Staats- und Verfassungsrecht

Anforderungen an die Aufklärungsrüge bei durch Verkehrszeichen angeordneter Geschwindigkeitsbeschränkung

Aktenzeichen  3 Ss OWi 800/17

Datum:
26.6.2017
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 127417
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StPO § 244 Abs. 2, § 344 Abs. 2 S. 2
OWiG § 72
StVO § 3 Abs. Nr. 1, § 41 Abs. 2, § 49 Abs. 1 Nr. 3

 

Leitsatz

Die Aufklärungsrüge, mit der beanstandet wird, dass das Amtsgericht bei einem innerörtlichen Geschwindigkeitsverstoß eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h zu Grunde gelegt hat, während sie aufgrund eines Verkehrszeichens (Zeichen 274) 60 km/h betragen habe, was durch eine dem Tatrichter präsentierte Abbildung des Verkehrszeichens untermauert werden soll, ist unzulässig, wenn nicht vorgetragen wird, dass sich das Verkehrszeichen vor der Messstelle gefunden hat. (Rn. 5)

Gründe

Die gemäß § 79 I 1 Nr. 1 OWiG statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
1. Die formelle Rüge, mit der beanstandet wird, die Voraussetzungen des § 72 OWiG für eine Entscheidung durch Beschluss „ohne Gründe“ seien nicht erfüllt, weil es an der Zustimmung des Betr. fehle, hat bereits deswegen keinen Erfolg, weil das AG gerade nicht von einer Begründung nach § 72 VI OWiG abgesehen hat.
2. Die Aufklärungsrüge, mit der geltend gemacht wird, das Gericht habe die Vernehmung des polizeilichen Messbeamten dazu unterlassen, dass die zulässige Höchstgeschwindigkeit nicht – wie vom AG angenommen – auf 50 km/h beschränkt war, sondern aufgrund eines entsprechenden Verkehrszeichens (Zeichen 274) 60 km/h betragen habe, dringt – entgegen der Auffassung der GenStA – ebenfalls nicht durch.
a) Die Verfahrensrüge ist bereits unzulässig, weil sie den Begründungsanforderungen des § 79 III 1 OWiG i.V.m. § 344 II 2 StPO nicht entspricht. Danach muss der Beschwerdeführer die Tatsachen, die den behaupteten Verfahrensmangel begründen, so vollständig und genau mitteilen, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein aufgrund der Rechtfertigungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden (st.Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 19.05.2015 – 1 StR 128/15 = BGHSt 60, 238 = NStZ 2015, 541 = StV 2016, 78 = StraFo 2015, 381 = JR 2016, 78 m.w.N.). Für die Aufklärungsrüge bedarf es hierzu unter anderem des Vortrags, weshalb sich der Tatrichter zu entsprechender Aufklärung gemäß § 46 I OWiG i.V.m. § 244 II StPO gedrängt sehen musste (st.Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 13.12.2016 – 3 StR 193/16 = NStZ-RR 2017, 119 und 31.05.2016 – 1 StR 22/16 [bei juris], jew. m.w.N.). Hieran fehlt es aber. Die Rechtsbeschwerde behauptet hierzu lediglich, aus den in einer vorangegangenen Hauptverhandlung am 23.02.2016 vorgelegten Lichtbildern ergebe sich, dass die Geschwindigkeit „im gegenständlichen Bereich“ auf 60 km/h beschränkt gewesen sei. Es wird aber bereits nicht vorgetragen, ob das auf den Fotos abgebildete Verkehrszeichen vor oder nach der Messstelle angebracht war. Der nach Ablauf der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde eingegangene, ergänzende Vortrag ist nicht berücksichtigungsfähig. Schon gar nicht wird dargetan, was dem Tatgericht zum Standort des Verkehrszeichens mitgeteilt worden war. Aufgrund dessen kann allein nach dem Vortrag der Rechtsbeschwerde nicht beurteilt werden, ob sich das AG zu weiterer Beweiserhebung gedrängt sehen musste. Denn wenn das abgebildete Verkehrsschild nicht vor der Messstelle, sondern erst danach angebracht worden war, konnte es im Hinblick auf § 41 II StVO für den Geschwindigkeitsverstoß von vornherein keine Bedeutung erlangen und bot daher auch keinen Anlass zur weiteren Aufklärung.
b) Ungeachtet dessen wäre die Aufklärungsrüge aber auch unbegründet. Ein Verstoß gegen die Aufklärungspflicht nach § 46 I OWiG i.V.m. § 244 II StPO liegt nicht vor. Das AG musste sich nicht zur weiteren Aufklärung gedrängt sehen. Dies folgt auch nicht aus den vom Betr. vorgelegten Lichtbildern, weil sich – wie der Senat im Freibeweisverfahren feststellen konnte – das dort abgebildete Verkehrszeichen erst nach der Messstelle befand. Nach den tatsächlichen Feststellungen der angefochtenen Entscheidung fuhr der Betr. zur Tatzeit auf der S-Straße in südliche Richtung, wobei die Geschwindigkeitsmessung in Höhe des Anwesens der Hausnummer 169 durchgeführt wurde. Auf den vorgelegten Lichtbildern ist ersichtlich, dass das abgebildete Verkehrszeichen mit einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h in Höhe des Hotels V. angebracht war. Ausweislich der Internetseite ‚…‘ befindet sich das Hotel V., worauf der Senat die Beteiligten mit Verfügung vom 06.06.2017 ausdrücklich hingewiesen hat, aber – unter Zugrundelegung der Fahrtrichtung des Betr. – erst nach der Messstelle. In Anbetracht dessen drängte sich aus den vorgelegten Lichtbildern weder der Schluss auf, dass die zulässige Höchstgeschwindigkeit an der Messstelle höher war, als die üblicherweise innerorts erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h (§ 3 III Nr. 1 StVO), noch waren dahingehende Ermittlungen durch den Tatrichter veranlasst, zumal sowohl das Messprotokoll als auch das Datenfeld des Messbilds die zulässige Höchstgeschwindigkeit mit 50 km/h auswiesen.
3. Der angefochtene Beschluss weist auch keinen sachlich-rechtlichen Mangel auf.
a) Der Schuldspruch, der von den tatsächlichen Feststellungen getragen wird, und die Beweiswürdigung sind fehlerfrei. Das AG hat sich insbesondere mit sorgfältiger Begründung davon überzeugt, dass die zulässige Höchstgeschwindigkeit an der Messstelle 50 km/h betragen hatte.
b) Auch der Rechtsfolgenausspruch ist nicht zu beanstanden. Nicht anders als im Strafverfahren gilt auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren, dass die Rechtsfolgenbemessung Aufgabe des Tatrichters ist. Das Rechtsbeschwerdegericht kann nur eingreifen, wenn der Tatrichter rechtlich anerkannte Sanktionszwecke (vgl. Göhler/Gürtler OWiG 16. Aufl. vor § 1 Rn. 9) außer Betracht lässt oder wenn sich die Sanktion nach oben oder unten so sehr von ihrer Bestimmung löst, dass sie nicht mehr vertretbar erscheint. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ist ausgeschlossen (vgl. OLG Jena, Beschluss vom 28.06.2005 – 1 Ss 141/05 = VRS 110, 35). Vor diesem Hintergrund ist in Anbetracht des Umstands, dass das AG von der Verhängung des wegen eines groben Pflichtenverstoßes an sich verwirklichten Regelfahrverbots (§ 4 I 1 Nr. 1 BKatV i.V.m. Nr. 11.3.6 der Tab. 1c BKat) abgesehen hat, die unter Heranziehung des § 4 IV BKatV vorgenommene Verdoppelung der Regelgeldbuße unbedenklich. […]

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