Aktenzeichen L 6 R 724/16
SGG § 193
Leitsatz
1. Zur Frage der Erstattung außergerichtlicher Kosten bei unstreitiger Erledigung eines auf Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht gerichteten Verfahrens einer angestellten Rechtsanwältin aufgrund einer während des Verfahrens erteilten rückwirkenden Befreiung nach der neu geschaffenen Vorschrift des § 231 Abs. 4b SGB VI. (Rn. 6 – 9)
2. Eine zumindest teilweise Erstattung außergerichtlicher Kosten in Verfahren auf Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht aufgrund einer Tätigkeit Syndikusanwalt/Syndikusanwältin kommt auch dann in Betracht, wenn die Berufung nach der bis 31.12.2015 geltenden Rechtslage aufgrund der Rechtsprechung des Bundessozialgericht vom 03.04.2014 (u.a. B 5 RE 3/14 R) als unbegründet hätte zurückgewiesen werden müssen. (Rn. 6 – 9)
Verfahrensgang
S 27 R 1998/10 2012-06-29 Bes SGMUENCHEN SG München
Tenor
Die Beklagte hat der Klägerin die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Gründe
I.
Zwischen den Beteiligten war streitig, ob der Klägerin für die ab dem 01.04.2010 als Angestellte der F. GmbH ausgeübte Tätigkeit als Rechtsanwältin ein Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zugestanden hat.
Die Klägerin, Mitglied der Rechtsanwaltskammer und Pflichtmitglied der bayerischen Versorgungskammer, war mit Bescheid der Beklagten vom 26.08.2009 für eine Tätigkeit als Syndikusanwältin beim Klinikum der Universität A-Stadt nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit worden. Zum 01.04.2010 wechselte die Klägerin zur F. GmbH und beantragte auch für diese Tätigkeit eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht, welche von der Beklagten mit Bescheid vom 26.05.2010 und Widerspruchsbescheid vom 19.08.2010 abgelehnt wurde. Die Tätigkeit müsse vier Kriterien (Rechtsberatung, Rechtsentscheidung, Rechtsgestaltung sowie Rechtsvermittlung) erfüllen um zu einer Befreiung führen zu können. Zwar ließen sich vorliegend die Tätigkeitsfelder der Klägerin formal diesen vier Kriterien zuordnen, im Wege einer Gesamtschau sei jedoch von einer nicht anwaltlichen Tätigkeit auszugehen. Entsprechend der Stellen- und Funktionsbeschreibung sei die Ausbildung zur Volljuristin keine unabdingbare Voraussetzung der Stellenbeschreibung gewesen.
Der hiergegen erhobenen Klage gab das Sozialgericht München (SG) mit Gerichtsbescheid vom 29.06.2012 statt und verurteilte die Beklagte unter Aufhebung der angegriffenen Bescheide, die Klägerin für ihre Tätigkeit bei der F. GmbH von der Rentenversicherungspflicht zu befreien. Die Klägerin sei als Rechtsanwältin zugelassen, Mitglied der Rechtsanwaltskammer und des berufsbezogenen Versorgungswerks. Die Ermittlungen, insbesondere die in der mündlichen Verhandlung durchgeführte Zeugeneinvernahme, hätten ergeben, dass die Tätigkeit der Klägerin die vier genannten Kriterien erfülle. Das formale Abstellen auf die – extern verfasste und zwischenzeitlich überholte – Stellenbeschreibung sei nicht nachvollziehbar.
Gegen diese Entscheidung legte die Beklagte am 24.07.2012 Berufung beim Bayer. Landessozialgericht ein. Im Hinblick auf mehrere zur streitgegenständlichen Frage anhängige Revisionen wurde das Verfahren ruhend gestellt. Nachdem der 5. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) mit Urteilen jeweils vom 03.04.2014 festgestellt hatte, dass es auf die Prüfung der genannten vier Kriterien nicht ankomme, da eine Befreiung in Fällen wie dem vorliegenden grundsätzlich ausscheide, wurde das Verfahren fortgesetzt und in der Folge im Hinblick auf das sich abzeichnende Tätigwerden des Gesetzgebers zur Änderung der entsprechenden Vorschriften (§§ 46a ff BRAO, § 231 Abs. 4a ff. SGB VI) erneut ruhend gestellt. Zum 01.01.2016 wurde die gesetzliche Möglichkeit der Zulassung als Syndikusrechtsanwalt und einer darauf gestützten Befreiung von der Rentenversicherungspflicht geschaffen. Daraufhin stellte die Klägerin am 21.03.2016 – auch bezüglich der zwischenzeitlich beendeten Tätigkeit für die F. GmbH – einen erneuten Befreiungsantrag bei der Beklagten. Nachdem die Klägerin mit Bescheid der Rechtsanwaltskammer A-Stadt vom 11.10.2016 als Syndikusanwältin zugelassen worden war, befreite sie die Beklagten mit Bescheid vom 29.03.2016 für ihre Tätigkeit bei der F. GmbH rückwirkend von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht. Im dem – nach erneuter Fortsetzung des Verfahrens – anberaumten Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage erklärten die Beteiligten am 25.04.2017 den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt und stellten Antrag auf Kostenentscheidung durch das Gericht.
II.
Nach § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG hat das Gericht im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Nach Satz 3 entscheidet das Gericht auf Antrag durch Beschluss, wenn das Verfahren anders beendet wurde. Ein solcher Fall liegt hier vor, da das Verfahren in der Hauptsache durch übereinstimmende Erledigungserklärung beendet wurde, die Klägerin zu den nach § 183 SGG kostenprivilegierten Personen zählt und die Beteiligten Antrag auf gerichtliche Kostenentscheidung gestellt haben. Die Entscheidung ergeht aufgrund der unstreitigen Erledigung der Hauptsache gem. § 155 Abs. 2 Nr. 5 SGG durch den Vorsitzenden als Berichterstatter.
Die Entscheidung ist nach billigem Ermessen zu treffen und hat den bisherigen Sach- und Streitstand zu berücksichtigen. Dabei sind zum einen die Erfolgsaussichten der Klage, zum anderen die Gründe für die Klageerhebung und die Erledigung zu betrachten. Das voraussichtliche Maß des Obsiegens bzw. Unterliegens ist hierbei jedoch nicht das allein wesentliche Entscheidungskriterium, es sind auch alle weiteren Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. So kann eine Rolle spielen, worauf der Anlass zur Klageerhebung beruht hat, insbesondere ob er durch eine falsche Begründung eines Verwaltungsaktes oder durch eine sonstige falsche Sachbehandlung gesetzt wurde, auch wenn der Kläger letztlich mit seinem Begehren nicht durchgedrungen ist (Meyer-Ladewig, SGG, 12. Auflage 2017, Rn. 13ff. zu § 193; BSG, Urteil vom 20.06.1962, Az.: 1 RA 66/59; BSG, Urteil vom 30.08.2001, Az.: B 4 RA 87/00 R; BSG, Urteil vom 18.07.1989, Az.: 10 RKg 22/88).
Unter Berücksichtigung dieser Prämissen ist zunächst festzustellen, dass die Berufung der Beklagten ohne die zum 01.01.2016 vorgenommene Änderung der Rechtslage (Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte und zur Änderung der Finanzgerichtsordnung vom 21. Dezember 2015, BGBl. I 2015, 2517) voraussichtlich Erfolg gehabt hätte. Die während des Berufungsverfahrens ergangene Rechtsprechung des BSG (Urteile vom 03.04.2014, Az.: B 5 RE 3/14 R u.a.), welche der von der Beklagten vorgenommenen sog. „4-Kriterien-Prüfung“ eine Absage erteilte und eine Befreiungsmöglichkeit für eine anwaltliche Tätigkeit bei nicht anwaltlichen Arbeitgebern generell ausgeschlossen hat, hätte es notwendig gemacht, das Urteil des SG aufzuheben und der Berufung der Beklagten stattzugeben.
Andererseits ist zur Überzeugung des Senats jedoch zu berücksichtigen, dass zum einen bis zum Vorliegen der Entscheidungen des BSG die Prüfung der von der Beklagten zugrunde gelegten vier Kriterien als zumindest ergebnisoffen anzusehen war und das SG der Klage stattgegeben hatte. Zum anderen spricht für eine zumindest anteilige Kostenerstattungspflicht der Beklagten der Umstand, dass sie durch eine unzutreffende Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes mitursächlich Veranlassung zur Klageerhebung gegeben hat. Mit der Darlegung, ein Befreiungsrecht bei Ausübung einer Tätigkeit bei einem nicht anwaltlichen Arbeitgeber würde davon abhängen, dass die Beschäftigung die Tätigkeitsfelder Rechtsberatung, Rechtsentscheidung, Rechtsgestaltung und Rechtsvermittlung kumulativ abdeckt, hat die Beklagte ihrer Entscheidung einen rechtlich nicht begründbaren Beurteilungsspielraum zugrunde gelegt.
Denn nach den Urteilen des BSG vom 03.04.2014 ist ein Befreiungsrecht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI im Rahmen einer Beschäftigung bei einem nicht anwaltlichen Arbeitgeber per se ausgeschlossen, ohne dass es darauf ankommen würde, ob die in Frage stehende Beschäftigung inhaltlich Elemente der anwaltlichen Berufstätigkeit aufweist. Das BSG hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es für die von der Beklagten herangezogene 4-Kriterien-Theorie an einer Rechtsgrundlage fehlt (BSG, a.a.O.). Die falsche Begründung der Beklagten war damit – unbeschadet der Tatsache, dass auch bei zutreffender Begründung eine Befreiung hätte abgelehnt werden müssen – jedenfalls mitursächlich dafür, dass die Klägerin den Rechtsweg mit der zum damaligen Zeitpunkt nachvollziehbaren Argumentation beschritten hat, die Beklagte habe die ihrer Prüfung zugrunde gelegten Kriterien unzutreffend beurteilt.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.