Staats- und Verfassungsrecht

Unbegründete Anhörungsrüge

Aktenzeichen  3 ZB 16.528

Datum:
22.3.2016
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 152a Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 2 S. 6
GG GG Art. 103 Abs. 1
BayVerf BayVerf Art. 91 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Der Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet nicht, dass sich das Gericht in den Entscheidungsgründen ausdrücklich mit jedem Vorbringen der Prozessbeteiligten befasst. Vielmehr ist grundsätzlich davon auszugehen, dass es das Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Für die Annahme einer Gehörsverletzung müssen daher besondere Umstände deutlich ergeben, dass das Gericht im Einzelfall Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen hat (Verweis auf BVerwG BeckRS 2013, 54798). (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt nicht vor, wenn das Gericht einem Vorbringen nicht folgt, sondern aus Gründen des materiellen Rechts oder des Prozessrechts zu einem anderen Ergebnis gelangt, als es der Beteiligte für richtig hält (Verweis auf BVerwG BeckRS 2010, 47299). (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Anhörungsrüge dient nicht dazu, das Gericht unabhängig vom Vorliegen eines Gehörsverstoßes zur Überprüfung einer dem Rechtsbehelfsführer ungünstigen Rechtsauffassung zu veranlassen (Verweis auf BVerfG BeckRS 2015, 52869). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

3 ZB 15.2401 2016-03-02 Bes VGHMUENCHEN VGH München

Tenor

I.
Die Anhörungsrüge wird zurückgewiesen.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die Anhörungsrüge gegen den Beschluss des Senats vom 2. März 2016 (3 ZB 15.2401), der dem Prozessbevollmächtigten des Klägers dem Empfangsbekenntnis zufolge am 7. März 2016 zugegangen ist, ist unbegründet. Aus den Darlegungen des Klägerbevollmächtigten im Schriftsatz vom 15. März 2016 ergibt sich nicht, dass der Senat bei der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hätte (§ 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 6 VwGO).
Der Anspruch der Prozessbeteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht, deren Ausführungen zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 91 Abs. 1 BV sind allerdings nur dann verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet nicht, dass sich das Gericht in den Entscheidungsgründen ausdrücklich mit jedem Vorbringen der Prozessbeteiligten befasst. Vielmehr ist grundsätzlich davon auszugehen, dass es das Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Für die Annahme einer Gehörsverletzung müssen daher besondere Umstände deutlich ergeben, dass das Gericht im Einzelfall Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen hat (BVerwG, B. v. 25.7.2013 – 5 C 26.12 – BayVBl 2014, 221 m. w. N.).
Daran gemessen muss die Anhörungsrüge erfolglos bleiben. Der Senat hat zur Kenntnis genommen, dass die seelische Störung des Klägers, die in seinem Schwerbehindertenbescheid eingetragen ist, auf einer erektilen Dysfunktion beruhen soll (Rn. 7). Gleichwohl hat er die Behauptung des Klägers, seine Äußerungen seien von den Ärzten des Bezirksklinikums B. falsch verstanden worden, als Schutzbehauptung gewertet (Rn. 8). Der Senat ist in seinem PKH-Beschluss vom 27. Januar 2016, auf dessen Begründung im Beschluss vom 2. März 2016 Bezug genommen wurde, davon ausgegangen, dass die Nichtaufklärbarkeit des Eintrags im Schwerbehindertenausweis für das Verwaltungsgericht nicht entscheidungserheblich war (Rn. 8). Der Senat hatte somit nicht zu würdigen, ob es für den Kläger aus Schamgefühl heraus unzumutbar gewesen ist, als Grund für den Grad der Behinderung (die erektile Dysfunktion) gegenüber dem Verwaltungsgericht zu offenbaren. Der Senat ist in seinem Beschluss vom 27. Januar 2016 zugunsten des Klägers davon ausgegangen, dass der Amtsarzt den vollständigen Schwerbehindertenbescheid erhalten hat (dort Rn. 10) und hat damit die vorgelegte E-Mail-Korrespondenz mit dem Amtsarzt berücksichtigt. Die vom Kläger genannten Schreiben und E-Mails zum Nachweis dafür, dass das Staatsministerium des Innern bereits vor dem 9. Dezember 2014 sichere Kenntnis über den Rücknahmegrund erlangt haben soll, hat der Senat im Einzelnen gewürdigt (vgl. Rn. 4ff. des Beschlusses vom 17. Januar 2016, Rn. 5 des Beschlusses vom 2. März 2016), wenngleich er daraus andere Schlüsse als der Kläger gezogen hat. Der Senat hat sich hinsichtlich der Frage der Offenbarungspflicht von (psychischen) Vorerkrankungen mit der einschlägigen obergerichtlichen Rechtsprechung auseinandergesetzt (vgl. Rn. 11 des Beschlusses vom 27. Januar 2016 und Rn. 9 des Beschlusses 2. März 2016), wenngleich nicht im klägerischen Sinne.
Der Kläger macht geltend, das fachpsychiatrische Gutachten des Bezirkskrankenhauses B. und das ärztliche Attest von Dr. D. seien nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst erstellt, weil sie auf (aus Schamgefühl) falschen Angaben des Klägers beruhten. Damit setzt er seine Beweiswürdigung und seine Rechtsauffassung anstelle derjenigen des Gerichts. Der Senat hat die diesbezüglichen Einlassungen des Klägers als Schutzbehauptungen gewertet. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt jedoch nicht vor, wenn das Gericht einem Vorbringen nicht folgt, sondern aus Gründen des materiellen Rechts oder des Prozessrechts zu einem anderen Ergebnis gelangt, als es der Beteiligte für richtig hält (vgl. BVerwG, B. v. 8.2.2010 – 8 B 126.09, 8 B 76.09 – juris m. w. N.).
Der Senat ist davon ausgegangen, dass das Staatsministerium des Innern nicht verpflichtet war, bei der Regierung von O. nachzufragen, ob eine Rücknahme der Ernennung in Betracht kommt (Rn. 5 des Beschlusses vom 27. Januar 2016). Er ist ferner davon ausgegangen, dass es nicht auf die Frage ankommt, welche Rechtsfolge eine verzögerte Meldung an die oberste Dienstbehörde hat (Rn. 6 des Beschlusses vom 27. Januar 2016). Der Senat hat weiter festgestellt, dass ein Verbrauch bzw. eine Verwirkung der Rücknahmebefugnis spezialgesetzlich nicht geregelt ist und sich auch nicht aus der einfachgesetzlich in § 45 BeamtStG geregelten Fürsorgepflicht bzw. unmittelbar aus Art. 33 Abs. 5 GG ergibt. Der Kläger beanstandet im Gewand der Anhörungsrüge die Richtigkeit dieser Ausführungen. Die Anhörungsrüge dient jedoch nicht dazu, das Gericht unabhängig vom Vorliegen eines Gehörsverstoßes zur Überprüfung einer dem Rechtsbehelfsführer ungünstigen Rechtsauffassung zu veranlassen (vgl. BVerfG, B. v. 11.9.2015 – 2 BvR 1586/15 – juris Rn. 4).
Die Kosten der erfolglosen Anhörungsrüge sind gemäß § 154 Abs. 1 VwGO dem Kläger aufzuerlegen. Die Höhe der Gerichtsgebühr ergibt sich unmittelbar aus Nr. 5400 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes; einer Streitwertfestsetzung bedarf es daher nicht.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152a Abs. 4 Satz 3 VwGO).

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