hochschulprofessoren hinausgehende institutionalisierte grenzüberschreitende Zusammenarbeit einer deutschen und einer ausländischen Ausbildungsstätte vorliegt, bedarf keiner weiteren Prüfung und ist offensichtlich. Ebenso werden im Rahmen des streitbefangenen Doppelabschlussprogramms Lehrveranstaltungen abwechselnd an der deutschen und der ausländischen Ausbildungsstätte angeboten.
2. Darüber hinaus beinhaltet das Doppelabschlussprogramm – in der Kooperationsvereinbarung als „linked degree program“ (Programm mit verbundenen Studienabschlüssen) bezeichnet – entgegen der Auffassung des Studentenwerks auch aufeinander aufbauende Lehrveranstaltungen einer einheitlichen Ausbildung.
2.1 Soweit das Verwaltungsgericht diese Tatbestandsvoraussetzung einer förderfähigen „integrierten Ausbildung“ unter Bezugnahme auf die Gesetzgebungshistorie weit ausgelegt hat, ist dies nicht zu beanstanden.
Denn eingeführt wurde § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BAföG durch das Gesetz zur Reform und Verbesserung der Ausbildungsförderung – Ausbildungsförderungsreformgesetz (AföRG vom 19.3.2001, BGBl I, S. 390). Die Vorgängerversion der Bestimmung sah eine Förderung eines Auslandsstudiums im Rahmen sog. „integrierter Studiengänge“ nicht vor. Grundgedanke des Reformgesetzes bildete eine „Internationalisierung der Förderung“ (BT-Drucks. 14/4731, S. 1) bzw. eine „erhebliche Ausweitung der Auslandsförderung“ (a.a.O., S. 2). Dem Vorschlag des Bundesrates im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens, in die Förderung nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BAföG weitergehend auch Studiengänge einzubeziehen, die vollständig im Ausland, jedoch aufgrund entsprechender Kooperationsvereinbarungen zum Teil durch deutsches Lehrpersonal durchgeführt werden (vgl. BT-Drucks. 14/4731 S. 47) trat die Bundesregierung mit einer entsprechenden Gegenäußerung entgegen. Demzufolge (vgl. BT-Drucks. 14/4731, S. 50) beabsichtigte der Gesetzentwurf nicht, die „Förderung von Vollstudien im Ausland“ zu ermöglichen. Angesichts der großzügigen Erweiterung der Auslandsförderung in der Europäischen Union werde ausdrücklich an der Notwendigkeit einer einjährigen Startphase im Inland festgehalten. Von diesem Grundsatz werde im Rahmen der vorliegend maßgeblichen Regelung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BAföG jedoch „bei grenzüberschreitenden Kooperationen von Bildungseinrichtungen zugunsten der Studierenden abgewichen und die Förderung auch dann ermöglicht, wenn beispielsweise ein Bachelor-Studium, das Teil einer einheitlichen (konsekutiven) BA-/MA-Ausbildung ist, vollständig im Ausland durchgeführt wird und lediglich der postgraduale Teil der Ausbildung im Inland zu absolvieren ist. Für eine weitergehende Förderung von Bildungsgängen, die in gemeinsamer Verantwortung von deutschen und ausländischen Ausbildungsstätten angeboten werden, besteht kein Anlass. Entscheidend für die Förderungsfähigkeit binationaler Kooperationen ist die konzeptionelle Ausgestaltung der aufeinander bezogenen Studienabschnitte zu einem einheitlichen Studiengang, nicht schon die bloße Einbeziehung deutschen Hochschulpersonals.“
2.2 Die „konzeptionelle Ausgestaltung der aufeinander bezogenen Studienabschnitte zu einem einheitlichen Studiengang“ liegt – auch verglichen mit der in der Gesetzesbegründung angesprochenen konsekutiven BA-/MA-Ausbildung, bei der ein Studienteil komplett im Ausland absolviert wird (vgl. hierzu Schepers in Rothe/Blanke, Bundesausbildungsförderungsgesetz, Stand März 2015, § 5 Rn. 12; kritisch Pesch in Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 6. Aufl. 2016, § 5 Rn. 17) – mit der Regelung in Ziffer 2 der Kooperationsvereinbarung – „TUM pathway of the Linked Degree Program“ – vor. Danach beinhaltet das Programm einen insgesamt 12-semestrigen Studiengang, in dessen Rahmen nach 6 Semestern an der TU München der „Bachelor of Science in EI“, im Rahmen des Studiums in Australien zunächst der „Integrated Bachelor of Engineering“ sowie zusätzlich der „Master of Engineering“ und nach dem 12. Semester an der TU München der „Master of Science in EI“ erworben werden. Wenn Ziffer 4 der Kooperationsvereinbarung „Structure of the Linked Degree Program“ für die sukzessive zu absolvierenden Studienabschlüsse keine konkreten inhaltlichen Vorgaben macht, sondern nur darauf abstellt, dass die „necessary requirements“ erfolgreich absolviert sind, d.h. insoweit auf die jeweiligen Prüfungsvoraussetzungen der TU München und der University of Queensland verweist, vermag dies gleichwohl das Vorliegen „aufeinander bezogener Studienabschnitte“ sowie deren Verklammerung zu einem „einheitlichen Studiengang“ nicht in Frage zu stellen. Dass hierfür stets konkrete inhaltliche Vorgaben bestehen müssen, idealerweise in Form einer gemeinsamen Studienordnung, wie es dem beklagten Studentenwerk offensichtlich vorschwebt, lässt sich weder dem Normtext des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BAföG noch den maßgeblichen Gesetzesmaterialien entnehmen. Ausgehend von der Grundintention des Gesetzes, nämlich der „Internationalisierung der Förderung“, muss daher – wie das Verwaltungsgericht zu Recht annimmt – die Aufeinanderbezogenheit der Studienabschnitte im Rahmen eines einheitlichen Studiengangs weit begriffen werden. Nicht hierunter fallen daher allenfalls lose Kooperationsvereinbarungen zwischen einzelnen Hochschullehrern verschiedener Universitäten, wie sie im vorliegenden Fall gerade nicht gegeben sind.
2.3 Im Übrigen würde eine durchgängige Förderung des Klägers nach der Struktur des Doppelabschlussprogramms auch keine, vom Gesetzgeber nach der Gesetzesbegründung nicht beabsichtigte, „Förderung eines Vollstudiums im Ausland“ darstellen, wie das beklagte Studentenwerk ebenfalls anführt. Denn gefördert würde in diesem Fall kein eigenständiges Masterstudium des Klägers an der University of Queensland in Australien, sondern allein das in das Gesamtkonzept eines 12-semestrigen Studiums eingebettete, teilweise in Australien absolvierte Masterstudium, durch das der Kläger zugleich mehrere akademische Abschlüsse erwirbt, mithin gerade ein „integriertes“ Auslandsstudium.
2.4 Die Auffassung des Beklagten, wonach das Doppelabschlussprogramm die Anforderungen des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BAföG nicht erfüllt, beachtet ferner die verschiedenen Möglichkeiten zur Ausgestaltung eines „integrierten Auslandsstudiums“ nicht.
Ausweislich des Internetauftritts der TU München (https://www.international.tum.de/ auslandsaufenthalte/studium/double-degree-programme/) werden im Rahmen eines Double-Degree-Programms „die Fächerbelegung für beide Hochschulen aufeinander abgestimmt und Kurse gegenseitig angerechnet. Sie stellen daher keine gesonderten Studiengänge dar, sondern verknüpfen die Einzelstudiengänge der jeweiligen Partnerhochschulen. Dies unterscheidet sie von Joint Degree Programmen, bei denen ein Studiengang von zwei Universitäten gemeinsam angeboten wird und nur ein gemeinsamer Abschluss vergeben wird.“
Wenn das beklagte Studentenwerk im vorliegenden Fall § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BAföG deswegen nicht als erfüllt ansieht, weil keine gemeinsame Studienordnung besteht, die im Rahmen der jeweiligen Studienabschnitte konkret an den jeweiligen Universitäten zu belegenden Module nicht vorgegeben sind, dem Kläger nur 59 von insgesamt 120 ECTS an der TU München angerechnet wurden und er daher zwei Semester in Brisbane augenscheinlich nur „australienspezifische“ Inhalte für den Erwerb des australischen Mastergrades studiert hat, reduziert es das „integrierte Studium“ allein auf den Typus eines „Joint Degree Programms“, das im Rahmen der Kooperation zwischen der TU München und der University of Queensland gerade nicht vorliegt. Beinhaltet ein Auslandsstudienprogramm dagegen, wie im vorliegenden Fall, den Erwerb zweier unterschiedlicher Mastergrade mit unterschiedlichen Anforderungen, liegt es auf der Hand, dass der Auszubildende im Ausland auch Studienleistungen erbringen muss, die im Inland für den Erwerb des Mastergrades nicht erforderlich sind, ebenso wie umgekehrt das inländische Studium Inhalte aufweist, die für den australischen Mastergrad nicht erforderlich sind. Die Integration der Studiengänge im In- und Ausland erfolgt in diesem Fall neben den Vorgaben für den zeitlichen Ablauf in erster Linie durch die wechselseitige Anerkennung der sich überschneidenden Studienleistungen, wie dies auch beim Kläger der Fall war.
Anhaltspunkte dafür, dass Auslandsstudien in Form von „Double-Degree-Programmen“ vom Anwendungsbereich des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BAföG ausgenommen sein sollen bzw. die Norm nur „Joint Degree Programme“ erfasst, lassen sich weder dem Normtext noch der Gesetzgebungshistorie entnehmen. Vielmehr gebietet im Rahmen teleologischer Auslegung die vom Gesetzgeber beabsichtigte „Internationalisierung der Förderung“ bzw. die „erhebliche Ausweitung der Auslandsförderung“ gerade die Einbeziehung auch der Doppelabschlussprogramme zu den zeitlich unbeschränkt förderfähigen integrierten Auslandsstudiengängen. Das Vorliegen eines integrierten Studiums im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BAföG wird dabei durch den Erwerb zweier universitärer Abschlüssen im Rahmen eines Auslandsstudienprogramms indiziert (so OVG Koblenz, U.v. 19.4.2007 – 7 A 11510/06 – BeckRS 2007, 223452).
Dem Ziel einer „Internationalisierung der Förderung“ wird auch der Verweis des Studentenwerks auf die Möglichkeit einer einjährigen Förderung eines Studiums im außereuropäischen Ausland nach § 16 Abs. 1 Satz 1 BAföG nicht gerecht. Denn Auslandsstudienprogramme, die wie das vorliegende auf einen Zeitraum von mehr als einem Jahr angelegt sind, würden infolge fehlender Anschlussfinanzierung an Attraktivität verlieren und bedürftige Studenten von der Teilhabe ausschließen. Liegt daher eine entsprechende Abstimmung der Studienabschnitte und deren Verknüpfung zu einer einheitlichen Ausbildung vor, unterfallen auch sog. Doppelabschlussprogramme, die ein viersemestriges Auslandsstudium beinhalten, § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BAfÖG. Sie sind daher nach § 16 Abs. 3 Satz 1 BAföG zeitlich unbefristet zu fördern.
Die Berufung des beklagten Studentenwerks war daher als unbegründet zurückzuweisen.
3. Das beklagte Studentenwerk trägt nach § 154 Abs. 2 VwGO die Kosten des Berufungsverfahrens. Gerichtskosten werden in Angelegenheiten des Ausbildungsförderungsrechts nach § 188 Satz 2, 1 VwGO nicht erhoben. Gründe im Sinne von § 132 Abs. 2 VwGO, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

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