Steuerrecht

Dinglicher Arrest in das Vermögen eines ehemaligen Vorstands der Wirecard AG

Aktenzeichen  13 W 667/21

Datum:
19.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 38386
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 916, § 917 Abs. 1, § 920 Abs. 2
BGB § 826
InsO § 15a
StPO § 111h Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

Stellt das dem Arrestanspruch zugrunde liegende Verhalten eine vorsätzliche strafbare Handlung dar, die sich gegen das Vermögen des Arrestgläubigers richtet, besteht in der Regel ein Arrestgrund. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

40 O 4463/21 2021-04-07 Bes LGMUENCHENI LG München I

Tenor

I. Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 23.04.2021 wird der Beschluss des Landgerichts München I vom 07.04.2021, Az. 40 O 4463/21, abgeändert und wie folgt neu gefasst:
I. Zur Sicherung der Zwangsvollstreckung wegen einer Schadensersatzforderung des Antragstellers gegen den Antragsgegner auf Zahlung von 40.000,00 EUR wird der dingliche Arrest in das bewegliche und unbewegliche Vermögen des Antragsgegners angeordnet.
I. Die Vollziehung des Arrestes wird durch Hinterlegung eines Betrages in Höhe von 40.000,00 EUR gehemmt.
II. Von den Kosten des Verfahrens beider Instanzen trägt der Antragsteller 23 % und der Antragsgegner 77 %.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 17.265,48 EUR festgesetzt.
IV. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Mit Schriftsatz vom 30.03.2021, beim Landgericht München I eingegangen am 06.04.2021, beantragte der Antragsteller zur Sicherung einer Schadensersatzforderung aus unerlaubter Handlung in Höhe von 51.796,45 EUR nebst Zinsen die Anordnung des dinglichen Arrests in das gesamte Vermögen des Antragsgegners.
Der Antragsteller erwarb im Zeitraum vom 28.04.2020 bis zum 02.07.2020 durch 16 Ordergeschäfte insgesamt 1.251 Inhaber-Aktien der W. AG zu einem Gesamtpreis von 73.288,44 € (inklusive Erwerbskosten).
In der Zeit zwischen dem 19.06.2020 und dem 03.07.2020 verkaufte der Antragsteller die erworbenen Aktien wieder und erzielte hierbei einen Erlös von 20.158,15 €.
Der Antragsgegner war Vorstandsvorsitzender der W. AG; er trat im Juni 2020 zurück.
Am 25.06.2020 stellte die W. AG Insolvenzantrag beim Amtsgericht München.
Fünf der oben genannten Aktienkäufe erfolgten nach dem 25.06.2020.
In dem Insolvenzgutachten ist u.a. ausgeführt, dass die Staatsanwaltschaft München I am 22.07.2020 eine Pressemitteilung veröffentlichte, in welcher unter anderem mitgeteilt wird, dass sie aufgrund zuvor vom Amtsgericht München erlassener Haftbefehle den Beschuldigten L., bis Ende 2017 Finanzvorstand der W. AG, und den Beschuldigten von E., früherer Head auf Accounting bei der W. AG, jeweils in München festgenommen habe. Gegen den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der W. AG, Dr. M. B., sei ein neuer, erheblich erweiterter Haftbefehl beantragt und erlassen worden. Er sei in München festgenommen worden. Alle drei Beschuldigten seien bereits der Haftrichterin vorgeführt worden, die auf Antrag der Staatsanwaltschaft Haftfortdauer angeordnet habe. Die bisherigen intensiven Ermittlungen der Staatsanwaltschaft München I hätten ergeben, dass der den Beschuldigten zur Last zu legende Sachverhalt erheblich erweitert werden müsse. Insbesondere die umfassenden Angaben eines Kronzeugen, aber auch weitere Beweismittel wie Zeugenaussagen und Urkunden, begründeten den Verdacht, dass die Beschuldigten Dr. B., L., von E. und B., der Geschäftsführer der Card Systems M.E. FZ-LLC mit Sitz in Dubai, unter Beteiligung von weiteren Mittätern im Jahr 2015 übereinkamen, die Bilanzsumme und das Umsatzvolumen der W. AG durch das Vortäuschen von Einnahmen aus Geschäften mit sog. Third Party Acquirern (TPA) aufzublähen. Das Unternehmen sollte – so die Staatsanwaltschaft in ihrer Pressemitteilung – finanzkräftiger und für Investoren und Kunden attraktiver dargestellt werden, um so regelmäßig Kredite von Banken und sonstigen Investoren zu erlangen und daraus fortwährend eigene Einkünfte zu generieren. In Wirklichkeit sei den Beschuldigten spätestens seit Ende 2015 klar gewesen, dass der Wirecard Konzern mit den tatsächlichen Geschäften insgesamt Verluste erzielte. Entsprechend dem gemeinsamen Plan und in dem Wissen, dass angeblich vorhandene Vermögenswerte in Höhe von zuletzt 1,9 Milliarden Euro … nicht existierten, hätten die Beschuldigten die Verhandlung verschiedener Kredite und ähnlicher Geschäfte mit Investoren veranlasst. Banken in Deutschland und Japan sowie sonstige Investoren hätten, durch die falschen Jahresabschlüsse getäuscht, Gelder in Höhe von rund 3,2 Mrd. Euro bereitgestellt, die aufgrund der Insolvenz der W. AG höchstwahrscheinlich verloren sind. Die Beschuldigten Dr. B., L. und von E. sollen zudem entgegen ihrer Verpflichtungen gegenüber der W.AG das Vermögen des Unternehmens durch den Kauf von Unternehmen und Unternehmensanteilen zu überhöhten Preisen geschädigt haben. Nach derzeitiger rechtlicher Prüfung – so die Staatsanwaltschaft – würden den Beschuldigten in zum Teil verschiedenem Umfang gewerbsmäßiger Bandenbetrug, Untreue, unrichtige Darstellung und Marktmanipulation in mehreren Fällen vorgeworfen.
Der Antragsgegner hatte eine Schutzschrift hinterlegt, in der er beantragte, einen Antrag auf Erlass eines Arrestund/oder Pfändungsbeschlusses zurückzuweisen. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die Staatsanwaltschaft München I strafrechtliche Arreste erwirkt und aufgrund dieser Arreste das Vermögen des Antragsgegners umfassend gepfändet habe. Hierdurch entstehe ein Vollstreckungsverbot nach § 111 h Abs. 2 S. 1 StPO. Für weitere Arreste bestehe daher kein Rechtsschutzbedürfnis, da sie nicht vollzogen werden könnten.
Das Landgericht München I wies den Antrag auf Erlass eines dinglichen Arrests mit Beschluss vom 07.04.2021 zurück, da ein Arrestanspruch nicht glaubhaft gemacht worden sei. Unabhängig davon, auf welcher Anspruchsgrundlage der Arrestanspruch beruhe, sei nicht erkennbar, inwieweit dem Antragsteller ein Schaden entstanden sei.
Der Beschluss des Landgerichts wurde dem anwaltlichen Vertreter des Antragstellers am 09.04.2021 zugestellt.
Mit Schriftsatz vom 23.04.2021, beim Landgericht München I per beA eingegangen am selben Tag, legte der Antragsteller sofortige Beschwerde gegen den Beschluss vom 07.04.2021 ein, stellte die Erwerbs- und Verkaufsvorgänge im Einzelnen dar und fügte entsprechende Geschäftsabrechnungen zur Glaubhaftmachung bei.
Das Landgericht half der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 28.04.2021 nicht ab und verfügte die Vorlage der Akten an das Oberlandesgericht München. Es sei bereits eine Pflichtverletzung durch den Antragsgegner nicht ausreichend glaubhaft gemacht. Jedenfalls aber mangele es an der Glaubhaftmachung der Kausalität von Pflichtverletzung und Schaden. Der Umstand, dass der Erwerb der Aktien im Zeitraum vom 28.04.2020 bis zum 02.07.2020 stattgefunden habe, lasse die Behauptung des Antragstellers, er hätte bei rechtzeitigem Insolvenzantrag und rechtzeitiger Angabe einer etwaigen Überschuldung keine Aktien der Wirecard AG gekauft, als nicht ausreichend glaubhaft erscheinen.
Unter dem 07.05.2021 erging ein Hinweis der Berichterstatterin.
Der Antragsteller reagierte hierauf mit Schriftsatz vom 12.05.2021, in welchem er die von ihm geltend gemachte Forderung präzisierte und auf 40.000 EUR beschränkte sowie erklärte, dass Zinsen nicht geltend gemacht würden.
Ergänzend wird auf den Inhalt der Beschlüsse vom 07.04.2021 und 28.04.2021 sowie der Verfügung vom 07.05.2021 und auf die von den Parteien zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 07.04.2021 ist zulässig und begründet.
1. Das Rechtsmittel ist zulässig.
Die Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde gegen die Zurückweisung des Antrags auf Anordnung des dinglichen Arrestes ergibt sich aus § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO (vgl. Zöller/G. Vollkommer, ZPO, 33. Aufl., § 922 Rn. 19). Die zweiwöchige Notfrist des § 569 Abs. 1 ZPO und die Formvorschriften des § 569 Abs. 2 ZPO sind gewahrt.
2. Die sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
2) Der dingliche Arrest war in der beantragten Höhe anzuordnen.
2) Der Antrag ist nunmehr hinreichend bestimmt. Ausweislich der mit Schriftsatz vom 12.05.2021 erfolgten Klarstellung macht der Antragsteller nach Teilrücknahme auf 40.000,00 EUR noch Forderungen aufgrund folgender Erwerbsvorgänge geltend:
Erwerbspreis
Veräußerungspreis
Forderung
am 19.06.2020
1.
28.04.2020, 9:29 Uhr:
11.283,90 EUR – 2.383,00 EUR =
8.900,90 EUR
2.
04.05.2020, 16:12 Uhr:
8.716,90 EUR – 2.383,00 EUR =
6.333,90 EUR
3.
04.05.2020, 16:13 Uhr:
8.710,90 EUR – 2.383,00 EUR =
6.327,90 EUR
4.
07.05.2020, 18:59 Uhr:
8.501,90 EUR – 2.383,00 EUR =
6.118,90 EUR
5.
08.05.2020, 19:37 Uhr:
9.180,90 EUR – 2.383,00 EUR =
6.797,90 EUR
34.479,50 EUR
6. 08.05.2020, 20:33 Uhr:
5.520,50 EUR*
40.000,00 EUR
* aus 9.272,90 EUR – 2.383,00 EUR = 6.889,90 EUR
2) Der Antragsteller hat das Vorliegen eines entsprechenden Arrestanspruchs aus § 826 BGB glaubhaft gemacht (§§ 916 Abs. 1, 920 Abs. 2 ZPO).
Der Antragsteller hat zwar als Anspruchsgrundlage neben § 826 BGB u.a. § 15 a InsO i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB zitiert. Der Lebenssachverhalt, aus dem der Antragsteller die von ihm geltend gemachten Ansprüche herleitet, besteht jedoch letztlich nicht vorrangig in der verspäteten Insolvenzantragstellung, sondern darin, dass der Antragsgegner und seine Mittäter im Jahr 2015 übereingekommen seien, die Bilanzsumme und das Umsatzvolumen der W. AG durch das Vortäuschen von Einnahmen aus Geschäften mit sog. Third-Party-Acquirern aufzublähen, um so das Unternehmen finanzkräftiger und für Investoren und Kunden attraktiver darzustellen und dadurch regelmäßig Kredite von Banken und sonstigen Investoren zu erlangen, obwohl bereits spätestens seit Ende 2015 klar gewesen sei, dass der Wirecard Konzern mit den tatsächlichen Geschäften in Wirklichkeit Verluste erziele (vgl. S. 5 des Schriftsatzes vom 30.03.2021). Letztlich stützt sich der Antragsteller vor allem auf die fehlende Aufklärung über die vermögensrelevanten Tatsachen (S. 16-18 des Schriftsatzes vom 30.03.2021).
Aufgrund der im Insolvenzgutachten wiedergegebenen Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft München I vom 22.07.2020 ist es hinreichend wahrscheinlich, dass ein Schadensersatzanspruch des Antragstellers gegen den Antragsgegner aus § 826 BGB besteht. In dieser Pressemitteilung werden hinreichend detailliert Verhaltensweisen des Antragsgegners beschrieben, welche als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung zum Nachteil von Kreditgebern und Investoren der W. AG zu werten sind. Hierzu gehören insbesondere das Vortäuschen tatsächlich nicht existenter Geschäfte und die Vorspiegelung nicht existierender Vermögenswerte in Höhe von 1,9 Milliarden Euro auf der Grundlage eines im Jahr 2015 gefassten Tatentschlusses mit dem Ziel, die W. AG nach außen hin als wirtschaftlich erfolgreiches Unternehmen darzustellen. Aus der Pressemitteilung geht auch in groben Zügen hervor, auf welchen Beweismitteln der Tatverdacht gegen den Antragsgegner beruht. Ferner teilt die Staatsanwaltschaft mit, dass das Amtsgericht München Haftbefehl gegen den Antragsgegner erlassen und somit einen dringenden Tatverdacht bejaht hat.
Der Antragsteller hat die Erwerbs- und Verkaufsvorgänge vorgetragen und einen Schaden durch Vorlage der Umsatzübersicht und der Geschäftsabrechnungen auch glaubhaft gemacht.
Der Kausalität des vorsätzlichen sittenwidrigen Verhaltens des Antragsgegners für die Kaufentscheidungen des Antragstellers steht vorliegend nicht entgegen, dass der Antragsteller auch nach Insolvenzantragstellung noch Aktien gekauft hat.
Zum einen wurden die Aktien nach dem Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung zu einem deutlich günstigeren Preis gekauft.
Ferner ist zu berücksichtigen, dass sich aus der Insolvenzantragstellung zwar die drohende Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung ergaben. Nach der Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft vom 22.07.2020 wusste die Unternehmensführung einschließlich des Antragsgegners aber zudem, dass das Geschäft mit Third-Party-Acquirern nicht existierte, und den von der Staatsanwaltschaft beschuldigten Mitgliedern der Unternehmensleitung war darüber hinaus spätestens seit Ende 2015 bekannt, dass der W. Konzern mit seinen tatsächlichen Geschäften insgesamt Verluste erzielte. Dies ergibt sich allein aus der Insolvenzantragstellung nicht.
2) Auch ein Arrestgrund gemäß § 917 Abs. 1 ZPO ist glaubhaft gemacht.
Stellt das dem Arrestanspruch zugrunde liegende Verhalten eine vorsätzliche strafbare Handlung dar, die sich gegen das Vermögen des Arrestgläubigers richtet, besteht in der Regel ein Arrestgrund (Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, 42. Aufl., § 917 Rn. 1; OLG München, MDR 2017, 174). So liegt es hier.
2) Der Arrestantrag ist auch nicht wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.
Es kann dahinstehen, ob derzeit das gesamte Vermögen des Arrestschuldners von Vollziehungsmaßnahmen der Staatsanwaltschaft aufgrund der von ihr erwirkten Arreste betroffen ist.
Dies würde jedenfalls nicht zum Fehlen des Rechtsschutzbedürfnisses führen. Denn zum einen ist nicht von vornherein auszuschließen, dass der Antragsgegner innerhalb der Vollziehungsfrist weitere Vermögensgegenstände erwirbt. Zum anderen greift § 111 h Abs. 2 S. 1 StPO nur während der Dauer der Arrestvollziehung. Auch insoweit ist nicht auszuschließen, dass sich innerhalb der Vollziehungsfrist Änderungen ergeben.
2) Die Anordnung der Abwendungsbefugnis beruht auf § 923 ZPO.
III.
1. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 92 Abs. 1 S. 1, 269 Abs. 3 ZPO.
2. Der Senat hat den Streitwert des Beschwerdeverfahrens gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 1 GKG, § 3 ZPO auf 1/3 der im Beschwerdeverfahren ursprünglich gegenständlichen Hauptforderung festgesetzt (vgl. hierzu MüKo ZPO/Wöstmann, 6. Aufl. 2020, § 3 Rn. 34 – beck-online).
3. Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind.

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