Staats- und Verfassungsrecht

Absehen vom Fahrverbot wegen verkehrspsychologischer Schulung

Aktenzeichen  3 Ss OWi 1704/17

Datum:
2.1.2018
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 31
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 25 I 1 2. Alt.
StVO §§ 41 II, 49 III Nr. 4
BKatV § 4 II 2

 

Leitsatz

Eine auf eigene Kosten erfolgende freiwillige Teilnahme des Betroffenen an einer verkehrspsychologischen Schulung rechtfertigt für sich allein grundsätzlich nicht das Absehen von einem verwirkten bußgeldrechtlichen Fahrverbot. Eine Ausnahme kann auch dann nur in Betracht kommen, wenn daneben eine Vielzahl weiterer zu Gunsten des Betroffenen sprechender Gesichtspunkte festgestellt werden können (u.a. Anschluss an OLG Zweibrücken, Beschl. v. 12.05.2017 – 1 OWi 2 SsBs 5/17 = ZfS 2017, 471). (Rn. 5 – 9)

Gründe

I.
Die nach § 79 I 1 Nr. 3 OWiG statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet, weil die Erwägungen, aufgrund derer das AG von der Verhängung eines Fahrverbots gegen die Betr. abgesehen hat, einer rechtlichen Nachprüfung nicht standhalten.
1. Allerdings hat das AG zunächst zutreffend das Vorliegen der Voraussetzungen für den von der Betr. aufgrund der Vorahndungslage an sich verwirkten Regelfall eines beharrlichen Pflichtenverstoßes i.S.v. § 25 I 1 2. Alt. StVG i.V.m. § 4 II 2 BKatV erkannt. Denn gegen die Betr. wurde zuletzt wegen einer am 09.06.2016 begangenen und erst seit dem 30.09.2016, mithin nur 4 Tage vor der verfahrensgegenständlichen Tat rechtskräftig gewordenen außerörtlichen Geschwindigkeitsüberschreitung um 41 km/h neben einer Geldbuße von 240 Euro bereits ein einmonatiges Fahrverbot festgesetzt. Darüber hinaus trat die Betr. schon am 24.03.2015 und nochmals am 09.02.2016 jeweils wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen außerhalb geschlossener Ortschaften um 32 km und 21 km einschlägig in Erscheinung, weshalb sie mit Geldbußen über 120 Euro und 70 Euro geahndet wurde; Rechtskraft dieser Vorahndungen trat am 12.05.2015 und 28.05.2016 ein.
2. Auch folgt aus § 4 II 2 BKatV nicht, dass stets ein Fahrverbot zu verhängen wäre. Vielmehr steht dem Tatrichter auch in den Regelfällen des § 4 II 2 BKatV ein Ermessensspielraum zu, um Verstößen im Straßenverkehr mit der im Einzelfall angemessenen Sanktion zu begegnen (BVerfG NJW 1996, 1809; OLG Bamberg VRS 114, 379 = VM 2008 Nr. 54 = OLGSt StVG § 4 Nr. 1 & StVG § 25 Nr. 40 = VRR 2008, 272). Denn die Frage, ob die Würdigung der Tat und der Persönlichkeit des Betr. besondere Umstände ergibt, nach denen es ausnahmsweise der Warn- und Denkzettelfunktion eines Fahrverbots im Einzelfall nicht bedarf, liegt grundsätzlich in seinem Verantwortungsbereich. Die tatrichterliche Entscheidung wird vom Rechtsbeschwerdegericht deshalb nur daraufhin überprüft, ob das Tatgericht sein Ermessen deshalb fehlerhaft ausgeübt hat, weil er die anzuwendenden Rechtsbegriffe verkannt, die Grenzen des Ermessens durch unzulässige Erwägungen überschritten oder sich nicht nach den Grundsätzen und Wertmaßstäben des Gesetzes gerichtet hat.
3. Mit dieser Maßgabe vermögen die bisherigen Feststellungen und Wertungen des AG eine Ausnahme von der Anordnung des Regelfahrverbots wegen eines beharrlichen Pflichtenverstoßes nach den §§ 25 I 1 2. Alt., 26a StVG i.V.m. § 4 II 2 BKatV weder für sich genommen noch in der Gesamtschau zu rechtfertigen (zu den Anforderungen für die Wertung eines Pflichtenverstoßes als ‚beharrlich‘ vgl. u.a. OLG Bamberg NJW 2007 3655 = ZfS 2007, 707 sowie OLGSt StVG § 25 Nr. 36 = VRR 2007, 318 [Deutscher]; ferner u.a. OLG Bamberg DAR 2010, 98 = OLGSt StVG § 25 Nr. 47; DAR 2011, 399; DAR 2012, 152 = OLGSt StVG § 25 Nr. 51; DAR 2013, 213 = VM 2013, Nr. 21 = ZfS 2013, 350 = OLGSt StVG § 25 Nr. 54; NStZ-RR 2014, 58; NZV 2014, 98 = OLGSt StVG § 25 Nr. 55; DAR 2014, 277 = ZfS 2014, 411; OLG Bamberg VM 2015, Nr. 15 = ZfS 2015, 231 = NStZ-RR 2015, 151 = DAR 2015, 394 = OLGSt StVG § 25 Nr. 58 = NZV 2016, 50 und VM 2015, Nr. 35 = DAR 2015, 392 = OLGSt StVG § 25 Nr. 59; vgl. auch König in Hentschel/König/Dauer Straßenverkehrsrecht 44. Aufl. [2017] § 25 StVG Rn. 15; Burmann in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker Straßenverkehrsrecht 24. Aufl. [2016] § 25 StVG Rn. 10 ff. und Burhoff [Hrsg.]/Deutscher, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 5. Aufl. [2018], Rn. 1510 ff., jeweils m.w.N.). Insbesondere durfte von dem an sich verwirkten Regelfahrverbot nicht allein wegen der von der Betr. freiwillig absolvierten verkehrspsychologischen Einzelschulungen abgesehen werden.
a) Die in der BKatV vorgesehenen Regelahndungen gehen von fahrlässiger Begehung, gewöhnlichen Tatumständen und fehlenden Vorahndungen eines Betr. aus (vgl. §§ 1 II, 3 I BKatV). Dass ein Betroffener berufsbedingt stärker dem Risiko wiederholter straßenverkehrsrechtlicher Auffälligkeit ausgesetzt ist, rechtfertigt ein Abweichen von der verwirkten Regelahndung daher selbst in Verbindung mit einer günstigen Prognose hinsichtlich des künftigen Verkehrsverhaltens grundsätzlich nicht (st.Rspr. des Senats, vgl. u.a. OLG Bamberg, Beschluss vom 01.12.2015 – 3 Ss OWi 834/15 = StraFo 2016, 116 m.w.N.); im Gegenteil: Die Auffassung liefe auf eine ungerechtfertigte Privilegierung von sich über wiederholte Warnappelle beharrlich hinwegsetzenden ‚Wiederholungstätern‘ hinaus, was mit der vom Verordnungsgeber mit der ausdrücklichen Umschreibung des Regelfalls eines beharrlichen Pflichtenverstoßes gerade für Geschwindigkeitsverstöße unmissverständlich aus § 4 II 2 BKatV zu entnehmenden Wertung als unvereinbar anzusehen wäre.
b) Nichts anderes kann für die auf eigene Kosten absolvierte freiwillige Teilnahme an verkehrspsychologischen Einzelschulungen gelten, so sehr die dort anhand fachpsychologischer Unterweisung gewonnen Erkenntnisse auch für eines nachhaltige und begrüßenswerte Veränderung des zukünftigen Verkehrsverhaltens Betroffener beitragen mögen. Eine Ausnahme vom Fahrverbot kann aufgrund der vom Gesetzgeber verfolgten Zielrichtung und der Intensität des bußgeldrechtlichen Fahrverbots vielmehr nur dann in Betracht kommen, wenn neben dem Seminarbesuch zusätzlich eine Vielzahl anderer zu Gunsten des Betr. sprechender Gesichtspunkte im Rahmen einer wertenden Gesamtschau durch den Tatrichter festgestellt werden können (OLG Bamberg, Beschluss vom 17.03.2008 – 2 Ss OWi 265/08 = VRS 114, 379 = VM 2008, Nr. 54 = OLGSt StVG § 4 Nr. 1 = VRR 2008, 272 [Gieg] und 29.07.2015 – 2 Ss OWi 727/15 = DAR 2015, 656 = VM 2015, Nr. 71 = NStZ 2016, 162 = OLGSt StVG § 25 Nr. 61; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 12.02.2013 – Ss [B] 14/13 [bei juris] jeweils für freiwillige Teilnahme an einem sog. ‚Aufbau-’ bzw. ‚Fahreignungsseminar‘; speziell für freiwillige Teilnahme am verkehrspsychologischen Schulungsmodell ‚Mobil PLUS Prävention‘ zuletzt OLG Zweibrücken, Beschluss vom 12.05.2017 – 1 OWi 2 SsBs 5/17 = ZfS 2017, 471; vgl. im gleichen Sinne dezidiert [„Freikaufverfahren für begüterte Betr.“] König a.a.O. § 25 StVG Rn. 25 und Grube in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht [Stand: 20.10.2017], § 4 BKatV, Rn. 48 ff., jeweils m.w.N. auf die abweichende untergerichtliche Rspr.; a.A. Burhoff [Hrsg.]/Deutscher a.a.O. Rn. 1299 ff. und derselbe, NZV 2014, 145, 147; vgl. in diesem Sinne wohl auch Krenberger, ZfS 2017, 471 f. [Anm. zu OLG Zweibrücken, Beschluss vom 12.05.2017 – 1 OWi 2 SsBs 5/17]). Derartige Umstände hat das AG jedoch gerade nicht festgestellt.
aa) Zwar kann auch die freiwillige Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Schulung durchaus als weiteres Zeichen für Einsicht und Reue gewertet werden. Gleichwohl sind Zielrichtung und Intensität des bußgeldrechtlichen Fahrverbots mit derjenigen einer verkehrspsychologischen Beratung und der Teilnahme an psychologischen Schulungen nicht vergleichbar. Mit dem bußgeldrechtlichen Fahrverbot soll dem Betr. seine Verfehlung deutlich vor Augen geführt und er ausdrücklich zur Beachtung der Verkehrsvorschriften angehalten werden, weshalb es der Gesetzgeber für erforderlich hält, bei einem Versagen, das deutlich über den üblichen nur bußgeldbewehrten Verfehlungen liegt, eindringlich auf den Betroffenen dort einzuwirken, wo er gefehlt hat, nämlich bei der Ausübung seiner Berechtigung zum Führen von Kfz im Straßenverkehr. Mit der Erziehungs- und Denkzettelfunktion des Regelfahrverbots ist folglich ein fühlbarer und abschreckender Einschnitt gerade in die persönliche Handlungsfreiheit des Betroffenen in diesem Bereich intendiert (OLG Bamberg a.a.O.; vgl. auch schon BayObLGSt 1994, 118; NZV 1996, 374 und DAR 1999, 221; OLG Düsseldorf VRS 93, 226).
bb) Demgegenüber verfolgt die verkehrspsychologische Einzelschulung ebenso wie die regelmäßig preisgünstigeren Formen der psychologischen Gruppenschulung die zukünftige Legalbewährung der Teilnehmer unter besonderer Berücksichtigung und Aufarbeitung von biographischem Werdegang, Vorgeschichte der Tat und Tatanreizen mit dem Ziel der Entwicklung individuell zugeschnittener tragfähiger Vermeidungsstrategien. Unabhängig von der Freiwilligkeit schränkt die Teilnahme an einer solchen Schulung die persönliche Freiheit der Teilnehmer in einem ungleich geringerem Ausmaß ein als ein zu verhängendes Fahrverbot, was nicht dadurch in Frage gestellt wird, dass die Betroffenen die nicht unerheblichen Kosten der Schulung selbst zu tragen haben (OLG Bamberg a.a.O. m.w.N.).
c) Feststellungen dazu, dass durch ein nur einmonatiges, wenn auch wiederholtes Fahrverbot bereits die berufliche Existenz der Betr. konkret bedroht, insbesondere ein Arbeitsplatzverlust zu gegenwärtigen ist, hat das AG nicht getroffen. Auch fehlen Ausführungen dazu, dass und in welchem Umfang die Betr. berufsbedingt in besonderer Weise gerade auf die Selbstnutzung eines Kfz angewiesen ist und ein Fahrverbot deshalb z.B. nicht durch Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsmittel oder aber durch die Einreichung von Urlaub zumindest für einen Teil der Fahrverbotsdauer kompensiert werden kann.
II. Nach alledem beruht das Absehen von der Verhängung des an sich verwirkten Regelverbots auf einer nicht tragfähigen Begründung. Aufgrund des sachlich-rechtlichen Begründungsmangels ist auf die Rechtsbeschwerde der StA die angefochtene, aufgrund der wirksamen Einspruchsbeschränkung nur noch den Rechtsfolgenausspruch betreffende Entscheidung mitsamt der Kostenentscheidung aufzuheben. Wegen der engen Wechselwirkung zwischen Fahrverbot und Geldbuße (vgl. hierzu u.a. Grube in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht [Stand: 24.10.2017], § 25 StVG, Rn. 54 und Burhoff [Hrsg.]/Gieg, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 5. Aufl. [2018], Rn. 955, jeweils m.w.N.) betrifft die Aufhebung nicht nur die Fahrverbotsanordnung, sondern den gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen (§ 79 III 1 OWiG, § 353 StPO). Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen ist dem Senat eine eigene Sachentscheidung (§ 79 VI 1. Alt. OWiG) verwehrt, zumal nicht auszuschließen ist, dass das AG in einer neuen Hauptverhandlung durchaus noch (ergänzende) Feststellungen zu der Frage treffen kann und wird, ob ein (nur) einmonatiges Fahrverbot für die Betr. eine unverhältnismäßige Härte darstellt, wozu freilich ggf. weitere Feststellungen zu treffen und Beweise zu erheben sein werden. […]

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