Steuerrecht

Einkommensteuer

Aktenzeichen  5 K 167/17

Datum:
9.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
StEd – 2018, 457
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
EStG § 9 Abs. 4 S. 8
BUKG § 10
FGO § 6 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Einkommensteuerbescheid 2014 vom 09.12.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 02.01.2017 wird dahingehend abgeändert, dass die Einkommensteuer 2014 unter Berücksichtigung der Kosten für den Umzug nach A-Stadt i. H. v. 143 € entsprechend der Umzugspauschale nach § 10 BUKG und Fahrtkosten für die Wohnungssuche in A-Stadt i. H. v. 300 € als weiterer Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit herabgesetzt wird. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahren haben der Kläger zu 11/12 und der Beklagte zu 1/12 zu tragen.
3. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

Die Klage ist teilweise begründet.
I.
Die Aufwendungen für die beiden Fahrten zur Wohnungssuche sowie 20% der Umzugskostenpauschale können als Werbungskosten zusätzlich angesetzt werden.
1. Gem. § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG können Kosten für Aus- und Fortbildung als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend gemacht werden. Der Kläger war zwar damals arbeitslos; die Fortbildung sollte jedoch der Aufnahme einer neuen nichtselbständigen Tätigkeit dienen. Daher handelte es sich um vorweggenommene Werbungskosten. Die Fahrtkosten zum Zweck der Wohnungssuche können mit den pauschalen Kilometersätzen angesetzt werden, weil der Kläger vor Beginn des Schweißerlehrgangs weder einen Wohnsitz noch eine erste Tätigkeitsstätte in A-Stadt gehabt hat. Die beiden Fahrten zur Wohnungssuche können daher mit 0,30 €/km angesetzt werden (250 km einfach x 2 x 2 x 0,30 €/km = 300 €).
2. Daneben können 20% (§ 10 Abs. 4 BUKG) der Umzugskostenpauschale (715 € Umzugskostenpauschale gem. BMF-Schreiben vom 06.10.2014 IV C 5 – S 2353/08/10007, BStBl I, 1342 x 20% = 143 €) angesetzt werden. Die Begrenzung ergibt sich daraus, dass der Kläger in seinem Elternhaus über keine eigene Wohnung mit Kochgelegenheit, sondern lediglich über einen Kühlschrank und eine Mikrowelle verfügt hat. Weitere Fahrten allein zum Transport von Einrichtungsgegenständen in die möblierte Wohnung in A-Stadt hat der Kläger nicht nachgewiesen; es liegt nahe, dass ein Transport solcher Gegenstände bei Gelegenheit der Fahrten zum Lehrgang stattgefunden hat.
Es waren daher zusätzliche Werbungskosten i. H. v. 443 € zu berücksichtigen.
II.
Im Übrigen ist die Klage unbegründet.
1. Die Kosten für die Unterkunft sowie die Mehraufwendungen für Verpflegung können nicht berücksichtigt werden, weil der Kläger in A-Stadt während des Schweißerlehrgangs seine erste Tätigkeitsstätte in A-Stadt gehabt hat.
a) Die Aufwendungen für den Schweißerlehrgang können grundsätzlich gem. § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG als vorweggenommene Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 i. V. m. § 19 Abs. 1 Satz 1 EStG) angesetzt werden. Das Abzugsverbot für Ausbildungskosten gem. § 9 Abs. 6 EStG kommt nicht zum Tragen, da der Kläger bereits vor dem Schweißerlehrgang über eine abgeschlossene Ausbildung zum Behälter- und Apparatebauer verfügt hat.
b) Gem. § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG sind Werbungskosten Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Werbungskosten sind gem. § 9 Abs. 1 Satz 3 EStG auch notwendige Mehraufwendungen eines Arbeitnehmers für beruflich veranlasste Übernachtungen an einer Tätigkeitsstätte, die nicht erste Tätigkeitsstätte ist (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5a) und Mehraufwendungen des Arbeitnehmers für die Verpflegung, wenn der Arbeitnehmer außerhalb seiner Wohnung und ersten Tätigkeitsstätte beruflich tätig wird (§ 9 Abs. 4a EStG). Voraussetzung ist also jeweils, dass der Steuerpflichtige am Ort der Auswärtstätigkeit nicht seine erste Tätigkeitsstätte hat; die Einschränkungen für die in § 9 Abs. 1 Satz 3 aufgezählten Werbungskostentatbestände gelten insoweit auch, soweit Fahrt-, Unterkunfts- und Verpflegungskosten den Aus- und Fortbildungskosten gem. § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG zuzuordnen sind, wie sich aus der (klarstellenden) Ergänzung in § 9 Abs. 4 Satz 8, 2. Halbsatz EStG ergibt.
c) Gemäß § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG gilt als erste Tätigkeitsstätte auch eine Bildungseinrichtung, die außerhalb eines Dienstverhältnisses zum Zwecke eines Vollzeitstudiums oder einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme aufgesucht wird. Durch die Neuregelung des Reisekostenrechts ab dem Veranlagungszeitraum 2014 ist die Rechtsprechung des BFH, wonach es sich bei einer vollzeitig besuchten Bildungsstätte nicht um eine regelmäßige Tätigkeitsstätte handele, überholt (U. Köhler in Bordewin/Brandt, EStG, § 9 Rn. 1412). Für die Zeit des schweißtechnischen Lehrgangs ist der Kläger kein Arbeitnehmer gewesen, da er sich nicht in einem Arbeitsverhältnis befunden hat. Dementsprechend bestimmt sich seine erste Tätigkeitsstätte nicht nach den nur für Arbeitnehmer geltenden Regeln des § 9 Abs. 4 Sätze 1 – 7 EStG, sondern nach Satz 8 dieser Vorschrift. Während dieses Zeitraums war die Schweißtechnische Lehr- und Versuchsanstalt A-Stadt die erste Tätigkeitsstätte des Klägers, denn hierbei handelt es sich um eine Bildungseinrichtung im Sinne von § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG. Unter Bildungseinrichtung ist jede Anstalt oder jeder Ort zu verstehen, an dem Wissen oder Bildung vermittelt wird, vorzugsweise im Rahmen der Berufsaus- und -weiterbildung (Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach, § 9 EStG, Anm. 562). Bei der Lehr- und Versuchsanstalt handelt es sich um eine Bildungseinrichtung in diesem Sinne. Diese Einrichtung hat der Kläger während dieser Zeit auch tatsächlich im Rahmen einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme aufgesucht.
d) Dem steht die befristete Lehrgangsdauer von gut drei Monaten nicht entgegen.
aa) Der Gesetzeswortlaut des § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG spricht nicht von einer Zuordnung für einen bestimmten Zeitraum, sondern vom tatsächlichen „Aufsuchen“. Aus diesen Gründen hat das FG Münster eine Mindestdauer verneint, weil ein eigenständiger Begriff der ersten Tätigkeitsstätte vorliege und die Regelungen für Arbeitnehmer nicht zur Anwendung kämen (Urteil vom 24.01.2018 7 K 1007/17 E, F, juris). Zutreffend ist jedenfalls, dass der Gesetzgeber nicht auf eine Berufsausbildung i. S. d. § 9 Abs. 6 EStG Bezug genommen hat, was nahegelegen hätte, wenn er eine Mindestdauer hätte festlegen wollen.
bb) Dem Tatbestandsmerkmal „zum Zwecke eines Vollzeitstudiums oder einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme“ des § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG ist ebenfalls keine feste Mindestdauer zu entnehmen. Auch im Rahmen eines Vollzeitstudiums können sich Studienorte ändern; mancher Studienort wird nur für ein einzelnes Auslandssemester aufgesucht. Der Begriff der „Bildungsmaßnahme“ ist noch weiter; hierzu wird man auch Umschulungsmaßnahmen rechnen müssen (U. Köhler in Bordewin/Brandt, EStG, § 9 Rn. 606), die typischerweise nur einige Monate dauern.
cc) Selbst wenn man, anders als das FG Münster (Urteil vom 24.01.2018 – 7 K 1007/17 E, F –, juris) die Regelungen für Arbeitnehmer (§ 9 Abs. 4 Satz 3 EStG) zugrunde legt, wofür beispielsweise die Begründung der Ergänzung von § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG durch das Gesetz zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (BT-Drucks. 18/1529) spricht, ist auch nach den Maßstäben für Arbeitnehmer eine erste Tätigkeitsstätte des Klägers in A-Stadt anzunehmen. Der Kläger hat, wie von vornherein geplant, den gesamten Lehrgang an der Anstalt in A-Stadt absolviert. Auch bei Arbeitnehmern gibt es keine Mindestdauer für die Annahme einer ersten Tätigkeitsstätte. So genügt es beispielsweise, wenn eine Servicekraft für die Dauer des Oktoberfestes auf der Münchener Wies’n tätig wird, damit diese dort ihre erste Tätigkeitsstätte hat (Thomas in DStR 2014, 500). Eine Übertragung der in § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG enthaltenen Frist von 48 Monaten auf befristete Bildungsmaßnahmen kommt nicht in Betracht, da in diesem Zeitraum in vielen Fällen die gesamte Bildungsmaßnahme absolviert wird.
dd) Eine praktikable Lösung ist aus Sicht des Senats, auf die Dreimonatsgrenze für die steuerliche Berücksichtigung von Verpflegungsmehraufwendungen in § 9 Abs. 4a Satz 6 EStG abzustellen. Diese ist zwar nicht unmittelbar anwendbar, da bei Bestehen einer ersten Tätigkeitsstätte schon der Tatbestand in § 9 Abs. 4a Satz 1 EStG nicht erfüllt ist. Der der Regelung in § 9 Abs. 4a Satz 6 EStG zugrundeliegende Gedanke, dass eine auf mehr als drei Monate angelegte Tätigkeit es dem Steuerpflichtigen ermöglicht, seine Lebensumstände kostenmindernd zu organisieren, ist durchaus für die Auslegung des Begriffs der „vollzeitigen Bildungsmaßnahme“ zur Ermittlung der ersten Tätigkeitsstätte, wobei es ebenfalls um die mögliche Kostenminderung aufgrund der Absehbarkeit eines längeren Tätigwerdens an einem bestimmten Ort geht, heranzuziehen.
Jedenfalls bei einer auf mehr als drei Monate angelegten vollzeitigen Bildungsmaßnahme wird diese Einrichtung zur ersten Tätigkeitsstätte mit der Folge, dass die Einschränkungen gem. § 9 Abs. 4 Satz 8 i. V. m. § 9 Abs. 1 Satz 3 EStG ab Beginn der Maßnahme gelten.
e) Im vorliegenden Fall war der Schweißerlehrgang von vornherein auf mehr als drei Monate angelegt. Der Kläger hat somit die Möglichkeit gehabt, seine Kosten zu mindern, und hat davon auch tatsächlich Gebrauch gemacht, indem er eine Wohnung angemietet und die Kosten und Mühen des täglichen Pendels vermieden hat. Er hat daher in A-Stadt über eine erste Tätigkeitsstätte verfügt. Der Abzug von Unterkunftskosten und Verpflegungsmehraufwendungen ist daher ausgeschlossen.
2. Auch eine Berücksichtigung der Unterkunfts- und Verpflegungskosten im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung (§ 9 Abs. 4 Satz 8 i. V. m. Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG) ist nicht möglich.
a) Diese Vorschrift ist gem. § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG auf Teilnehmer an Bildungsmaßnahmen entsprechend anzuwenden. Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG liegt eine doppelte Haushaltsführung nur vor, wenn der Steuerpflichtige außerhalb des Ortes seiner ersten Tätigkeitsstätte einen eigenen Hausstand unterhält und auch am Ort der ersten Tätigkeitsstätte wohnt. Das Vorliegen eines eigenen Hausstandes setzt das Innehaben einer Wohnung sowie eine finanzielle Beteiligung an den Kosten der Lebensführung voraus (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 3 EStG).
b) Der Kläger unterhielt in den Streitjahren keinen eigenen Hausstand außerhalb seiner ersten Tätigkeitsstätte. Als solcher kann im Streitfall allein die mütterliche Wohnung in B-Stadt in Betracht kommen. An den Kosten der Lebensführung für diese Wohnung hat sich der Kläger während des Lehrgangs jedoch nicht finanziell beteiligt, weil seine Mutter auf eine Kostenbeteiligung in der Zeit seiner geminderten Leistungsfähigkeit verzichtet hat. Bereits nach der Rechtsprechung zur bis 2013 geltenden Rechtslage, bei der die finanzielle Beteiligung keine Tatbestandsvoraussetzung des eigenen Hausstands darstellte, war geklärt, dass nicht verheiratete junge Arbeitnehmer, die nach Beendigung der Ausbildung im elterlichen Haushalt ihr Zimmer – wenn auch gegen Kostenbeteiligung – bewohnen, dort keinen eigenen Hausstand unterhalten (BFH Beschluss vom 01.03.2017 VI B 74/16, BFH/NV 2017, 903). Durch die ab 2014 eingeführte Gesetzesänderung sollte der Begriff des eigenen Hausstandes gesetzlich konkretisiert und damit zusätzliche Rechtssicherheit geschaffen werden. Ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien genügt es weiterhin nicht, wenn ein Arbeitnehmer im Haushalt seiner Eltern lediglich ein Zimmer bewohnt (BT-Drucks. 17/10774, S. 13f).
Die Klage ist daher insoweit unbegründet.
Daraus ergibt sich folgende Berechnung der Einkommensteuer 2014:
Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit
Bruttoarbeitslohn 19.610,00 €
Entfernungspauschale für 134 Tage x 6 km x 0,30 €/km -242,00 €
Aufwendungen für Arbeitsmittel -407,00 €
Reisekosten bei Auswärtstätigkeiten -148,00 €
Verpflegungsmehraufwand -120,00 €
Fahrtkosten nach A-Stadt -300,00 €
Umzugskostenpauschale -143,00 €
übrige Werbungskosten -307,00 €
Einkünfte 17.943,00 €
abzgl. Sonderausgaben -2.975,00 €
zzgl. Kirchensteuererstattungsüberhang 108,00 €
zu versteuerndes Einkommen 15.076,00 €
ESt lt. Grundtarif 1.362,00 €
Der Einkommensteuerbescheid 2014 vom 09.12.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 02.01.2017 war dahingehend abzuändern, dass die Einkommensteuer 2014 unter Berücksichtigung von Fahrtkosten i. H. v. 300 € und der Umzugskostenpauschale i. H. v. 143 € als zusätzlichen Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit herabgesetzt wird. Im Übrigen war die Klage abzuweisen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen (§ 136 Abs. 1 Satz FGO). Aus dem Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen ergibt sich die im Tenor ausgewiesene Kostenquote. Danach haben der Kläger die Kosten zu 11/12 und der Beklagte zu 1/12 zu tragen.
IV.
Die Revision war gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen. Die Frage, ab welcher zeitlichen Dauer ein Vollzeitstudium oder eine vollzeitige Bildungsmaßnahme die aufgesuchte Bildungseinrichtung gem. § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG zur ersten Tätigkeitsstätte werden lassen, hat grundsätzliche Bedeutung und ist bisher nicht höchstrichterlich geklärt.

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