Aktenzeichen III ZR 70/19
§ 6 VermG
§ 35 Abs 4 VermG
Art 34 S 1 GG
Leitsatz
1. Leitet das sachlich unzuständige Amt zur Regelung offener Vermögensfragen einen bei ihm eingehenden Restitutionsantrag entgegen § 35 Abs. 4 VermG nicht unverzüglich an das zuständige Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen weiter, verletzt es eine zugunsten des Antragstellers bestehende drittgerichtete Amtspflicht.
2. Das Handeln Dritter unterbricht den Zurechnungszusammenhang zwischen der Amtspflichtverletzung und dem entstandenen Schaden erst dann, wenn dieser bei wertender Betrachtung in keinem inneren Zusammenhang mehr mit der zuerst gesetzten Ursache steht. Dies ist nicht der Fall, wenn die Ursache das Verhalten der Dritten herausgefordert hat, und zwar auch dann, wenn jenen ein gravierenderes Fehlverhalten vorgeworfen werden kann.
Verfahrensgang
vorgehend OLG Dresden, 26. April 2019, Az: 1 U 286/18vorgehend LG Chemnitz, 30. Januar 2018, Az: 5 O 1900/14 (2)
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 26. April 2019 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
1
Der Kläger nimmt die beklagte Stadt wegen der Verletzung von Amtspflichten im Zusammenhang mit einem Rückübertragungsverfahren auf Schadensersatz in Anspruch.
2
Der Kläger ist Rechtsnachfolger seines verstorbenen Großvaters R. M. . Dieser war – als einer von zwei Komplementären – Inhaber eines Gesellschaftsanteils von 25 % an der C.H. W. KG in Chemnitz. Sein Anteil wurde infolge eines in seiner Abwesenheit ergangenen Strafurteils des Landgerichts Chemnitz wegen verschiedener angeblicher Wirtschaftsstraftaten im Jahr 1951 eingezogen und wenig später – ebenso wie die restliche Gesellschaft – in sogenanntes Volkseigentum überführt. Am 9. Oktober 1990 meldete der Kläger gegenüber dem damals noch zuständigen Rat des Kreises – Landratsamt – Chemnitz einen Rückübertragungsanspruch unter anderem in Bezug auf den ursprünglich seinem Großvater zustehenden Gesellschaftsanteil an. Die Anträge wurden von der Stadtverwaltung der Beklagten registriert und ihr Eingang dem Kläger im Dezember 1990 mit dem Hinweis bestätigt, eine weitere Bearbeitung erfolge nach Vorliegen der Durchführungsbestimmungen zum Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen; entsprechende Nachricht sei abzuwarten. Von dort gelangte der den Gesellschaftsanteil betreffende Restitutionsantrag an das der Beklagten unterstehende – für diesen Antrag jedoch unzuständige – Amt zur Regelung offener Vermögensfragen (ARoV). Dort blieb der Antrag aus ungeklärten Gründen liegen und wurde erst Anfang 1995 an das zuständige Sächsische Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen (LARoV) weitergeleitet.
3
Auch die anderen früheren Gesellschafter der Kommanditgesellschaft beziehungsweise deren Rechtsnachfolger (im Folgenden auch [Mit-]Berechtigte) stellten Restitutionsanträge, bei denen es zu entsprechenden Verzögerungen jedoch nicht kam. In der Zeit zwischen 1991 und 1993 erließ das LARoV verschiedene Bescheide zugunsten der Gesellschaft und der anderen Berechtigten, mit denen zum Gesellschaftsvermögen gehörende Liegenschaften restituiert wurden. Am 14. April 1992 schlossen die übrigen Berechtigten eine notariell beurkundete Verteilungsvereinbarung, wonach sie den Anteil des R. M. im Verhältnis der übrigen Gesellschaftsanteile untereinander aufteilten und zugleich erklärten, das LARoV von möglichen Ansprüchen von Berechtigten nach R. M. freizustellen. In der Folgezeit wurde das Eigentum an den Grundstücken auf Ersuchen des LARoV auf die übrigen Berechtigten umgeschrieben, die diese zeitnah veräußerten. Erlöst wurden insgesamt mehr als 17 Mio. DM, zuzüglich Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung mehr als 18 Mio. DM. Nach Abzug der Ausgaben wurde der verbleibende Gewinn von rund 14,5 Mio. DM (7,4 Mio. EUR) einschließlich des eigentlich auf R. M. entfallenden Anteils entsprechend der Vereinbarung vom 14. April 1992 auf die übrigen Berechtigten verteilt.
4
Auf einen ihm im Jahr 1997 von einem Mitarbeiter des LARoV erteilten Hinweis leitete der Kläger ein Rehabilitierungsverfahren betreffend das gegen seinen Großvater 1951 ergangene Strafurteil vor dem Landgericht Chemnitz ein. Mit Beschluss vom 26. März 1998 beseitigte dieses die Wirkungen des früheren Strafurteils. Das LARoV hob mit Bescheid vom 27. Januar 2005 einen Teil der bis dahin im Zusammenhang mit der Unternehmensrestitution ergangenen Bescheide mit Wirkung für die Vergangenheit auf und übertrug dem Kläger einen Gesellschaftsanteil von 25 % an der C.H. W. KG i.L.
5
In einem seit 2005 geführten Vorprozess nahm der Kläger die Mitberechtigten überwiegend erfolgreich auf Erstattung des ihm prozentual zustehenden Erlösanteils in Anspruch, wobei er eine Reihe von Vergleichen schloss. Mit den gerichtlich festgestellten Ansprüchen gegen zwei Mitberechtigte (H. -J. D. und B. H. ) fiel der Kläger – wegen deren Vermögenslosigkeit beziehungsweise der erfolgreichen Geltendmachung der beschränkten Erbenhaftung – aus.
6
Er verlangt insoweit nunmehr von der Beklagten Schadensersatz, wobei er seine – zunächst teilweise nur im Wege des Feststellungsantrags verfolgten – Ansprüche vor dem Oberlandesgericht insgesamt beziffert hat. Der Freistaat S. , in dessen Geschäftsbereich das LARoV fällt, ist dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten beigetreten.
7
Das Landgericht hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Das Berufungsgericht hat das landgerichtliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des Klägers.
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