Sozialrecht

Zulassung der Berufung wegen Verfahrensmangels

Aktenzeichen  L 11 AS 175/17 NZB

Datum:
3.4.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 110917
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG § 136 Abs. 1 Nr. 6

 

Leitsatz

Einem sozialgerichtlichen Urteil fehlen die Entscheidungsgründe iSd § 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG auch dann, wenn das Gericht auf den vorliegenden Sachverhalt überhaupt nicht eingegangen ist.(Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 13 AS 1149/15 2017-01-18 Endurteil SGNUERNBERG SG Nürnberg

Tenor

I.
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 18. Januar 2017- 13 AS 1149/15 – wird zugelassen.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde wird als Berufung fortgeführt.

Gründe

I.
Streitig ist die Erstattung zweimal überwiesener Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II – Alg II -) gemäß dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Der Beklagte hat dem Kläger entgegen den Angaben seines Betreuers mit Bescheid vom 18.11.2014 bewilligtes Alg II auf ein Konto bei der Postbank überwiesen. Dies hat der Betreuer mit Schreiben vom 04.12.2014 moniert, das Geld sei auf das bisher bekannte Konto (bei der …) zu überweisen. Mit Schreiben vom 05.12.2014 hat der Beklagte mitgeteilt, Alg II sei auf das falsche Konto überwiesen worden und werde nochmals auf das zutreffende Konto bei der … überwiesen.
Zunächst ohne Anhörung hat der Beklagte mit Bescheid vom 18.06.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.09.2015 (Kläger bekanntgegeben am 23.06.2015) den auf die … überwiesenen Betrag zurückgefordert. Er sei ohne Verwaltungsakt geleistet worden. Dies hätte dem Betreuer bewusst sein müssen. Daher sei eine Rücknahme entsprechend § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) möglich.
Hiergegen hat sich die Klägerbevollmächtigte an das Sozialgericht Nürnberg (SG) gewandt. Der Kläger begehre die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und werde „nach Bewilligung der Prozesskostenhilfe“ „nachfolgende Anträge“ stellen. Den Fragebogen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen hat die Bevollmächtigte des Klägers am 04.11.2015 übersandt. Am 22.02.2016 hat die Bevollmächtigte des Klägers mitgeteilt, die Klage sei zulässig. Die Klageschrift habe deutlich gezeigt, dass eine gerichtliche Überprüfung eines Verwaltungsaktes begehrt werde. Der Beklagte hat die fehlende Zulässigkeit der Klage wegen bedingter Klageerhebung gerügt. Das Sozialgericht hat in der mündlichen Verhandlung vom 18.01.2017 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt. Daraufhin hat die Bevollmächtigte des Klägers beantragt, den Bescheid vom 18.06.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.09.2015 „aufzugeben“. Mit Urteil vom 18.01.2017 hat das Sozialgericht diesem Antrag stattgegeben. Es handle sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit. Die Erstattungsforderung des auf die Postbank überwiesenen Betrages sei rechtswidrig. Der Kläger als Betreuter sei nicht bösgläubig gewesen. Die Berufung hat das SG nicht zugelassen.
Dagegen hat der Beklagte Nichtzulassungsbeschwerde zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) erhoben und sowohl den Erlass eines Sachurteils als auch die fehlende Begründung hinsichtlich des zutreffenden Sachverhaltes gerügt.
II.
Vorliegend ist die Berufung wegen wesentlicher Verfahrensmängel zuzulassen. Der Beklagte hat sowohl den Erlass eines Sachurteils anstelle eines Prozessurteils und eine fehlende Amtsermittlung hinsichtlich der tatsächlich erfolgten Rückforderung der zweiten Zahlung des bewilligten Alg II auf das Konto bei der … gerügt. Sowohl der Erlass eines Sachurteiles anstelle eine Prozessurteiles wie auch das Fehlen von Urteilsgründen stellen einen wesentlichen Verfahrensmangel dar (vgl. hierzu Leitherer in Meyer-Ladwig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 144 Rn. 34). Das SG ist ohne Prüfung der Rechtslage von einer Zulässigkeit der seiner Meinung nach am 15.10.2015 erhobenen Klage ausgegangen, obwohl diese nur bedingt erhoben worden war bzw. obwohl hier nach der Bewilligung gegebenenfalls über eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auf Antrag des Klägers – auch dieser fehlt – hätte entschieden werden müssen (vgl. hierzu Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 09.08.2016 – L 6 KR 137/16 B -, Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, vom 26.01.2010 – L 5 AS 1949/09 B -, Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27.05.2009 – L 19 B 217/08 AS – und BSG, Beschluss vom 13.04.1981 – 11 BA 46/81 – alle veröffentlicht in juris). Dabei war zu berücksichtigen, dass in dem am 15.10.2015 beim SG eingegangen Schriftsatz zunächst die Bewilligung von Prozesskostenhilfe begehrt wurde und ausdrücklich erst nach der Bewilligung von Prozesskostenhilfe Anträge angekündigt worden sind. Die nachfolgende Begründung in diesem Schriftsatz stellt eine Begründung der Erfolgsaussicht für den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe dar, jedenfalls aber keine eigenständige, unabhängig von der der Bewilligung von Prozesskostenhilfe erhobene Klage. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Fragebogen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Klägers erst nach Ablauf der Klagefrist am 04.11.2015 übersandt worden ist. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist erst in der mündlichen Verhandlung erfolgt. Hiernach hat die Bevollmächtigte des Klägers ihre Anträge gestellt. Unabhängig von der Frage, ob vorliegend ein Prozessurteil hätte ergehen müssen, fehlt es dem Urteil des SG an Entscheidungsgründen (§ 136 Abs. 1 Nr. 6 Sozialgerichtsgesetz – SGG -). Das SG ist auf den vorliegenden Sachverhalt überhaupt nicht eingegangen. Es hat eine Erstattung der ersten Zahlung auf das Konto der Postbank geprüft. Vorliegend ist jedoch streitig eine Erstattung der zweiten Zahlung auf das Konto der … Dabei hat das SG auch nicht das Schreiben des Betreuers des Klägers vom 04.12.2014 berücksichtigt, im Rahmen dessen er die Überweisung auf ein falsches Konto moniert. Dieses Schreiben könnte sich gegebenenfalls als Widerspruch darstellen, dem mit Schreiben vom 05.12.2014 – gegebenenfalls in Form eines Änderungsbescheides – vom Beklagten stattgegeben worden sein könnte. Auch die zutreffende Bekanntgabe des Bescheides vom 18.06.2015 ist fraglich. All dies hat das SG nicht geprüft, es ist von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen.
Nach alledem war die Berufung zuzulassen.
Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, denn hierüber ist im Rahmen des Berufungsverfahrens zu entscheiden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

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