Aktenzeichen 14 K 3408/16
EnergieStG § 46 Abs. 1 S. 1, § 51 Abs. 1
Leitsatz
Tenor
1. Die Bescheide vom 2. März 2016 und die Einspruchsentscheidungen vom 15. November 2016 werden aufgehoben sowie der Beklagte verpflichtet, die Vergütung
von Stromsteuer gemäß § 5 Abs. 3 Satz 3 StromStG für das Jahr 2009 in Höhe von insgesamt 34.743,99 EUR und für das Jahr 2010 in Höhe von insgesamt
199.755,79 EUR festzusetzen.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
II.
Die Klage ist begründet. Die Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 Satz 3 StromStG für die insgesamt beantragten Vergütungen sind erfüllt und die Festsetzungsverjährung ist noch nicht abgelaufen.
1. Die Voraussetzungen für die Vergütungen nach § 5 Abs. 3 Satz 3 StromStG liegen hier unstreitig vor.
a) Gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 StromStG entsteht die Steuer dadurch, dass vom im Steuergebiet ansässigen Versorger geleisteter Strom durch Letztverbraucher im Steuergebiet aus dem Versorgungsnetz entnommen wird, oder dadurch, dass der Versorger dem Versorgungsnetz Strom zum Selbstverbrauch entnimmt. Versorger ist derjenige, der Strom leistet (§ 2 Nr. 1 StromStG). Wer ausschließlich nach § 3 StromStG oder § 9 Abs. 2a StromStG zu versteuernden Strom bezieht und diesen ausschließlich an seine Mieter, Pächter oder vergleichbare Vertragsparteien als Letztverbraucher leistet, gilt gem. § 1 Abs. 1 der Stromsteuer-Durchführungsverordnung in der Fassung der Streitjahre (StromStV) nicht als Versorger, sondern als Letztverbraucher im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 StromStG.
Strom gilt mit der Leistung an einen Versorger, der nicht Inhaber einer nach § 4 Abs. 1 StromStG erforderlichen Erlaubnis als Versorger ist, als durch einen Letztverbraucher im Steuergebiet aus dem Versorgungsnetz entnommen, wenn die Leistung des Stroms in der Annahme erfolgt, dass eine Steuer nach § 5 Abs. 1 Satz 1 StromStG entstanden sei (§ 5 Abs. 3 Satz 1 StromStG). Eine Steuerentstehung durch die tatsächliche Entnahme des Stroms aus dem Versorgungsnetz bleibt dadurch unberührt (§ 5 Abs. 3 Satz 2 StromStG). Dem Versorger ohne Erlaubnis wird die durch den an ihn leistenden Versorger entrichtete Steuer auf Antrag vergütet, soweit er nachweist, dass die durch die tatsächliche Entnahme des Stroms entstandene Steuer entrichtet worden ist, für den Strom keine Steuer entstanden ist oder der Strom steuerfrei entnommen worden ist (§ 5 Abs. 3 Satz 3 StromStG).
b) Im Streitfall hat die Klägerin, die Strom leistete, aber in den Streitjahren keine Erlaubnis nach § 4 Abs. 1 StromStG hatte, Strom von Versorgern bezogen, welche ihr in der Annahme, sie sei Letztverbraucherin, später bezahlte Stromsteuer in Rechnung stellten. Die Klägerin entnahm diesen Strom entweder zur eigenen Verwendung oder leistete ihn an Letztverbraucher, mit denen keine Miet-, Pacht- oder vergleichbare Vertragsverhältnisse bestanden. Sie hat die für diese tatsächlichen Entnahmen entstandene Stromsteuer bezahlt.
2. Festsetzungsverjährung ist nicht eingetreten.
a) Nach § 155 Abs. 4 AO gelten die Vorschriften für die Steuerfestsetzung und damit u.a. diejenigen über die Festsetzungsverjährung für Steuervergütungen sinngemäß. Gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO beträgt die Festsetzungsfrist für Verbrauchsteuern, zu denen auch die Stromsteuer (§ 1 Abs. 1 Satz 3 StromStG) gehört, ein Jahr. Die Festsetzungsfrist beginnt nach § 170 Abs. 1 AO i.V.m. § 155 Abs. 4 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist. Wird eine Steuer oder eine Steuervergütung nur auf Antrag festgesetzt, so beginnt die Frist u. a. für die Aufhebung oder Änderung dieser Festsetzung nicht vor Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Antrag gestellt wird (§ 170 Abs. 3 AO).
Für Vergütungsansprüche beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf desjenigen Jahres zu laufen, in dem der Vergütungsanspruch infolge der Verwirklichung des Entlastungstatbestands entstanden ist (BFH-Urteil in BFH/NV 2016, 1835).
b) Der Vergütungsanspruch nach § 5 Abs. 3 Satz 3 StromStG entsteht nicht bereits mit der Verwendung des Stroms durch den unerkannten Versorger, sondern setzt zusätzlich voraus, dass der Antragsteller stromsteuerrechtlich ordnungsgemäß handelte. Dies bedeutet für den Fall, dass durch die tatsächliche Entnahme Steuer entstanden ist, diese der Antragsteller auch bezahlt haben muss.
Hierfür spricht der Wortlaut, wonach eine Vergütung neben anderen Voraussetzungen nur gewährt wird, soweit der Antragsteller nachweist, dass die durch die tatsächliche Entnahme des Stroms entstandene Steuer entrichtet worden ist, für den Strom keine Steuer entstanden ist oder der Strom steuerfrei entnommen worden ist. Der Begriff Entrichtung wird im StromStG (§ 8 StromStG) und in der Abgabenordnung (z. B. §§ 224 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 240 Abs. 1 AO) im Sinne von tatsächlicher Erfüllung der Steuerschuld verwendet. Nach dem Wortlaut des § 5 Abs. 3 Satz 3 StromStG wird zudem in diesem Zusammenhang zwischen der Entstehung und der Entrichtung der Steuer unterschieden.
Eine andere Auslegung ist auch mit den Zwecken des § 5 Abs. 3 StromStG nicht vereinbar: § 5 Abs. 3 Satz 1 StromStG enthält die Fiktion, dass das Leisten von Strom an einen unerkannten Versorger, welcher keine Erlaubnis nach § 4 Abs. 1 StromStG hat, als Leisten an einen Letztversorger gilt und damit der Stromsteuer unterliegt. Dies soll eine nachträgliche Rückabwicklung der Lieferung an den unerkannten Versorger verhindern und dient dazu, Steuergefährdungen zu vermeiden (BT-Drucks. 16/1172, S. 46 f.). Allerdings bleibt hiervon die Steuerentstehung beim Versorger unberührt (§ 5 Abs. 3 Satz 2 StromStG). Für eine tatsächlich einmal steuerpflichtig entnommene Strommenge fällt die Steuer daher grundsätzlich zweimal an, nämlich einmal beim Vorversorger und einmal beim unerkannten Versorger. Letzterer ist, da ihm der Vorversorger die Stromsteuer in Rechnung stellt, dann mit der Steuer doppelt belastet (vgl. Schröer-Schallenberg in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, § 5 StromStG Rz 39 f.). Falls für den unerkannten Versorger keine Steuer anfällt, z. B. beim Eingreifen einer Steuerbefreiung oder der Lieferung an einen weiteren Versorger, führt § 5 Abs. 3 Satz 1 StromStG dazu, dass der unerkannte Versorger dennoch mit in Rechnung gestellter Stromsteuer belastet wird. Deswegen sieht § 5 Abs. 3 Satz 3 StromStG vor, dass sich der Antragsteller die nach § 5 Abs. 3 Satz 1 StromStG entstandene Steuer vergüten lassen kann, wenn er selbst seine Stromlieferung nachweislich ordnungsgemäß behandelt hat. Damit wird einerseits sichergestellt, dass es nicht zu Steuerausfällen kommt, die andernfalls zu befürchten wären, weil der unerkannte Versorger wegen der fehlenden Erlaubnis gem. § 4 Abs. 1 StromStG keiner steuerlichen Überwachung unterliegt. Andererseits kann der unerkannte Versorger die wegen der fehlenden Steuerüberwachung entstehende zusätzliche Belastung durch einen Antrag nach § 5 Abs. 3 Satz 3 StromStG und den Nachweis seines ordnungsgemäßen Verhaltens im Einzelfall wieder rückgängig machen. Dies verdeutlicht, dass das Entstehen der Vergütung auch von dem ordnungsgemäßen Verhalten des Antragstellers abhängt und nicht nur von der Entstehung der Steuer nach § 5 Abs. 3 Satz 1 StromStG.
In besonderem Maße verdeutlicht der Insolvenzfall des unentdeckten Versorgers, dass auf die tatsächliche Bezahlung der Steuer abzustellen ist, die er für die tatsächliche Entnahme schuldet. Denn andernfalls erhielte das HZA hinsichtlich dieser noch nicht entrichteten Steuer nur die Insolvenzquote, müsste aber zugleich den gesamten Vergütungsanspruch an die Insolvenzmasse auszahlen, weil ja die Erfüllung der eigenen Steuerschuld des insolventen unentdeckten Versorgers keine Voraussetzung für das Entstehen des Anspruchs wäre. Dann führte die Regelung des § 5 Abs. 3 Satz 3 StromStG zu einer – abgesehen von der Insolvenzquote – vollständigen Entlastung von der Stromsteuer, obwohl mit der Regelung des § 5 Abs. 3 Satz 3 StromStG lediglich die doppelte Belastung rückgängig gemacht werden soll.
Das HZA trägt selbst vor, dass es das Gewähren der Vergütung vom Nachweis der Entrichtung durch den Antragsteller abhängig macht. Dies belegt, dass die Entrichtung der Steuer Voraussetzung für die Vergütung ist. Denn andernfalls dürfte das HZA einen gestellten Antrag nicht mit Hinweis auf den mangelnden Nachweis der Entrichtung der Steuer ablehnen.
Anders als die Entrichtung der Steuer ist deren Nachweis keine Entstehungsvoraussetzung, sondern eine steuerverfahrensrechtliche Regelung. Dadurch trägt der Antragsteller nicht nur die materielle Feststellungslast; er hat vielmehr auch die Entrichtung nachzuweisen, so dass die Amtsermittlungspflicht des HZA nach § 88 Abs. 1 Satz 1 AO insoweit begrenzt ist. Wäre nicht nur die Entrichtung der Steuer, sondern auch deren Nachweis Entstehungsvoraussetzung, hätte die Verjährung in der Regel keine Bedeutung mehr, weil der den Beginn der Verjährung auslösende Nachweis grundsätzlich erst mit dem Vergütungsantrag geführt sein wird und damit die Verjährung regelmäßig erst mit dem Stellen des Antrages beginnen würde.
c) Die Grundsätze des BFH zu §§ 46 Abs. 1 Satz 1, 51 Abs. 1 EnergieStG sind nicht auf den Nachweis der Entrichtung der Steuer für die tatsächliche Entnahme zu übertragen.
Nach § 51 Abs. 1 EnergieStG wird eine Steuerentlastung auf Antrag für Energieerzeugnisse gewährt, die nachweislich nach § 2 Abs. 1 Nr. 9 und 10, Abs. 3 Satz 1 oder Abs. 4a EnergieStG versteuert und zu den in § 51 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 EnergieStG genannten Zwecken verwendet worden sind. Nach dem BFH-Urteil in BFH/NV 2016, 1835 ist der im EnergieStG nicht definierte Begriff der Versteuerung dahingehend auszulegen, dass der Entlastungsanspruch bereits mit der steuerbegünstigten Verwendung des Energieerzeugnisses entsteht, wobei unterstellt werden könne, dass in diesem Zeitpunkt die vom Lieferer nach § 79 Abs. 2 der Energiesteuer-Durchführungsverordnung (EnergieStV) zu führenden Aufzeichnungen ausreichende Gewähr für die Durchsetzung des Steueranspruchs böten. Es sei zu berücksichtigen, dass der vergütungsberechtigte Verwender in der Regel nicht in der Lage sei, die Anmeldung und Entrichtung der Steuer durch den Steuerschuldner, z. B. durch Vorlage von Kopien der Steueranmeldungen und Belegen über geleistete Vorauszahlungen, selbst nachzuweisen. Würde vom Verwender der Nachweis der Steuerfestsetzung oder der Entrichtung der Steuer durch den Lieferer bzw. Versorger gefordert, wäre das energiesteuerrechtliche Entlastungsverfahren nur mit einem erheblichen Aufwand durchführbar und kaum praktikabel. Nahezu ausgeschlossen wäre die nach § 95 Abs. 2a Satz 2 EnergieStV eröffnete Möglichkeit einer unverzüglichen Steuerentlastung. Das Ziel des Gesetzgebers, eine möglichst zeitnahe Entlastung desjenigen Verwenders zu gewährleisten, der durch die Zahlung des Kaufpreises als eigentlicher Belastungsträger in Anspruch genommen werde, würde nicht mehr erreicht werden können. Der Begriff der Versteuerung bedürfe daher einer Auslegung, die den Zielen des Gesetzgebers und den Interessen der Wirtschaftsbeteiligten gerecht werde. Diese Grundsätze hat der BFH auf die Steuerentlastung nach § 46 Abs. 1 Satz 1 EnergieStG übertragen (BFH-Urteil vom 10. Januar 2017 VII R 26/14, Betriebs-Berater – BB – 2017, 981).
In § 5 Abs. 3 Satz 3 StromStG wird der Begriff Entrichtung zweimal verwendet. Zum einen stellt das Gesetz auf die vom Vorversorger entrichtete Steuer ab. Hier bestehen die gleichen Nachweisprobleme für den Antragsteller wie bei §§ 46 Abs. 1 Satz 1, 51 Abs. 1, EnergieStG, was insoweit für die Übertragung der Grundsätze aus den oben genannten BFH-Urteilen spricht. Zum anderen wird dem Antragsteller durch die Vorschrift auferlegt nachzuweisen, dass er seine eigene Steuer entrichtet hat. Im Gegensatz zu den Nachweisproblemen bei der Entrichtung durch den Lieferer bzw. Vorversorger gibt es insoweit keine Nachweisschwierigkeiten, weil es sich um die eigene Steuer des unentdeckten Versorgers handelt. Hier ist die tatsächliche Bezahlung der durch die tatsächliche Entnahme entstandenen Steuer erforderlich, um den Zweck des § 5 Abs. 3 Satz 3 StromStG zu erreichen und eine nicht gewollte Begünstigung des unerkannten Versorgers zu verhindern. Denn anders als bei der Lieferung durch den Vorversorger und anders als bei §§ 46 Abs. 1 Satz 1, 51 Abs. 1 EnergieStG kann nicht davon ausgegangen werden, dass der unerkannte Versorger seine Steuer entrichten wird und es daher ausreicht, auf die tatsächliche Entnahme durch ihn abzustellen. Genau diese Gefahr, dass der unerkannte Versorger, der nicht der steuerlichen Überwachung unterliegt, seinen stromsteuerrechtlichen Verpflichtungen zum Abführen der Steuer nicht nachkommt, ist nämlich ein Grund für die Regelung in § 5 Abs. 3 Satz 1 StromStG, welche – wie dargelegt – auch der Vermeidung von Steuerausfällen dient. Erst durch das ordnungsgemäße Verhalten des unentdeckten Versorgers im Einzelfall entfällt diese (abstrakte) Gefahr und soll die durch § 5 Abs. 3 Satz 1 StromStG bestehende zusätzliche Belastung durch die Vergütung rückgängig gemacht werden.
Schließlich sieht die StromStV im Gegensatz zu §§ 87 Abs. 2 Satz 2, 95 Abs. 2a Satz 2 EnergieStV für §§ 46 Abs. 1 Satz 1, 51 Abs. 1 EnergieStG keine Möglichkeit zur unverzüglichen Entlastung bei § 5 Abs. 3 Satz 3 StromStG vor. Dies deutet darauf hin, dass es dem Verordnungsgeber bei dieser Vorschrift – entsprechend ihrem Zweck – nicht um eine zeitnahe Entlastung ging.
d) Im Streitfall hat die Klägerin für die tatsächliche Entnahme erstmals im Jahr 2013 einen Teil der Steuer entrichtet. Zu Lasten der Klägerin unterstellt, dass bereits dies die Verjährung insgesamt auslöste, begann die einjährige Festsetzungsfrist mit Ablauf dieses Jahres. Die in diesem Jahr und im Jahr 2014 gestellten Anträge nach § 5 Abs. 3 Satz 3 StromStG waren daher vor Ablauf der Festsetzungsverjährung gestellt.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und über den Vollstreckungsschutz folgt aus § 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 3 FGO i.V.m. § 708
Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung.
4. Die Revision ist zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).