Aktenzeichen W 1 K 19.70
BayBG Art. 96 Abs. 2 S. 1
Leitsatz
1. Ein Zweitbescheid liegt vor, wenn die Behörde das von Amts wegen an sich unanfechtbar abgeschlossene Verfahren wieder aufgreift und eine neue Sachprüfung vorgenommen wird. Ob dabei eine abweichende Sachregelung getroffen wird oder trotz neuer Sachprüfung zu demselben Ergebnis gelangt wird, ist unerheblich. Im Falle des Zweitbescheids liegt ein neuer Verwaltungsakt vor, gegen den der Betroffene den regulären Rechtsschutz erlangen kann. Der unanfechtbare Verwaltungsakt aus der Vergangenheit steht nicht entgegen. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Hinsichtlich der maßgeblichen Sach- und Rechtslage in Beihilfestreitigkeiten ist grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen abzustellen. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3. § 28 Abs. 2 S. 3 BayBhV ist nur anwendbar, wenn die jeweilige Indikation nicht von § 28 Abs. 2 S. 1 BayBhV umfasst ist. Dass sich durch eine solche Auslegung der Anwendungsbereich des § 28 Abs. 2 Satz 3 BayBhV verkleinert, ist vom bayerischen Beihilfeverordnungsgeber gerade so gewollt. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Bescheid vom 6. November 2018 und der Widerspruchsbescheid vom 21. Dezember 2018 werden insoweit aufgehoben, als dem Kläger die Zahlung von Beihilfe für die Wahlleistung Zweibettzimmer nicht gewährt worden ist.
II. Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger eine weitere Beihilfe in Höhe von 1.667,51 EUR zu gewähren.
III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Der Beklagte hat die Kosten zu 3/5 zu tragen, der Kläger zu 2/5.
IV. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Gründe
Das Gericht konnte aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Dem Kläger steht für die Wahlleistung Zweibettzimmer ein weiterer Anspruch auf Zahlung von Beihilfe in Höhe von 1.667,51 EUR zu. Der Beihilfebescheid sowie der Widerspruchsbescheid sind daher insoweit rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§§ 113 Abs. 5, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I.
Die Klage ist vollumfänglich zulässig. Der Klageantrag ist gemäß § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass der Beihilfebescheid nur insoweit angegriffen wird, als die Zahlung von Beihilfe für die Wahlleistung Zweibettzimmer abgelehnt wurde, wie sich auch aus der Höhe des mit der Klage begehrten Zahlbetrages ergibt. Der Bescheid vom 6. November 2018 wird hingegen nicht auch in dem Teil angegriffen, der dem Kläger Beihilfe für die allgemeinen Krankenhausleistungen gewährt. Nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 2 Bayerische Beihilfeverordnung (BayBhV) muss eine getrennte Betrachtung zwischen den allgemeinen Krankenhauskosten und den Mehrkosten für eine Wahlleistung vorgenommen werden. § 28 BayBhV unterscheidet in jedem seiner Absätze zwischen allgemeinen Krankenhausleistungen und gesondert berechneten Wahlleistungen für die Unterkunft bis zur Höhe der Kosten für ein Zweibettzimmer (VG Würzburg, U. v. 18.2.2013 – W 1 K 11.621 – juris; so auch VG Bayreuth, U. v. 12.9.2017 – B 5 K 16.21 – juris). Der Beihilfebescheid ist somit teilbar. Im Hinblick auf die allgemeinen Krankenhauskosten ist der Beihilfebescheid bestandskräftig geworden.
Die Klage ist auch insbesondere nicht in Teilen verfristet. Der Kläger macht mit seiner Klage die Zahlung von Beihilfe für die Wahlleistung Zweibettzimmer für den Zeitraum vom 8. August 2018 bis zum 17. Oktober 2018 geltend. Er wendet sich dafür gegen den Bescheid des Beklagten vom 6. November 2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 21. Dezember 2018. Zwar wurde über die Zeiträume vom 8. August 2018 bis 15. August 2018 sowie 16. August 2018 bis 31. August 2018 bereits mit Beihilfebescheiden vom 6. und 13. September 2018 entschieden, wogegen der Kläger jeweils fristgerecht Widerspruch eingelegt hatte. Hieraufhin erging ein Widerspruchsbescheid, gegen den der Kläger sich nicht zur Wehr setzte. Bei dem Bescheid vom 6. November 2018 handelt es sich jedoch um einen Zweitbescheid und nicht lediglich um eine wiederholende Verfügung. Die Abgrenzung hängt vom objektiven Erklärungswert des jeweiligen Bescheids ab (Kopp/Ramsauer, 19. Auflage 2018, VwVfG, § 35 Rn. 97). Ein Zweitbescheid liegt vor, wenn die Behörde das von Amts wegen an sich unanfechtbar abgeschlossene Verfahren wieder aufgreift und eine neue Sachprüfung vorgenommen wird. Ob dabei eine abweichende Sachregelung getroffen wird oder trotz neuer Sachprüfung zu demselben Ergebnis gelangt wird, ist unerheblich (Kopp/Ramsauer, aaO., § 35 Rn. 97). Im Falle des Zweitbescheids liegt ein neuer Verwaltungsakt vor, gegen den der Betroffene den regulären Rechtsschutz erlangen kann. Der unanfechtbare Verwaltungsakt aus der Vergangenheit steht nicht entgegen (Kopp/Ramsauer, aaO., § 35 Rn. 97).
In dem Bescheid vom 6. November 2018 wird nicht thematisiert, dass über die oben genannten Zeiträume bereits bestandskräftige Verwaltungsakte vorliegen. Vielmehr wird nur angegeben, dass eine Beihilfegewährung hinsichtlich des Zweibettzimmers aufgrund einer Vergleichsberechnung gemäß § 28 Abs. 2 BayBhV nicht erfolgen konnte. Zudem wird in dem Bescheid die Gesamtrechnungssumme erwähnt und nicht lediglich ein aufgrund bereits gewährter Beihilfe verminderter Betrag. Aus dem objektiven Erklärungswert ergibt sich daher, dass hinsichtlich der Beihilfeleistung eine neue Sachprüfung vorgenommen wurde und der Antrag nicht nur aufgrund der Bestandskraft abgelehnt wurde. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass im Widerspruchsbescheid angegeben wurde, dass bereits Beihilfe gewährt wurde. Hierbei handelt es sich lediglich um die Darstellung der Verrechnungsmodalitäten. Da ein Zweitbescheid vorliegt, konnte der Kläger hiergegen mit den regulären Rechtsschutzmöglichkeiten vorgehen.
Die Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 21. Dezember 2018 wahrt daher die Frist des § 74 VwGO hinsichtlich des gesamten Zeitraums des Klinikaufenthalts des Klägers. Bestandskräftige Bescheide im Hinblick auf die Wahlleistung Zweibettzimmer liegen somit aufgrund des Zweitbescheids nicht vor.
II.
Die Klage ist auch in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang begründet.
Nach Art. 96 Abs. 2 Satz 1 Bayerisches Beamtengesetz (BayBG) werden Beihilfeleistungen zu den nachgewiesenen medizinisch notwendigen und angemessenen Aufwendungen in Krankheits-, Geburts- und Pflegefällen und zur Gesundheitsvorsorge der Beamtinnen und Beamten sowie deren berücksichtigungsfähiger Angehöriger nach Maßgabe der Rechtsverordnung nach Art. 96 Abs. 5 Satz 1 BayBG (Bayerische Beihilfeverordnung – BayBhV) gewährt. Hinsichtlich der maßgeblichen Sach- und Rechtslage in Beihilfestreitigkeiten ist grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen abzustellen (st. Rspr., z.B. BVerwG, U.v. 6.11.2014 – 5 C 7.14 – juris Rn. 8; U.v. 2.4.2014 – 5 C 40.12 – juris Rn. 9, jeweils m.w.N.). Vorliegend ist somit die ab dem 1. September 2017 geltende Fassung der Bayerischen Beihilfeverordnung vom 24. Juli 2017 maßgeblich, da die Aufwendungen ausweislich der Rechnung am 23. Oktober 2018 entstanden sind. Gemäß § 7 Abs. 1 BayBhV werden Aufwendungen erstattet, die dem Grunde nach medizinisch notwendig waren (Nr. 1), der Höhe nach angemessen waren (Nr. 2) und bei denen die Beihilfe nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist (Nr. 3).
Für Krankenhausleistungen enthält § 28 BayBhV nähere Regelungen zur Frage der Angemessenheit der entsprechenden Aufwendungen.
Nach § 28 Abs. 2 Satz 1 BayBhV sind bei nicht nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhäusern (Privatkliniken) bei Indikationen, die bei einer Behandlung in einem Krankenhaus nach Abs. 1 vom DRG-Fallpauschalenkatalog erfasst wären, beihilfefähig die allgemeinen Krankenhausleistungen i.S.d. Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis zum Betrag aus dem Produkt der oberen Korridorgrenze des Basisfallwerts gemäß § 10 Abs. 9 KHEntgG mit der Bewertungsrelation gemäß Teil a des DRG-Fallpauschalenkatalogs unter Ansatz der jeweiligen mittleren Verweildauer (Nr. 1) sowie gesondert berechnete Wahlleistungen für Unterkunft im Sinne des Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bis zur Höhe von 1,5 v. H. der oberen Korridorgrenze des Basisfallwerts gemäß § 10 Abs. 9 KHEntgG abzüglich der Eigenbeteiligung gemäß Art. 96 Abs. 2 Satz 7 BayBG (Nr. 2). § 28 Abs. 2 Satz 3 BayBhV ist hingegen bei allen anderen Indikationen einschlägig, also bei solchen, die nicht von dem DRG-Fallpauschalenkatalog erfasst werden.
Vorliegend muss auf § 28 Abs. 2 Satz 1 BayBhV zurückgegriffen werden und, entgegen der Ansicht des Beklagten, nicht auf § 28 Abs. 2 Satz 3 BayBhV. Die dem Kläger gestellte Diagnose ist, auch nach Ansicht des Beklagten, nach der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) der Gruppe F 30-39 zugeordnet. Die Gruppe F 30-39 führt zu der Anwendbarkeit der DRG-Fallpauschale U 63Z bzw. U 64Z (so der webgrouper der Universität Münster, www.drg-research-group.de). Da eine DRG-Fallpauschale jeweils einschlägig ist, ist somit vorliegend § 28 Abs. 2 Satz 1 BayBhV anwendbar. Ein anderes Ergebnis ist auch nicht dadurch gerechtfertigt, dass der Behandlung des Klägers eine psychosomatische Erkrankung zu Grunde lag. Der DRG-Fallpauschalenkatalog hat auch bei psychosomatischen Erkrankungen Relevanz (BayVGH, U.v. 22.2.2019 – 14 BV 17.1251 – juris).
Für diese Auslegung spricht zunächst der klare Wortlaut des § 28 Abs. 2 Satz 3 BayBhV, der explizit nur „bei allen anderen Indikationen“ gilt, was sich von der systematischen Stellung her nur auf § 28 Abs. 2 Satz 1 BayBhV beziehen kann. § 28 Abs. 2 Satz 3 BayBhV ist also von seinem Wortlaut her nur anwendbar, wenn die jeweilige Indikation nicht von § 28 Abs. 2 Satz 1 BayBhV umfasst ist. Deshalb ist stets zunächst zu klären, ob ein Fall von § 28 Abs. 2 Satz 1 BayBhV vorliegt. Dieses schon vom Wortlaut des § 28 Abs. 2 Satz 3 BayBhV vorgezeichnete Auslegungsergebnis wird dadurch bestätigt, dass § 28 Abs. 2 Satz 1 BayBhV auf alle Indikationen bezogen ist, die bei einer Behandlung in einem Krankenhaus nach § 28 Abs. 1 BayBhV i.V.m. § 108 SGB V vom DRG-Fallpauschalenkatalog „erfasst wären“. Die Verwendung des Konjunktivs deutet darauf hin, dass der Verordnungsgeber insoweit gerade nicht auf die tatsächliche Abrechnungspraxis abstellt. Außerdem spricht auch § 28 Abs. 2 Satz 1 BayBhV für die besagte Auslegung. Denn der Umstand, dass dort weder auf den einheitlichen Basisfallwert i.S.v. § 10 Abs. 9 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntG), sondern stattdessen auf die obere Korridorgrenze i.S.v. § 10 Abs. 9 KHEntgG Bezug genommen wird, zeigt, dass es sich um eine pauschalierende Regelung handelt. Gerade dieser deutlich erkennbare Wille des Beihilfeverordnungsgebers zur Pauschalierung würde relativiert, wenn stattdessen eine im Wortlaut nicht angelegte Unterscheidung zwischen somatischen und psychischen/psychosomatischen Erkrankungen zum zentralen Abgrenzungskriterium zwischen Satz 1 und Satz 3 gemacht würde. Dass sich durch eine solche Auslegung der Anwendungsbereich des § 28 Abs. 2 Satz 3 BayBhV verkleinert, ist vom bayerischen Beihilfeverordnungsgeber gerade so gewollt und deshalb kein Argument für eine vom klaren Wortlaut des § 28 Abs. 2 BayBhV abweichende Auslegung (BayVGH, U.v. 22.2.2019 – 14 BV 17.1251 – juris, zu einer vorherigen Fassung der BayBhV).
Vor diesem Hintergrund hat der Kläger gemäß § 28 Abs. 2 Satz 1 BayBhV einen noch nicht erfüllten Beihilfeanspruch in Höhe von 1.667,51 EUR. Die obere Korridorgrenze des Basisfallwerts gemäß § 10 Abs. 9 KHentgG betrug im Jahr 2018 3.553,98 EUR. 1,5 v.H. dieses Wertes betragen somit 53,31 EUR, welche pro Belegungstag angesetzt werden müssen (BVerwG, U.v. 23.4.2015 – 5 V 2/14 – juris, für das rheinland-pfälzische Beihilferecht). Der Kläger befand sich in dem Zeitraum vom 8. August 2018 bis zum 18. Oktober 2018 in der Privatklinik, somit für 72 Tage. Entsprechend der Nr. 6 der VV-BayBhV zu § 28 BayBhV wurde die Wahlleistung Zweibettzimmer jedoch nicht für den Entlassungstag und somit nur für 71 Tage berechnet. Bei einer Belegdauer von 71 Tagen ergibt sich somit zunächst ein beihilfefähiger Betrag von 3.785,01 EUR (71 Tage x 53,31 EUR).
Zu berücksichtigen ist zudem die Eigenbeteiligung gemäß Art. 96 Abs. 2 Satz 7 BayBG, welche entsprechend des Wortlauts des Art. 96 Abs. 2 Satz 7 BayBG nach Anwendung des persönlichen Bemessungssatzes von dem bereits ermittelten beihilfefähigen Betrag abzuziehen ist. Der Kläger ist beihilfeberechtigt mit einem Bemessungssatz von 50 Prozent. Nach Anwendung des Bemessungssatzes ergibt sich somit zunächst eine Beihilfe von 1.892,51 EUR, von dem nunmehr die Eigenbeteiligung abzuziehen ist. In der hier maßgeblichen Fassung des BayBG betrug die Eigenbeteiligung für die Wahlleistung Zweibett-Zimmer 7,50 EUR pro Aufenthaltstag, wobei höchstens 30 Tage im Kalenderjahr für die Berechnung der Eigenbeteiligung berücksichtigt werden dürfen. Da der Kläger sich mehr als 30 Tage in der Privatklinik befand, sind für die Berechnung der Eigenbeteiligung nur 30 Tage anzusetzen. Daraus ergibt sich vorliegend eine Eigenbeteiligung von 225,00 EUR. Letztlich ergibt sich somit für die Wahlleistung Zweibettzimmer eine zu zahlende Beihilfe in Höhe von 1.667,51 EUR (1.892,51 EUR – 225 EUR). Für die Wahlleistung Zweibettzimmer wurde dem Kläger bisher keine Beihilfe gewährt.
Der Kläger hat somit für die Wahlleistung Zweibettzimmer einen noch nicht erfüllten Anspruch auf Beihilfe in Höhe von 1.667,51 EUR.
Aufgrund der getrennt vorzunehmenden Betrachtung der allgemeinen Krankenhausleistungen und der Wahlleistung Zweibettzimmer ist der Kläger durch die Nichtgewährung von Beihilfe für die Wahlleistung Zweibettzimmer, trotz der Gewährung von Beihilfe für die allgemeinen Krankenhauskosten, auch in seinen Rechten verletzt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.