Steuerrecht

Erweiterte Gewerbeuntersagung bei erheblichen Steuerschulden

Aktenzeichen  M 16 K 15.4732

Datum:
21.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GewO GewO § 35 Abs. 1 S. 1, S. 2
GG GG Art. 12
VwGO VwGO § 113 Abs. 1 S. 1, § 114 S. 1

 

Leitsatz

Zur Feststellung der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit ist aus den vorhandenen tatsächlichen Umständen eine Prognose für das wahrscheinliche zukünftige Verhalten des Gewerbetreibenden anzustellen. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt hierfür ist die letzte Verwaltungsentscheidung; nachträgliche Veränderungen der Sachlage werden nicht berücksichtigt. (redaktioneller Leitsatz)
Die auf einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen beruhende Steuerfestsetzung steht im Rahmen der gewerberechtlichen Zuverlässigkeitsprognose einer aus exakt ermittelten Besteuerungsgrundlagen resultierenden Steuerfestsetzung gleich. (redaktioneller Leitsatz)
Eine Ausdehnung der Untersagung auf weitere Gewerbe (§ 35 Abs. 1 S. 2 GewO) setzt eine gewerbeübergreifende Unzuverlässigkeit des Betroffenen voraus. Hiervon ist bei der Verletzung von Pflichten auszugehen, die für alle Gewerbetreibenden unabhängig von einer bestimmten gewerblichen Tätigkeit gelten. Steuerpflichten sind derartige Pflichten.    (redaktioneller Leitsatz)
Der durch § 35 Abs. 1 S. 2 GewO bewirkte Ausschluss eines gewerbeübergreifend Unzuverlässigen aus dem Wirtschaftsverkehr ist verhältnismäßig und stellt daher keinen Verstoß gegen Art. 12 GG dar. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 24. September 2015 ist rechtmäßig. Rechte des Klägers werden deshalb nicht verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Bescheides, der das Gericht folgt, wird Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 VwGO).
Lediglich ergänzend bleibt auszuführen, dass der Kläger vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheides angehört wurde. Ausweislich der entsprechenden Zustellungsurkunde wurde ihm das Anhörungsschreiben vom 7. September 2015 am 9. September 2015 in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten eingelegt.
Die Beklagte ist auch zu Recht von der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit des Klägers i. S. des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO ausgegangen. Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Gewerbetreibender dann gewerberechtlich unzuverlässig, wenn er nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß ausüben wird. Die Unzuverlässigkeit kann sich insbesondere aus mangelnder wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, dem Vorliegen von Steuerschulden, der Verletzung von steuerlichen Erklärungspflichten, dem Vorhandensein von Beitragsrückständen bei Sozialversicherungsträgern oder aus Straftaten und Ordnungswidrigkeiten ergeben (vgl. BVerwG, U. v. 2.2.1982 – 1 C 146/80 – juris; BVerwG, B. v. 19.1.1994 – 1 B 5/94 – juris; BVerwG, B. v. 11.11.1996 – 1 B 226/96 – juris; BVerwG, B. v. 5.3.1997 – 1 B 56/97 – juris; BVerwG, B. v. 16.2.1998 – 1 B 26/98 – juris).
Für die erforderliche Prognose zur Feststellung der Unzuverlässigkeit ist aus den bereits vorhandenen tatsächlichen Umständen auf ein wahrscheinliches zukünftiges Verhalten des Gewerbetreibenden zu schließen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Unzuverlässigkeit ist wegen der Möglichkeit der Wiedergestattung des Gewerbes gemäß § 35 Abs. 6 GewO der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (vgl. BVerwG, U. v. 2.2.1982 – 1 C 17/79 – juris; BVerwG, B. v. 16.6.1995 – 1 B 83/95 – juris). Nachträgliche Veränderungen der Sachlage, insbesondere eine Minderung von Verbindlichkeiten, bleiben außer Betracht (vgl. BayVGH, B. v. 23.10.2012 – 22 ZB 12. 888 – juris).
Nach diesen Maßstäben ist die angefochtene Gewerbeuntersagung zu Recht ergangen. Die negative Prognose der Beklagten rechtfertigt sich insbesondere im Hinblick auf die im Zeitpunkt des Bescheidserlasses vorliegenden erheblichen Rückstände beim Finanzamt und beim Kassen- und Steueramt. Im Rahmen des § 35 GewO ist eine auf einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen beruhende Steuerfestsetzung nicht anders zu würdigen als eine Steuerschuld, die sich aus exakt ermittelten Besteuerungsgrundlagen ergibt (vgl. BVerwG, B. v. 25.10.1996 – 1 B 214/96 – juris; BayVGH, B. v. 23.10.2012 – 22 ZB 12.888 – juris).
Unschädlich ist es, dass der angegriffene Bescheid unter Nr. 1 auch Tätigkeiten aufführt, die die Beklagte dem Handelsregisterauszug der GmbH, als deren Geschäftsführer der Kläger tätig ist, entnommen hat. Der vorliegenden Untersagungsverfügung kommt insoweit kein selbstständiger Regelungsgehalt zu, da diese Tätigkeiten ihrem Inhalt nach den Tätigkeiten entsprechen, die der Kläger in seiner Gewerbeanmeldung vom 30. Januar 2012 für das streitgegenständliche Gewerbe angegeben hat.
Auch die Ausdehnung der Gewerbeuntersagung auf weiteres gewerbliches Tätigwerden des Klägers ist nicht zu beanstanden. Nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO kann die Untersagung auch auf die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebs beauftragten Person sowie auf einzelne andere oder auf alle Gewerbe erstreckt werden, soweit die festgestellten Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Gewerbetreibende auch für diese Tätigkeiten oder Gewerbe unzuverlässig ist. Nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung setzt der Erlass einer solchen erweiterten Gewerbeuntersagung das Vorliegen einer „gewerbeübergreifenden Unzuverlässigkeit“ des Betroffenen voraus. Darüber hinaus muss die Erstreckung der Untersagung auf andere gewerbliche Tätigkeiten erforderlich sein. Dies ist dann der Fall, wenn zu erwarten ist, dass der Gewerbetreibende auf entsprechende Tätigkeiten ausweicht. Ausreichend für diese Annahme ist es, dass keine besonderen Umstände vorliegen, die es ausschließen, dass der Gewerbetreibende ein anderes Gewerbe oder eine der genannten leitenden Tätigkeiten in Zukunft ausübt (vgl. BVerwG, U. v. 2.2.1982 – 1 C 17/79 – juris; BVerwG, U. v. 2.2.1982 – 1 CB 2/81 – juris; BVerwG, B. v. 11.9.1992 – 1 B 131/92 – juris; BVerwG, B. v. 19.1.1994 – 1 B 5/94 – juris; BayVGH, U. v. 1.6.2011 – 22 B 09.2785 – juris).
Diese Voraussetzungen sind hier ebenfalls gegeben. Mit der Verletzung steuerrechtlicher Pflichten hat der Kläger Pflichten verletzt, die für jeden Gewerbetreibenden gelten und nicht nur Bezug zu einer bestimmten gewerblichen Tätigkeit haben. Dieses Verhalten begründet eine gewerbeübergreifende Unzuverlässigkeit. Dies rechtfertigt wiederum die Annahme, dass der Kläger ein entsprechendes Verhalten auch bei Ausübung eines anderen Gewerbes oder anderer gewerblicher Tätigkeiten an den Tag legen wird. Es ist auch zu erwarten, dass er auf solche Tätigkeiten ausweichen wird.
Auch die Ermessensausübung (§ 114 Satz 1 VwGO) der Beklagten ist rechtsfehlerfrei. Insbesondere steht der Ausschluss eines Gewerbetreibenden, der gewerbeübergreifend unzuverlässig ist, aus dem Wirtschaftsverkehr mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in der Ausprägung durch Art. 12 GG in Einklang (vgl. BVerwG, B. v. 12.1.1993 – 1 B 1/93 – juris).
Die festgesetzte Verwaltungsgebühr in Höhe von EUR 450,- bewegt sich innerhalb des einschlägigen Gebührenrahmens, der von EUR 50,- bis EUR 2000,- reicht (vgl. Tarif-Nr. 5.III.5/15 des Kostenverzeichnisses).
Die Klage waren daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 20.000, – festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG- i. V. m. Nrn. 54.2.1 und 54.2.2 des Streitwertkatalogs 2013).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.

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