Aktenzeichen 3 B 16.1262
VwGO § 125 Abs. 1
Leitsatz
1 Besteht zwischen dem Dienstunfallereignis und den gesundheitlichen Beschwerden des Klägers nicht der notwendige Kausalitätszusammenhang, auch nicht im Sinn einer wesentlich mitwirkenden Teilursache, ist ein Anspruch nicht anzuerkennen. (Rn. 18 – 21) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ist die akut verursachte Hörstörung schon bald nach dem schädigenden Ereignis wieder abgeklungen, lässt sich ein Kausalzusammenhang im Hinblick auf die aktuellen Beschwerden nicht schon allein aus der zeitlichen Abfolge von Wegeunfall und der dadurch akut verursachten Hörstörung ableiten. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 12 K 13.5585 2014-04-10 Urt VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die zulässige Berufung des Klägers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 125 Abs. 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO), ist unbegründet.
1. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die vom Verwaltungsgericht München abgewiesene Klage gegen Nr. 3 und 4 des Bescheids des Beklagten vom 25. Juni 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. November 2013. Der Kläger begehrt damit weiterhin zum einen den Fortfall der zeitlichen Einschränkung der Dauer des dienstunfallbedingten Heilbehandlungszeitraums auf sechs Tage, zum anderen die Anerkennung der körperlichen Schäden (Schallempfindungsschwerhörigkeit links und tinnitus aurium bei Zustand nach Lärmtrauma links) als Dienstunfallfolge.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem angefochtenen Urteil zu Recht abgewiesen, denn der Kläger hat weder Anspruch auf die begehrte Anerkennung der dargestellten Körperschäden als Folge des am 11. Januar 2013 erlittenen Wegeunfalls noch auf eine Ausweitung des Heilbehandlungszeitraums über den Krankenhausaufenthalt vom 11. bis 18. Januar 2013 hinaus.
2. Gemäß Art. 45 Abs. 1 Satz 1 BayBeamtVG wird einem Beamten, der einen Dienstunfall erlitten hat, Unfallfürsorge gewährt. Ein Anspruch auf Unfallfürsorgeleistungen setzt immer das Vorliegen eines Dienstunfalls im Sinne von Art. 46 BayBeamtVG voraus, d.h. ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares Ereignis, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist und einen Körperschaden verursacht hat. Im vorliegenden Fall ist unstreitig, dass der Kläger einen Wegeunfall (Art. 46 Abs. 2 Satz 1 BayBeamtVG) erlitten hat, als er am 11. Januar 2013 auf dem Nachhauseweg in einer Fußgängerunterführung von einem explodierenden Knallkörper überrascht wurde. Zwischen den Beteiligten ist ausschließlich strittig, ob dieses Ereignis als (zumindest) wesentliche Ursache kausal im Rechtssinn für die geltend gemachten Gesundheitsschäden ist. Dies verneint der Senat.
2.1. Für die Frage der kausalen Verknüpfung zwischen Unfallereignis und Körperschaden ist die von der Rechtsprechung entwickelte Theorie der wesentlichen Verursachung bzw. der zumindest wesentlich mitwirkenden Teilursache maßgeblich. Hiernach sind (mit-)ursächlich für einen eingetretenen Körperschaden nur solche Bedingungen im natürlich-logischen Sinn, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg bei natürlicher Betrachtungsweise zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (BVerwG, U.v. 25.2.2010 – 2 C 81.08 – juris Rn. 9). Als wesentliche Ursache kann auch ein Ereignis in Betracht kommen, das ein anlagebedingtes Leiden auslöst oder beschleunigt, wenn ihm im Verhältnis zu den anderen denkbaren Ursachen nach natürlicher Betrachtungsweise eine überragende oder zumindest annähernd gleichwertige Bedeutung für den Eintritt des Schadens zukommt (BVerwG, B.v. 7.5.1999 – 2 B 117.98 – juris Rn. 4). Umgekehrt ist das Unfallereignis dann nicht wesentliche Ursache für den Körperschaden, wenn das Ereignis von untergeordneter Bedeutung gewissermaßen der „letzte Tropfen“ war, der das „Fass zum Überlaufen“ brachte. Das Unfallereignis tritt dann im Verhältnis zu der schon gegebenen Bedingung (dem vorhandenen Leiden oder der Vorschädigung) derart zurück, dass die bereits gegebene Bedingung als allein maßgeblich anzusehen ist (BayVGH, B.v. 30.1.2018 – 3 ZB 15.148 – juris Rn. 5 m.w.N.).
Die kausale Verknüpfung zwischen Unfallereignis und weiterem Körperschaden muss zur Überzeugung des Gerichts vorliegen. Dies gilt auch für die sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs auf Anerkennung von Unfallfolgen. Der Beamte trägt die materielle Beweislast für seine Behauptung, die behauptete Schädigungsfolge sei wesentlich auf den Dienstunfall und nicht etwa auf eine anlagebedingte Konstitution zurückzuführen. Ein Anspruch ist nur dann anzuerkennen, wenn der erforderliche Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem Körperschaden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 4.4.2011 – 2 B 7.10 – juris Rn. 8; vgl. zuletzt BayVGH, U.v. 13.6.2018 – 3 B 14.802 – juris Rn. 29). Es besteht kein Grundsatz des Inhalts, dass die „überwiegende Wahrscheinlichkeit“ im Dienstunfallrecht als ausreichend angesehen werden kann (BVerwG, U.v. 22.10.1981 – 2 C 17.81 – juris Rn. 18).
2.2 Der Nachweis, dass die geltend gemachten Körperschäden wesentliche Folge des Dienstunfalls vom 11. Januar 2013 sind, ist vom Kläger nicht erbracht worden. Zwischen dem Dienstunfallereignis und den gesundheitlichen Beschwerden des Klägers, soweit sie (hinsichtlich der Schallempfindungsschwerhörigkeit und tinnitus aurium bei Zustand nach Lärmtrauma, jeweils links) einen Behandlungszeitraum von sechs Tagen nach dem Dienstunfall überschritten haben, besteht nicht der notwendige Kausalitätszusammenhang, auch nicht im Sinn einer wesentlich mitwirkenden Teilursache. Das steht zur Überzeugung des Gerichts aufgrund des gerichtlich eingeholten Hals-Nasen-Ohrenfachärztlichen Gutachtens von Prof. Dr. B. (i.F.: Sachverständiger) vom 27. Dezember 2017 fest, das letztlich das Gutachten von Dr. K. vom 3. Juli 2013, ergänzt durch Gutachten vom 31. Oktober 2013, bestätigt; die beiden letztgenannten Ausarbeitungen waren für das Verwaltungsgericht die maßgebliche Entscheidungsgrundlage. Das vom Senat eingeholte Gutachten vom 27. Dezember 2017 ist in sich stimmig, überzeugend und nachvollziehbar; auch die Klagepartei hat im Übrigen auf jegliche Auseinandersetzung mit dem Gutachten des Sachverständigen verzichtet.
Der Sachverständige Prof. Dr. B. hat zur Überzeugung des Senats in seinem Gutachten dargestellt, dass die (allenfalls) beginnende Schwerhörigkeit des Klägers nicht durch ein Knalltrauma erklärbar ist und damit nicht durch den Dienstunfall vom 11. Januar 2013 verursacht wurde, da mittlerweile praktisch keine Minderung der Hörfähigkeit mehr nachweisbar ist; ohne den Nachweis eines unfallbedingten Hörschadens kann aber auch ein subjektiv vorliegender Tinnitus aurium nicht kausal auf das Unfallgeschehen zurückgeführt werden. Diese sachverständige Einschätzung, auf die sich der Senat zur Begründung seiner Entscheidung in vollem Umfang bezieht, korreliert mit dem im Verwaltungsverfahren eingeholten und vom Verwaltungsgericht als maßgebliche Entscheidungsgrundlage herangezogenen Gutachten des Dr. K. vom 3. Juli 2013, ergänzt am 31. Oktober 2013. Das Verwaltungsgericht ist mithin zu Recht nicht den drei ärztlichen Stellungnahmen (Arztberichte der Dres. Wi. v. 6.8.2013, Wim. v. 12.8.2013 und Mö. v. 19.8.2013) gefolgt, die alle aus dem Zeitraum zwischen dem Erlass des Ausgangs- und des Widerspruchsbescheides stammen und eine Kausalität zumindest nahelegten.
Da sich der Kläger im Berufungsverfahren jeglicher Äußerung zum Inhalt des Sachverständigengutachtens vom 27. Dezember 2017 enthalten hat, kann der Senat lediglich auf diejenigen Argumente eingehen, die in der Berufungsbegründung vom 29. Juli 2016 vorgetragen werden, wobei sich der Kläger in erster Linie auf die Ergebnisse des Attests des Dr. S. vom 1. Juli 2014, der Beurteilung durch den Facharzt Dr. H. vom 8. Mai 2014 sowie des im Auftrag der ERGO Versicherungs AG durch Prof. Dr. Z. erstellten HNOärztlichen Gutachtens des Klinikums Augsburg vom 13. Oktober 2015 beruft. Mit den maßgeblichen Aussagen dieser drei Stellungnahmen beschäftigt sich das Sachverständigengutachten (S. 15 bis 18) ausführlich und widerlegt den zentralen Vorwurf des Klägers, es fehle an einer ausreichenden Auseinandersetzung mit den für eine Kausalität von Dienstunfall und Schadensfolge sprechenden Umständen.
Im Wesentlichen ergibt sich Folgendes: Ein Kausalzusammenhang im Hinblick auf die aktuellen Beschwerden lässt sich nicht schon allein aus der zeitlichen Abfolge von Wegeunfall und der dadurch akut verursachten Hörstörung ableiten, denn diese ist schon bald nach dem schädigenden Ereignis wieder abgeklungen. Es ist bereits fraglich, ob der verwendete Feuerwerkskörper in der konkreten Situation grundsätzlich überhaupt geeignet war, den geschilderten Hörschaden zu verursachen (Gutachten S. 29). Weiter konnte der Sachverständige nicht erklären, warum der Kläger von Anfang an in erster Linie über linksseitige Ohrbeschwerden geklagt hat und klagt, obwohl er angibt, von dem Explosionsgeräusch in der Unterführung in etwa mittig mit gerade nach vorn ausgerichtetem Kopf betroffen worden zu sein. Ein kausaler Zusammenhang zwischen der beim Kläger festgestellten Wirbelsäulendeformität (Skoliose) und der linksseitigen Hörstörung besteht „eher“ nicht, weil es an einem akuten Ereignis im Bereich der Halswirbelsäule zum Zeitpunkt der Explosion des Feuerwerkskörpers gefehlt hat (Gutachten S. 28, 29); ohnehin wäre dieser Ausschluss nicht geeignet, den Nachweis für die Ursache der geltend gemachten Gesundheitsbeeinträchtigung zu erbringen.
Das Gutachten des Sachverständigen kommt auf der Basis der vorgenommenen Anamnese (vgl. Gutachten S.19 – 21) und der durchgeführten audiologischen Diagnostik zu dem Ergebnis, dass „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ kein Innenohrschaden vorliegt, der aber als „pathophysiologisches Korrelat“ gegeben sein muss (Gutachten S. 25 f., 31, 34). Der Sachverständige bestätigt, dass die von ihm beim Kläger ermittelten Tonhörschwellen – entsprechend den von Dr. K. festgestellten – im Normbereich liegen und weder einen „Senkencharakter“ noch einen „Steilabfall“ erkennen lassen (Gutachten S. 26, 27). Üblicherweise führt ein Knalltrauma zwar zu einer „Senkenbildung“, die aber im vorliegenden Fall weder von Dr. K. noch vom Sachverständigen bei den von ihnen erstellten Tonschwellenaudiogrammen festgestellt werden konnte. Jedoch hält es der Sachverständige für zutreffend, dass für das Bestehen eines chronischen Tinnitus „keine nachweisbare Hochtonsenke gefordert“ wird, auch wenn sie bei dem vorliegenden Erkrankungsbild zu erwarten gewesen wäre. Bereits bis zum Gutachten durch Dr. K. vom 3. Juli 2013 hatte sich die unmittelbar nach dem Unfall vorgelegene beidseitige Schallempfindungsschwerhörigkeit normalisiert; aktuell ist von einem „beidseits komplett regelrechten peripheren Hörvermögen“ (Gutachten S. 27) auszugehen. Auch die vom Kläger geltend gemachte beidseitige Hyperakusis (Überempfindlichkeit gegen Schall) ist nicht durch audiometrische Messverfahren objektivierbar und daher HNOärztlich nicht nachvollziehbar (Gutachten S. 32).
Vor dem Hintergrund dieser Befunde erscheint eine kausale Herbeiführung der geltend gemachten Gehörbeschwerden durch die Explosion des Knallkörpers fraglich. Auf keinen Fall kann die für den Nachweis des Kausalzusammenhangs erforderliche „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“ (vgl. 2.1) bejaht werden. Allein der Umstand, dass der beklagte Tinnitus ausschließlich das linke Ohr des Klägers beeinträchtigt, obwohl nach seiner Unfallschilderung beide Ohren der Explosion gleichermaßen ausgesetzt waren, wirft Zweifel an einem wesentlichen Verursachungsbeitrag des Schadensereignisses für die Erkrankung auf. Die Unaufklärbarkeit geht zulasten des Klägers.
3. Somit ergibt sich, dass keine weiteren Schäden über diejenigen hinaus, die im Bescheid des Landesamts vom 25. Juni 2013 anerkannt worden sind, als durch den Dienstunfall vom 11. Januar 2013 verursacht anerkannt werden können. Auch eine Ausweitung des Heilbehandlungszeitraums kann der Kläger nicht beanspruchen. Die Berufung war deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO, § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Die Revision war mangels Vorliegen der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2, § 191 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 127 BRRG nicht zuzulassen.