Aktenzeichen 10 BV 16.962
ZPO § 41 Nr. 6
GG Art. 103 Abs. 1
Leitsatz
Die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit erstmals im Rahmen eines Verfahrens der Anhörungsrüge ist grundsätzlich unzulässig (Anschluss an VGH BW, B. v. 8.6.2016 – 1 S 783/16 – juris). (amtlicher Leitsatz)
Verfahrensgang
10 BV 16.799 2016-04-25 Bes VGHMUENCHEN VGH München
Tenor
Das Ablehnungsgesuch gegen die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Zimmerer wird verworfen.
Gründe
I. Die Klägerin erhob am 12. Mai 2016 Anhörungsrüge gegen den von der Richterin am Verwaltungsgerichtshof Z. als Berichterstatterin erlassenen Beschluss vom 25. April 2016 (10 BV 16.799), mit dem das Berufungsverfahren nach Vorliegen übereinstimmender Erklärungen zur Erledigung der Hauptsache eingestellt, der Klägerin die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen auferlegt und der Streitwert in Abänderung des vom Verwaltungsgericht festgesetzten Streitwerts auf 82.200 Euro festgesetzt wurde. Streitgegenstand war die von der Beklagten mit Bescheid vom 19. Juni 2008 verfügte Untersagung der Veranstaltung, Durchführung und Vermittlung von Sportwetten für jegliche Betriebsstätte in ihrem Zuständigkeitsbereich durch die Klägerin.
Mit Schriftsatz vom 25. Juni 2016 lehnte die Klägerin die Berichterstatterin wegen Besorgnis der Befangenheit ab, da sie nicht in der Lage sei, unvoreingenommen über die Anhörungsrüge zu entscheiden. Die Begründung des Beschlusses vom 25. April 2016 könne nur so verstanden werden, dass die Berichterstatterin in irriger Weise angenommen habe, der Klägerin sei nur an bestimmten Standorten in München die Vermittlung von Sportwetten untersagt und das Verbot nicht auf künftige Betriebsstätten erstreckt worden; diese Auslegung stehe allerdings im Widerspruch zur Streitwertfestsetzung, in deren Rahmen im Einstellungsbeschluss erstmals 50.000 Euro für ein Internetverbot angesetzt worden seien. Der angefochtene Beschluss offenbare eine oberflächliche Arbeitsweise; seine Begründung sei „komplett unverständlich“. Damit bestehe die Besorgnis, dass sich die Berichterstatterin bei der Entscheidung über die Anhörungsrüge von dem Bestreben leiten lassen könne, Fehler bei der Abfassung des Beschlusses nicht einzugestehen.
In ihrer dienstlichen Stellungnahme vom 21. Juli 2016 wendet sich die Berichterstatterin gegen die Annahme, sie könne im Hinblick auf die geäußerte Besorgnis der Befangenheit nicht mehr unbefangen über die Anhörungsrüge entscheiden. Gegenstand der Anhörungsrüge sei nicht die inhaltliche Richtigkeit der nach billigem Ermessen getroffenen Kostenentscheidung sowie der Streitwertfestsetzung, sondern die Frage, ob sie überraschend gewesen seien. Die Klägerin habe damit rechnen müssen, dass ihr die gesamte Kostenlast auferlegt werde, weil die Anfechtungsklage zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses bereits unzulässig gewesen sei. Im Übrigen sei die Richtigkeit der Kostenverteilung nicht Gegenstand im Verfahren der Anhörungsrüge.
Die Beklagte hält das Ablehnungsgesuch bereits für unzulässig, jedenfalls für unbegründet. Anhaltspunkte dafür, dass die Berichterstatterin im Falle eines unterstellten Fehlers nicht mehr unvoreingenommen über die geltend gemachte Verletzung des rechtlichen Gehörs entscheiden könne, lägen nicht vor.
II. Das Ablehnungsgesuch hat keinen Erfolg.
1. Das Ablehnungsgesuch ist unzulässig und daher zu verwerfen. Der Rechtsstreit hatte sich bereits vor Stellung des Ablehnungsgesuchs durch die übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Parteien vom 18. und 20. April 2016 erledigt; damit war die Rechtshängigkeit der Streitsache in der Hauptsache mit Rückwirkung beendet (vgl. Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 161 Rn. 8) und nach erfolgtem Einstellungsbeschluss mit Kostenentscheidung und Streitwertfestsetzung auch die Rechtsmittelinstanz vollständig abgeschlossen (vgl. BVerfG, B. v. 28.4.2011 – 1 BvR 2411/10 – juris, zur Nichtbescheidung eines noch vor Klagerücknahme erfolgten Ablehnungsantrags). Letztmöglicher Zeitpunkt für die Geltendmachung eines Ablehnungsgesuchs ist grundsätzlich derjenige vor vollständigem Abschluss der Instanz, denn die Beteiligten haben während des gesamten Verfahrens, jedenfalls solange richterliche Streitentscheidung gefordert ist, einen verfassungsrechtlich gesicherten Anspruch auf den unvoreingenommenen gesetzlichen Richter (BVerfG, a. a. O., Rn. 23). Der Grundsatz, dass Ablehnungsgesuche in allen Verfahrensabschnitten gestellt werden können, bedarf allerdings für solche Ablehnungsgesuche, die erstmals im Verfahren der Anhörungsrüge und damit nach einer den Rechtsstreit abschließenden richterlichen Entscheidung gestellt werden, einer Einschränkung (VGH BW, B. v. 8.6.2016 – 1 S 783/16 – juris: Richterablehnung im Anhörungsrügeverfahren nach rechtskräftigem Abschluss des Klageverfahrens; Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Februar 2016, § 152a Rn. 28; Kaufmann in Posser/Wolf, VwGO, 2. Aufl. 2014, § 152a Rn. 15; Stuhlfauth in Bader u. a., VwGO, 6. Aufl. 2014, § 152a Rn. 11; BGH, B. v. 24.1.2012 – 4 StR 469/11 – juris; a.A. Vollkommer in Zöller, ZPO, 31. Aufl., § 321a Rn. 4, § 42 Rn. 4 für nachträglich bekannt gewordene Ablehnungsgründe; Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 152a Rn. 28; Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 152a Rn. 10; offengelassen: BVerfG, B. v. 20.6.2007 – 2 BvR 746/07 – juris Rn. 5; BVerwG, B. v. 28.05.2009 – 5 PKH 6/09 – NVwZ-RR 2009, 662; BVerwG, B. v. 7.4.2011 – 3 B 10.11 u. a. – juris Rn. 2; noch in BayVGH, B. v. 2.9.2016 – 10 C 16.1214 – juris Rn. 10; B. v. 12.1.2015 – 10 ZB 14.1874 – juris Rn. 20). Der Senat schließt sich nunmehr der überzeugenden Argumentation des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (a. a. O.) an, zumal die zitierten Gegenmeinungen in der Kommentarliteratur keine substanziierte Auseinandersetzung mit der vorliegenden Problematik bieten.
Der Zulässigkeit eines Ablehnungsgesuchs steht in der vorliegenden Konstellation bereits der Umstand entgegen, dass das Klageverfahren durch den formell rechtskräftigen Einstellungsbeschluss vom 25. April 2016 mit der Folge beendet worden ist, dass eine weitere richterliche Streitentscheidung nicht mehr erforderlich war. Hieran vermochte auch die als außerordentlicher Rechtsbehelf ausgestaltete, den Eintritt der (hier: formellen) Rechtskraft nicht hemmende Anhörungsrüge nichts zu ändern (VGH BW, a. a. O., Rn. 5 m. w. N.).
Für die Unzulässigkeit eines Ablehnungsgesuchs in der vorliegenden Konstellation spricht aber in erster Linie der Zweck des Anhörungsrügeverfahrens. Es soll die Möglichkeit zur Selbstkorrektur unanfechtbarer Entscheidungen im Falle der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör eröffnen und dient damit der Entlastung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Guckelberger in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 152a Rn. 4 m. zahlreichen Nachweisen). Über die Anhörungsrüge hat nach der Konzeption von § 152a VwGO daher das für die Ausgangsentscheidung zuständige Gericht und zwar ausschließlich im Hinblick auf Art. 103 Abs. 1 GG zu entscheiden. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg führt in seinem Beschluss vom 8. Juni 2016 (a. a. O., Rn. 6) hierzu weiter aus:
„Eine fachgerichtliche Entscheidung, eine Anhörungsrüge zurückzuweisen, schafft daher verfassungsrechtlich im Verhältnis zur mit der Anhörungsrüge angegriffenen Entscheidung keine eigenständige Beschwer. Dies gilt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch für die Rüge, einem im Anhörungsrügeverfahren gestellten Ablehnungsgesuch sei stattzugeben gewesen. Selbst wenn man – so das Bundesverfassungsgericht – ein Ablehnungsrecht im Gehörsrügeverfahren anerkannte, führte eine unberechtigte Zurückweisung allenfalls dazu, dass die Entscheidung über die Anhörungsrüge nicht vom gesetzlichen Richter erlassen wäre. Auch dies hätte lediglich zur Folge, dass die durch die Ausgangsentscheidung eingetretene Gehörsverletzung unkorrigiert bliebe, weil nach der Wertung des Grundgesetzes richterliche Entscheidungen ausnahmslos vom gesetzlichen Richter zu treffen sind (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) und deshalb nur dieser zur Entscheidung über die Anhörungsrüge berufen ist (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 20.06.2007 – 2 BvR 746/07 – juris Rn. 2ff.). Aus diesem Zweck des Anhörungsrügeverfahrens folgt die Unzulässigkeit von mit der Anhörungsrüge gestellten Ablehnungsgesuchen, wenn die Anhörungsrüge unzulässig oder unbegründet ist und daher die Rechtsfolge des § 152a Abs. 5 Satz 2 VwGO – oder vergleichbarer Vorschriften in anderen Verfahrensordnungen – nicht eintritt. Der Grundsatz, dass ein Ablehnungsgesuch nur so lange statthaft vorgebracht werden kann, bis die Entscheidung ergangen und die Instanz rechtskräftig abgeschlossen ist, gilt nämlich auch dann, wenn die Ablehnung mit einer Anhörungsrüge verbunden wird, die sich deswegen als unbegründet erweist, weil die gerügte Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG nicht vorliegt, so dass insoweit nicht mehr in eine erneute Sachprüfung einzutreten ist. Denn der Rechtsbehelf dient nicht dazu, einem unzulässigen Ablehnungsgesuch durch die unzutreffende Behauptung einer Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG doch noch Geltung zu verschaffen (so BGH, Beschl. v. 24.01.2012 – 4 StR 469/11- juris).“
Im Anhörungsrügeverfahren kann demnach eine Richterablehnung erst dann in zulässiger Weise geltend gemacht werden, wenn das Verfahren mit dem Eintritt der Rechtsfolge des § 152a Abs. 5 Satz 2 VwGO – also nach einem Erfolg der Anhörungsrüge – in die frühere Lage zurückversetzt wird, im vorliegenden Fall also in die prozessuale Situation vor Erlass der mit der Anhörungsrüge beanstandeten Kostenentscheidung und der Streitwertfestsetzung im die Instanz abschließenden Einstellungsbeschluss. Denn erst dann wäre eine erneute richterliche Streitentscheidung in materieller Hinsicht gefordert und demgemäß das Verfahren noch nicht unanfechtbar in vollem Umfang abgeschlossen. Letztlich versucht die Klägerin mit dem erstmals im Verlaufe des Verfahrens der Anhörungsrüge gestellten Befangenheitsantrag eine Korrektur der von ihr für falsch erachteten richterlichen Entscheidungen durch einen dem Zweck des Anhörungsrügeverfahrens als Instrument der Selbstkontrolle nicht entsprechenden neuen Spruchkörper zu erreichen. Dabei scheint die Klägerin zu verkennen, dass selbst eine begangene Gehörsverletzung noch keine Anhaltspunkte für die Befangenheit eines an der Entscheidung beteiligten Richters liefert (BVerwG, B. v. 6.7.2015 – 9 B 31.15 – juris Rn. 3); ein Richter tritt grundsätzlich auch dann unvoreingenommen an die Beurteilung einer Rechtssache heran, wenn er bereits zuvor mit ihr befasst war (BVerwG, B. v. 28.5.2009, a. a. O. mit Hinweis auf die abschließende Ausnahmeregelung in § 41 Nr. 6 ZPO).
2. Darüber hinaus bliebe das Ablehnungsgesuch auch in der Sache ohne Erfolg. Denn die von der Klägerin vorgebrachten Umstände, die die Besorgnis der Befangenheit der Berichterstatterin begründen sollen, rechtfertigen keine Zweifel an ihrer Unparteilichkeit. Entscheidend ist hierbei ausschließlich, ob bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass besteht, an der Unvoreingenommenheit der Richterin zu zweifeln (s. zuletzt BVerfG, B. v. 19.7.2016 – 2 BvC 46/14 – juris Rn. 18 m. w. N.; BVerwG, B. v. 7.4.2011 -3 B 10.11 u. a. – juris).
Dies ist hier schon deswegen nicht der Fall, weil sich das Ablehnungsgesuch der Klägerin in der Behauptung erschöpft, die „dem angefochtenen Beschluss zugrunde liegende Begründung [sei] komplett unverständlich“; die für die Billigkeitsentscheidung nach § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO maßgebliche Annahme einer Erledigung des Untersagungsbescheids – schon Jahre vor der Abgabe der auf die Anfechtungsklage bezogenen Erledigungserklärung – widerspreche dem tenorierten Inhalt des Untersagungsbescheids sowie der Begründung zur Streitwertfestsetzung. Denn selbst wenn die behauptete rechtsfehlerhafte Anwendung der Billigkeitsvorschrift und damit ein inhaltlicher Mangel vorliegen sollte, wäre damit kein Ablehnungsgrund verbunden, weil die angegriffene Kostenverteilung nicht offensichtlich unhaltbar ist und damit keine Anhaltspunkte dafür bietet, die abgelehnte Richterin werde im Anhörungsrügeverfahren Argumenten nicht mehr zugänglich sein und deshalb nicht mehr unvoreingenommen entscheiden (BVerwG, B. v. 6.7.2015 – 9 B 31.15 – juris Rn. 3 m. w. N.).
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).