Aktenzeichen 9 K 3183/15
BGB § 738 Abs. 1 S. 1
GewO § 34c
KWG § 1 Abs. 1a S. 2 Nr. 10
GewStG § 8 Nr. 1 Buchst. a, § 35b Abs. 2 S. 2
Leitsatz
Zur Auslegung und Anwendung des sogenannten Bankenprivilegs für Finanzdienstleistungsinstitute (§ 19 Abs. 4 GewStDV)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
1. Die Klage gegen den Gewerbesteuermessbescheid für 2009 ist unzulässig gemäß § 40 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Klägerin ist durch die auf Null lautende Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags nicht beschwert (vgl. BFH-Urt. vom 9. September 2010 IV R 38/08, BFH/NV 2011, 423). Zwar sind von diesem Grundsatz Ausnahmen zu machen, wenn sich die Steuerfestsetzung nicht in der Konkretisierung des Steuerschuldverhältnisses erschöpft (vgl. BFH-Urt. vom 29. Januar 2009 VI R 44/08, BStBl II 2009, 411; vom 23. April 2008 X R 32/06, BStBl II 2009, 7). Dafür bestehen vorliegend jedoch keine Anhaltspunkte.
Eine Bindungswirkung des Gewerbesteuermessbescheids für die Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlusts auf den 31.12.2009 besteht ebenfalls nicht. Nach § 35b Abs. 2 Satz 2 GewStG i. d. F. des Jahressteuergesetzes 2010 vom 8. Dezember 2010 (BGBl I 2010, 1768) kommt dem Gewerbesteuermessbescheid zwar die Wirkung eines Grundlagenbescheides entsprechend § 171 Abs. 10 AO mit Bindungswirkung für den Verlustfeststellungsbescheid auf den Schluss desselben Veranlagungszeitraums entsprechend § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zu. Jedoch gilt diese Vorschrift gemäß § 37 Abs. 10 Satz 1 GewStG erstmals für Verluste, für die nach dem 13. Dezember 2010 eine Erklärung zur Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlusts abgegeben wurde (wie hier für die Streitjahre 2010, 2011 und 2013). Vorliegend hat die Klägerin die Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlusts bereits mit der Gewerbesteuererklärung vom 5. August 2010 (Eingang beim Finanzamt: 9. August 2010) beantragt.
2. Die Klage ist unbegründet. Die angegriffenen Steuerbescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.
a) Nach § 8 Nr. 1 Buchst. a GewStG sind Entgelte für Schulden, die bei der Ermittlung des Gewinns abgesetzt worden sind, zu einem Viertel der Summe dem Gewinn aus Gewerbebetrieb wieder hinzuzurechnen.
Die Voraussetzungen für die Hinzurechnung nach dieser Vorschrift liegen dem Grunde und der Höhe nach für die Streitjahre vor. Insoweit besteht zu Recht kein Streit, nähere Ausführungen hierzu erübrigen sich deshalb.
b) Die Anwendung des § 8 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a GewStG ist nicht durch § 19 Abs. 4 GewStDV ausgeschlossen.
Gemäß § 19 Abs. 4 Satz 1 GewStDV (in der in den Streitjahren geltenden Fassung des Gesetzes zur Umsetzung steuerlicher EU-Vorgaben sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 8. April 2010, BGBl. I 2010, S. 386) unterbleibt bei bestimmten Finanzdienstleistungsinstituten eine Hinzurechnung von Entgelten für Schulden nach § 8 Nr. 1 Buchst. a GewStG, soweit die Entgelte und die ihnen gleichgestellten Beträge unmittelbar auf Finanzdienstleistungen im Sinne des § 1 Abs. 1a Satz 2 KWG entfallen (sog. Bankenprivileg). Finanzdienstleistungen im Sinne des § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 10 KWG sind der – hier allein in Betracht kommende – Abschluss von Finanzierungsleasingverträgen als Leasinggeber und die Verwaltung von Objektgesellschaften im Sinne des § 2 Abs. 6 Satz 1 Nr. 17 KWG (Finanzierungsleasing). Unter die Vorschrift des § 2 Abs. 6 Satz 1 Nr. 17 KWG fallen Unternehmen, die als einzige Finanzdienstleistung im Sinne des § 1 Abs. 1a Satz 2 KWG das Finanzierungsleasing betreiben, falls sie nur als Leasing-Objektgesellschaft für ein einzelnes Leasingobjekt tätig werden, keine eigenen geschäftspolitischen Entscheidungen treffen und von einem Institut mit Sitz im Europäischen Wirtschaftsraum verwaltet werden, das nach dem Recht des Herkunftsstaates zum Betrieb des Finanzierungsleasing zugelassen ist.
Ab dem Erhebungszeitraum 2011 ist gemäß § 19 Abs. 4 Satz 2 GewStDV Satz 1 der Vorschrift nur anzuwenden, wenn die Umsätze des Finanzdienstleistungsinstituts zu mindestens 50% auf Finanzdienstleistungen entfallen (§ 36 Abs. 3 Satz 2 GewStDV i.d.F. vom 8. April 2010). Diese Einschränkung ist vorliegend ohne Bedeutung, die Umsätze der Klägerin entfielen in 2011 und 2013 in ganz überwiegendem Umfang auf die verleaste Immobilie.
Die Klägerin betrieb zwar Finanzierungsleasing, die Aufwendungen zur Finanzierung der Gesellschaftereinlagen werden jedoch nicht vom Bankenprivileg umfasst.
aa) Nach dem Wortlaut der Vorschrift unterbleibt eine Hinzurechnung von Entgelten für Schulden, soweit die Entgelte unmittelbar auf Finanzdienstleistungen entfallen. Die Klägerin führte im Streitzeitraum ausschließlich Finanzierungsleasing in der Form des Immobilienleasings durch. Die fraglichen Schuldzinsen müssten somit bei wörtlicher Auslegung der Vorschrift Finanzierungskosten der verleasten Immobilie sein. Dies ist indes nicht der Fall. Das Darlehen wurde von der B-KG zur Finanzierung ihrer Einlageverpflichtung aufgenommen. Die Darlehenszinsen entfallen unmittelbar auf die Finanzierung der Gesellschaftereinlage der B-KG in die A-KG. Der Zusammenhang der Zinsen mit der Finanzierung des Leasingobjekts ist nur ein mittelbarer, weil der A-KG eine Einlage zugeführt wurde, die zur Finanzierung der Anschaffungskosten des Objekts verwendet wurde. Dieser mittelbare Zusammenhang ist jedoch nicht ausreichend. Bei wörtlicher Auslegung kann das Bankenprivileg mangels unmittelbaren Zusammenhangs für die streitigen Zinszahlungen nicht in Anspruch genommen werden (ebenso die Verwaltungsauffassung, vgl. Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen – BMF – vom 6. Juni 2014 sowie Schreiben des Bayerischen Landesamts für Steuern vom 31. Juli 2014; Schreiben der Thüringer Landesfinanzdirektion vom 9. März 2017 G 1422 A-25-A 3.16, unter Nr. 6.1, juris). Die Finanzierung der Gesellschaftereinlage im Sonderbetriebsvermögen ist ein nicht begünstigtes anderes Hauptgeschäft der atypisch stillen Gesellschaft. Auch in der Literatur wird die Auffassung vertreten, dass die Entgelte für Schulden und ihnen gleichgestellte Beträge unmittelbar auf die konkreten Finanzdienstleistungen entfallen müssen, eine nur rechnerische oder statistische Zuordnung sei nicht ausreichend (vgl. Beckert/Füllbier, NWB 2010, 3358, 3362 f; Hofmeister in Blümich, EStG, KStG, GewStG, § 8 GewStG, Rz. 115; Köster in Lenski/Steinberg, GewStG, § 8 Nr. 1 Buchst. a Rz. 247; a.A. Wildner/Krause, BB 2011, 1373, 1376 f: nicht eindeutig zuzuordnende Refinanzierungsaufwendung von Leasing-/Factoringunternehmen sind nach einem Schlüssel zuzuordnen, z.B. entsprechend den Umsatzerlösen oder der Kapitalbindung).
bb) Dieser Auslegung des § 19 Abs. 4 Satz 1 GewStDV entsprechend seinem klaren Wortlaut steht der Begünstigungszweck der Norm nicht entgegen. Hierfür müsste aus dem Gesetz heraus belegt werden können, dass der Gesetzgeber den zur Entscheidung anstehenden Lebenssachverhalt begünstigen wollte (vgl. z.B. BFH-Urt. vom 8. Dezember 2016 IV R 14/13, DB 2017, 341, unter II. 1. b) der Entscheidungsgründe; vom 30. September 2015 II R 13/14, BFH/NV 2016, 362 unter II. 2. c) aa) der Entscheidungsgründe; vom 3. Juni 1997 IX R 24/96, BFH/NV 1998, 155 unter II. a) der Entscheidungsgründe). Das ist nicht der Fall. Der Verordnungsgeber war gemäß § 35c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f GewStG (in der Fassung vom 8. April 2010, BGBl. I S. 386) ermächtigt, Vorschriften über die Beschränkung der Hinzurechnung von Entgelten für Schulden und ihnen gleichgestellte Beträge (§ 8 Nr. 1 Buchst. a) bei Finanzdienstleistungsinstituten zu erlassen, soweit sie Finanzdienstleistungen im Sinne des § 1 Abs. 1a S. 2 KWG tätigen. Dieser gesetzlichen Vorgabe entspricht § 19 Abs. 4 GewStDV. Der Gesetzgeber hat die im Verordnungswege zu regelnde Begünstigung ausdrücklich nur vorgesehen, soweit Finanzdienstleistungen getätigt werden. Diese kausale Verknüpfung verlangt einen unmittelbaren und nicht lediglich einen mittelbaren Zusammenhang. Es ist nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber auch im Sonderbetriebsvermögen entstandene Kosten zur Finanzierung der Beteiligung begünstigen wollte.
Für die von der Klägerin vertretene Auffassung, wonach nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift Refinanzierungsaufwendungen des atypisch still Beteiligten für seine Gesellschaftseinlage in die Begünstigungsnorm einzubeziehen sind, finden sich im Gesetz keine Anhaltspunkte. Der Senat sieht keinen Anlass für eine wortlautüberschreitende Interpretation des Gesetzes, insbesondere die Voraussetzungen für eine Analogie (planwidrige Regelungslücke) liegen nicht vor. Die Begünstigungsvoraussetzungen hat der Gesetzgeber tatbestandlich klar umschrieben. Eine Erweiterung des Anwendungsbereichs der Norm auf andere Konstellationen muss der gesetzgeberischen Entscheidung vorbehalten bleiben. Die Einbeziehung der hier fraglichen Refinanzierungszinsen ist somit nicht geboten.
cc) Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift spricht ebenfalls nicht für eine erweiternde Auslegung. Ausweislich der Gesetzesbegründung zur vorhergehenden Fassung (§ 19 Abs. 3 Nr. 4 GewStDV i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2009 – JStG 2009 – vom 19. Dezember 2008, BGBl. I S. 2794) sollten Leasingunternehmen Kreditinstituten gleichgestellt und ebenfalls in § 19 GewStDV aufgenommen werden, soweit sie nachweislich ausschließlich beaufsichtigte Geschäfte betrieben. Leasing- und Factoringunternehmen stünden in ihrer wirtschaftlichen Finanzierungsfunktion bei der Finanzierung von Unternehmensinvestitionen im Wettbewerb mit Kreditinstituten. Die Kreditinstitute, die einer umfassenden Kreditaufsicht unterlägen, seien bisher bereits nach Maßgabe des § 19 Abs. 1 und 2 GewStDV begünstigt. Soweit die Leasing- und Factoringunternehmen nachweislich ausschließlich beaufsichtigte Geschäfte betreiben würden, sei es gerechtfertigt, sie ebenfalls in § 19 GewStDV aufzunehmen (BT-Drucks. 16/11108, S. 32). Diese Gesetzesbegründung belegt, dass nur und ausschließlich Finanzdienstleistungen begünstigt werden sollten, nicht dagegen sonstige Geschäfte des Unternehmens. Die geänderte Fassung vom 8. April 2010 erging aufgrund einer Beschlussempfehlung des Finanzausschusses ohne ausdrückliche Begründung (BT-Drucks. 17/923, S. 2 und S. 5 – 7).
dd) Entgegen der Auffassung der Klägerin liegt keine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung bei einer wortgetreuen Auslegung der in den Streitjahren anwendbaren Fassung des § 19 Abs. 4 GewStDV vom 8. April 2010 vor.
Das Bankenprivileg für Finanzdienstleistungsinstitute war erstmals in § 19 Abs. 3 Nr. 4 GewStDV in der Fassung des JStG 2009 enthalten. Begünstigt waren Finanzdienstleistungsinstitute im Sinne des § 1 Abs. 1a KWG und auch Unternehmen im Sinne des § 2 Abs. 6 Nr. 17 KWG. Bei letzteren handelt es sich um Unternehmen, die als einzige Finanzdienstleistung im Sinne des § 1 Abs. 1a Satz 2 KWG das Finanzierungsleasing betreiben, falls sie nur als Leasing-Objektgesellschaft für ein einzelnes Leasingobjekt tätig werden, keine eigenen geschäftspolitischen Entscheidungen treffen und von näher bestimmten Rechtsträgern verwaltet werden (nachgeordnete Leasing-Objektgesellschaften, die über ihre Muttergesellschaft aufsichtsrechtlich erfasst werden, vgl. BT-Drucks. 16/11108, S. 32). Bei diesen begünstigten Unternehmen wurde von einer Hinzurechnung nach § 8 Nr. 1 Buchst. a GewStG abgesehen, wenn sie nachweislich ausschließlich Finanzdienstleistungen im Sinne des § 1 Abs. 1a S. 2 KWG tätigten. Die Vorschrift war insoweit enger gefasst als die Nachfolgeregelung vom 8. April 2010, als bereits bei der Ausübung eines einzigen schädlichen Geschäfts das Privileg insgesamt entfiel (Fallbeilwirkung). Sie war ebenfalls durch die gesetzliche Ermächtigung gedeckt. Nach § 35c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f GewStG in der Fassung vom 19. Dezember 2008 (BGBl. I 2008, S. 2794) war der Verordnungsgeber befugt, Vorschriften über die Beschränkung der Hinzurechnung von Entgelten für Schulden und ihnen gleichgestellte Beträge (§ 8 Nr. 1 Buchst a GewStG) bei Finanzdienstleistungsinstituten, die nachweislich ausschließlich Finanzdienstleistungen im Sinne des § 1 Abs. 1a Satz 2 KWG tätigten, zu erlassen. Zur Abmilderung der Fallbeilwirkung erging der gleichlautender Erlass der obersten Finanzbehörden der Länder vom 27. November 2009 (BStBl I 2009, 1595), der schädliche Hauptgeschäfte und unschädliche Hilfs- und Nebengeschäfte definierte. Im Bereich des Finanzierungsleasings sollten danach zu den begünstigten Neben- und Hilfsgeschäften zu Finanzdienstleistungen auch solche gehören, die in unmittelbarem und zwingend notwendigem Zusammenhang mit dem Erwerb des Leasinggegenstands, der Finanzierung des Erwerbs etc. branchentypisch anfallen (vgl. Nr. III. 2. des Erlasses). Zusätzlich enthielt der Erlass eine Billigkeitsregelung für den Fall, dass die anderen Leistungen 1% des Gesamtumsatzes nicht überstiegen (vgl. Nr. IV des Erlasses).
Dieser Verwaltungsanweisung kann schon nicht entnommen werden, dass das Erbringen von Zinszahlungen für die Einlagefinanzierung des atypisch stillen Gesellschafters unter die begünstigten Neben- und Hilfsgeschäfte fällt. Darüber hinaus könnte eine Verwaltungsanweisung, die den Steuerpflichtigen über die gesetzliche Vorgabe hinaus begünstigt, auch nicht zu einer verfassungsrechtlich unzulässigen Rückwirkung einer nachfolgenden gesetzlichen Neuregelung führen.
Die Neufassung des Bankenprivilegs für Finanzdienstleistungsinstitute in § 19 Abs. 4 S. 1 GewStDV (Fassung vom 8. April 2010), die gemäß § 36 Abs. 3 Satz 2, 1. HS GewStDV (in der Fassung vom 8. April 2010) rückwirkend ab dem Erhebungszeitraum 2008 anzuwenden ist, diente dem Zweck, die Fallbeilwirkung zu entfernen. Um gleichwohl nur Finanzdienstleistungen zu begünstigen, wurde das Unmittelbarkeitserfordernis in die Vorschrift aufgenommen. Die Auffassung der Klägerin, wonach mit der Neufassung eine verfassungsrechtlich unzulässige echte Rückwirkung verbunden ist, wird nicht geteilt. Denn bereits nach der vorherigen Fassung des Bankenprivilegs in § 19 Abs. 3 Nr. 4 GewStDV war das Tragen der Refinanzierungszinsen des atypisch stillen Gesellschafters begünstigungsschädlich, weil dies nicht das Tätigen einer Finanzdienstleistung ist.
ee) Aus der Rechtsprechung des BFH zu § 19 GewStDV in der in den Jahre 1984 bis 1988 geltenden Fassung (Urt. vom 23. August 2000 I R 98/96, BStBl II 2002, 207) ergibt sich nichts Anderes. Nach dieser Vorschrift waren bei Kreditinstituten Dauerschulden nur insoweit anzunehmen, als der Ansatz der zum Anlagevermögen gehörigen Betriebsgrundstücke (einschließlich Gebäude) und dauernde Beteiligungen das Eigenkapital überschritt.
Die Rechtsprechung zu dieser Fassung kann auf den vorliegenden Fall nicht übertragen werden, da die inhaltlichen Anforderungen vollkommen unterschiedlich ausgestaltet waren.
c) Die Anwendung des § 177 AO im Streitjahr 2013 erfolgte rechtmäßig und verstößt nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Eine teleologische Reduktion des § 177 Abs. 2 AO ist nicht geboten.
aa) Infolge der im Rechtsbehelfsverfahren erfolgten Änderung der gesonderten Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlusts auf den 31.12.2012 vom 28. Oktober 2015 war das Finanzamt gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO berechtigt, den Gewerbesteuermessbescheid für 2013 als Folgebescheid ebenfalls zu ändern. Dies steht zwischen den Beteiligten zu Recht nicht im Streit.
bb) Liegen die Voraussetzungen für die Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids zuungunsten (§ 177 Abs. 1 AO) bzw. zugunsten (§ 177 Abs. 2 AO) des Steuerpflichtigen vor, so sind, soweit die Änderung reicht, solche materiellen Fehler zugunsten und zuungunsten des Steuerpflichtigen zu berichtigen, die nicht Anlass der Aufhebung oder Änderung sind. § 177 AO stellt in beiden Absätzen keine eigenständige Korrekturvorschrift dar. Die Vorschrift begrenzt vielmehr die Korrektur eines Steuerbescheids zugunsten der materiell-rechtlich zutreffenden Steuerfestsetzung. Die der Saldierung zugänglichen materiellen Fehler sind nach § 177 Abs. 3 AO alle Fehler, die zur Festsetzung einer Steuer führen, die von der kraft Gesetzes entstandenen Steuer abweicht. Auf ein etwaiges Verschulden sowie insbesondere auf die Frage, ob insoweit Verjährung eingetreten ist, kommt es nicht an (BFH-Urt. vom 22. April 2015 X R 24/13, BFH/NV 2015, 1334 m.w.N.). Betragsmäßig ist die gegenläufige Berücksichtigung materieller Fehler auf den Umfang beschränkt, in dem die Änderung stattfände, wäre sie nicht durch § 177 Abs. 1, Abs. 2 AO begrenzt.
Vorliegend hat das Finanzamt den durch § 177 Abs. 2 AO eingeräumten Korrekturrahmen nicht überschritten.
cc) Der Anwendung des § 177 Abs. 2 AO stand der Grundsatz von Treu und Glauben nicht entgegen.
Es ist höchstrichterlich bereits geklärt, dass die Besorgnis der Klägerin, die Zulässigkeit der Fehlersaldierung in einer Konstellation wie der vorliegenden könne die Finanzverwaltung zum Missbrauch einladen, der Anwendung des § 177 Abs. 2 AO nicht entgegensteht. Mit Urteil vom 22. April 2015 (in BFH/NV 2015, 1334) hat der BFH hierzu ausgeführt, dass eine allgemeine Einschränkung der Saldierung mit Rücksicht auf die abstrakte Missbrauchsmöglichkeit nicht geboten und nicht möglich ist, da dies den Kern des § 177 Abs. 2 AO berühren würde. Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsauffassung an.
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass eine treuwidrige Handlung des Finanzamts im Streitfall auch nicht erkennbar ist. Die rechtswidrige und später wieder aufgehobene Änderung des Bescheids für 2012 erfolgte am 18. März 2015, die ebenfalls materiell rechtswidrige Änderung für 2013, deren Korrektur nach § 177 AO im Streit steht, wurde erst danach, nämlich am 23. März 2015, vorgenommen. Damit liegt die von der Klägerin gerügte Konstellation, dass die Finanzverwaltung zunächst ohne das Vorliegen von Änderungsvorschriften einen Bescheid in rechtswidriger Weise verbösert, um anschließend im Rahmen des Abhilfebescheids materielle Fehler des Folgebescheids über § 177 AO korrigieren zu können, hier nicht vor.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision wird nicht zugelassen, weil kein Zulassungsgrund nach § 115 Abs. 2 FGO vorliegt.