Aktenzeichen S 16 AS 364/16 ER
Leitsatz
Für die Annahme einer Bedarfsgemeinschaft, die „aus einem Topf“ wirtschaftet, reicht es nicht aus, dass eine Gemeinschaftskasse zum gemeinsamen Einkauf von Grundnahrungsmitteln, Sanitär- und Reinigungsartikeln besteht. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antragsgegner wird im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig ab 01.05.2016 bis zu einer bestands- bzw. rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis 31.08.2016, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in Höhe von jedenfalls 85% der gesetzlichen Höhe ohne Anrechnung eines Einkommens des Herrn D. zu bewilligen.
II. Der Antragsgegner erstattet der Antragstellerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ohne Anrechnung des Einkommens des Herrn D..
Der Antragsgegner gewährte der Antragstellerin auf deren Antrag vom 17.02.2016, eingegangen am 23.02.2016, mit Bescheid vom 21.03.2016 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum 01.03.2016 bis 31.08.2016. Hierbei wurde eine Bedarfsgemeinschaft mit Herrn D. zu Grunde gelegt und dadurch insbesondere dessen Einkommen angerechnet.
Hiergegen erhob der Klägerbevollmächtigte mit Schreiben vom 31.03.2016, eingegangen beim Antragsgegner am selben Tag, Widerspruch und stellte zugleich Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz vor dem Sozialgericht Nürnberg. Unzutreffender Weise sei eine Bedarfsgemeinschaft der Antragstellerin mit Herrn D. angenommen worden. Es fehle aber der Wille füreinander Einzustehen oder füreinander Sorge zu tragen. Es handele sich nur um eine Zweckgemeinschaft. Herr D. unterstütze die Antragstellerin weder finanziell noch in sonstiger Weise. Bereits seit Beginn bestünden strikt getrennte Kassen. Es existiere lediglich eine Haushaltskasse, in die die Antragstellerin wie auch Herr D. wöchentlich jeweils 35,00 € einzahlten. Hiervon würden Lebensmittel und Waschmittel eingekauft. Alle weiteren Artikel würden jeweils auf eigene Kosten selbst beschafft. Es bestünden kein gemeinsames Konto und keine wechselseitigen Kontovollmachten. Ferner gebe es keine gemeinsamen Versicherungen oder Bezugsberechtigungen. Herr D. lehne es strikt ab, die Antragstellerin zu unterstützen. Darüber hinaus sei auch Einkommen der Antragstellerin falsch angerechnet. Ein entsprechendes Arbeitsverhältnis sei nicht zustande gekommen. Es bestehe auch ein Anordnungsgrund. Die Antragstellerin könne von den gewährten Leistungen nicht einmal ihren Mietanteil vollständig tilgen. Sie verfüge über kein weiteres Vermögen, um vorübergehend ihren Lebensunterhalt sicherzustellen.
Die Antragstellerin beantragt,
Der Antragsgegner wird verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig ab 01.05.2016 bis zu einer bestands- bzw. rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis 31.08.2016 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in Höhe von jedenfalls 85% der gesetzlichen Höhe ohne Anrechnung eines Einkommens des Herrn D. zu bewilligen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Es liege eine Bedarfsgemeinschaft der Antragstellerin mit Herrn D. vor. Die Antragstellerin bewohne gemeinsam mit Herrn D. eine ca. 50 qm große Zwei-Zimmer-Wohnung. Sie habe angegeben, seit 01.04.2013 von ihrem Ehemann getrennt und in der Wohnung des Herrn D. zu leben. Herr D. habe die Wohnung zum 01.10.2003 bezogen. Aus seiner Beschäftigung bei der E. erziele er Einkommen von monatlich durchschnittlich 1.122,84 €. Es sei weder ein Anordnungsanspruch, noch ein Anordnungsgrund gegeben. Die Antragstellerin lebe nunmehr seit drei Jahren mit Herrn D. zusammen. Sie habe auch im Antrag angegeben, mit Herrn D. in einer Bedarfsgemeinschaft zu leben. Die 2-Zimmer-Wohnung sei in ein Wohn- und ein Schlafzimmer aufgeteilt. Die vorgetragene Zweckgemeinschaft sei nicht glaubhaft. Herr D. sei alleiniger Mieter der Wohnung. Dem Überweisungsbeleg vom 30.12.2015 sei lediglich eine Summe von 250,00 € zu entnehmen. Dies entspreche nicht dem Mietanteil der Antragstellerin. Dieser liege bei 260,28 €. Nachweise über weitere Mietzahlungen oder Belege über eine Beteiligung an den für die Wohnung anfallenden Strom- oder Telefonkosten sowie eine Beteiligung an den für den Haushalt zu entrichtenden Rundfunkgebühren oder Versicherungskosten sei nicht beigebracht worden. Eine Einzelabrechnung sei ebenfalls nicht vorgelegt worden. Es finde offenbar doch finanzielle Unterstützung durch Herrn D. statt. Getrennte Konten hingegen seien kein Indiz für das Nichtvorhandensein einer Einstandsgemeinschaft. Auch bei Ehepaaren sei eine getrennte Kontoführung häufig der Fall. Die Antragstellerin habe auch persönliche Unterlagen des Herrn D. vorlegen können.
Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakte sowie die Akte des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist begründet.
Der Antragsgegner ist im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig ab 01.05.2016 bis zu einer bestands- bzw. rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis 31.08.2016, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in Höhe von jedenfalls 85% der gesetzlichen Höhe ohne Anrechnung eines Einkommens des Herrn D. zu bewilligen.
Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Absatz 2 Satz 2 SGG), sog. Regelungsanordnung. Ein solcher Antrag ist schon vor Klageerhebung zulässig (§ 86b Absatz 3 SGG). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass der Antragsteller sowohl den geltend gemachten Anspruch (Anordnungsanspruch) als auch die für den Erlass einer solchen Anordnung im Gesetz vorgeschriebenen Gründe (Anordnungsgrund) ausreichend glaubhaft gemacht hat. Es müssen überwiegende Erfolgsaussichten in der Hauptsache bestehen und Gründe vorliegen, weswegen dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner, der öffentlichen und den Interessen Dritter nicht zugemutet werden kann, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind dabei funktionell miteinander verknüpft und beeinflussen sich gegenseitig. D.h. je schwerwiegender die Nachteile sind, die dem Antragsteller drohen, wenn eine einstweilige Regelung durch das Gericht nicht angeordnet wird, desto geringere Anforderungen sind an die Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu stellen (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 86b Rn. 27).
Ein Anordnungsgrund und ein Anordnungsanspruch sind glaubhaft gemacht. Die geltend gemachten Leistungen sind zuzusprechen. Einkommen des Herrn D. ist nicht anzurechnen. Die Antragstellerin ist hilfebedürftig i.S.d. § 7 Absatz 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 9 ff. SGB II. Die Voraussetzungen einer Bedarfsgemeinschaft (§ 7 Absätze 3, 3a SGB II) liegen nicht zur Überzeugung vor. Für die Annahme einer Bedarfsgemeinschaft muss zunächst eine Partnerschaft und eine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft (qualifiziertes Zusammenleben in einem Haushalt) im Wege des Vollbeweises nachgewiesen werden. Ein entsprechendes qualifiziertes Zusammenleben ist jedoch nicht nachgewiesen. Die nur gemäß § 202 SGG i.V.m. § 292 ZPO zu entkräftende und seitens des Antragsgegners angeführte Vermutungsregelung des § 7 Absatz 3a Nr. 1 SGB II des gegenseitigen Einstandswillens setzt ebenfalls ein (qualifiziertes) Zusammenleben länger als ein Jahr vor und ist daher nicht erfüllt. Voraussetzung für das gemeinsame Wirtschaften ist, dass die Antragstellerin und Herr D. „aus einem Topf“ wirtschaften (vgl. Mecke in Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, § 9 Rn. 89 m.V.a. BT-Drucks 15/1516, S. 53 und BSGE 102, 258 = SozR 4-4225 § 1 Nr. 1 Rn. 13). Für die Anforderungen an das gemeinsame Wirtschaften ist eine Gemeinschaftskasse zum gemeinsamen Einkauf von Grundnahrungsmitteln, Sanitär- und Reinigungsartikeln nicht ausreichend (Mecke in Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, § 9 Rn. 89; BSG SozR 4-4200 § 9 Nr. 6, Rn. 15). Ein darüber hinausgehendes gemeinsames (finanzielles) Wirtschaften zwischen der Antragstellerin und Herrn D. ist jedoch nicht nachgewiesen. Insoweit glaubhaft haben Herr D. und die Antragstellerin vorgetragen, dass bereits beim Einzug der Antragstellerin eine hälftige Kostenteilung vereinbart wurde. Zwar ist die Antragstellerin nicht im Mietvertrag separat aufgeführt und es wurde seitens des Vermieters auch kein Untermietverhältnis angeführt, jedoch ist dem Vermieter ausweislich der Bestätigung vom 07.03.2016 bekannt, dass die Antragstellerin bei Herrn D. wohnt. Glaubhaft und in Übereinstimmung führen die Antragstellerin und Herr D. hierzu an, dass sich der Vermieter geweigert habe, die Antragstellerin separat im Mietvertrag aufzunehmen. Man solle das untereinander klären. Dies und die Mietzahlung gegenüber dem Vermieter durch Herrn D. ist jedoch kein gewichtiges Indiz für eine Bedarfsgemeinschaft, da -auch bei Erfassung der Antragstellerin im Mietvertrages zum einen üblich ist, dass nur ein Mieter die Miete an den Vermieter überweist und zum anderen auch in diesem Falle der Vermieter von einem Gesamtschuldner die gesamte Leistung fordern könnte (§ 420 BGB). Der Ausgleich zwischen Gesamtschuldnern erfolgt dann nach § 426 BGB. Eine „Haftung“ des Herrn D., wie der Antragsgegner vorträgt ist daher in jedem Falle nach außen hin gegeben. Nachvollziehbar erläutert die Antragstellerin auch, dass die Miete regelmäßig in bar, ggf. in Teilzahlungen, beglichen wurde. Dies ist im Falle der ehemals selbstständigen Tätigkeit der Antragstellerin üblich, da sie Bareinnahmen hatte und diese entsprechend weitergeben konnte. Entsprechende Zahlungsbelege liegen vor. Die Antragstellerin und Herr D. konnten auch nicht widerlegbar darlegen, wie es zu den Belegen kam und inwiefern diese erst nach vollständiger Bezahlung (auch bei vorherigen Teilzahlungen) über den gesamten Betrag ausgestellt wurden. Auch bei gemeinsamen Ausflügen wird eine getrennte Kostentragung übereinstimmend vorgetragen. Dass hierbei die Benzinkosten lediglich pauschal abgerechnet wurden führt ebenso wenig zu einer Wirtschaftsgemeinschaft, wie auch dass keine Einzelabrechnung über exakte Beträge mehr vorliegt. Eine bedeutsame Lastenverteilung über etwaige Grundsätze der Bequemlichkeit bei der Abrechnung hinaus, sind nicht nachgewiesen. Über die Grundnahrungsmittel hinausgehend werden übereinstimmend getrennte Einkäufe vorgetragen. Über die gemeinsame Haushaltskasse hinaus ist daher nicht nachgewiesen, dass ein Wirtschaften „aus einem Topf“ vorliegt. Ein etwaiges so qualifiziertes Zusammenleben, das die Vermutungsregelung nach § 7 Absatz 3a Nr. 1 SGB II auslöst, liegt daher ebenfalls nicht vor.
Auch ein Anordnungsgrund ist gegeben. Ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache ist der Antragstellerin nicht zuzumuten. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass eine erhebliche Bedarfsunterdeckung der grundrechtlich geschützten Leistungen nach dem SGB II unter Anrechnung des Einkommens des Herrn D. vorliegt. Eine anderweitige Bedarfsdeckungsmöglichkeit durch die Antragstellerin wird glaubhaft verneint.
Der Antragstellerin werden im Wege der einstweiligen Anordnung beginnend wie beantragt ab 01.05.2016 für den Zeitraum bis zu einer bestands- bzw. rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch bis zum 31.08.2016 vorläufig bewilligt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog.