Aktenzeichen X R 66/14
§ 37 Abs 1 AO
§ 149 Abs 2 AO
§ 155 Abs 2 AO
§ 162 Abs 5 AO
§ 175 Abs 1 S 1 Nr 1 AO
§ 182 AO
§ 227 AO
§ 233a Abs 1 AO
§ 233a Abs 2 AO
§ 233a Abs 2a AO
§ 234 Abs 2 AO
§ 237 Abs 4 AO
§ 2 Abs 7 S 2 EStG 2009
§ 4a Abs 1 S 1 EStG 2009
§ 4a Abs 1 S 2 Nr 1 EStG 2009
§ 4a Abs 1 S 2 Nr 2 EStG 2009
§ 4a Abs 2 Nr 1 EStG 2009
§ 4a Abs 2 Nr 2 EStG 2009
§ 14 EStG 2009
§ 8c EStDV 2000
§ 101 S 1 FGO
Leitsatz
1. NV: Die Sollverzinsung nach § 233a Abs. 1 AO bezweckt den Ausgleich von Liquiditätsvorteilen und -nachteilen bei dem Steuerpflichtigen und dem Fiskus.
2. NV: Die Karenzzeiten nach § 233a Abs. 2 AO sollen eine Anlaufphase zinsfrei halten, in der das Veranlagungsverfahren regelmäßig abgeschlossen sein kann.
3. NV: Die Verlängerung der Karenzzeit bei Land- und Forstwirten beruht auf dem Zusammentreffen deren regelmäßig abweichenden Wirtschaftsjahrs mit der zeitanteiligen Zuordnung der laufenden Gewinne auf die beiden Kalenderjahre.
4. NV: Bei den typisierten Karenzzeiten von 15 bzw. 23 Monaten bleibt es auch dann, wenn im Einzelfall Gewinnermittlung und Veranlagung bereits früher oder erst später beginnen könnten.
5. NV: Es hat auf die Karenzzeiten keinen Einfluss, ob die zugrunde liegenden Einkünfte Gegenstand einer gesonderten Feststellung sind, wann die gesonderte Feststellung frühestens möglich ist und wann sie tatsächlich vorgenommen wird. § 233a Abs. 2a AO ist nicht entsprechend anwendbar.
6. NV: Die durch Anpassung eines Einkommensteuerbescheids an den Feststellungsbescheid entstehende Zinspflicht ist nicht sachlich unbillig, da § 155 Abs. 2 AO i.V.m. § 162 Abs. 5 AO schon vor Erlass des Feststellungsbescheids den Ansatz der festzustellenden Einkünfte im Schätzungswege ermöglicht.
Verfahrensgang
vorgehend Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht, 4. Dezember 2013, Az: 2 K 82/13, Urteil
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 4. Dezember 2013 2 K 82/13 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
1
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war bis zum 30. November 2010 alleiniger Gesellschafter der X GmbH (GmbH) sowie alleiniger Kommanditist der X & Co. KG (KG). Die KG und die GmbH hatten jeweils ein vom Kalenderjahr abweichendes Wirtschaftsjahr vom 1. September bis 31. August. Am 30. November 2010 brachte der Kläger seine Anteile an der GmbH und der KG in die Y GmbH ein. Mit der am 1. April 2011 bei dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt –FA–) eingegangenen Einkommensteuererklärung 2010 schätzte der Kläger den Veräußerungsgewinn auf … €. Das FA veranlagte mit Einkommensteuerbescheid vom 15. Juli 2011 erklärungsgemäß. Mit Änderungsbescheid vom 15. September 2011 berücksichtigte es unter Abzug nachträglicher Veräußerungskosten einen Veräußerungsgewinn von … €.
2
Die KG gab die Feststellungserklärung für das Jahr 2011, die das Wirtschaftsjahr 2010/2011 mit dem Einbringungsgewinn des Klägers erfasste, am 23. Februar 2012 ab. In einer Außenprüfung bei der KG vom 28. Februar 2012 bis 15. März 2012 kam es zu einer einvernehmlichen Neuberechnung des Veräußerungsgewinns auf nunmehr … €. Der geänderte Feststellungsbescheid erging am 4. September 2012. Mit Einkommensteuerbescheid vom 24. September 2012 berücksichtigte das FA nach Korrektur durch Anwendung des Teileinkünfteverfahrens einen Veräußerungsgewinn von … €. Am selben Tage erließ das FA einen Bescheid über Zinsen zur Einkommensteuer 2010 in Höhe von … €. Es steht zwischen den Beteiligten nicht im Streit, dass dieser Bescheid eine zutreffende Anwendung des Gesetzes darstellt.
3
Mit Schriftsatz vom 8. Oktober 2012 beantragte der Kläger Erlass dieser Nachzahlungszinsen wegen sachlicher Unbilligkeit. Am 24. Oktober 2012 erließ das FA aufgrund einer offenbaren Unrichtigkeit einen geänderten Einkommensteuerbescheid 2010, jedoch ohne Änderung des Veräußerungsgewinns, und am selben Tage einen geänderten Bescheid über Zinsen zur Einkommensteuer über nunmehr … €. Mit Bescheid vom 5. Dezember 2012 und Teileinspruchsentscheidung vom 18. April 2013 lehnte das FA den Erlassantrag ab. Es entspreche den Wertungen des Gesetzgebers, Zinsen auf einen Nachforderungsbetrag für die Zeit bis zum Abschluss einer Außenprüfung zu erheben, da insoweit die Möglichkeit der Kapitalnutzung bestanden habe. Daran ändere sich nicht dadurch etwas, dass einerseits der Veräußerungsgewinn mangels Anwendbarkeit des § 4a Abs. 2 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) einkommensteuerrechtlich im Jahre 2010 zu erfassen gewesen sei, er andererseits aber erst im Feststellungsverfahren der KG für das Jahr 2011 habe ermittelt werden können. Der Kläger habe den Veräußerungsgewinn selbst geschätzt. Eine Außenprüfung bringe häufig eine nachträgliche Gewinnerhöhung mit sich.
4
Im Klageverfahren begehrte der Kläger die Verpflichtung zum Erlass der Zinsen aus Gründen sachlicher Billigkeit. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage durch in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2014, 321 veröffentlichtes Urteil abgewiesen.
5
Mit seiner Revision macht der Kläger weiterhin geltend, die Zinsfestsetzung sei sachlich unbillig, er wendet sich allerdings nicht gegen die Höhe des Zinses. Maßgebend für den Veräußerungsgewinn 2010 sei die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen bei der KG. Der Kläger habe infolgedessen seinen Veräußerungsgewinn des Jahres 2010 frühestens zutreffend erklären können, nachdem die KG ihre Erklärung fertiggestellt hatte. Die KG wiederum habe ihre Erklärung frühestmöglich abgegeben. Wegen des Zusammentreffens des abweichenden Wirtschaftsjahrs der KG mit der Nichtanwendung des § 4a Abs. 2 Nr. 2 EStG habe der Kläger den Karenzzeitraum von 15 Monaten nach § 233a Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) nicht nutzen können. Hätte die KG kein abweichendes Wirtschaftsjahr oder hätte der Kläger laufende Einkünfte erzielt und wäre er nicht unterjährig aus der KG ausgeschieden, wäre die Zinsbelastung nicht eingetreten.
6
Die Verlängerung der zinsfreien Karenzzeit bei überwiegenden Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft zunächst auf 21, später auf 23 Monate beruhe ebenso wie die nach § 149 Abs. 2 Satz 2 AO hinausgeschobene Frist zur Abgabe der Steuererklärung gerade auf dem dort stets abweichenden Wirtschaftsjahr (BTDrucks 11/2536, S. 96, BTDrucks 17/5125, S. 50). Der Gewerbetreibende mit einem abweichenden Wirtschaftsjahr befinde sich in einer identischen Situation. Es könne nicht unterstellt werden, der Gesetzgeber habe die Möglichkeit des abweichenden Wirtschaftsjahrs auch bei Gewerbetreibenden übersehen. Dass der Gesetzgeber nichts geregelt habe, könne nicht belegen, dass er ein Problem gesehen und dessen Nichtlösung bewusst in Kauf genommen habe. Vielmehr gebe es für eine willentliche Ungleichbehandlung keinen Hinweis und auch keine Rechtfertigung. Diese widerspräche vielmehr Art. 3 des Grundgesetzes. Nach alledem liege ein atypischer Sachverhalt vor, der den Wertungen des Gesetzes nicht entspreche und es gebiete, rechnerisch eine Karenzzeit von 21 Monaten zu berücksichtigen. In diesem Fall wäre es zu keiner Zinsfestsetzung gekommen.
7
Der Kläger beantragt sinngemäß,das FG-Urteil und den Bescheid über Zinsen zur Einkommensteuer 2010 vom 24. Oktober 2012 aufzuheben, hilfsweise das FA zum Erlass der mit diesem Bescheid festgesetzten Zinsen zu verpflichten.
8
Das FA beantragt,die Revision zurückzuweisen.
9
Die Ablehnung des Erlassantrags sei nicht ermessensfehlerhaft, der Erlass nicht möglich gewesen. Es fehle an einem ungewollt über die Wertungen des Gesetzgebers hinausgehenden Überhang des gesetzlichen Tatbestandes. Der Kläger sei durch die Kombination des abweichenden Wirtschaftsjahrs der KG mit der zeitlichen Zuordnung des Veräußerungsgewinns zum Jahr des Ausscheidens von der Zahlung der geschuldeten Steuer tatsächlich zunächst “freigestellt” worden und habe so den Liquiditätsvorteil erlangt, den die Verzinsung abzuschöpfen bezwecke. Dies gelte gerade unabhängig von den Ursachen und Begleitumständen und deswegen ungeachtet fehlenden Verschuldens des Klägers. Auch das FA habe ohne Verzögerung agiert.