Aktenzeichen II R 19/15
§ 9 Abs 1 Nr 1 GrEStG 1997
§ 175 Abs 1 S 1 Nr 2 AO
Leitsatz
1. Ist der Erwerber eines Grundstücks beim Abschluss des Grundstückskaufvertrags hinsichtlich des “Ob” und “Wie” der Bebauung gebunden, wird das erworbene Grundstück erst dann im bebauten Zustand Gegenstand des Erwerbsvorgangs, wenn der Bauerrichtungsvertrag geschlossen wird.
2. Der Abschluss des Bauerrichtungsvertrags ist ein nachträgliches Ereignis, welches die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer auf den Zeitpunkt des Grundstückserwerbs dahingehend verändert, dass zu den Kosten des Grundstückserwerbs nunmehr auch die Baukosten hinzutreten.
Verfahrensgang
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 13. Oktober 2014, Az: 7 K 158/14, Urteil
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 13. Oktober 2014 7 K 158/14 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens haben die Kläger zu tragen.
Tatbestand
I.
1
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) erwarben mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom 30. Juli 2012 von der Stadt ein Grundstück, welches als eines von sieben Reihenhausgrundstücken von der Stadt auf der Grundlage eines entsprechenden Bebauungsplans erschlossen wurde. Der Kaufvertrag wurde –unter Gestattung eines Insichgeschäfts– von den Klägern als Grundstückskäufer und gleichzeitig als Vertreter ohne Vertretungsmacht für die Stadt als Grundstücksverkäuferin sowie die X-GmbH als Bauunternehmerin der zu errichtenden Reihenhäuser geschlossen.
2
In der Vorbemerkung des Kaufvertrags war ausgeführt, der Rat der Stadt habe die Vergabe der Reihenhausgrundstücke an den Architekten A auf der Basis der vorgelegten Bauskizzen beschlossen. Die Vermarktung und Bauausführung führe für ihn die X-GmbH aus. Sie errichte nach den Plänen des Architekten A die Reihenhauszeile und trete in den Kaufverträgen als Beteiligte auf, damit gewährleistet sei, dass für den Fall, dass ein Kaufvertrag rückabgewickelt werde, das Bauprojekt insgesamt nicht verzögert werde. In einem solchen Fall sei vorgesehen, dass die X-GmbH entweder kurzfristig einen neuen Erwerber benenne oder selber als Erwerber auftrete. In dem Kaufvertrag war außerdem geregelt, dass der Kaufpreis für das Grundstück 36.936 € betrage und die Erwerber zur Bebauung mit einem Reihenhaus auf der Grundlage der dem Vertrag als Anlage beigefügten Bauzeichnungen des Architekten A innerhalb von zwei Jahren nach Vorliegen der Baureife verpflichtet seien.
3
Am 10. August 2012 teilte der Notar dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt –FA–) mit, dass der Kaufvertrag am 1. August 2012 durch die X-GmbH und am 9. August 2012 durch die Stadt genehmigt worden war.
4
Mit Bescheiden vom 23. August 2012 setzte das FA gegen die Kläger Grunderwerbsteuer für den Erwerb des Grundstücks in Höhe von jeweils 831 € fest. Als Bemessungsgrundlage wurde jeweils die Hälfte des Kaufpreises zu Grunde gelegt.
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Am 29. September 2012 schlossen die Kläger mit der X-GmbH als Generalunternehmerin einen Bauvertrag über die Errichtung eines Reihenhauses (Bauerrichtungsvertrag) gemäß der Leistungsbeschreibung und den Bauzeichnungen des Architekten A vom 15. August 2012 und einem Angebot der X-GmbH ebenfalls vom 15. August 2012 zu einem Festpreis von 211.635 €.
6
Nachdem das FA Kenntnis von dem Abschluss des Bauvertrags erhalten hatte, erließ es nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) geänderte Bescheide vom 28. Februar 2013, in denen es die Baukosten für das Reihenhaus in die Bemessungsgrundlage einbezog und die Grunderwerbsteuer entsprechend erhöhte. Zur Begründung führte das FA aus, es bestehe ein derart enger sachlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen dem am 9. August 2012 rechtswirksam gewordenen Grundstückskaufvertrag und dem Abschluss des Bauvertrags am 29. September 2012, dass Erwerbsgegenstand das bebaute Grundstück gewesen sei. Der Abschluss des Bauvertrags sei ein rückwirkendes Ereignis.
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Die hiergegen gerichteten Einsprüche waren erfolglos.
8
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit der Begründung statt, die bestandskräftigen Bescheide vom 23. August 2012 seien nicht mehr änderbar gewesen. Es lägen weder die Voraussetzungen des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO noch des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO vor. Bereits bei Abschluss des Kaufvertrags seien die Voraussetzungen des einheitlichen Vertragswerks gegeben und damit eine Einbeziehung der Baukosten in geschätzter Höhe in die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer veranlasst gewesen. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2015, 1741 veröffentlicht.
9
Mit seiner Revision rügt das FA eine Verletzung von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO.
10
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
11
Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.